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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Aus meiner Jugendzeit.
Motto: Was bildet den Menschen, als die Liebe!

Ich bin am zehnten Mai des Jahres siebzehnhundert sechsundneunzig zu Berlin geboren und die jüngste von fünf Geschwistern. Meine Eltern stammten beide von der französischen Kolonie ab, welche zu jener Zeit noch fester in sich zusammenhielt, als jetzt. Beide Eltern sprachen meist französisch mit einander, und da diese Sprache damals in Deutschland noch viel mehr geredet wurde, als in späterer Zeit, so lernten wir Kinder sie alle früher und besser als das Deutsche, obschon die Eltern gute Preußen waren und den jungen König und die schöne Königin mit wahrer Pietät verehrten.

Die Mutter war sehr schön gewesen und hatte lange einen Herrn von Schlichting, einen Offizier, geliebt. Seine Eltern hatten aber davon nichts wissen wollen, weil damals die Verbindung eines Offiziers, eines Erben aus uraltem Adelshause, mit der Tochter eines Seidenfabrikanten für eine unstatthafte Mißheirath, für ein großes Unglück angesehen wurde. Sie hatten also seine Versetzung nach Ostpreußen bewerkstelligt, er war aus dem Militär in Civildienste getreten, und meine Mutter hatte denn auch dem Willen ihrer Eltern später Gehorsam geleistet und den Mann geheirathet, der ihr von Jugend an bestimmt gewesen;

Aus meiner Jugendzeit.
Motto: Was bildet den Menschen, als die Liebe!

Ich bin am zehnten Mai des Jahres siebzehnhundert sechsundneunzig zu Berlin geboren und die jüngste von fünf Geschwistern. Meine Eltern stammten beide von der französischen Kolonie ab, welche zu jener Zeit noch fester in sich zusammenhielt, als jetzt. Beide Eltern sprachen meist französisch mit einander, und da diese Sprache damals in Deutschland noch viel mehr geredet wurde, als in späterer Zeit, so lernten wir Kinder sie alle früher und besser als das Deutsche, obschon die Eltern gute Preußen waren und den jungen König und die schöne Königin mit wahrer Pietät verehrten.

Die Mutter war sehr schön gewesen und hatte lange einen Herrn von Schlichting, einen Offizier, geliebt. Seine Eltern hatten aber davon nichts wissen wollen, weil damals die Verbindung eines Offiziers, eines Erben aus uraltem Adelshause, mit der Tochter eines Seidenfabrikanten für eine unstatthafte Mißheirath, für ein großes Unglück angesehen wurde. Sie hatten also seine Versetzung nach Ostpreußen bewerkstelligt, er war aus dem Militär in Civildienste getreten, und meine Mutter hatte denn auch dem Willen ihrer Eltern später Gehorsam geleistet und den Mann geheirathet, der ihr von Jugend an bestimmt gewesen;

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[0020] Aus meiner Jugendzeit. Motto: Was bildet den Menschen, als die Liebe! Ich bin am zehnten Mai des Jahres siebzehnhundert sechsundneunzig zu Berlin geboren und die jüngste von fünf Geschwistern. Meine Eltern stammten beide von der französischen Kolonie ab, welche zu jener Zeit noch fester in sich zusammenhielt, als jetzt. Beide Eltern sprachen meist französisch mit einander, und da diese Sprache damals in Deutschland noch viel mehr geredet wurde, als in späterer Zeit, so lernten wir Kinder sie alle früher und besser als das Deutsche, obschon die Eltern gute Preußen waren und den jungen König und die schöne Königin mit wahrer Pietät verehrten. Die Mutter war sehr schön gewesen und hatte lange einen Herrn von Schlichting, einen Offizier, geliebt. Seine Eltern hatten aber davon nichts wissen wollen, weil damals die Verbindung eines Offiziers, eines Erben aus uraltem Adelshause, mit der Tochter eines Seidenfabrikanten für eine unstatthafte Mißheirath, für ein großes Unglück angesehen wurde. Sie hatten also seine Versetzung nach Ostpreußen bewerkstelligt, er war aus dem Militär in Civildienste getreten, und meine Mutter hatte denn auch dem Willen ihrer Eltern später Gehorsam geleistet und den Mann geheirathet, der ihr von Jugend an bestimmt gewesen;

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/20>, abgerufen am 28.04.2024.