bildung, und ein süsser Traum gar zu hochmüthi- ger Leute ist. Die Bescheidensten unserer Feinde stimmen hierin mit mir überein. Sie bekennen, daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Lesen, ihr Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht hat, als daß sie ihre Schwachheit erkennen, und be- greifen gelernet haben, daß unser Wissen Stück- Werck sey. Wie diese verdrießliche Entdeckung ge- schickt sey, einen Menschen vergnügt zu machen, das begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß, natürlicher Weise, die Verzweifelung ihr auf dem Fusse folgen müsse, und ein guter Scribent, wann er sich lange geqvälet hat, statt der Zufriedenheit, die er suchet, nicht als einen ewigen Abscheu vor sich selbst, zur Belohnung seiner Mühe, erlangen könne.
Wie eine schöne Gelegenheit hätte ich hier nicht, unsere Feinde auszuhöhnen, und lächerlich zu ma- chen? Jch könnte über ihre eingebildete Weißheit spotten, und ihnen deutlich zeigen, daß sie nichts weniger, als weise sind. Denn die vornehmste Eigenschaft eines weisen Mannes ist die Zufrieden- heit mit sich selbst. Nisi sapienti sua non placent, sagt Seneca (50), omnis stultitia laborat fasti- dio sui. Diese Vorrückung ihrer Thorheit würde ihrem Hochmuth sehr empfindlich seyn. Allein ich will ihr Unglück nicht grösser machen. Sie sind ohne dem hoch genug betrübet. Jch bin zu frieden, wenn nur meine Leser erkennen, daß unsere Feinde, die guten Scribenten, sehr unvernünftig handeln, wann sie uns den Mangel der Vernunft zur Sün-
de
(50)Epist. IX.
(o)
bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi- ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen, daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be- greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck- Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge- ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß, natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne.
Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht, unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma- chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden- heit mit ſich ſelbſt. Niſi ſapienti ſua non placent, ſagt Seneca (50), omnis ſtultitia laborat faſti- dio ſui. Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden, wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde, die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln, wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn-
de
(50)Epiſt. IX.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0636"n="544"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi-<lb/>
ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde<lb/>ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen,<lb/>
daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr<lb/>
Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht<lb/>
hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be-<lb/>
greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck-<lb/>
Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge-<lb/>ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das<lb/>
begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß,<lb/>
natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem<lb/>
Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann<lb/>
er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die<lb/>
er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich<lb/>ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne.</p><lb/><p>Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht,<lb/>
unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma-<lb/>
chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit<lb/>ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts<lb/>
weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte<lb/>
Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden-<lb/>
heit mit ſich ſelbſt. <cit><quote><hirendition="#aq">Niſi ſapienti ſua non placent,</hi></quote></cit><lb/>ſagt Seneca <noteplace="foot"n="(50)"><hirendition="#aq">Epiſt. IX.</hi></note>, <cit><quote><hirendition="#aq">omnis ſtultitia laborat faſti-<lb/>
dio ſui.</hi></quote></cit> Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde<lb/>
ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich<lb/>
will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind<lb/>
ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden,<lb/>
wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde,<lb/>
die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln,<lb/>
wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">de</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[544/0636]
(o)
bildung, und ein ſuͤſſer Traum gar zu hochmuͤthi-
ger Leute iſt. Die Beſcheidenſten unſerer Feinde
ſtimmen hierin mit mir uͤberein. Sie bekennen,
daß alle ihr Arbeit, ihr Wachen, ihr Leſen, ihr
Nachdencken ihnen keinen andern Vortheil gebracht
hat, als daß ſie ihre Schwachheit erkennen, und be-
greifen gelernet haben, daß unſer Wiſſen Stuͤck-
Werck ſey. Wie dieſe verdrießliche Entdeckung ge-
ſchickt ſey, einen Menſchen vergnuͤgt zu machen, das
begreife ich nicht. Jch halte vielmehr davor, daß,
natuͤrlicher Weiſe, die Verzweifelung ihr auf dem
Fuſſe folgen muͤſſe, und ein guter Scribent, wann
er ſich lange geqvaͤlet hat, ſtatt der Zufriedenheit, die
er ſuchet, nicht als einen ewigen Abſcheu vor ſich
ſelbſt, zur Belohnung ſeiner Muͤhe, erlangen koͤnne.
Wie eine ſchoͤne Gelegenheit haͤtte ich hier nicht,
unſere Feinde auszuhoͤhnen, und laͤcherlich zu ma-
chen? Jch koͤnnte uͤber ihre eingebildete Weißheit
ſpotten, und ihnen deutlich zeigen, daß ſie nichts
weniger, als weiſe ſind. Denn die vornehmſte
Eigenſchaft eines weiſen Mannes iſt die Zufrieden-
heit mit ſich ſelbſt. Niſi ſapienti ſua non placent,
ſagt Seneca (50), omnis ſtultitia laborat faſti-
dio ſui. Dieſe Vorruͤckung ihrer Thorheit wuͤrde
ihrem Hochmuth ſehr empfindlich ſeyn. Allein ich
will ihr Ungluͤck nicht groͤſſer machen. Sie ſind
ohne dem hoch genug betruͤbet. Jch bin zu frieden,
wenn nur meine Leſer erkennen, daß unſere Feinde,
die guten Scribenten, ſehr unvernuͤnftig handeln,
wann ſie uns den Mangel der Vernunft zur Suͤn-
de
(50) Epiſt. IX.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/636>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.