Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
eintzige vernünftige Mann der dieses glaubt. War-"
um thut er (posit. 10.) den Vorschlag, die Obrig-"
keit solle, um die Infamiam facti, die sie gar nicht"
angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die"
Laster, die jetzo ungestraft begangen werden,"
heilsame Verordnungen machen? Glaubt er"
denn recht in Ernst, daß die Laster, Schwach-"
heiten und Fehler, so die äusserliche Ruhe nicht stö-"
ren, und also, ihrer Natur nach, der Erkänntniß"
des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-"
setze können aus der Welt verbannet werden? Oder"
meynt er, daß, wenn gleich die Menschen, aus"
Furcht der Strafe, diesen Gesetzen aufs genaueste"
nachlebten, diese äusserliche Enthaltung von ge-"
wissen Lastern sie seelig machen, und den Nahmen"
einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-"
re Tugend leidet keinen Zwang, und so bald hört"
sie nicht auf freywillig zu seyn, so ist sie keine wahre"
Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-"
zel, die Obrigkeit könne es ihren Unterthanen so na-"
helegen, und sie mit Strafen so lange scheeren, daß"
sie endlich aus Verdruß und Verzweifelung sich"
entschliessen müssen, rechtschafen fromm zu wer-"
den: (multi primum coacti, & moxlubentes ali-"
am vitam aliosque mores eligerent
) Aber man"
siehet wohl, daß er die menschliche Natur nicht ken-"
net. So treuhertzig wird auch der klügste und"
strengste Regent seine Unterthanen nicht machen."
Sie wissen schon andern Rath. Beschneidet er ih-"
nen durch seine verdrießlichen Gesetze die Freyheit,"
ihren Lüsten öfentlich nachzuhängen, so thun sie es"
heimlich. Und dieses ist nicht so beschwerlich, als"

"man
K k k 2

(o)
eintzige vernuͤnftige Mann der dieſes glaubt. War-„
um thut er (poſit. 10.) den Vorſchlag, die Obrig-„
keit ſolle, um die Infamiam facti, die ſie gar nicht„
angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die„
Laſter, die jetzo ungeſtraft begangen werden,„
heilſame Verordnungen machen? Glaubt er„
denn recht in Ernſt, daß die Laſter, Schwach-„
heiten und Fehler, ſo die aͤuſſerliche Ruhe nicht ſtoͤ-„
ren, und alſo, ihrer Natur nach, der Erkaͤnntniß„
des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-„
ſetze koͤnnen aus der Welt verbannet werden? Oder„
meynt er, daß, wenn gleich die Menſchen, aus„
Furcht der Strafe, dieſen Geſetzen aufs genaueſte„
nachlebten, dieſe aͤuſſerliche Enthaltung von ge-„
wiſſen Laſtern ſie ſeelig machen, und den Nahmen„
einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-„
re Tugend leidet keinen Zwang, und ſo bald hoͤrt„
ſie nicht auf freywillig zu ſeyn, ſo iſt ſie keine wahre„
Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-„
zel, die Obrigkeit koͤnne es ihren Unterthanen ſo na-„
helegen, und ſie mit Strafen ſo lange ſcheeren, daß„
ſie endlich aus Verdruß und Verzweifelung ſich„
entſchlieſſen muͤſſen, rechtſchafen fromm zu wer-„
den: (multi primum coacti, & moxlubentes ali-„
am vitam aliosque mores eligerent
) Aber man„
ſiehet wohl, daß er die menſchliche Natur nicht ken-„
net. So treuhertzig wird auch der kluͤgſte und„
ſtrengſte Regent ſeine Unterthanen nicht machen.„
Sie wiſſen ſchon andern Rath. Beſchneidet er ih-„
nen durch ſeine verdrießlichen Geſetze die Freyheit,„
ihren Luͤſten oͤfentlich nachzuhaͤngen, ſo thun ſie es„
heimlich. Und dieſes iſt nicht ſo beſchwerlich, als„

