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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] den Bojen ein. Hertzog Critasir lebte daselbst
mit den Bojischen Ständen in höchstem Miß-
verständnüße; weil er seiner Gemahlin
Gangoza einer Fürstin der Lygier gleichsam
alle Gewalt eingeräumt/ und insonderheit alle
Ehren-Aempter zu verkauffen verstattet hatte.
Dahero waren sie weder durch den Ruff der sich
nähernden Gefahr/ noch durch ihres Für sten
bewegliche Erinnerung zur Gegenbereitung
zu bewegen; also: daß es einem geheimen Ver-
ständnüsse zwischen dem Könige Marbod und
den Bojen nicht unähnlich schien. Welche
Muthmassung dardurch mercklich bestärckt
war: daß Marbod einen der fürnehmsten Bo-
jen bey sich zum geheimen Rathe hatte/ welcher
deßwegen aus Critasirs Gebiete gewichen war;
weil der König ihn: daß er mit seiner Gemah-
lin Gangoza/ hingegen Gottschalck/ also hieß
dieser Ritter/ Critasirn beschuldigte: daß er mit
seiner Frauen allzu verträulich lebte; fürnehm-
lich aber: daß so bald Marbod über das Hercy-
nische Gebürge ohne den geringsten Wieder-
stand kam/ nicht nur etliche tausend von dem
hohen Adel unter gedrückte Ritters-Leute/ son-
dern auch viel der grösten Herren zum Mar-
bod ins Läger kamen/ und sich unter seine Kriegs-
Fahnen stellten. Ja der Bojen Zulauff mehr-
te sich derogestalt: daß sie an der Zahl stärcker/
als seine eigne Kriegs-Leute waren; und daher
er jene guten theils ausmustern/ und sie unter
allerhand Schein dort und darhin verbr auchen
muste. Alle feste Plätze brachten ihm die Schlüs-
sel entgegen; die Haupt-Stadt Boviasmum
wehrte sich allein acht/ und die Stadt Casur gis
fünff Tage. Hertzog Critasir selbst gieng ent-
weder aus Verdruß: daß ihn seine Untertha-
nen gantz hülfloß liessen/ oder weil er ohne diß
alt war/ und keinen Reichs-Erben/ ja wol gar
seine Herrschafft niederzulegen im Sinne hat-
te/ aus dem Lande in das dem Feldherrn Segi-
mer zustehende Gebiete der Quaden; und fahe
aus der Stadt Celemantia der Uberwindung
[Spaltenumbruch] seines Landes gleichsam ohne Empfindligkeit
des Gemüthes und ohne Rührung einiger
Hand zu. Also ist die Unempfindligkeit eines
Fürsten einem Reiche eben so schädlich/ als die
übermäßige Herrschenssucht. Denn wie diese
die Länder einäschert; also lässet sie jene durch
Erfrierung vergehen. Wie die Natur die Em-
pfindligkeit/ als ein Erhaltungs-Mittel/ allen
Thieren eingepflantzet hat; also eignet sie die
Staats-Klugheit den Fürsten ein. Denn wel-
chen nicht der Verlust seiner Unterthanen in
der innersten Seelen beist/ dessen Reiche fället
ein Glied nach dem andern/ als erfroren weg/
der kalte Brand aber frißt endlich biß zum Her-
tzen/ und reibet es gar auf. Welche Kranckheit
ins gemein in Wahl-Königreichen/ oder wo ein
Fürst nicht vererbt ist/ überhand nimmt. Denn
viel/ welche gleich nicht aus innerlicher Groß-
müthigkeit für ihre Länder wache wären/ wecket
die Kinder-Liebe auf: daß sie mit ihrem Erb-
theile auch für das Vaterland sorgen.

Marbod hingegen wol wissende: daß ge-
schwinder Einfälle gantze Krafft in der ersten
Hefftigkeit bestehe/ und daß die Spitzen/ welche
nicht durchgehen/ nur stumpff werden; schmie-
dete das Eisen weil es warm; und seiner Fein-
de Hertz kalt von Furcht war; ruhete Tag und
Nacht nicht/ sondern machte sich in wenigen
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Er selbst wuste sich in die Ubermaaß seines Glü-
ckes nicht zu finden; dessen Hefftigkeit nichts
minder den Verstand/ als allzugrosser Glantz
die Augen verbländet. Daher er denn in Befe-
stigung seiner Herrschafft nicht allenthalben sei-
ne gewohnte Klugheit fürkehrte; insonderheit
aber denen freymüthigen Bojen allzu scharffe
Gesetze aufbürdete; und durch Erbauung eines
starcken Schlosses zu Boviasmum und Casur-
gis entweder sein Mißtrauen zu ihnen/ oder sei-
ne Anstalt ihnen ein Gebieß anzulegen vermer-
cken ließ. Weil ihm einer seiner Kriegs-Ober-
sten rieth: Es sey sicherer einem die Hände bin-

den:

