eintzige vernünftige Mann der dieses glaubt. War-" um thut er (posit. 10.) den Vorschlag, die Obrig-" keit solle, um die Infamiam facti, die sie gar nicht" angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die" Laster, die jetzo ungestraft begangen werden," heilsame Verordnungen machen? Glaubt er" denn recht in Ernst, daß die Laster, Schwach-" heiten und Fehler, so die äusserliche Ruhe nicht stö-" ren, und also, ihrer Natur nach, der Erkänntniß" des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-" setze können aus der Welt verbannet werden? Oder" meynt er, daß, wenn gleich die Menschen, aus" Furcht der Strafe, diesen Gesetzen aufs genaueste" nachlebten, diese äusserliche Enthaltung von ge-" wissen Lastern sie seelig machen, und den Nahmen" einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-" re Tugend leidet keinen Zwang, und so bald hört" sie nicht auf freywillig zu seyn, so ist sie keine wahre" Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-" zel, die Obrigkeit könne es ihren Unterthanen so na-" helegen, und sie mit Strafen so lange scheeren, daß" sie endlich aus Verdruß und Verzweifelung sich" entschliessen müssen, rechtschafen fromm zu wer-" den: (multi primum coacti, & moxlubentes ali-" am vitam aliosque mores eligerent) Aber man" siehet wohl, daß er die menschliche Natur nicht ken-" net. So treuhertzig wird auch der klügste und" strengste Regent seine Unterthanen nicht machen." Sie wissen schon andern Rath. Beschneidet er ih-" nen durch seine verdrießlichen Gesetze die Freyheit," ihren Lüsten öfentlich nachzuhängen, so thun sie es" heimlich. Und dieses ist nicht so beschwerlich, als"
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eintzige vernuͤnftige Mann der dieſes glaubt. War-„ um thut er (poſit. 10.) den Vorſchlag, die Obrig-„ keit ſolle, um die Infamiam facti, die ſie gar nicht„ angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die„ Laſter, die jetzo ungeſtraft begangen werden,„ heilſame Verordnungen machen? Glaubt er„ denn recht in Ernſt, daß die Laſter, Schwach-„ heiten und Fehler, ſo die aͤuſſerliche Ruhe nicht ſtoͤ-„ ren, und alſo, ihrer Natur nach, der Erkaͤnntniß„ des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-„ ſetze koͤnnen aus der Welt verbannet werden? Oder„ meynt er, daß, wenn gleich die Menſchen, aus„ Furcht der Strafe, dieſen Geſetzen aufs genaueſte„ nachlebten, dieſe aͤuſſerliche Enthaltung von ge-„ wiſſen Laſtern ſie ſeelig machen, und den Nahmen„ einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-„ re Tugend leidet keinen Zwang, und ſo bald hoͤrt„ ſie nicht auf freywillig zu ſeyn, ſo iſt ſie keine wahre„ Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-„ zel, die Obrigkeit koͤnne es ihren Unterthanen ſo na-„ helegen, und ſie mit Strafen ſo lange ſcheeren, daß„ ſie endlich aus Verdruß und Verzweifelung ſich„ entſchlieſſen muͤſſen, rechtſchafen fromm zu wer-„ den: (multi primum coacti, & moxlubentes ali-„ am vitam aliosque mores eligerent) Aber man„ ſiehet wohl, daß er die menſchliche Natur nicht ken-„ net. So treuhertzig wird auch der kluͤgſte und„ ſtrengſte Regent ſeine Unterthanen nicht machen.„ Sie wiſſen ſchon andern Rath. Beſchneidet er ih-„ nen durch ſeine verdrießlichen Geſetze die Freyheit,„ ihren Luͤſten oͤfentlich nachzuhaͤngen, ſo thun ſie es„ heimlich. Und dieſes iſt nicht ſo beſchwerlich, als„
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eintzige vernuͤnftige Mann der dieſes glaubt. War-„
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heilſame Verordnungen machen? Glaubt er„
denn recht in Ernſt, daß die Laſter, Schwach-„
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des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-„
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ſie endlich aus Verdruß und Verzweifelung ſich„
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ſtrengſte Regent ſeine Unterthanen nicht machen.„
Sie wiſſen ſchon andern Rath. Beſchneidet er ih-„
nen durch ſeine verdrießlichen Geſetze die Freyheit,„
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 883. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/975>, abgerufen am 21.11.2024.
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