wiederspricht der Erfahrung. Denn es ist gar zu ofenbahr, daß die Thiere den Menschen schlecht eh- ren; Sie kehren sich wenig an ihn. Die Gewalt, die wir über sie haben, die haben sie über uns. Der Haase läuft vor uns, und wir vor dem Löwen: Wir essen die Schafe, uns, frißt Wolf, Bär und Tieger; und diese mächtigen und grimmigen Thiere fürchten wir ja so sehr, als die schwächern Thiere uns. Wür- den demnach diese, uns an Macht so sehr überlegene, Thiere uns, wenn sie könnten, nicht von Hertzen auslachen, wenn ihnen die hochmüthigen Einfälle, womit wir uns belustigen, bekannt wären.
Und in der That ist es lächerlich, daß ein so ohn- mächtiges Thier, als der Mensch ist, sich mit derglei- chen süssen Einbildungen schmeichelt. Bald ist des Seufzens über unser Elend kein Ende, bald kennen wir uns selbst nicht, und thun gantz majestätisch. Jch finde darinne keine Vernunft, und begebe mich gerne des Theils, so mir von der eingebildeten Herr- schaft über die Thiere zu kommen kan.
Jch sage mit dem Parisischen Medico Guillau- me Lami
"Pour moy a mon egard je n'ay "aucune part a l'Empire que l'homme pretend "sur l'Univers. Les Chiens me mordent, si "je n'y prend garde; je n'ose passer un bois "quand je scay qu'il y a des loups, a peine me "croy-je en seurete quand je voydes Lions en- "chainez. Les boeufs mesmes dans les rues "de Paris me donnent de la crainte, & pour "les laisser passer je me range fort prompte- "ment dans une boutique. En hyver je trem- "ble quand je n'ay point de feu. En Este je
"braule,
(o)
wiederſpricht der Erfahrung. Denn es iſt gar zu ofenbahr, daß die Thiere den Menſchen ſchlecht eh- ren; Sie kehren ſich wenig an ihn. Die Gewalt, die wir uͤber ſie haben, die haben ſie uͤber uns. Der Haaſe laͤuft vor uns, und wir vor dem Loͤwen: Wir eſſen die Schafe, uns, frißt Wolf, Baͤr und Tieger; und dieſe maͤchtigen und grimmigen Thiere fuͤrchten wir ja ſo ſehr, als die ſchwaͤchern Thiere uns. Wuͤr- den demnach dieſe, uns an Macht ſo ſehr uͤberlegene, Thiere uns, wenn ſie koͤnnten, nicht von Hertzen auslachen, wenn ihnen die hochmuͤthigen Einfaͤlle, womit wir uns beluſtigen, bekannt waͤren.
Und in der That iſt es laͤcherlich, daß ein ſo ohn- maͤchtiges Thier, als der Menſch iſt, ſich mit derglei- chen ſuͤſſen Einbildungen ſchmeichelt. Bald iſt des Seufzens uͤber unſer Elend kein Ende, bald kennen wir uns ſelbſt nicht, und thun gantz majeſtaͤtiſch. Jch finde darinne keine Vernunft, und begebe mich gerne des Theils, ſo mir von der eingebildeten Herr- ſchaft uͤber die Thiere zu kommen kan.
