Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.
dieser Bestimmung folgt, daß man wieder Eins gegen Eins wetten
kann, daß die wahre mittlere Entfernung der Sonne nicht kleiner
als 20577649 und nicht größer als 20755943 Meilen ist. Wir
sind demnach über diese Entfernung noch um 89147 Meilen oder
um nahe 52 Erddurchmesser ungewiß. Diese Ungewißheit beträgt
den 233sten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde und
scheint daher nicht eben sehr gering zu seyn. Allein wenn wir
bedenken, daß wir die Entfernungen der meisten großen Städte
Europas kaum bis auf ihren 233sten Theil, und die der außer-
europäischen Städte noch lange nicht einmal so genau kennen, so
wird uns dieß mit jener viel schwerer zu bestimmenden Entfer-
nung der Sonne durch unsere Astronomen wohl wieder auszusöhnen
im Stande seyn.

Eine andere Gelegenheit, den Nutzen dieser neuen Analysis
zu zeigen, gab die oben (I. S. 330) erwähnte Acceleration der
mittleren Bewegung des Mondes. Da bei allen Planeten die
mittleren Axen ihrer Bahnen, also auch, vermöge des eben so
angeführten dritten Gesetzes Keplers, die mittleren Bewegungen
dieser Planeten vollkommen constant und unveränderlich gefunden
wurden, so war es auffallend, daß der Mond von diesem allge-
meinen Gesetze der Natur eine Ausnahme machen sollte. Indeß
schienen die Beobachtungen die Existenz dieser Ausnahme über
allen Zweifel zu erheben, und es handelte sich nun darum, durch
die Theorie den Grund derselben zu finden. Allein diese Unter-
suchung quälte die größten Geometer des vergangenen Jahrhun-
derts durch eine lange Zeit. Lagrange, der darüber sehr viele
und mühsame Rechnungen angestellt hatte, gerieth endlich auf
den Abweg, das Daseyn dieser Acceleration als eine bloße Täu-
schung ganz zu verwerfen. Allein Laplace, der die älteren Beob-
achtungen, besonders die der Araber, mit denen der neueren Zeiten
sorgfältig verglich und auf diese Vergleichung seine neue Analyse
anwendete, fand, daß die Wahrscheinlichkeit der Existenz dieser
Acceleration, wie sie aus den Beobachtungen folgte, so groß sey,
daß man mehrere Tausende gegen Eins für das Daseyn derselben
wetten könnte. Durch diese Ueberzeugung bewogen, ging er die
ganze Theorie des Mondes noch einmal durch, und war endlich
auch so glücklich, die so lange vergebens gesuchte Ursache jener

Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſer Beſtimmung folgt, daß man wieder Eins gegen Eins wetten
kann, daß die wahre mittlere Entfernung der Sonne nicht kleiner
als 20577649 und nicht größer als 20755943 Meilen iſt. Wir
ſind demnach über dieſe Entfernung noch um 89147 Meilen oder
um nahe 52 Erddurchmeſſer ungewiß. Dieſe Ungewißheit beträgt
den 233ſten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde und
ſcheint daher nicht eben ſehr gering zu ſeyn. Allein wenn wir
bedenken, daß wir die Entfernungen der meiſten großen Städte
Europas kaum bis auf ihren 233ſten Theil, und die der außer-
europäiſchen Städte noch lange nicht einmal ſo genau kennen, ſo
wird uns dieß mit jener viel ſchwerer zu beſtimmenden Entfer-
nung der Sonne durch unſere Aſtronomen wohl wieder auszuſöhnen
im Stande ſeyn.

