Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
ohne Fehler? Und wo findet man einen Scri-
benten ohne Jrrthümer? Die Urtheile von
der Schreib-Art sind so unterschieden, als der
Geschmack der Leser: Und über den Geschmack
streitet man nicht. Es kömmt auch überdem
mehr auf die Sachen, als auf die Worte an,
und wenn die Sachen gut sind, so muß man
es in Ansehung der Worte so genau nicht neh-
men. Man kan auch Thorheiten in schöne
Worte einhüllen, und eine unzierlich vorgetra-
gene Wahrheit bleibt doch Wahrheit. Vie-
le Scribenten dencken besser, als sie schreiben.
Wer wolte sie aber um dieses Fehlers willen
hart anfahren? Dieses verdient niemand, als
solche Leute, die weder ordentlich dencken, noch
ihre Gedancken geschickt, und angenehm vor-
tragen können.

Fieri - - - potest, ut re-
cte quis sentiat, & id, quod sentit, po-
lite eloqui non possit. Sed mandare quen-
quam litteris cogitationes suas, qui eas
nec disponere, nec illustrare possit, nec
delectatione aliqua allicere lectorem, ho-
minis est intemperanter abutentis & otio
& litteris. Cicero Tuscul. Quaest. Lib. I.

Und diese Art der Scribenten verdienet eine
Züchtigung.

Welche
kein Mit-
leiden ver-
dienen?

Mit Leuten, die ihre Ungeschicklichkeit so
deutlich an den Tag legen, daß man augen-
scheinlich sehen kan, wie sie nicht zum Schrei-
ben gebohren, die dabey aber so hochmüthig
sind, daß sie dencken wunder! was sie vor Tha-
ten gethan, wenn sie das gelehrte Jsrael durch

eine

(o)
ohne Fehler? Und wo findet man einen Scri-
benten ohne Jrrthuͤmer? Die Urtheile von
der Schreib-Art ſind ſo unterſchieden, als der
Geſchmack der Leſer: Und uͤber den Geſchmack
ſtreitet man nicht. Es koͤmmt auch uͤberdem
mehr auf die Sachen, als auf die Worte an,
und wenn die Sachen gut ſind, ſo muß man
es in Anſehung der Worte ſo genau nicht neh-
men. Man kan auch Thorheiten in ſchoͤne
Worte einhuͤllen, und eine unzierlich vorgetra-
gene Wahrheit bleibt doch Wahrheit. Vie-
le Scribenten dencken beſſer, als ſie ſchreiben.
Wer wolte ſie aber um dieſes Fehlers willen
hart anfahren? Dieſes verdient niemand, als
ſolche Leute, die weder ordentlich dencken, noch
ihre Gedancken geſchickt, und angenehm vor-
tragen koͤnnen.

Fieri ‒ ‒ ‒ poteſt, ut re-
ctè quis ſentiat, & id, quod ſentit, po-
litè eloqui non poſſit. Sed mandare quen-
quam litteris cogitationes ſuas, qui eas
nec diſponere, nec illuſtrare poſſit, nec
delectatione aliqua allicere lectorem, ho-
minis eſt intemperanter abutentis & otio
& litteris. Cicero Tuſcul. Quæſt. Lib. I.

Und dieſe Art der Scribenten verdienet eine
Zuͤchtigung.

Welche
kein Mit-
leiden ver-
dienen?

Mit Leuten, die ihre Ungeſchicklichkeit ſo
deutlich an den Tag legen, daß man augen-
ſcheinlich ſehen kan, wie ſie nicht zum Schrei-
ben gebohren, die dabey aber ſo hochmuͤthig
ſind, daß ſie dencken wunder! was ſie vor Tha-
ten gethan, wenn ſie das gelehrte Jſrael durch

eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0362" n="270"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
ohne Fehler? Und wo findet man einen Scri-<lb/>
benten ohne Jrrthu&#x0364;mer? Die Urtheile von<lb/>
der Schreib-Art &#x017F;ind &#x017F;o unter&#x017F;chieden, als der<lb/>
Ge&#x017F;chmack der Le&#x017F;er: Und u&#x0364;ber den Ge&#x017F;chmack<lb/>
&#x017F;treitet man nicht. Es ko&#x0364;mmt auch u&#x0364;berdem<lb/>
mehr auf die Sachen, als auf die Worte an,<lb/>
und wenn die Sachen gut &#x017F;ind, &#x017F;o muß man<lb/>
es in An&#x017F;ehung der Worte &#x017F;o genau nicht neh-<lb/>
men. Man kan auch Thorheiten in &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Worte einhu&#x0364;llen, und eine unzierlich vorgetra-<lb/>
gene Wahrheit bleibt doch Wahrheit. Vie-<lb/>
le Scribenten dencken be&#x017F;&#x017F;er, als &#x017F;ie &#x017F;chreiben.<lb/>
Wer wolte &#x017F;ie aber um die&#x017F;es Fehlers willen<lb/>
hart anfahren? Die&#x017F;es verdient niemand, als<lb/>
&#x017F;olche Leute, die weder ordentlich dencken, noch<lb/>
ihre Gedancken ge&#x017F;chickt, und angenehm vor-<lb/>
tragen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#aq">Fieri &#x2012; &#x2012; &#x2012; pote&#x017F;t, ut re-<lb/>
ctè quis &#x017F;entiat, &amp; id, quod &#x017F;entit, po-<lb/>
litè eloqui non po&#x017F;&#x017F;it. Sed mandare quen-<lb/>
quam litteris cogitationes &#x017F;uas, qui eas<lb/>
nec di&#x017F;ponere, nec illu&#x017F;trare po&#x017F;&#x017F;it, nec<lb/>
delectatione aliqua allicere lectorem, <hi rendition="#i">ho-<lb/>
minis e&#x017F;t intemperanter abutentis &amp; otio<lb/>
&amp; litteris. Cicero Tu&#x017F;cul. Quæ&#x017F;t. Lib. I.</hi></hi> </quote>
        </cit><lb/>
        <p>Und die&#x017F;e Art der Scribenten verdienet eine<lb/>
Zu&#x0364;chtigung.</p><lb/>
        <note place="left">Welche<lb/>
kein Mit-<lb/>
leiden ver-<lb/>
dienen?</note>
        <p>Mit Leuten, die ihre Unge&#x017F;chicklichkeit &#x017F;o<lb/>
deutlich an den Tag legen, daß man augen-<lb/>
&#x017F;cheinlich &#x017F;ehen kan, wie &#x017F;ie nicht zum Schrei-<lb/>
ben gebohren, die dabey aber &#x017F;o hochmu&#x0364;thig<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;ie dencken wunder! was &#x017F;ie vor Tha-<lb/>
ten gethan, wenn &#x017F;ie das gelehrte J&#x017F;rael durch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0362] (o) ohne Fehler? Und wo findet man einen Scri- benten ohne Jrrthuͤmer? Die Urtheile von der Schreib-Art ſind ſo unterſchieden, als der Geſchmack der Leſer: Und uͤber den Geſchmack ſtreitet man nicht. Es koͤmmt auch uͤberdem mehr auf die Sachen, als auf die Worte an, und wenn die Sachen gut ſind, ſo muß man es in Anſehung der Worte ſo genau nicht neh- men. Man kan auch Thorheiten in ſchoͤne Worte einhuͤllen, und eine unzierlich vorgetra- gene Wahrheit bleibt doch Wahrheit. Vie- le Scribenten dencken beſſer, als ſie ſchreiben. Wer wolte ſie aber um dieſes Fehlers willen hart anfahren? Dieſes verdient niemand, als ſolche Leute, die weder ordentlich dencken, noch ihre Gedancken geſchickt, und angenehm vor- tragen koͤnnen. Fieri ‒ ‒ ‒ poteſt, ut re- ctè quis ſentiat, & id, quod ſentit, po- litè eloqui non poſſit. Sed mandare quen- quam litteris cogitationes ſuas, qui eas nec diſponere, nec illuſtrare poſſit, nec delectatione aliqua allicere lectorem, ho- minis eſt intemperanter abutentis & otio & litteris. Cicero Tuſcul. Quæſt. Lib. I. Und dieſe Art der Scribenten verdienet eine Zuͤchtigung. Mit Leuten, die ihre Ungeſchicklichkeit ſo deutlich an den Tag legen, daß man augen- ſcheinlich ſehen kan, wie ſie nicht zum Schrei- ben gebohren, die dabey aber ſo hochmuͤthig ſind, daß ſie dencken wunder! was ſie vor Tha- ten gethan, wenn ſie das gelehrte Jſrael durch eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/362
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/362>, abgerufen am 01.11.2024.