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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
bildung, und ein süsser Traum gar zu hochmüthi-
ger Leute ist. Die Bescheidensten unserer Feinde
stimmen hierin mit mir überein. Sie bekennen,
daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Lesen, ihr
Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht
hat, als daß sie ihre Schwachheit erkennen, und be-
greifen gelernet haben, daß unser Wissen Stück-
Werck sey. Wie diese verdrießliche Entdeckung ge-
schickt sey, einen Menschen vergnügt zu machen, das
begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß,
natürlicher Weise, die Verzweifelung ihr auf dem
Fusse folgen müsse, und ein guter Scribent, wann
er sich lange geqvälet hat, statt der Zufriedenheit, die
er suchet, nicht als einen ewigen Abscheu vor sich
selbst, zur Belohnung seiner Mühe, erlangen könne.

Wie eine schöne Gelegenheit hätte ich hier nicht,
unsere Feinde auszuhöhnen, und lächerlich zu ma-
chen? Jch könnte über ihre eingebildete Weißheit
spotten, und ihnen deutlich zeigen, daß sie nichts
weniger, als weise sind. Denn die vornehmste
Eigenschaft eines weisen Mannes ist die Zufrieden-
heit mit sich selbst. Nisi sapienti sua non placent,
sagt Seneca (50), omnis stultitia laborat fasti-
dio sui.
Diese Vorrückung ihrer Thorheit würde
ihrem Hochmuth sehr empfindlich seyn. Allein ich
will ihr Unglück nicht grösser machen. Sie sind
ohne dem hoch genug betrübet. Jch bin zu frieden,
wenn nur meine Leser erkennen, daß unsere Feinde,
die guten Scribenten, sehr unvernünftig handeln,
wann sie uns den Mangel der Vernunft zur Sün-

de
(50) Epist. IX.

(o)
bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi-
ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde
ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen,
daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr
Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht
hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be-
greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck-
Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge-
ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das
begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß,
natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem
Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann
er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die
er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich
ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne.

Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht,
unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma-
chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit
ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts
weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte
Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden-
heit mit ſich ſelbſt. Niſi ſapienti ſua non placent,
ſagt Seneca (50), omnis ſtultitia laborat faſti-
dio ſui.
Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde
ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich
will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind
ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden,
wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde,
die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln,
wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn-

de
(50) Epiſt. IX.
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[544/0636] (o) bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi- ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen, daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be- greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck- Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge- ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß, natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne. Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht, unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma- chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden- heit mit ſich ſelbſt. Niſi ſapienti ſua non placent, ſagt Seneca (50), omnis ſtultitia laborat faſti- dio ſui. Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden, wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde, die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln, wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn- de (50) Epiſt. IX.

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/636>, abgerufen am 22.11.2024.