Eine andere Gelegenheit, den Nutzen dieſer neuen Analyſis
zu zeigen, gab die oben (I. S. 330) erwähnte Acceleration der
mittleren Bewegung des Mondes. Da bei allen Planeten die
mittleren Axen ihrer Bahnen, alſo auch, vermöge des eben ſo
angeführten dritten Geſetzes Keplers, die mittleren Bewegungen
dieſer Planeten vollkommen conſtant und unveränderlich gefunden
wurden, ſo war es auffallend, daß der Mond von dieſem allge-
meinen Geſetze der Natur eine Ausnahme machen ſollte. Indeß
ſchienen die Beobachtungen die Exiſtenz dieſer Ausnahme über
allen Zweifel zu erheben, und es handelte ſich nun darum, durch
die Theorie den Grund derſelben zu finden. Allein dieſe Unter-
ſuchung quälte die größten Geometer des vergangenen Jahrhun-
derts durch eine lange Zeit. Lagrange, der darüber ſehr viele
und mühſame Rechnungen angeſtellt hatte, gerieth endlich auf
den Abweg, das Daſeyn dieſer Acceleration als eine bloße Täu-
ſchung ganz zu verwerfen. Allein Laplace, der die älteren Beob-
achtungen, beſonders die der Araber, mit denen der neueren Zeiten
ſorgfältig verglich und auf dieſe Vergleichung ſeine neue Analyſe
anwendete, fand, daß die Wahrſcheinlichkeit der Exiſtenz dieſer
Acceleration, wie ſie aus den Beobachtungen folgte, ſo groß ſey,
daß man mehrere Tauſende gegen Eins für das Daſeyn derſelben
wetten könnte. Durch dieſe Ueberzeugung bewogen, ging er die
ganze Theorie des Mondes noch einmal durch, und war endlich
auch ſo glücklich, die ſo lange vergebens geſuchte Urſache jener

