Straf- Amt zu richtender Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver- bunden ist, so liegt diese Schuldigkeit einem Ge- lehrten in seinem Richter-Amt auch ob. Al- le Strafe muß nach der Grösse des Verbre- chens und nach dem Grad der Bosheit des Missethäters eingerichtet seyn, und folglich muß auch ein Gelehrter, wenn er sein Straf- Amt braucht, nicht kleine Fehler so scharf, als grobe Vergehungen bestrafen. Jhm muß immer die Lehre in Gedancken schweben:
- - - - - Adsit Regula peccatis quae poenas irroget aequas Ne scutica dignum horribili sectere fla- gello. Horatius Lib. I. Sat. 3.
Jn der bürgerlichen Gesellschaft werden ei- nige Missethäter gezüchtiget zu ihrem eigenen Besten, einige hergegen, ohne Absicht auf ihre eigene Besserung, die nicht mehr zu hofen ist, andern zum Schrecken, gestrafet und abge- than. Ein Gelehrter muß also auch wohl über- legen, ob der Scribent, den er verurtheilen will, noch Hofnung der Besserung übrig las- se oder nicht, und darnach die Strafe, die er ihm zuerkennet, mildern oder schärfen.
Mit wel- chen Scri- benten man gnä- dig verfah- ren müsse?
Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine Züchtigung verdienen, mit Staupen-Schlä- gen, und Landes-Verweisung, oder gar mit dem Schwerd her seyn müsse. Es giebt Scri-
benten,
(o)
Straf- Amt zu richtender Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver- bunden iſt, ſo liegt dieſe Schuldigkeit einem Ge- lehrten in ſeinem Richter-Amt auch ob. Al- le Strafe muß nach der Groͤſſe des Verbre- chens und nach dem Grad der Bosheit des Miſſethaͤters eingerichtet ſeyn, und folglich muß auch ein Gelehrter, wenn er ſein Straf- Amt braucht, nicht kleine Fehler ſo ſcharf, als grobe Vergehungen beſtrafen. Jhm muß immer die Lehre in Gedancken ſchweben:
Jn der buͤrgerlichen Geſellſchaft werden ei- nige Miſſethaͤter gezuͤchtiget zu ihrem eigenen Beſten, einige hergegen, ohne Abſicht auf ihre eigene Beſſerung, die nicht mehr zu hofen iſt, andern zum Schrecken, geſtrafet und abge- than. Ein Gelehrter muß alſo auch wohl uͤber- legen, ob der Scribent, den er verurtheilen will, noch Hofnung der Beſſerung uͤbrig laſ- ſe oder nicht, und darnach die Strafe, die er ihm zuerkennet, mildern oder ſchaͤrfen.
Mit wel- chen Scri- benten man gnaͤ- dig veꝛfah- ren muͤſſe?
Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine Zuͤchtigung verdienen, mit Staupen-Schlaͤ- gen, und Landes-Verweiſung, oder gar mit dem Schwerd her ſeyn muͤſſe. Es giebt Scri-
benten,
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(o)
der Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver-
bunden iſt, ſo liegt dieſe Schuldigkeit einem Ge-
lehrten in ſeinem Richter-Amt auch ob. Al-
le Strafe muß nach der Groͤſſe des Verbre-
chens und nach dem Grad der Bosheit des
Miſſethaͤters eingerichtet ſeyn, und folglich
muß auch ein Gelehrter, wenn er ſein Straf-
Amt braucht, nicht kleine Fehler ſo ſcharf, als
grobe Vergehungen beſtrafen. Jhm muß
immer die Lehre in Gedancken ſchweben:
Straf-
Amt zu
richten
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Adſit
Regula peccatis quæ pœnas irroget
æquas
Ne ſcutica dignum horribili ſectêre fla-
gello.
Horatius Lib. I. Sat. 3.
Jn der buͤrgerlichen Geſellſchaft werden ei-
nige Miſſethaͤter gezuͤchtiget zu ihrem eigenen
Beſten, einige hergegen, ohne Abſicht auf ihre
eigene Beſſerung, die nicht mehr zu hofen iſt,
andern zum Schrecken, geſtrafet und abge-
than. Ein Gelehrter muß alſo auch wohl uͤber-
legen, ob der Scribent, den er verurtheilen
will, noch Hofnung der Beſſerung uͤbrig laſ-
ſe oder nicht, und darnach die Strafe, die er
ihm zuerkennet, mildern oder ſchaͤrfen.
Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter
nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine
Zuͤchtigung verdienen, mit Staupen-Schlaͤ-
gen, und Landes-Verweiſung, oder gar mit
dem Schwerd her ſeyn muͤſſe. Es giebt Scri-
benten,
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/360>, abgerufen am 21.11.2024.
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