Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. III. Die gesetzlichen Strafrahmen etc.
hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart;
wenn Zuchthaus und Festungshaft zur Wahl gestellt sind,
Zuchthaus nur bei festgestellter ehrloser Gesinnung des Thä-
ters zu wählen (StGB. §. 20).

3. Darin, daß es dem richterlichen Ermessen in vielen
Fällen überlassen wird, ob die Hauptstrafe allein, oder neben
derselben eine Nebenstrafe einzutreten hat.

Nur den relativ bestimmten Strafgesetzen gegenüber ist
der Ausdruck Strafrahmen passend.

II. Welche Gesichtspunkte haben den Gesetzgeber
bei Aufstellung seiner Strafrahmen zu leiten? Die richtige
Antwort auf diese Frage liegt in dem Zweck der Strafe so
klar wie möglich ausgesprochen: das Bedürfnis der Rechts-
ordnung nach Schutz ihrer Rechtsgüter ist der erste und
wichtigste Maßstab; der zweite ergiebt sich daraus, daß Mittel
und Zweck im richtigen Verhältnisse zu einander stehen müssen,
daß das Mittel nicht tiefere Wunden schlagen darf als die
Vereitelung des Zweckes. Die weitere Durchführung dieses
Gedankens gehört umsoweniger hieher, als er im heutigen
Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Gesetzgeber
sich klar darüber würde, die Aufstellung der Strafrahmen
beeinflußt. Der Gesetzgeber steht vielmehr unter dem Banne
jener Ansicht, die den Maßstab der Strafe in dem began-
genen Verbrechen sieht, jener Ansicht, die zwischen Unrecht
und Strafe eine Gleichung herzustellen sucht. Darum stuft
der Gesetzgeber seine Strafsätze im Wesentlichen nach zwei
Gesichtspunkten ab:

1. Nach der objektiven Bedeutung des Unrechtes, also
nach Tiefe und Umfang der durch dasselbe bewirkten Störung
der Rechtsordnung;

Zweites Buch. III. Die geſetzlichen Strafrahmen ꝛc.
hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart;
wenn Zuchthaus und Feſtungshaft zur Wahl geſtellt ſind,
Zuchthaus nur bei feſtgeſtellter ehrloſer Geſinnung des Thä-
ters zu wählen (StGB. §. 20).

3. Darin, daß es dem richterlichen Ermeſſen in vielen
Fällen überlaſſen wird, ob die Hauptſtrafe allein, oder neben
derſelben eine Nebenſtrafe einzutreten hat.

Nur den relativ beſtimmten Strafgeſetzen gegenüber iſt
der Ausdruck Strafrahmen paſſend.

II. Welche Geſichtspunkte haben den Geſetzgeber
bei Aufſtellung ſeiner Strafrahmen zu leiten? Die richtige
Antwort auf dieſe Frage liegt in dem Zweck der Strafe ſo
klar wie möglich ausgeſprochen: das Bedürfnis der Rechts-
ordnung nach Schutz ihrer Rechtsgüter iſt der erſte und
wichtigſte Maßſtab; der zweite ergiebt ſich daraus, daß Mittel
und Zweck im richtigen Verhältniſſe zu einander ſtehen müſſen,
daß das Mittel nicht tiefere Wunden ſchlagen darf als die
Vereitelung des Zweckes. Die weitere Durchführung dieſes
Gedankens gehört umſoweniger hieher, als er im heutigen
Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Geſetzgeber
ſich klar darüber würde, die Aufſtellung der Strafrahmen
beeinflußt. Der Geſetzgeber ſteht vielmehr unter dem Banne
jener Anſicht, die den Maßſtab der Strafe in dem began-
genen Verbrechen ſieht, jener Anſicht, die zwiſchen Unrecht
und Strafe eine Gleichung herzuſtellen ſucht. Darum ſtuft
der Geſetzgeber ſeine Strafſätze im Weſentlichen nach zwei
Geſichtspunkten ab:

