Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
geben, die auf den Mond einwirkt, und ihn zwingt, jeden Augen- blick der Erde dieselbe Seite unverwandt zuzukehren.
§. 119. (Ursache dieser Erscheinungen.) Diese Kraft kann aber offenbar nur in der Erde liegen. Nimmt man, wie dieß sehr wahrscheinlich ist, an, daß der Mond zur Zeit seiner Ent- stebung ein flüssiger Körper war, so wird die Erde, wegen ihrer großen Nähe, den ihr nächsten Punkt, d. h. den Mittel- punkt der uns sichtbaren Scheibe des Mondes, unter allen am stärksten angezogen, und so sich diesen Punkt noch mehr ge- nähert haben. Dadurch erhielt die Oberfläche dieses Satelliten die Gestalt eines Ellipsoids, dessen kleinste Axe die Rotationsaxe, und dessen größte gegen die Erde gekehrt war. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß der primitive Stoß, welcher dem Monde (S. 87) seine Bewegung gab, genau eine solche Beschaffenheit hatte, wodurch die drehende und die fortschreitende Bewegung dessel- ben einander ganz gleich geworden wären. Allein unter der Vor- aussetzung, daß die große Axe des Mondsphäroids ursprünglich gegen die Erde gerichtet war, ist es schon hinlänglich, diese beiden Bewegungen nur nicht zu sehr verschieden anzunehmen, um daraus jene Erscheinung der Gleichheit beider Bewegungen zu erklären. Wenn nämlich auch diese große Axe des Mondes jeden Augen- blick von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde sich zu entfernen strebt, so wird sie doch durch die Anziehung der Erde selbst immer wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht werden, so wie z. B. die Schwere der Erde ein in Bewegung begriffenes Pendel, so oft es sich von seiner Verticallinie entfernt, immer wieder zu derselben zurückführt. Durch diese Attraction der Erde entsteht also eine Art von wahrer, nicht bloß scheinbarer Libra- tion des Mondes, die aber sehr gering seyn muß, da unsere Beobachtungen sie noch nicht zu erkennen gegeben haben. Auch die Abplattung des Mondes an seinen beiden Polen ist so klein, daß sie bisher unsern schärfsten Instrumenten entging, und daß wir daher die Gestalt dieses Satelliten ohne merklichen Fehler als vollkommen kugelförmig annehmen können. Nach der Theorie aber ist die kleine Axe desselben gleich 0,9989, wenn die große, gegen den Mittelpunkt der Erde gekehrte Axe für die Einheit
Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
geben, die auf den Mond einwirkt, und ihn zwingt, jeden Augen- blick der Erde dieſelbe Seite unverwandt zuzukehren.
§. 119. (Urſache dieſer Erſcheinungen.) Dieſe Kraft kann aber offenbar nur in der Erde liegen. Nimmt man, wie dieß ſehr wahrſcheinlich iſt, an, daß der Mond zur Zeit ſeiner Ent- ſtebung ein flüſſiger Körper war, ſo wird die Erde, wegen ihrer großen Nähe, den ihr nächſten Punkt, d. h. den Mittel- punkt der uns ſichtbaren Scheibe des Mondes, unter allen am ſtärkſten angezogen, und ſo ſich dieſen Punkt noch mehr ge- nähert haben. Dadurch erhielt die Oberfläche dieſes Satelliten die Geſtalt eines Ellipſoids, deſſen kleinſte Axe die Rotationsaxe, und deſſen größte gegen die Erde gekehrt war. Es iſt äußerſt unwahrſcheinlich, daß der primitive Stoß, welcher dem Monde (S. 87) ſeine Bewegung gab, genau eine ſolche Beſchaffenheit hatte, wodurch die drehende und die fortſchreitende Bewegung deſſel- ben einander ganz gleich geworden wären. Allein unter der Vor- ausſetzung, daß die große Axe des Mondſphäroids urſprünglich gegen die Erde gerichtet war, iſt es ſchon hinlänglich, dieſe beiden Bewegungen nur nicht zu ſehr verſchieden anzunehmen, um daraus jene Erſcheinung der Gleichheit beider Bewegungen zu erklären. Wenn nämlich auch dieſe große Axe des Mondes jeden Augen- blick von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde ſich zu entfernen ſtrebt, ſo