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0446" n="434"/><fw place="top" type="header">Be&#x017F;chreibung und Gebrauch der a&#x017F;tronom. In&#x017F;trumente.</fw><lb/>
die&#x017F;er Be&#x017F;timmung folgt, daß man wieder Eins gegen Eins wetten<lb/>
kann, daß die wahre mittlere Entfernung der Sonne nicht kleiner<lb/>
als 20577649 und nicht größer als 20755943 Meilen i&#x017F;t. Wir<lb/>
&#x017F;ind demnach über die&#x017F;e Entfernung noch um 89147 Meilen oder<lb/>
um nahe 52 Erddurchme&#x017F;&#x017F;er ungewiß. Die&#x017F;e Ungewißheit beträgt<lb/>
den 233&#x017F;ten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde und<lb/>
&#x017F;cheint daher nicht eben &#x017F;ehr gering zu &#x017F;eyn. Allein wenn wir<lb/>
bedenken, daß wir die Entfernungen der mei&#x017F;ten großen Städte<lb/>
Europas kaum bis auf ihren 233&#x017F;ten Theil, und die der außer-<lb/>
europäi&#x017F;chen Städte noch lange nicht einmal &#x017F;o genau kennen, &#x017F;o<lb/>
wird uns dieß mit jener viel &#x017F;chwerer zu be&#x017F;timmenden Entfer-<lb/>
nung der Sonne durch un&#x017F;ere A&#x017F;tronomen wohl wieder auszu&#x017F;öhnen<lb/>
im Stande &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Eine andere Gelegenheit, den Nutzen die&#x017F;er neuen Analy&#x017F;is<lb/>
zu zeigen, gab die oben (<hi rendition="#aq">I.</hi> S. 330) erwähnte Acceleration der<lb/>
mittleren Bewegung des Mondes. Da bei allen Planeten die<lb/>
mittleren Axen ihrer Bahnen, al&#x017F;o auch, vermöge des eben &#x017F;o<lb/>
angeführten dritten Ge&#x017F;etzes Keplers, die mittleren Bewegungen<lb/>
die&#x017F;er Planeten vollkommen con&#x017F;tant und unveränderlich gefunden<lb/>
wurden, &#x017F;o war es auffallend, daß der Mond von die&#x017F;em allge-<lb/>
meinen Ge&#x017F;etze der Natur eine Ausnahme machen &#x017F;ollte. Indeß<lb/>
&#x017F;chienen die Beobachtungen die Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er Ausnahme über<lb/>
allen Zweifel zu erheben, und es handelte &#x017F;ich nun darum, durch<lb/>
die Theorie den Grund der&#x017F;elben zu finden. Allein die&#x017F;e Unter-<lb/>
&#x017F;uchung quälte die größten Geometer des vergangenen Jahrhun-<lb/>
derts durch eine lange Zeit. Lagrange, der darüber &#x017F;ehr viele<lb/>
und müh&#x017F;ame Rechnungen ange&#x017F;tellt hatte, gerieth endlich auf<lb/>
den Abweg, das Da&#x017F;eyn die&#x017F;er Acceleration als eine bloße Täu-<lb/>
&#x017F;chung ganz zu verwerfen. Allein Laplace, der die älteren Beob-<lb/>
achtungen, be&#x017F;onders die der Araber, mit denen der neueren Zeiten<lb/>
&#x017F;orgfältig verglich und auf die&#x017F;e Vergleichung &#x017F;eine neue Analy&#x017F;e<lb/>
anwendete, fand, daß die Wahr&#x017F;cheinlichkeit der Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er<lb/>
Acceleration, wie &#x017F;ie aus den Beobachtungen folgte, &#x017F;o groß &#x017F;ey,<lb/>
daß man mehrere Tau&#x017F;ende gegen Eins für das Da&#x017F;eyn der&#x017F;elben<lb/>
wetten könnte. Durch die&#x017F;e Ueberzeugung bewogen, ging er die<lb/>
ganze Theorie des Mondes noch einmal durch, und war endlich<lb/>
auch &#x017F;o glücklich, die &#x017F;o lange vergebens ge&#x017F;uchte Ur&#x017F;ache jener<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0446] Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente. dieſer Beſtimmung folgt, daß man wieder Eins gegen Eins wetten kann, daß die wahre mittlere Entfernung der Sonne nicht kleiner als 20577649 und nicht größer als 20755943 Meilen iſt. Wir ſind demnach über dieſe Entfernung noch um 89147 Meilen oder um nahe 52 Erddurchmeſſer ungewiß. Dieſe Ungewißheit beträgt den 233ſten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde und ſcheint daher nicht eben ſehr gering zu ſeyn. Allein wenn wir bedenken, daß wir die Entfernungen der meiſten großen Städte Europas kaum bis auf ihren 233ſten Theil, und die der außer- europäiſchen Städte noch lange nicht einmal ſo genau kennen, ſo wird uns dieß mit jener viel ſchwerer zu beſtimmenden Entfer- nung der Sonne durch unſere Aſtronomen wohl wieder auszuſöhnen im Stande ſeyn. Eine andere Gelegenheit, den Nutzen dieſer neuen Analyſis zu zeigen, gab die oben (I. S. 330) erwähnte Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes. Da bei allen Planeten die mittleren Axen ihrer Bahnen, alſo auch, vermöge des eben ſo angeführten dritten Geſetzes Keplers, die mittleren Bewegungen dieſer Planeten vollkommen conſtant und unveränderlich gefunden wurden, ſo war es auffallend, daß der Mond von dieſem allge- meinen Geſetze der Natur eine Ausnahme machen ſollte. Indeß ſchienen die Beobachtungen die Exiſtenz dieſer Ausnahme über allen Zweifel zu erheben, und es handelte ſich nun darum, durch die Theorie den Grund derſelben zu finden. Allein dieſe Unter- ſuchung quälte die größten Geometer des vergangenen Jahrhun- derts durch eine lange Zeit. Lagrange, der darüber ſehr viele und mühſame Rechnungen angeſtellt hatte, gerieth endlich auf den Abweg, das Daſeyn dieſer Acceleration als eine bloße Täu- ſchung ganz zu verwerfen. Allein Laplace, der die älteren Beob- achtungen, beſonders die der Araber, mit denen der neueren Zeiten ſorgfältig verglich und auf dieſe Vergleichung ſeine neue Analyſe anwendete, fand, daß die Wahrſcheinlichkeit der Exiſtenz dieſer Acceleration, wie ſie aus den Beobachtungen folgte, ſo groß ſey, daß man mehrere Tauſende gegen Eins für das Daſeyn derſelben wetten könnte. Durch dieſe Ueberzeugung bewogen, ging er die ganze Theorie des Mondes noch einmal durch, und war endlich auch ſo glücklich, die ſo lange vergebens geſuchte Urſache jener

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/446
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/446>, abgerufen am 01.11.2024.