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Lohenstein, Daniel Casper von: Agrippina. Breslau, 1665.

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Zuläßlich vom Altar bey ärgster Hungers-Noth:
225.Jch aber/ die ich doch der Brunn bin deines Lebens/
Bitt' umb die Nahrungs-Milch der Libe so vergebens.
Werd' also nur für Brunst erdürstende vergeh'n/
Wo tausend Kwällen doch beliebten Nectars steh'n.
Nero. Kan wol ein Mutter-Hertz empfinden solche
Schmertzen?
230.
Agrip. Jch libe dich mit mehr als. Mütterlichem Hertzen.
Jch nehme nun nicht mehr den Nahmen Mutter an/
Weil keine Mutter doch so hefftig liben kan.
Er zittert/ er erblaß't/ ihm beben alle Glieder/
Jtzt säuftz't/ itzt lächelt er; itzt komm't die Farbe wider!
235.Jch merck' es: Agrippin' ist allzu zaghaft noch.
Wo Worte Kraft-loß sind/ da fruchten Wercke doch.
Jch falle dir zu Fuß'/ ich küsse Knie und Hände.
Mein Kind/ erbarm dich doch/ und kühle Brunst und
Brände?
Wie? oder muß ich gar in Asche seyn verkehr't/
240.Jn dem dein Hertze Schnee/ dein Antlitz Feuer nehr't?
Schau/ wie der Seele Dampf in Thränen schon zerflüße?
Die Lippe schwitzet Oel und Balsam heisser Küsse!
Die rothe Flamme krön't der Brust geschwellte See;
Und Nerons Leib bleib't Eiß/ und Nerons Hertz' ist
Schnee?
245.Mein Licht/ komm lasse doch aus diesen Marmel-Brü-
sten/
So wie vor Milch/ itzt Oel zu säugen dich gelüsten:
Schmeck'/ ob hier nicht was mehr als Milch für Kinder
rinn't;
Weil diese Berge doch der Richt-paltz Jda sind/
Da Hoheit und Verstand von Schönheit wird besiget.
250Komm schmeck': ob man hier nicht mehr güldner Aepffel kri-
get/
Als wol Granaten sind. Der Garten einer Schooß
Jst schöner/ als wormit sich Hesperis macht groß.
Die Frucht/ die hier wird reif/ ist Himmel-Brod der Er-
den
Jst Nectar aller Welt.
Nero. Wer hier nicht lüstern werden/
Wer
D 4
Zulaͤßlich vom Altar bey aͤrgſter Hungers-Noth:
225.Jch aber/ die ich doch der Brunn bin deines Lebens/
Bitt’ umb die Nahrungs-Milch der Libe ſo vergebens.
Werd’ alſo nur fuͤr Brunſt erduͤrſtende vergeh’n/
Wo tauſend Kwaͤllen doch beliebten Nectars ſteh’n.
Nero. Kan wol ein Mutter-Hertz empfinden ſolche
Schmertzen?
230.
Agrip. Jch libe dich mit mehr als. Muͤtterlichem Hertzen.
Jch nehme nun nicht mehr den Nahmen Mutter an/
Weil keine Mutter doch ſo hefftig liben kan.
Er zittert/ er erblaß’t/ ihm beben alle Glieder/
Jtzt ſaͤuftz’t/ itzt laͤchelt er; itzt komm’t die Farbe wider!
235.Jch merck’ es: Agrippin’ iſt allzu zaghaft noch.
Wo Worte Kraft-loß ſind/ da fruchten Wercke doch.
Jch falle dir zu Fuß’/ ich kuͤſſe Knie und Haͤnde.
Mein Kind/ erbarm dich doch/ und kuͤhle Brunſt und
Braͤnde?
Wie? oder muß ich gar in Aſche ſeyn verkehr’t/
240.Jn dem dein Hertze Schnee/ dein Antlitz Feuer nehr’t?
Schau/ wie der Seele Dampf in Thraͤnen ſchon zerfluͤße?
Die Lippe ſchwitzet Oel und Balſam heiſſer Kuͤſſe!
Die rothe Flamme kroͤn’t der Bruſt geſchwellte See;
Und Nerons Leib bleib’t Eiß/ und Nerons Hertz’ iſt
Schnee?
245.Mein Licht/ komm laſſe doch aus dieſen Marmel-Bruͤ-
ſten/
So wie vor Milch/ itzt Oel zu ſaͤugen dich geluͤſten:
Schmeck’/ ob hier nicht was mehr als Milch fuͤr Kinder
rinn’t;
Weil dieſe Berge doch der Richt-paltz Jda ſind/
Da Hoheit und Verſtand von Schoͤnheit wird beſiget.
250Kom̃ ſchmeck’: ob man hier nicht mehr guͤldner Aepffel kri-
get/
Als wol Granaten ſind. Der Garten einer Schooß
Jſt ſchoͤner/ als wormit ſich Heſperis macht groß.
Die Frucht/ die hier wird reif/ iſt Himmel-Brod der Er-
den
Jſt Nectar aller Welt.
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Agrippina. Breslau, 1665, S. 55.. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_agrippina_1665/73>, abgerufen am 21.11.2024.