Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
die Erkenntniß unserer Vergehungen, mit einem
Worte, daß Gewissen genennet wird; das Gewis-
sen aber in dem Ruf ist, daß es beisse, so ist leicht
zu begreifen, was zwischen demselben und einer Lauß
vor eine Aehnlichkeit sey. Jch halte mich dabey
nicht auf; sondern bitte nur meine Leser mit mir zu
erwegen, was die vortrefliche Eigenschaft, die wir,
wie Plinius zeuget, und die Erfahrung lehret, be-
sitzen, vor Vortheile mit sich führet.

Die Erkänntniß der Fehler gebiehret Reue.
Die Reue ist nichts anders, als eine Art von
Traurigkeit, und folglich ein verdrießlicher Afect.
Sie kan ohne Zerknirschung, und ohne einen Ab-
scheu vor uns selbst nicht begrifen werden. Sie
macht also einen Menschen mißvergnügt mit seinem
Zustande; Und wer mit seinem Zustande nicht zu
frieden ist, kan nimmer glücklich seyn. Unsere
Feinde empfinden mit ihrem Schaden, daß das,
was ich hier schreibe, die Wahrheit ist. Je mehr
Verstand sie haben, je tiefer sehen sie ihre Fehler
ein, und diese verdrießliche Einsicht macht ihnen
das Leben rechtschafen sauer. Jch darf ihnen nicht
vorstellen, mit wie vielen Schmertzen sie ihre geist-
lichen Kinder empfangen, und zur Welt bringen.
Sie wissen es besser, als ich es ihnen sagen kan:
Sie leugnen es auch nicht. Und wenn denn end-
lich ein guter Scribent von seiner gelehrten Bürde,
nach einer schweren Geburt, entbunden wird, so
ist er nicht einmahl so glücklich, als die Affen, die
ihre Jungen, ihrer Heßlichkeit ungeachtet, zärtlich
lieben; sondern er entdecket an den Kindern seines

Ver-

(o)
die Erkenntniß unſerer Vergehungen, mit einem
Worte, daß Gewiſſen genennet wird; das Gewiſ-
ſen aber in dem Ruf iſt, daß es beiſſe, ſo iſt leicht
zu begreifen, was zwiſchen demſelben und einer Lauß
vor eine Aehnlichkeit ſey. Jch halte mich dabey
nicht auf; ſondern bitte nur meine Leſer mit mir zu
erwegen, was die vortrefliche Eigenſchaft, die wir,
wie Plinius zeuget, und die Erfahrung lehret, be-
ſitzen, vor Vortheile mit ſich fuͤhret.

Die Erkaͤnntniß der Fehler gebiehret Reue.
Die Reue iſt nichts anders, als eine Art von
Traurigkeit, und folglich ein verdrießlicher Afect.
Sie kan ohne Zerknirſchung, und ohne einen Ab-
ſcheu vor uns ſelbſt nicht begrifen werden. Sie
macht alſo einen Menſchen mißvergnuͤgt mit ſeinem
Zuſtande; Und wer mit ſeinem Zuſtande nicht zu
frieden iſt, kan nimmer gluͤcklich ſeyn. Unſere
Feinde empfinden mit ihrem Schaden, daß das,
was ich hier ſchreibe, die Wahrheit iſt. Je mehr
Verſtand ſie haben, je tiefer ſehen ſie ihre Fehler
ein, und dieſe verdrießliche Einſicht macht ihnen
das Leben rechtſchafen ſauer. Jch darf ihnen nicht
vorſtellen, mit wie vielen Schmertzen ſie ihre geiſt-
lichen Kinder empfangen, und zur Welt bringen.
Sie wiſſen es beſſer, als ich es ihnen ſagen kan:
Sie leugnen es auch nicht. Und wenn denn end-
lich ein guter Scribent von ſeiner gelehrten Buͤrde,
nach einer ſchweren Geburt, entbunden wird, ſo
iſt er nicht einmahl ſo gluͤcklich, als die Affen, die
ihre Jungen, ihrer Heßlichkeit ungeachtet, zaͤrtlich
lieben; ſondern er entdecket an den Kindern ſeines

Ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0631" n="539"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
die Erkenntniß un&#x017F;erer Vergehungen, mit einem<lb/>
Worte, daß Gewi&#x017F;&#x017F;en genennet wird; das Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en aber in dem Ruf i&#x017F;t, daß es bei&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o i&#x017F;t leicht<lb/>
zu begreifen, was zwi&#x017F;chen dem&#x017F;elben und einer Lauß<lb/>
vor eine Aehnlichkeit &#x017F;ey. Jch halte mich dabey<lb/>
nicht auf; &#x017F;ondern bitte nur meine Le&#x017F;er mit mir zu<lb/>
erwegen, was die vortrefliche Eigen&#x017F;chaft, die wir,<lb/>
wie Plinius zeuget, und die Erfahrung lehret, be-<lb/>
&#x017F;itzen, vor Vortheile mit &#x017F;ich fu&#x0364;hret.</p><lb/>
          <p>Die Erka&#x0364;nntniß der Fehler gebiehret Reue.<lb/>
Die Reue i&#x017F;t nichts anders, als eine Art von<lb/>
Traurigkeit, und folglich ein verdrießlicher Afect.<lb/>
Sie kan ohne Zerknir&#x017F;chung, und ohne einen Ab-<lb/>
&#x017F;cheu vor uns &#x017F;elb&#x017F;t nicht begrifen werden. Sie<lb/>
macht al&#x017F;o einen Men&#x017F;chen mißvergnu&#x0364;gt mit &#x017F;einem<lb/>
Zu&#x017F;tande; Und wer mit &#x017F;einem Zu&#x017F;tande nicht zu<lb/>
frieden i&#x017F;t, kan nimmer glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn. Un&#x017F;ere<lb/>
Feinde empfinden mit ihrem Schaden, daß das,<lb/>
was ich hier &#x017F;chreibe, die Wahrheit i&#x017F;t. Je mehr<lb/>
Ver&#x017F;tand &#x017F;ie haben, je tiefer &#x017F;ehen &#x017F;ie ihre Fehler<lb/>
ein, und die&#x017F;e verdrießliche Ein&#x017F;icht macht ihnen<lb/>
das Leben recht&#x017F;chafen &#x017F;auer. Jch darf ihnen nicht<lb/>
vor&#x017F;tellen, mit wie vielen Schmertzen &#x017F;ie ihre gei&#x017F;t-<lb/>
lichen Kinder empfangen, und zur Welt bringen.<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en es be&#x017F;&#x017F;er, als ich es ihnen &#x017F;agen kan:<lb/>
Sie leugnen es auch nicht. Und wenn denn end-<lb/>
lich ein guter Scribent von &#x017F;einer gelehrten Bu&#x0364;rde,<lb/>
nach einer &#x017F;chweren Geburt, entbunden wird, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t er nicht einmahl &#x017F;o glu&#x0364;cklich, als die Affen, die<lb/>
ihre Jungen, ihrer Heßlichkeit ungeachtet, za&#x0364;rtlich<lb/>
lieben; &#x017F;ondern er entdecket an den Kindern &#x017F;eines<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[539/0631] (o) die Erkenntniß unſerer Vergehungen, mit einem Worte, daß Gewiſſen genennet wird; das Gewiſ- ſen aber in dem Ruf iſt, daß es beiſſe, ſo iſt leicht zu begreifen, was zwiſchen demſelben und einer Lauß vor eine Aehnlichkeit ſey. Jch halte mich dabey nicht auf; ſondern bitte nur meine Leſer mit mir zu erwegen, was die vortrefliche Eigenſchaft, die wir, wie Plinius zeuget, und die Erfahrung lehret, be- ſitzen, vor Vortheile mit ſich fuͤhret. Die Erkaͤnntniß der Fehler gebiehret Reue. Die Reue iſt nichts anders, als eine Art von Traurigkeit, und folglich ein verdrießlicher Afect. Sie kan ohne Zerknirſchung, und ohne einen Ab- ſcheu vor uns ſelbſt nicht begrifen werden. Sie macht alſo einen Menſchen mißvergnuͤgt mit ſeinem Zuſtande; Und wer mit ſeinem Zuſtande nicht zu frieden iſt, kan nimmer gluͤcklich ſeyn. Unſere Feinde empfinden mit ihrem Schaden, daß das, was ich hier ſchreibe, die Wahrheit iſt. Je mehr Verſtand ſie haben, je tiefer ſehen ſie ihre Fehler ein, und dieſe verdrießliche Einſicht macht ihnen das Leben rechtſchafen ſauer. Jch darf ihnen nicht vorſtellen, mit wie vielen Schmertzen ſie ihre geiſt- lichen Kinder empfangen, und zur Welt bringen. Sie wiſſen es beſſer, als ich es ihnen ſagen kan: Sie leugnen es auch nicht. Und wenn denn end- lich ein guter Scribent von ſeiner gelehrten Buͤrde, nach einer ſchweren Geburt, entbunden wird, ſo iſt er nicht einmahl ſo gluͤcklich, als die Affen, die ihre Jungen, ihrer Heßlichkeit ungeachtet, zaͤrtlich lieben; ſondern er entdecket an den Kindern ſeines Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/631
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/631>, abgerufen am 22.11.2024.