Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

Bild:
<< vorherige Seite

Hat euer Blut sich nicht empört,
Wenn ihm, vor allzugroßem Schmerz
Nicht brechen Auge kann und Herz?
In Frankreich war es. Blutbespritzt,
Schweißübergossen, überhitzt,
Just um des Schlachtentages Mitte.
Von meinen Pferden schon das dritte,
Das ich bestiegen im Gefechte.
Den hungrigen Degen hielt die Rechte,
Und meine herrliche Kompagnie,
Zu sattem Siege führ' ich sie.
Da, als wir über Leichen stolpern,
Durch Stein und Buschwerk weiter holpern,
Und nur die freie Bahn ersehnen,
Den Feind zu packen mit den Zähnen,
Erschrak ein Schrei mich in der Nähe,
Der klang so gräßlich, klang so jähe,
Daß ich entsetzt vom Pferde sprang,
Und keuchend an die Stelle drang,
Woher er kam.

Du großer Gott!
Da lag mein Freund, zerrissen, bloß,
Im Sonnenfeuer, das ihn sott,
Noch mit Besinnung, rettungslos.
Das Eingeweide hing heraus,
Er starrt mich an im Sterbegraus,
Und ich verstand den stummen Blick:
"Thu' deine letzte Freundespflicht."
Und lange war mein Zögern nicht,
Schon spannt' ich den Revolverhahn,
Da lehnt er sich im letzten Wahn
An meine Brust. Und Gott sei Dank!
Von seinem Schiff ins Todesmeer
Des Mastes Wimpel untersank.
Noch stammelt er: "Siegt unser Heer? --

Hat euer Blut ſich nicht empört,
Wenn ihm, vor allzugroßem Schmerz
Nicht brechen Auge kann und Herz?
In Frankreich war es. Blutbeſpritzt,
Schweißübergoſſen, überhitzt,
Juſt um des Schlachtentages Mitte.
Von meinen Pferden ſchon das dritte,
Das ich beſtiegen im Gefechte.
Den hungrigen Degen hielt die Rechte,
Und meine herrliche Kompagnie,
Zu ſattem Siege führ’ ich ſie.
Da, als wir über Leichen ſtolpern,
Durch Stein und Buſchwerk weiter holpern,
Und nur die freie Bahn erſehnen,
Den Feind zu packen mit den Zähnen,
Erſchrak ein Schrei mich in der Nähe,
Der klang ſo gräßlich, klang ſo jähe,
Daß ich entſetzt vom Pferde ſprang,
Und keuchend an die Stelle drang,
Woher er kam.