wird ſie doch durch die Anziehung der Erde ſelbſt immer wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht werden, ſo wie z. B. die Schwere der Erde ein in Bewegung begriffenes Pendel, ſo oft es ſich von ſeiner Verticallinie entfernt, immer wieder zu derſelben zurückführt. Durch dieſe Attraction der Erde entſteht alſo eine Art von wahrer, nicht bloß ſcheinbarer Libra- tion des Mondes, die aber ſehr gering ſeyn muß, da unſere Beobachtungen ſie noch nicht zu erkennen gegeben haben. Auch die Abplattung des Mondes an ſeinen beiden Polen iſt ſo klein, daß ſie bisher unſern ſchärfſten Inſtrumenten entging, und daß wir daher die Geſtalt dieſes Satelliten ohne merklichen Fehler als vollkommen kugelförmig annehmen können. Nach der Theorie aber iſt die kleine Axe deſſelben gleich 0,9989, wenn die große, gegen den Mittelpunkt der Erde gekehrte Axe für die Einheit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0179"n="167"/><fwplace="top"type="header">Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.</fw><lb/>
geben, die auf den Mond einwirkt, und ihn zwingt, jeden Augen-<lb/>
blick der Erde dieſelbe Seite unverwandt zuzukehren.</p><lb/><p>§. 119. (Urſache dieſer Erſcheinungen.) Dieſe Kraft kann<lb/>
aber offenbar nur in der Erde liegen. Nimmt man, wie dieß<lb/>ſehr wahrſcheinlich iſt, an, daß der Mond zur Zeit ſeiner Ent-<lb/>ſtebung ein flüſſiger Körper war, ſo wird die Erde, wegen<lb/>
ihrer großen Nähe, den ihr nächſten Punkt, d. h. den Mittel-<lb/>
punkt der uns ſichtbaren Scheibe des Mondes, unter allen am<lb/>ſtärkſten angezogen, und ſo ſich dieſen Punkt noch mehr ge-<lb/>
nähert haben. Dadurch erhielt die Oberfläche dieſes Satelliten<lb/>
die Geſtalt eines Ellipſoids, deſſen kleinſte Axe die Rotationsaxe,<lb/>
und deſſen größte gegen die Erde gekehrt war. Es iſt äußerſt<lb/>
unwahrſcheinlich, daß der primitive Stoß, welcher dem Monde<lb/>
(S. 87) ſeine Bewegung gab, genau eine ſolche Beſchaffenheit hatte,<lb/>
wodurch die drehende und die fortſchreitende Bewegung deſſel-<lb/>
ben einander ganz gleich geworden wären. Allein unter der Vor-<lb/>
ausſetzung, daß die große Axe des Mondſphäroids urſprünglich<lb/>
gegen die Erde gerichtet war, iſt es ſchon hinlänglich, dieſe beiden<lb/>
Bewegungen nur nicht zu ſehr verſchieden anzunehmen, um daraus<lb/>
jene Erſcheinung der Gleichheit beider Bewegungen zu erklären.<lb/>
Wenn nämlich auch dieſe große Axe des Mondes jeden Augen-<lb/>
blick von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde ſich<lb/>
zu entfernen ſtrebt, ſo wird ſie doch durch die Anziehung der Erde<lb/>ſelbſt immer wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht werden,<lb/>ſo wie z. B. die Schwere der Erde ein in Bewegung begriffenes<lb/>
Pendel, ſo oft es ſich von ſeiner Verticallinie entfernt, immer<lb/>
wieder zu derſelben zurückführt. Durch dieſe Attraction der Erde<lb/>
entſteht alſo eine Art von <hirendition="#g">wahrer</hi>, nicht bloß ſcheinbarer <hirendition="#g">Libra-<lb/>
tion</hi> des Mondes, die aber ſehr gering ſeyn muß, da unſere<lb/>
Beobachtungen ſie noch nicht zu erkennen gegeben haben. Auch<lb/>
die Abplattung des Mondes an ſeinen beiden Polen iſt ſo klein,<lb/>
daß ſie bisher unſern ſchärfſten Inſtrumenten entging, und<lb/>
daß wir daher die Geſtalt dieſes Satelliten ohne merklichen Fehler<lb/>
als vollkommen kugelförmig annehmen können. Nach der Theorie<lb/>
aber iſt die kleine Axe deſſelben gleich 0,<hirendition="#sub">9989</hi>, wenn die große,<lb/>
gegen den Mittelpunkt der Erde gekehrte Axe für die Einheit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[167/0179]
Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
geben, die auf den Mond einwirkt, und ihn zwingt, jeden Augen-
blick der Erde dieſelbe Seite unverwandt zuzukehren.
