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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] aussuchte/ wie auch mit deme nahe darbey her-
raus spritzenden Quelle vergnügen musten;
wiewol der Hunger ihnen diese schlechten Ge-
richte derogestalt annehmlich würtzte: daß sie ih-
nen besser/ als der Uberfluß an der Königlichen
Taffel schmeckten. Ob nun gleich Marbod auf
den Morgen von Ariovisten Abschied zu neh-
men meinte/ in dem er durch der Marsinger
und Semnoner Gebiete/ keines Weges aber
durch das Land der aufftändigen Bojen zu sei-
nen Hermundurern zu kommen getraute; so
wolte doch Ariovist ihn und seine zwey Ritter in
diesem irrsamen Gebürge nicht verlassen; son-
dern sie biß unten an desselbten Fuß begleiten.
Er führte sie diesemnach über allerhand Berge/
durch viel anmuthige Thäler und Wälder; biß
die am Mittage brennende Sonne sie unter ei-
ner überhängenden Stein-Klippe bey einer
rauschenden Bach auszuruhen/ ihr Magen sich
aber mit der gewohnten Kost zu sättigen nö-
thigte. Weßwegen Ariovist an der Lähne et-
liche Kräuter ausrupffte; worüber er aber zur
Erde niedersanck; und deßhalben die andern
drey herzu sprangen seinen Unfall zu verneh-
men. Sie fanden ihn gantz erblast; sein Mund
konte mit genauer Noth kaum diese verbroche-
nen Worte ausdrücken: Jch sterbe um nun-
mehr recht zu leben. Wormit er denn verstum-
mete/ und in selbigem Augenblicke gleichsam
ohne einige Empfindung des Todes die Seele
ausbließ. Marbod und seine Geferthen em-
pfanden diesen unvermutheten Todesfall dieses
anmuthigen Fürsten so sehr: daß sie alle seine
Leiche mit bitteren Thränen netzten; insonder-
heit aber nicht ohne geringe Gemüths-Verän-
derung wahrnahmen: wie der den Ariovist stets
auf dem Fuße begleitende Bär/ nach dem er
seinen Herrn eine Weile beleckt/ und gleichsam/
ob er lebend oder verbliechen wäre/ erkundigt
hatte/ sich nahe darbey von dem Felsen in ein
tieffes Thal abstürtzte. Gleichwol aber mu-
sten alle bekennen: daß wie Ariovistens Leben
[Spaltenumbruch] ein Beyspiel allen Lebenden seyn; also kein
Mensch ein sanffteres Ableben wünschen kön-
te; Sintemahl jenem das Glücke nichts zu
nehmen; diesem aber der Tod seine ankleben-
de Bitterkeit anzustreichen nicht vermocht hät-
te. Sie beriethen sich hierauff mit einander
über seine Beerdigung; Marbod aber machte
den Schluß: daß dieser grosse und weise Fürst
verdient hätte/ neben Tuiscons Grab gestellet
zu werden. Weßwegen ihnen Lichtenstein und
Tannenberg nicht beschwerlich liessen fallen/
sich mit Ariovistens Leiche zu behürden/ und
solche dem vor- und zurück gehenden Marbod
gegen der verlassenen Höle nach zutragen. Sie
verlohren aber bald die Spur; und ob sie zwar
biß in dritten Tag selbte zu finden sich mit gros-
ser Beschwerligkeit bemühten/ war doch alles
vergebens; also: daß König Marbod endlich
seinen Vorsatz änderte/ und anfieng: Jch weiß
nicht: Ob das Verhängnüs dieser verlohrnen
Wunderhöle durch ein Gesetze/ wie die Grie-
chen das Eyland Delos/ als ihr allgemeines
und hochheiliges Vaterland/ und die glückli-
chen Araber eine andere Jnsel für Beerdigung
der Todten verwahret habe. Alleine/ nach
dem selbte gleichwol des Tuiscons Leiche ver-
trägt/ sehe ich wol: daß das Verhängnüs nicht
so wol Ariovisten das köstliche Grab mißgön-
net/ als unsere Augen verblendet; weil es uns
nicht allerdinges zutrauet: daß wir künfftig rei-
ne Hände von diesen verborgenen Schätzen
behalten dörfften; nach dem vielleicht einer o-
der ander unter uns schon ein Theil seines Her-
tzens in der Höle zurück gelassen hat; und wir
selbtes vielleicht gar mit Ariovistens Leibe dar-
ein vergraben dörfften/ nach dem uns mit ihm
ein so heilsamer Lehrmeister entfallen ist. Die-
semnach machte er in einem Kräuter-reichen
Thale/ unter einem dreygrieffichten Ahorn-
Baume durch seinen Degen mit Ausgra-
bung der Erde den Anfang ein Grab
zu scharren; welches denn noch selbigen

