Verbrechen erdencken könnte, das eine solche Verän- derung in dem menschlichen Verstande zu würcken fähig wäre. Wir können durch unser Versehen die Kräfte unsers Cörpers schwächen; wir können unsern Willen verderben, und zu allerhand Lastern gewöh- nen; wir können auch durch eine unordentliche Lebens- Art die Kräfte unsers Verstandes so weit unterdru- cken, daß wir dieselbe nicht mehr so, als vor dem ge- brauchen können: Allein daß durch ein eintziges Ver- sehen die Begrife, die wir von allen Dingen haben, gäntzlich solten können ausgelöschet werden, und das plötzlich, das ist etwas, so ich nicht verstehe.
Was ich einmahl vollkommen weiß, das kan ich unmöglich in einem Augenblick vergessen, und wenn ich gleich wolte. Meine Begierden können meine Vernunft dergestalt benebeln, daß ich zu der Zeit, wann sie am unbändigsten sind, nichts erkennen kan, als was mit ihnen überein kömmet: Aber sie verwir- ren mein Gehirn niemahlen dergestalt, daß ich auch diejenige Erkänntniß, die ihnen nicht entgegen ist, verliehren solte.
Man mache demnach das Verbrechen des ersten Menschen so groß, als man immer will: Man gebe ihm eine Boßheit Schuld, die noch so entsetzlich ist, so wird man doch dadurch nicht begreiflich machen, war- um er z. e. in einem Augenblick solte vergessen haben, woher es komme, daß der Magnet das Eisen an sich ziehet. Diese Erkänntniß, welche er nach der Mei- nung des Hrn. Prof. Manzels gehabt haben muß, hätte gar füglich mit der größsten Boßheit bestehen können.
Wir sehen daß Geistliche huren und saufen: des-
falls
(o)
Verbrechen erdencken koͤnnte, das eine ſolche Veraͤn- derung in dem menſchlichen Verſtande zu wuͤrcken faͤhig waͤre. Wir koͤnnen durch unſer Verſehen die Kraͤfte unſers Coͤrpers ſchwaͤchen; wir koͤnnen unſern Willen verderben, und zu allerhand Laſtern gewoͤh- nen; wiꝛ koͤnnen auch durch eine unordentliche Lebens- Art die Kraͤfte unſers Verſtandes ſo weit unterdru- cken, daß wir dieſelbe nicht mehr ſo, als vor dem ge- brauchen koͤnnen: Allein daß durch ein eintziges Ver- ſehen die Begrife, die wir von allen Dingen haben, gaͤntzlich ſolten koͤnnen ausgeloͤſchet werden, und das ploͤtzlich, das iſt etwas, ſo ich nicht verſtehe.
Was ich einmahl vollkommen weiß, das kan ich unmoͤglich in einem Augenblick vergeſſen, und wenn ich gleich wolte. Meine Begierden koͤnnen meine Vernunft dergeſtalt benebeln, daß ich zu der Zeit, wann ſie am unbaͤndigſten ſind, nichts erkennen kan, als was mit ihnen uͤberein koͤmmet: Aber ſie verwir- ren mein Gehirn niemahlen dergeſtalt, daß ich auch diejenige Erkaͤnntniß, die ihnen nicht entgegen iſt, verliehren ſolte.
Man mache demnach das Verbrechen des erſten Menſchen ſo groß, als man immer will: Man gebe ihm eine Boßheit Schuld, die noch ſo entſetzlich iſt, ſo wird man doch dadurch nicht begꝛeiflich machen, war- um er z. e. in einem Augenblick ſolte vergeſſen haben, woher es komme, daß der Magnet das Eiſen an ſich ziehet. Dieſe Erkaͤnntniß, welche er nach der Mei- nung des Hrn. Prof. Manzels gehabt haben muß, haͤtte gar fuͤglich mit der groͤßſten Boßheit beſtehen koͤnnen.
Wir ſehen daß Geiſtliche huren und ſaufen: des-
falls
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Verbrechen erdencken koͤnnte, das eine ſolche Veraͤn-
derung in dem menſchlichen Verſtande zu wuͤrcken
faͤhig waͤre. Wir koͤnnen durch unſer Verſehen die
Kraͤfte unſers Coͤrpers ſchwaͤchen; wir koͤnnen unſern
Willen verderben, und zu allerhand Laſtern gewoͤh-
nen; wiꝛ koͤnnen auch durch eine unordentliche Lebens-
Art die Kraͤfte unſers Verſtandes ſo weit unterdru-
cken, daß wir dieſelbe nicht mehr ſo, als vor dem ge-
brauchen koͤnnen: Allein daß durch ein eintziges Ver-
ſehen die Begrife, die wir von allen Dingen haben,
gaͤntzlich ſolten koͤnnen ausgeloͤſchet werden, und das
ploͤtzlich, das iſt etwas, ſo ich nicht verſtehe.
Was ich einmahl vollkommen weiß, das kan ich
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ich gleich wolte. Meine Begierden koͤnnen meine
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verliehren ſolte.
Man mache demnach das Verbrechen des erſten
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ihm eine Boßheit Schuld, die noch ſo entſetzlich iſt, ſo
wird man doch dadurch nicht begꝛeiflich machen, war-
um er z. e. in einem Augenblick ſolte vergeſſen haben,
woher es komme, daß der Magnet das Eiſen an ſich
ziehet. Dieſe Erkaͤnntniß, welche er nach der Mei-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/820>, abgerufen am 31.10.2024.
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