Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in diesen Fällen den Erfolg herbei-
führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene
psychische Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen
auf die Frage würde die Verschiedenheit der Normen (oben
§. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu
schützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unsere
Zwecke genügt das Gesagte. Nochmals sei aber betont:

1. Jeder Versuch ist normwidrig und könnte daher ge-
straft werden; nicht jeder ist positiv-rechtlich strafbar.

2. Wir sagen nicht: strafbar ist der gefährliche Versuch,
sondern: nicht strafbar ist der ungefährliche Versuch. Daß
der Begriff der Gefahr ein relativer, ist kein Einwand gegen
die Richtigkeit dieses Satzes, der sich bemüht, das in uns
allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juristischen
Gedankens zu erheben.

§. 33.
Der Versuch im positiven Recht.

Jede versuchte Normübertretung ist an sich normwidriges
Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen
nach sich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlassung
in allen Fällen schon die versuchte Normübertretung mit
Strafe zu belegen.

I. Der Gesetzgeber kann und wird sich darauf beschränken,
nur die versuchte Uebertretung gewisser Normen unter
Strafe zu stellen. Prinzipiell würde es sich empfehlen, die
Unterscheidung zwischen den allgemeinen Normen und den
Gehorsamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen,
und die versuchte Uebertretung der letzteren straflos zu lassen.
Anders das positive Recht.

Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in dieſen Fällen den Erfolg herbei-
führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene
pſychiſche Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen
auf die Frage würde die Verſchiedenheit der Normen (oben
§. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu
ſchützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unſere
Zwecke genügt das Geſagte. Nochmals ſei aber betont:

1. Jeder Verſuch iſt normwidrig und könnte daher ge-
ſtraft werden; nicht jeder iſt poſitiv-rechtlich ſtrafbar.

2. Wir ſagen nicht: ſtrafbar iſt der gefährliche Verſuch,
ſondern: nicht ſtrafbar iſt der ungefährliche Verſuch. Daß
der Begriff der Gefahr ein relativer, iſt kein Einwand gegen
die Richtigkeit dieſes Satzes, der ſich bemüht, das in uns
allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juriſtiſchen
Gedankens zu erheben.

§. 33.
Der Verſuch im poſitiven Recht.

Jede verſuchte Normübertretung iſt an ſich normwidriges
Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen
nach ſich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlaſſung
in allen Fällen ſchon die verſuchte Normübertretung mit
Strafe zu belegen.

I. Der Geſetzgeber kann und wird ſich darauf beſchränken,
nur die verſuchte Uebertretung gewiſſer Normen unter
Strafe zu ſtellen. Prinzipiell würde es ſich empfehlen, die
Unterſcheidung zwiſchen den allgemeinen Normen und den
Gehorſamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen,
und die verſuchte Uebertretung der letzteren ſtraflos zu laſſen.
Anders das poſitive Recht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0164" n="138"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;tes Buch. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Vollendung u. Ver&#x017F;uch des Verbrechens.</fw><lb/>
Komplikationen können auch in die&#x017F;en Fällen den Erfolg herbei-<lb/>
führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene<lb/>
p&#x017F;ychi&#x017F;che Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen<lb/>
auf die Frage würde die Ver&#x017F;chiedenheit der Normen (oben<lb/>
§. 3 <hi rendition="#aq">II</hi>), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu<lb/>
&#x017F;chützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für un&#x017F;ere<lb/>
Zwecke genügt das Ge&#x017F;agte. Nochmals &#x017F;ei aber betont:</p><lb/>
              <p>1. Jeder Ver&#x017F;uch i&#x017F;t normwidrig und könnte daher ge-<lb/>
&#x017F;traft werden; nicht jeder i&#x017F;t po&#x017F;itiv-rechtlich &#x017F;trafbar.</p><lb/>
              <p>2. Wir &#x017F;agen nicht: &#x017F;trafbar i&#x017F;t der gefährliche Ver&#x017F;uch,<lb/>
&#x017F;ondern: nicht &#x017F;trafbar i&#x017F;t der ungefährliche Ver&#x017F;uch. Daß<lb/>
der Begriff der Gefahr ein relativer, i&#x017F;t kein Einwand gegen<lb/>
die Richtigkeit die&#x017F;es Satzes, der &#x017F;ich bemüht, das in uns<lb/>
allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Gedankens zu erheben.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 33.<lb/><hi rendition="#b">Der Ver&#x017F;uch im po&#x017F;itiven Recht.</hi></head><lb/>
              <p>Jede ver&#x017F;uchte Normübertretung i&#x017F;t an &#x017F;ich normwidriges<lb/>
Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen<lb/>
nach &#x017F;ich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
in allen Fällen &#x017F;chon die ver&#x017F;uchte Normübertretung mit<lb/>
Strafe zu belegen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Ge&#x017F;etzgeber kann und wird &#x017F;ich darauf be&#x017F;chränken,<lb/>
nur die ver&#x017F;uchte Uebertretung <hi rendition="#g">gewi&#x017F;&#x017F;er Normen</hi> unter<lb/>
Strafe zu &#x017F;tellen. Prinzipiell würde es &#x017F;ich empfehlen, die<lb/>
Unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen den allgemeinen Normen und den<lb/>
Gehor&#x017F;amsnormen (vgl. oben §. 3 <hi rendition="#aq">II</hi>) zu Grunde zu legen,<lb/>
und die ver&#x017F;uchte Uebertretung der letzteren &#x017F;traflos zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Anders das po&#x017F;itive Recht.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0164] Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens. Komplikationen können auch in dieſen Fällen den Erfolg herbei- führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene pſychiſche Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen auf die Frage würde die Verſchiedenheit der Normen (oben §. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu ſchützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unſere Zwecke genügt das Geſagte. Nochmals ſei aber betont: 1. Jeder Verſuch iſt normwidrig und könnte daher ge- ſtraft werden; nicht jeder iſt poſitiv-rechtlich ſtrafbar. 2. Wir ſagen nicht: ſtrafbar iſt der gefährliche Verſuch, ſondern: nicht ſtrafbar iſt der ungefährliche Verſuch. Daß der Begriff der Gefahr ein relativer, iſt kein Einwand gegen die Richtigkeit dieſes Satzes, der ſich bemüht, das in uns allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juriſtiſchen Gedankens zu erheben. §. 33. Der Verſuch im poſitiven Recht. Jede verſuchte Normübertretung iſt an ſich normwidriges Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen nach ſich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlaſſung in allen Fällen ſchon die verſuchte Normübertretung mit Strafe zu belegen. I. Der Geſetzgeber kann und wird ſich darauf beſchränken, nur die verſuchte Uebertretung gewiſſer Normen unter Strafe zu ſtellen. Prinzipiell würde es ſich empfehlen, die Unterſcheidung zwiſchen den allgemeinen Normen und den Gehorſamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen, und die verſuchte Uebertretung der letzteren ſtraflos zu laſſen. Anders das poſitive Recht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/164
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/164>, abgerufen am 21.11.2024.