Jch ſage mit dem Pariſiſchen Medico Guillau- me Lami
„Pour moy à mon égard je n’ay „aucune part à l’Empire que l’homme pretend „ſur l’Univers. Les Chiens me mordent, ſi „je n’y prend garde; je n’oſe paſſer un bois „quand je ſçay qu’il y a des loups, à peine me „croy-je en ſeurete quand je voydes Lions en- „chainez. Les boeufs meſmes dans les rues „de Paris me donnent de la crainte, & pour „les laiſſer paſſer je me range fort prompte- „ment dans une boutique. En hyver je trem- „ble quand je n’ay point de feu. En Eſté je
„brûle,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0792"n="700"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
wiederſpricht der Erfahrung. Denn es iſt gar zu<lb/>
ofenbahr, daß die Thiere den Menſchen ſchlecht eh-<lb/>
ren; Sie kehren ſich wenig an ihn. Die Gewalt,<lb/>
die wir uͤber ſie haben, die haben ſie uͤber uns. Der<lb/>
Haaſe laͤuft vor uns, und wir vor dem Loͤwen: Wir<lb/>
eſſen die Schafe, uns, frißt Wolf, Baͤr und Tieger;<lb/>
und dieſe maͤchtigen und grimmigen Thiere fuͤrchten<lb/>
wir ja ſo ſehr, als die ſchwaͤchern Thiere uns. Wuͤr-<lb/>
den demnach dieſe, uns an Macht ſo ſehr uͤberlegene,<lb/>
Thiere uns, wenn ſie koͤnnten, nicht von Hertzen<lb/>
auslachen, wenn ihnen die hochmuͤthigen Einfaͤlle,<lb/>
womit wir uns beluſtigen, bekannt waͤren.</p><lb/><p>Und in der That iſt es laͤcherlich, daß ein ſo ohn-<lb/>
maͤchtiges Thier, als der Menſch iſt, ſich mit derglei-<lb/>
chen ſuͤſſen Einbildungen ſchmeichelt. Bald iſt des<lb/>
Seufzens uͤber unſer Elend kein Ende, bald kennen<lb/>
wir uns ſelbſt nicht, und thun gantz majeſtaͤtiſch.<lb/>
Jch finde darinne keine Vernunft, und begebe mich<lb/>
gerne des Theils, ſo mir von der eingebildeten Herr-<lb/>ſchaft uͤber die Thiere zu kommen kan.</p><lb/><p>Jch ſage mit dem Pariſiſchen Medico <hirendition="#aq">Guillau-<lb/>
me Lami</hi></p><cit><quote><hirendition="#aq">„Pour moy à mon égard je n’ay<lb/>„aucune part à l’Empire que l’homme pretend<lb/>„ſur l’Univers. Les Chiens me mordent, ſi<lb/>„je n’y prend garde; je n’oſe paſſer un bois<lb/>„quand je ſçay qu’il y a des loups, à peine me<lb/>„croy-je en ſeurete quand je voydes Lions en-<lb/>„chainez. Les boeufs meſmes dans les rues<lb/>„de Paris me donnent de la crainte, & pour<lb/>„les laiſſer paſſer je me range fort prompte-<lb/>„ment dans une boutique. En hyver je trem-<lb/>„ble quand je n’ay point de feu. En Eſté je</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">„brûle,</hi></fw><lb/></quote></cit></div></div></body></text></TEI>
[700/0792]
(o)
wiederſpricht der Erfahrung. Denn es iſt gar zu
ofenbahr, daß die Thiere den Menſchen ſchlecht eh-
ren; Sie kehren ſich wenig an ihn. Die Gewalt,
die wir uͤber ſie haben, die haben ſie uͤber uns. Der
Haaſe laͤuft vor uns, und wir vor dem Loͤwen: Wir
eſſen die Schafe, uns, frißt Wolf, Baͤr und Tieger;
und dieſe maͤchtigen und grimmigen Thiere fuͤrchten
wir ja ſo ſehr, als die ſchwaͤchern Thiere uns. Wuͤr-
den demnach dieſe, uns an Macht ſo ſehr uͤberlegene,
Thiere uns, wenn ſie koͤnnten, nicht von Hertzen
auslachen, wenn ihnen die hochmuͤthigen Einfaͤlle,
womit wir uns beluſtigen, bekannt waͤren.
Und in der That iſt es laͤcherlich, daß ein ſo ohn-
maͤchtiges Thier, als der Menſch iſt, ſich mit derglei-
chen ſuͤſſen Einbildungen ſchmeichelt. Bald iſt des
Seufzens uͤber unſer Elend kein Ende, bald kennen
wir uns ſelbſt nicht, und thun gantz majeſtaͤtiſch.
Jch finde darinne keine Vernunft, und begebe mich
gerne des Theils, ſo mir von der eingebildeten Herr-
ſchaft uͤber die Thiere zu kommen kan.
Jch ſage mit dem Pariſiſchen Medico Guillau-
me Lami
„Pour moy à mon égard je n’ay
„aucune part à l’Empire que l’homme pretend
„ſur l’Univers. Les Chiens me mordent, ſi
„je n’y prend garde; je n’oſe paſſer un bois
„quand je ſçay qu’il y a des loups, à peine me
„croy-je en ſeurete quand je voydes Lions en-
„chainez. Les boeufs meſmes dans les rues
„de Paris me donnent de la crainte, & pour
„les laiſſer paſſer je me range fort prompte-
„ment dans une boutique. En hyver je trem-
„ble quand je n’ay point de feu. En Eſté je
„brûle,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/792>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.