§. 119. (Urſache dieſer Erſcheinungen.) Dieſe Kraft kann
aber offenbar nur in der Erde liegen. Nimmt man, wie dieß
ſehr wahrſcheinlich iſt, an, daß der Mond zur Zeit ſeiner Ent-
ſtebung ein flüſſiger Körper war, ſo wird die Erde, wegen
ihrer großen Nähe, den ihr nächſten Punkt, d. h. den Mittel-
punkt der uns ſichtbaren Scheibe des Mondes, unter allen am
ſtärkſten angezogen, und ſo ſich dieſen Punkt noch mehr ge-
nähert haben. Dadurch erhielt die Oberfläche dieſes Satelliten
die Geſtalt eines Ellipſoids, deſſen kleinſte Axe die Rotationsaxe,
und deſſen größte gegen die Erde gekehrt war. Es iſt äußerſt
unwahrſcheinlich, daß der primitive Stoß, welcher dem Monde
(S. 87) ſeine Bewegung gab, genau eine ſolche Beſchaffenheit hatte,
wodurch die drehende und die fortſchreitende Bewegung deſſel-
ben einander ganz gleich geworden wären. Allein unter der Vor-
ausſetzung, daß die große Axe des Mondſphäroids urſprünglich
gegen die Erde gerichtet war, iſt es ſchon hinlänglich, dieſe beiden
Bewegungen nur nicht zu ſehr verſchieden anzunehmen, um daraus
jene Erſcheinung der Gleichheit beider Bewegungen zu erklären.
Wenn nämlich auch dieſe große Axe des Mondes jeden Augen-
blick von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde ſich
zu entfernen ſtrebt, ſo wird ſie doch durch die Anziehung der Erde
ſelbſt immer wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht werden,
ſo wie z. B. die Schwere der Erde ein in Bewegung begriffenes
Pendel, ſo oft es ſich von ſeiner Verticallinie entfernt, immer
wieder zu derſelben zurückführt. Durch dieſe Attraction der Erde
entſteht alſo eine Art von wahrer, nicht bloß ſcheinbarer Libra-
tion des Mondes, die aber ſehr gering ſeyn muß, da unſere
Beobachtungen ſie noch nicht zu erkennen gegeben haben. Auch
die Abplattung des Mondes an ſeinen beiden Polen iſt ſo klein,
daß ſie bisher unſern ſchärfſten Inſtrumenten entging, und
daß wir daher die Geſtalt dieſes Satelliten ohne merklichen Fehler
als vollkommen kugelförmig annehmen können. Nach der Theorie
aber iſt die kleine Axe deſſelben gleich 0,9989, wenn die große,
gegen den Mittelpunkt der Erde gekehrte Axe für die Einheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/179>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.