1. Nach der objektiven Bedeutung des Unrechtes, alſo
nach Tiefe und Umfang der durch dasſelbe bewirkten Störung
der Rechtsordnung;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0234" n="208"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die ge&#x017F;etzlichen Strafrahmen &#xA75B;c.</fw><lb/>
hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart;<lb/>
wenn Zuchthaus und Fe&#x017F;tungshaft zur Wahl ge&#x017F;tellt &#x017F;ind,<lb/>
Zuchthaus nur bei fe&#x017F;tge&#x017F;tellter ehrlo&#x017F;er Ge&#x017F;innung des Thä-<lb/>
ters zu wählen (StGB. §. 20).</p><lb/>
              <p>3. Darin, daß es dem richterlichen Erme&#x017F;&#x017F;en in vielen<lb/>
Fällen überla&#x017F;&#x017F;en wird, ob die Haupt&#x017F;trafe allein, oder neben<lb/>
der&#x017F;elben eine Neben&#x017F;trafe einzutreten hat.</p><lb/>
              <p>Nur den relativ be&#x017F;timmten Strafge&#x017F;etzen gegenüber i&#x017F;t<lb/>
der Ausdruck Strafrahmen pa&#x017F;&#x017F;end.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Welche <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ichtspunkte</hi> haben den <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzgeber</hi><lb/>
bei Auf&#x017F;tellung &#x017F;einer Strafrahmen zu leiten? Die richtige<lb/>
Antwort auf die&#x017F;e Frage liegt in dem Zweck der Strafe &#x017F;o<lb/>
klar wie möglich ausge&#x017F;prochen: das Bedürfnis der Rechts-<lb/>
ordnung nach Schutz ihrer Rechtsgüter i&#x017F;t der er&#x017F;te und<lb/>
wichtig&#x017F;te Maß&#x017F;tab; der zweite ergiebt &#x017F;ich daraus, daß Mittel<lb/>
und Zweck im richtigen Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu einander &#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß das Mittel nicht tiefere Wunden &#x017F;chlagen darf als die<lb/>
Vereitelung des Zweckes. Die weitere Durchführung die&#x017F;es<lb/>
Gedankens gehört um&#x017F;oweniger hieher, als er im heutigen<lb/>
Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Ge&#x017F;etzgeber<lb/>
&#x017F;ich klar darüber würde, die Auf&#x017F;tellung der Strafrahmen<lb/>
beeinflußt. Der Ge&#x017F;etzgeber &#x017F;teht vielmehr unter dem Banne<lb/>
jener An&#x017F;icht, die den Maß&#x017F;tab der Strafe in dem began-<lb/>
genen Verbrechen &#x017F;ieht, jener An&#x017F;icht, die zwi&#x017F;chen Unrecht<lb/>
und Strafe eine Gleichung herzu&#x017F;tellen &#x017F;ucht. Darum &#x017F;tuft<lb/>
der Ge&#x017F;etzgeber &#x017F;eine Straf&#x017F;ätze im We&#x017F;entlichen nach zwei<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunkten ab:</p><lb/>
              <p>1. Nach der <hi rendition="#g">objektiven</hi> Bedeutung des Unrechtes, al&#x017F;o<lb/>
nach Tiefe und Umfang der durch das&#x017F;elbe bewirkten Störung<lb/>
der Rechtsordnung;</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0234] Zweites Buch. III. Die geſetzlichen Strafrahmen ꝛc. hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart; wenn Zuchthaus und Feſtungshaft zur Wahl geſtellt ſind, Zuchthaus nur bei feſtgeſtellter ehrloſer Geſinnung des Thä- ters zu wählen (StGB. §. 20). 3. Darin, daß es dem richterlichen Ermeſſen in vielen Fällen überlaſſen wird, ob die Hauptſtrafe allein, oder neben derſelben eine Nebenſtrafe einzutreten hat. Nur den relativ beſtimmten Strafgeſetzen gegenüber iſt der Ausdruck Strafrahmen paſſend. II. Welche Geſichtspunkte haben den Geſetzgeber bei Aufſtellung ſeiner Strafrahmen zu leiten? Die richtige Antwort auf dieſe Frage liegt in dem Zweck der Strafe ſo klar wie möglich ausgeſprochen: das Bedürfnis der Rechts- ordnung nach Schutz ihrer Rechtsgüter iſt der erſte und wichtigſte Maßſtab; der zweite ergiebt ſich daraus, daß Mittel und Zweck im richtigen Verhältniſſe zu einander ſtehen müſſen, daß das Mittel nicht tiefere Wunden ſchlagen darf als die Vereitelung des Zweckes. Die weitere Durchführung dieſes Gedankens gehört umſoweniger hieher, als er im heutigen Recht nur in einzelnen Fällen und ohne daß der Geſetzgeber ſich klar darüber würde, die Aufſtellung der Strafrahmen beeinflußt. Der Geſetzgeber ſteht vielmehr unter dem Banne jener Anſicht, die den Maßſtab der Strafe in dem began- genen Verbrechen ſieht, jener Anſicht, die zwiſchen Unrecht und Strafe eine Gleichung herzuſtellen ſucht. Darum ſtuft der Geſetzgeber ſeine Strafſätze im Weſentlichen nach zwei Geſichtspunkten ab: 1. Nach der objektiven Bedeutung des Unrechtes, alſo nach Tiefe und Umfang der durch dasſelbe bewirkten Störung der Rechtsordnung;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/234
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/234>, abgerufen am 24.11.2024.