Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Einleitung. II. Das Strafgesetz. liegt das Schwergewicht auf dem Worte "geregelt", nichtauf dem Worte "Materie". Es ist durchaus verkehrt, die "Materie" im Sinne des StGB. juristisch definieren zu wollen. Die Frage lautet vielmehr in jedem einzelnen Falle: liegt ein einschlagender, sei es positiver, sei es negativer Satz des Reichsrechtes vor? Dabei darf nicht vergessen werden, daß das Schweigen der Reichsgesetzgebung eine dop- pelte Bedeutung haben kann: entweder die einer negativen und stillschweigenden Anordnung, oder die der Ueberweisung der Regelung an die Landesgesetzgebung. Ob das eine oder das andere der Fall ist, haben wir nicht aus der ganz irre- levanten Entstehungsgeschichte des Gesetzes, sondern aus dem Gesetze selbst, aus dem Zusammenhange der ausdrücklich ausgesprochenen Rechtssätze untereinander zu beantworten. Die Frage nach dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete, ist eine Frage der Interpretation der Reichs- gesetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung im Zweifel für die Unzulässigkeit landesgesetzlicher Regelung entscheiden müssen. Beispiele. Aus der prinziplosen Zusammenwürflung 3 Ebenso Rüdorff u. Merkel gegen das OT.
Einleitung. II. Das Strafgeſetz. liegt das Schwergewicht auf dem Worte „geregelt“, nichtauf dem Worte „Materie“. Es iſt durchaus verkehrt, die „Materie“ im Sinne des StGB. juriſtiſch definieren zu wollen. Die Frage lautet vielmehr in jedem einzelnen Falle: liegt ein einſchlagender, ſei es poſitiver, ſei es negativer Satz des Reichsrechtes vor? Dabei darf nicht vergeſſen werden, daß das Schweigen der Reichsgeſetzgebung eine dop- pelte Bedeutung haben kann: entweder die einer negativen und ſtillſchweigenden Anordnung, oder die der Ueberweiſung der Regelung an die Landesgeſetzgebung. Ob das eine oder das andere der Fall iſt, haben wir nicht aus der ganz irre- levanten Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes, ſondern aus dem Geſetze ſelbſt, aus dem Zuſammenhange der ausdrücklich ausgeſprochenen Rechtsſätze untereinander zu beantworten. Die Frage nach dem der Landesgeſetzgebung überlaſſenen Gebiete, iſt eine Frage der Interpretation der Reichs- geſetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfaſſung im Zweifel für die Unzuläſſigkeit landesgeſetzlicher Regelung entſcheiden müſſen. Beiſpiele. Aus der prinziploſen Zuſammenwürflung 3 Ebenſo Rüdorff u. Merkel gegen das OT.
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Einleitung. II. Das Strafgeſetz.
liegt das Schwergewicht auf dem Worte „geregelt“, nicht
auf dem Worte „Materie“. Es iſt durchaus verkehrt, die
„Materie“ im Sinne des StGB. juriſtiſch definieren zu
wollen. Die Frage lautet vielmehr in jedem einzelnen Falle:
liegt ein einſchlagender, ſei es poſitiver, ſei es negativer
Satz des Reichsrechtes vor? Dabei darf nicht vergeſſen
werden, daß das Schweigen der Reichsgeſetzgebung eine dop-
pelte Bedeutung haben kann: entweder die einer negativen
und ſtillſchweigenden Anordnung, oder die der Ueberweiſung
der Regelung an die Landesgeſetzgebung. Ob das eine oder
das andere der Fall iſt, haben wir nicht aus der ganz irre-
levanten Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes, ſondern aus dem
Geſetze ſelbſt, aus dem Zuſammenhange der ausdrücklich
ausgeſprochenen Rechtsſätze untereinander zu beantworten.
Die Frage nach dem der Landesgeſetzgebung überlaſſenen
Gebiete, iſt eine Frage der Interpretation der Reichs-
geſetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13
der Reichsverfaſſung im Zweifel für die Unzuläſſigkeit
landesgeſetzlicher Regelung entſcheiden müſſen.
Beiſpiele. Aus der prinziploſen Zuſammenwürflung
einzelner Uebertretungen in dem letzten Abſchnitte des
RStGB. folgt die Zuläſſigkeit landesgeſetzlicher Thätigkeit
auf dem Gebiete der Polizeidelikte; aus demſelben Grunde
iſt die fortdauernde Geltung des §. 270 des preuß. StGB.
(Abhalten von Bietern bei öffentlichen Verſteigerungen uſw.
aus dem ſyſtemloſen Sammelabſchnitte „ſtrafbarer Eigen-
nutz“) zu behaupten. 3 Dagegen ergiebt ſich aus der einge-
henden und ſyſtematiſchen Behandlung des falſchen Zeug-
niſſes im StGB. der Rechtsſatz, daß die nichtbeeidete falſche
3 Ebenſo Rüdorff u. Merkel gegen das OT.
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Zitationshilfe: | Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/70>, abgerufen am 16.02.2025. |