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] den Bojen ein. Hertzog Critaſir lebte daſelbſt
mit den Bojiſchen Staͤnden in hoͤchſtem Miß-
verſtaͤndnuͤße; weil er ſeiner Gemahlin
Gangoza einer Fuͤrſtin der Lygier gleichſam
alle Gewalt eingeraͤumt/ und inſonderheit alle
Ehren-Aempter zu verkauffen verſtattet hatte.
Dahero waren ſie weder durch den Ruff der ſich
naͤhernden Gefahr/ noch durch ihres Fuͤr ſten
bewegliche Erinnerung zur Gegenbereitung
zu bewegen; alſo: daß es einem geheimen Ver-
ſtaͤndnuͤſſe zwiſchen dem Koͤnige Marbod und
den Bojen nicht unaͤhnlich ſchien. Welche
Muthmaſſung dardurch mercklich beſtaͤrckt
war: daß Marbod einen der fuͤrnehmſten Bo-
jen bey ſich zum geheimen Rathe hatte/ welcher
deßwegen aus Critaſirs Gebiete gewichen war;
weil der Koͤnig ihn: daß er mit ſeiner Gemah-
lin Gangoza/ hingegen Gottſchalck/ alſo hieß
dieſer Ritter/ Critaſirn beſchuldigte: daß er mit
ſeiner Frauen allzu vertraͤulich lebte; fuͤrnehm-
lich aber: daß ſo bald Marbod uͤber das Hercy-
niſche Gebuͤrge ohne den geringſten Wieder-
ſtand kam/ nicht nur etliche tauſend von dem
hohen Adel unter gedruͤckte Ritters-Leute/ ſon-
dern auch viel der groͤſten Herren zum Mar-
bod ins Laͤgeꝛ kamen/ und ſich unter ſeine Kriegs-
Fahnen ſtellten. Ja der Bojen Zulauff mehr-
te ſich derogeſtalt: daß ſie an der Zahl ſtaͤrcker/
als ſeine eigne Kriegs-Leute waren; und daher
er jene guten theils ausmuſtern/ und ſie unter
allerhand Schein dort und darhin verbr auchen
muſte. Alle feſte Plaͤtze brachten ihm die Schluͤſ-
ſel entgegen; die Haupt-Stadt Boviaſmum
wehrte ſich allein acht/ und die Stadt Caſur gis
fuͤnff Tage. Hertzog Critaſir ſelbſt gieng ent-
weder aus Verdruß: daß ihn ſeine Untertha-
nen gantz huͤlfloß lieſſen/ oder weil er ohne diß
alt war/ und keinen Reichs-Erben/ ja wol gar
ſeine Herꝛſchafft niederzulegen im Sinne hat-
te/ aus dem Lande in das dem Feldherꝛn Segi-
mer zuſtehende Gebiete der Quaden; und fahe
aus der Stadt Celemantia der Uberwindung
[Spaltenumbruch] ſeines Landes gleichſam ohne Empfindligkeit
des Gemuͤthes und ohne Ruͤhrung einiger
Hand zu. Alſo iſt die Unempfindligkeit eines
Fuͤrſten einem Reiche eben ſo ſchaͤdlich/ als die
uͤbermaͤßige Herꝛſchensſucht. Denn wie dieſe
die Laͤnder einaͤſchert; alſo laͤſſet ſie jene durch
Erfrierung vergehen. Wie die Natur die Em-
pfindligkeit/ als ein Erhaltungs-Mittel/ allen
Thieren eingepflantzet hat; alſo eignet ſie die
Staats-Klugheit den Fuͤrſten ein. Denn wel-
chen nicht der Verluſt ſeiner Unterthanen in
der innerſten Seelen beiſt/ deſſen Reiche faͤllet
ein Glied nach dem andern/ als erfroren weg/
der kalte Brand aber frißt endlich biß zum Her-
tzen/ und reibet es gar auf. Welche Kranckheit
ins gemein in Wahl-Koͤnigreichen/ oder wo ein
Fuͤrſt nicht vererbt iſt/ uͤberhand nimmt. Denn
viel/ welche gleich nicht aus innerlicher Groß-
muͤthigkeit fuͤr ihre Laͤnder wache waͤren/ wecket
die Kinder-Liebe auf: daß ſie mit ihrem Erb-
theile auch fuͤr das Vaterland ſorgen.

Marbod hingegen wol wiſſende: daß ge-
ſchwinder Einfaͤlle gantze Krafft in der erſten
Hefftigkeit beſtehe/ und daß die Spitzen/ welche
nicht durchgehen/ nur ſtumpff werden; ſchmie-
dete das Eiſen weil es warm; und ſeiner Fein-
de Hertz kalt von Furcht war; ruhete Tag und
Nacht nicht/ ſondern machte ſich in wenigen
Wochen zum voͤkligen Meiſter uͤber die Bojen.
Er ſelbſt wuſte ſich in die Ubermaaß ſeines Gluͤ-
ckes nicht zu finden; deſſen Hefftigkeit nichts
minder den Verſtand/ als allzugroſſer Glantz
die Augen verblaͤndet. Daher er denn in Befe-
ſtigung ſeiner Herꝛſchafft nicht allenthalben ſei-
ne gewohnte Klugheit fuͤrkehrte; inſonderheit
aber denen freymuͤthigen Bojen allzu ſcharffe
Geſetze aufbuͤrdete; und durch Erbauung eines
ſtarcken Schloſſes zu Boviaſmum und Caſur-
gis entweder ſein Mißtrauen zu ihnen/ oder ſei-
ne Anſtalt ihnen ein Gebieß anzulegen vermer-
cken ließ. Weil ihm einer ſeiner Kriegs-Ober-
ſten rieth: Es ſey ſicherer einem die Haͤnde bin-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1092[1094]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1156>, abgerufen am 23.11.2024.