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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
"man glaubt. Man gewinnet immer dabey. Jene
"Dame in Spanien wünschte, daß doch das Caffe-
"Trincken Sünde seyn möchte. (qu'il y eaut un peu
"de peche a prendre du Caffe
) Sie meynte, er
"würde ihr um so viel besser schmecken. Und sie hat-
"te recht. Die Kenner behaupten, daß nichts so
"geschickt sey, eine Lust recht empfindlich zu machen,
"als ein kleines Verbot, und Paulus sagt selbst: Jch
"wuste nichts von der Lust, wenn das Gesetz nicht
"gesaget, laß dich nicht gelüsten. Da nun die Men-
"schen, wie die Erfahrung lehret, so geartet sind,
"so kan die Obrigkeit auch durch die schärfsten Gesetze
"wider die Laster nichts zur Seeligkeit der Menschen
"beytragen. Die Menschen, wie fromm sie sich
"auch von aussen stellen, bleiben doch Menschen, und
"legen die bösen Neigungen, die ihnen so natürlich,
"und GOtt so mißfällig sind, nicht ab, die Obrig-
"keit mag anfangen was sie will. Warum verlangt
"man denn, daß die Obrigkeit ihre Unterthanen,
"der Natur zum Trotz, mit Gewalt seelig machen
"soll? Sie wird wenig ausrichten, wo sie nicht die
"Kunst erfindet, die Menschen umzugiessen. Durch
"ihr Gesetze wird sie das menschliche Hertz nimmer
"von allen sündlichen Begierden säubern. Sie mag
"noch so ernstlich befehlen, daß ihre Unterthanen ihr
"Hertz von allen irrdischen Dingen abziehen, und
"nur nach dem trachten sollen, das daroben ist. Es
"bleibt darum doch wohl beym Alten, und ein solcher
"Befehl würde nicht viel klüger heraus kommen, als
"wenn sie allen ihren Unterthanen bey willkührlicher
"Strafe verbieten wolte kranck zu seyn. Der Kay-
"ser Claudius trieb seine Landes-väterliche Vorsorge

so

(o)
„man glaubt. Man gewinnet immer dabey. Jene
„Dame in Spanien wuͤnſchte, daß doch das Caffé-
„Trincken Suͤnde ſeyn moͤchte. (qu’il y eût un peu
„de peché à prendre du Caffé
) Sie meynte, er
„wuͤrde ihr um ſo viel beſſer ſchmecken. Und ſie hat-
„te recht. Die Kenner behaupten, daß nichts ſo
„geſchickt ſey, eine Luſt recht empfindlich zu machen,
„als ein kleines Verbot, und Paulus ſagt ſelbſt: Jch
„wuſte nichts von der Luſt, wenn das Geſetz nicht
„geſaget, laß dich nicht geluͤſten. Da nun die Men-
„ſchen, wie die Erfahrung lehret, ſo geartet ſind,
„ſo kan die Obrigkeit auch durch die ſchaͤrfſten Geſetze
„wider die Laſter nichts zur Seeligkeit der Menſchen
„beytragen. Die Menſchen, wie fromm ſie ſich
„auch von auſſen ſtellen, bleiben doch Menſchen, und
„legen die boͤſen Neigungen, die ihnen ſo natuͤrlich,
„und GOtt ſo mißfaͤllig ſind, nicht ab, die Obrig-
„keit mag anfangen was ſie will. Warum verlangt
„man denn, daß die Obrigkeit ihre Unterthanen,
„der Natur zum Trotz, mit Gewalt ſeelig machen
„ſoll? Sie wird wenig ausrichten, wo ſie nicht die
„Kunſt erfindet, die Menſchen umzugieſſen. Durch
„ihr Geſetze wird ſie das menſchliche Hertz nimmer
„von allen ſuͤndlichen Begierden ſaͤubern. Sie mag
„noch ſo ernſtlich befehlen, daß ihre Unterthanen ihr
„Hertz von allen irrdiſchen Dingen abziehen, und
„nur nach dem trachten ſollen, das daroben iſt. Es
„bleibt darum doch wohl beym Alten, und ein ſolcher
„Befehl wuͤrde nicht viel kluͤger heraus kommen, als
„wenn ſie allen ihren Unterthanen bey willkuͤhrlicher
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„ſer Claudius trieb ſeine Landes-vaͤterliche Vorſorge

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[884/0976] (o) „man glaubt. Man gewinnet immer dabey. Jene „Dame in Spanien wuͤnſchte, daß doch das Caffé- „Trincken Suͤnde ſeyn moͤchte. (qu’il y eût un peu „de peché à prendre du Caffé) Sie meynte, er „wuͤrde ihr um ſo viel beſſer ſchmecken. Und ſie hat- „te recht. Die Kenner behaupten, daß nichts ſo „geſchickt ſey, eine Luſt recht empfindlich zu machen, „als ein kleines Verbot, und Paulus ſagt ſelbſt: Jch „wuſte nichts von der Luſt, wenn das Geſetz nicht „geſaget, laß dich nicht geluͤſten. Da nun die Men- „ſchen, wie die Erfahrung lehret, ſo geartet ſind, „ſo kan die Obrigkeit auch durch die ſchaͤrfſten Geſetze „wider die Laſter nichts zur Seeligkeit der Menſchen „beytragen. Die Menſchen, wie fromm ſie ſich „auch von auſſen ſtellen, bleiben doch Menſchen, und „legen die boͤſen Neigungen, die ihnen ſo natuͤrlich, „und GOtt ſo mißfaͤllig ſind, nicht ab, die Obrig- „keit mag anfangen was ſie will. Warum verlangt „man denn, daß die Obrigkeit ihre Unterthanen, „der Natur zum Trotz, mit Gewalt ſeelig machen „ſoll? Sie wird wenig ausrichten, wo ſie nicht die „Kunſt erfindet, die Menſchen umzugieſſen. Durch „ihr Geſetze wird ſie das menſchliche Hertz nimmer „von allen ſuͤndlichen Begierden ſaͤubern. Sie mag „noch ſo ernſtlich befehlen, daß ihre Unterthanen ihr „Hertz von allen irrdiſchen Dingen abziehen, und „nur nach dem trachten ſollen, das daroben iſt. Es „bleibt darum doch wohl beym Alten, und ein ſolcher „Befehl wuͤrde nicht viel kluͤger heraus kommen, als „wenn ſie allen ihren Unterthanen bey willkuͤhrlicher „Strafe verbieten wolte kranck zu ſeyn. Der Kay- „ſer Claudius trieb ſeine Landes-vaͤterliche Vorſorge ſo

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 884. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/976>, abgerufen am 21.11.2024.