Du großer Gott!
Da lag mein Freund, zerriſſen, bloß,
Im Sonnenfeuer, das ihn ſott,
Noch mit Beſinnung, rettungslos.
Das Eingeweide hing heraus,
Er ſtarrt mich an im Sterbegraus,
Und ich verſtand den ſtummen Blick:
„Thu’ deine letzte Freundespflicht.“
Und lange war mein Zögern nicht,
Schon ſpannt’ ich den Revolverhahn,
Da lehnt er ſich im letzten Wahn
An meine Bruſt. Und Gott ſei Dank!
Von ſeinem Schiff ins Todesmeer
Des Maſtes Wimpel unterſank.
Noch ſtammelt er: „Siegt unſer Heer? —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="10">
            <pb facs="#f0068" n="60"/>
            <l>Hat euer Blut &#x017F;ich nicht empört,</l><lb/>
            <l>Wenn ihm, vor allzugroßem Schmerz</l><lb/>
            <l>Nicht brechen Auge kann und Herz?</l><lb/>
            <l>In Frankreich war es. Blutbe&#x017F;pritzt,</l><lb/>
            <l>Schweißübergo&#x017F;&#x017F;en, überhitzt,</l><lb/>
            <l>Ju&#x017F;t um des Schlachtentages Mitte.</l><lb/>
            <l>Von meinen Pferden &#x017F;chon das dritte,</l><lb/>
            <l>Das ich be&#x017F;tiegen im Gefechte.</l><lb/>
            <l>Den hungrigen Degen hielt die Rechte,</l><lb/>
            <l>Und meine herrliche Kompagnie,</l><lb/>
            <l>Zu &#x017F;attem Siege führ&#x2019; ich &#x017F;ie.</l><lb/>
            <l>Da, als wir über Leichen &#x017F;tolpern,</l><lb/>
            <l>Durch Stein und Bu&#x017F;chwerk weiter holpern,</l><lb/>
            <l>Und nur die freie Bahn er&#x017F;ehnen,</l><lb/>
            <l>Den Feind zu packen mit den Zähnen,</l><lb/>
            <l>Er&#x017F;chrak ein Schrei mich in der Nähe,</l><lb/>
            <l>Der klang &#x017F;o gräßlich, klang &#x017F;o jähe,</l><lb/>
            <l>Daß ich ent&#x017F;etzt vom Pferde &#x017F;prang,</l><lb/>
            <l>Und keuchend an die Stelle drang,</l><lb/>
            <l>Woher er kam.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="11">
            <l> <hi rendition="#et">Du großer Gott!</hi> </l><lb/>
            <l>Da lag mein Freund, zerri&#x017F;&#x017F;en, bloß,</l><lb/>
            <l>Im Sonnenfeuer, das ihn &#x017F;ott,</l><lb/>
            <l>Noch mit Be&#x017F;innung, rettungslos.</l><lb/>
            <l>Das Eingeweide hing heraus,</l><lb/>
            <l>Er &#x017F;tarrt mich an im Sterbegraus,</l><lb/>
            <l>Und ich ver&#x017F;tand den &#x017F;tummen Blick:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Thu&#x2019; deine letzte Freundespflicht.&#x201C;</l><lb/>
            <l>Und lange war mein Zögern nicht,</l><lb/>
            <l>Schon &#x017F;pannt&#x2019; ich den Revolverhahn,</l><lb/>
            <l>Da lehnt er &#x017F;ich im letzten Wahn</l><lb/>
            <l>An meine Bru&#x017F;t. Und Gott &#x017F;ei Dank!</l><lb/>
            <l>Von &#x017F;einem Schiff ins Todesmeer</l><lb/>
            <l>Des Ma&#x017F;tes Wimpel unter&#x017F;ank.</l><lb/>
            <l>Noch &#x017F;tammelt er: &#x201E;Siegt un&#x017F;er Heer? &#x2014;</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] Hat euer Blut ſich nicht empört, Wenn ihm, vor allzugroßem Schmerz Nicht brechen Auge kann und Herz? In Frankreich war es. Blutbeſpritzt, Schweißübergoſſen, überhitzt, Juſt um des Schlachtentages Mitte. Von meinen Pferden ſchon das dritte, Das ich beſtiegen im Gefechte. Den hungrigen Degen hielt die Rechte, Und meine herrliche Kompagnie, Zu ſattem Siege führ’ ich ſie. Da, als wir über Leichen ſtolpern, Durch Stein und Buſchwerk weiter holpern, Und nur die freie Bahn erſehnen, Den Feind zu packen mit den Zähnen, Erſchrak ein Schrei mich in der Nähe, Der klang ſo gräßlich, klang ſo jähe, Daß ich entſetzt vom Pferde ſprang, Und keuchend an die Stelle drang, Woher er kam. Du großer Gott! Da lag mein Freund, zerriſſen, bloß, Im Sonnenfeuer, das ihn ſott, Noch mit Beſinnung, rettungslos. Das Eingeweide hing heraus, Er ſtarrt mich an im Sterbegraus, Und ich verſtand den ſtummen Blick: „Thu’ deine letzte Freundespflicht.“ Und lange war mein Zögern nicht, Schon ſpannt’ ich den Revolverhahn, Da lehnt er ſich im letzten Wahn An meine Bruſt. Und Gott ſei Dank! Von ſeinem Schiff ins Todesmeer Des Maſtes Wimpel unterſank. Noch ſtammelt er: „Siegt unſer Heer? —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/68
Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/68>, abgerufen am 21.11.2024.