„man
K k k 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0975" n="883"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
eintzige vernu&#x0364;nftige Mann der die&#x017F;es glaubt. War-&#x201E;<lb/>
um thut er (<hi rendition="#aq">po&#x017F;it.</hi> 10.) den Vor&#x017F;chlag, die Obrig-&#x201E;<lb/>
keit &#x017F;olle, um die <hi rendition="#aq">Infamiam facti,</hi> die &#x017F;ie gar nicht&#x201E;<lb/>
angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die&#x201E;<lb/>
La&#x017F;ter, die jetzo unge&#x017F;traft begangen werden,&#x201E;<lb/>
heil&#x017F;ame Verordnungen machen? Glaubt er&#x201E;<lb/>
denn recht in Ern&#x017F;t, daß die La&#x017F;ter, Schwach-&#x201E;<lb/>
heiten und Fehler, &#x017F;o die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Ruhe nicht &#x017F;to&#x0364;-&#x201E;<lb/>
ren, und al&#x017F;o, ihrer Natur nach, der Erka&#x0364;nntniß&#x201E;<lb/>
des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-&#x201E;<lb/>
&#x017F;etze ko&#x0364;nnen aus der Welt verbannet werden? Oder&#x201E;<lb/>
meynt er, daß, wenn gleich die Men&#x017F;chen, aus&#x201E;<lb/>
Furcht der Strafe, die&#x017F;en Ge&#x017F;etzen aufs genaue&#x017F;te&#x201E;<lb/>
nachlebten, die&#x017F;e a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Enthaltung von ge-&#x201E;<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en La&#x017F;tern &#x017F;ie &#x017F;eelig machen, und den Nahmen&#x201E;<lb/>
einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-&#x201E;<lb/>
re Tugend leidet keinen Zwang, und &#x017F;o bald ho&#x0364;rt&#x201E;<lb/>
&#x017F;ie nicht auf freywillig zu &#x017F;eyn, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie keine wahre&#x201E;<lb/>
Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-&#x201E;<lb/>
zel, die Obrigkeit ko&#x0364;nne es ihren Unterthanen &#x017F;o na-&#x201E;<lb/>
helegen, und &#x017F;ie mit Strafen &#x017F;o lange &#x017F;cheeren, daß&#x201E;<lb/>
&#x017F;ie endlich aus Verdruß und Verzweifelung &#x017F;ich&#x201E;<lb/>
ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, recht&#x017F;chafen fromm zu wer-&#x201E;<lb/>
den: (<hi rendition="#aq">multi primum coacti, &amp; moxlubentes ali-&#x201E;<lb/>
am vitam aliosque mores eligerent</hi>) Aber man&#x201E;<lb/>
&#x017F;iehet wohl, daß er die men&#x017F;chliche Natur nicht ken-&#x201E;<lb/>
net. So treuhertzig wird auch der klu&#x0364;g&#x017F;te und&#x201E;<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;te Regent &#x017F;eine Unterthanen nicht machen.&#x201E;<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon andern Rath. Be&#x017F;chneidet er ih-&#x201E;<lb/>
nen durch &#x017F;eine verdrießlichen Ge&#x017F;etze die Freyheit,&#x201E;<lb/>
ihren Lu&#x0364;&#x017F;ten o&#x0364;fentlich nachzuha&#x0364;ngen, &#x017F;o thun &#x017F;ie es&#x201E;<lb/>
heimlich. Und die&#x017F;es i&#x017F;t nicht &#x017F;o be&#x017F;chwerlich, als&#x201E;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k k 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;man</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[883/0975] (o) eintzige vernuͤnftige Mann der dieſes glaubt. War-„ um thut er (poſit. 10.) den Vorſchlag, die Obrig-„ keit ſolle, um die Infamiam facti, die ſie gar nicht„ angehet, aufrecht zu erhalten, auch wider die„ Laſter, die jetzo ungeſtraft begangen werden,„ heilſame Verordnungen machen? Glaubt er„ denn recht in Ernſt, daß die Laſter, Schwach-„ heiten und Fehler, ſo die aͤuſſerliche Ruhe nicht ſtoͤ-„ ren, und alſo, ihrer Natur nach, der Erkaͤnntniß„ des Richters nicht unterworfen, durch Straf-Ge-„ ſetze koͤnnen aus der Welt verbannet werden? Oder„ meynt er, daß, wenn gleich die Menſchen, aus„ Furcht der Strafe, dieſen Geſetzen aufs genaueſte„ nachlebten, dieſe aͤuſſerliche Enthaltung von ge-„ wiſſen Laſtern ſie ſeelig machen, und den Nahmen„ einer wahren Tugend verdienen werde? Die wah-„ re Tugend leidet keinen Zwang, und ſo bald hoͤrt„ ſie nicht auf freywillig zu ſeyn, ſo iſt ſie keine wahre„ Tugend mehr. Zwar meynt der Hr. Prof. Man-„ zel, die Obrigkeit koͤnne es ihren Unterthanen ſo na-„ helegen, und ſie mit Strafen ſo lange ſcheeren, daß„ ſie endlich aus Verdruß und Verzweifelung ſich„ entſchlieſſen muͤſſen, rechtſchafen fromm zu wer-„ den: (multi primum coacti, & moxlubentes ali-„ am vitam aliosque mores eligerent) Aber man„ ſiehet wohl, daß er die menſchliche Natur nicht ken-„ net. So treuhertzig wird auch der kluͤgſte und„ ſtrengſte Regent ſeine Unterthanen nicht machen.„ Sie wiſſen ſchon andern Rath. Beſchneidet er ih-„ nen durch ſeine verdrießlichen Geſetze die Freyheit,„ ihren Luͤſten oͤfentlich nachzuhaͤngen, ſo thun ſie es„ heimlich. Und dieſes iſt nicht ſo beſchwerlich, als„ „man K k k 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/975
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 883. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/975>, abgerufen am 21.11.2024.