Tag
Erster Theil. C c c c c c c

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ausſuchte/ wie auch mit deme nahe darbey her-
raus ſpritzenden Quelle vergnuͤgen muſten;
wiewol der Hunger ihnen dieſe ſchlechten Ge-
richte derogeſtalt annehmlich wuͤrtzte: daß ſie ih-
nen beſſer/ als der Uberfluß an der Koͤniglichen
Taffel ſchmeckten. Ob nun gleich Marbod auf
den Morgen von Arioviſten Abſchied zu neh-
men meinte/ in dem er durch der Marſinger
und Semnoner Gebiete/ keines Weges aber
durch das Land der aufftaͤndigen Bojen zu ſei-
nen Hermundurern zu kommen getraute; ſo
wolte doch Arioviſt ihn und ſeine zwey Ritter in
dieſem irrſamen Gebuͤrge nicht verlaſſen; ſon-
dern ſie biß unten an deſſelbten Fuß begleiten.
Er fuͤhrte ſie dieſemnach uͤber allerhand Berge/
durch viel anmuthige Thaͤler und Waͤlder; biß
die am Mittage brennende Sonne ſie unter ei-
ner uͤberhaͤngenden Stein-Klippe bey einer
rauſchenden Bach auszuruhen/ ihr Magen ſich
aber mit der gewohnten Koſt zu ſaͤttigen noͤ-
thigte. Weßwegen Arioviſt an der Laͤhne et-
liche Kraͤuter ausrupffte; woruͤber er aber zur
Erde niederſanck; und deßhalben die andern
drey herzu ſprangen ſeinen Unfall zu verneh-
men. Sie fanden ihn gantz erblaſt; ſein Mund
konte mit genauer Noth kaum dieſe verbroche-
nen Worte ausdruͤcken: Jch ſterbe um nun-
mehr recht zu leben. Wormit er denn verſtum-
mete/ und in ſelbigem Augenblicke gleichſam
ohne einige Empfindung des Todes die Seele
ausbließ. Marbod und ſeine Geferthen em-
pfanden dieſen unvermutheten Todesfall dieſes
anmuthigen Fuͤrſten ſo ſehr: daß ſie alle ſeine
Leiche mit bitteren Thraͤnen netzten; inſonder-
heit aber nicht ohne geringe Gemuͤths-Veraͤn-
derung wahrnahmen: wie der den Arioviſt ſtets
auf dem Fuße begleitende Baͤr/ nach dem er
ſeinen Herrn eine Weile beleckt/ und gleichſam/
ob er lebend oder verbliechen waͤre/ erkundigt
hatte/ ſich nahe darbey von dem Felſen in ein
tieffes Thal abſtuͤrtzte. Gleichwol aber mu-
ſten alle bekennen: daß wie Arioviſtens Leben
[Spaltenumbruch] ein Beyſpiel allen Lebenden ſeyn; alſo kein
Menſch ein ſanffteres Ableben wuͤnſchen koͤn-
te; Sintemahl jenem das Gluͤcke nichts zu
nehmen; dieſem aber der Tod ſeine ankleben-
de Bitterkeit anzuſtreichen nicht vermocht haͤt-
te. Sie beriethen ſich hierauff mit einander
uͤber ſeine Beerdigung; Marbod aber machte
den Schluß: daß dieſer groſſe und weiſe Fuͤrſt
verdient haͤtte/ neben Tuiſcons Grab geſtellet
zu werden. Weßwegen ihnen Lichtenſtein und
Tannenberg nicht beſchwerlich lieſſen fallen/
ſich mit Arioviſtens Leiche zu behuͤrden/ und
ſolche dem vor- und zuruͤck gehenden Marbod
gegen der verlaſſenen Hoͤle nach zutragen. Sie
verlohren aber bald die Spur; und ob ſie zwar
biß in dritten Tag ſelbte zu finden ſich mit groſ-
ſer Beſchwerligkeit bemuͤhten/ war doch alles
vergebens; alſo: daß Koͤnig Marbod endlich
ſeinen Vorſatz aͤnderte/ und anfieng: Jch weiß
nicht: Ob das Verhaͤngnuͤs dieſer verlohrnen
Wunderhoͤle durch ein Geſetze/ wie die Grie-
chen das Eyland Delos/ als ihr allgemeines
und hochheiliges Vaterland/ und die gluͤckli-
chen Araber eine andere Jnſel fuͤr Beerdigung
der Todten verwahret habe. Alleine/ nach
dem ſelbte gleichwol des Tuiſcons Leiche ver-
traͤgt/ ſehe ich wol: daß das Verhaͤngnuͤs nicht
ſo wol Arioviſten das koͤſtliche Grab mißgoͤn-
net/ als unſere Augen verblendet; weil es uns
nicht allerdinges zutrauet: daß wir kuͤnfftig rei-
ne Haͤnde von dieſen verborgenen Schaͤtzen
behalten doͤrfften; nach dem vielleicht einer o-
der ander unter uns ſchon ein Theil ſeines Her-
tzens in der Hoͤle zuruͤck gelaſſen hat; und wir
ſelbtes vielleicht gar mit Arioviſtens Leibe dar-
ein vergraben doͤrfften/ nach dem uns mit ihm
ein ſo heilſamer Lehrmeiſter entfallen iſt. Die-
ſemnach machte er in einem Kraͤuter-reichen
Thale/ unter einem dreygrieffichten Ahorn-
Baume durch ſeinen Degen mit Ausgra-
bung der Erde den Anfang ein Grab
zu ſcharren; welches denn noch ſelbigen

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Erſter Theil. C c c c c c c
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[1121[1123]/1185] Arminius und Thußnelda. ausſuchte/ wie auch mit deme nahe darbey her- raus ſpritzenden Quelle vergnuͤgen muſten; wiewol der Hunger ihnen dieſe ſchlechten Ge- richte derogeſtalt annehmlich wuͤrtzte: daß ſie ih- nen beſſer/ als der Uberfluß an der Koͤniglichen Taffel ſchmeckten. Ob nun gleich Marbod auf den Morgen von Arioviſten Abſchied zu neh- men meinte/ in dem er durch der Marſinger und Semnoner Gebiete/ keines Weges aber durch das Land der aufftaͤndigen Bojen zu ſei- nen Hermundurern zu kommen getraute; ſo wolte doch Arioviſt ihn und ſeine zwey Ritter in dieſem irrſamen Gebuͤrge nicht verlaſſen; ſon- dern ſie biß unten an deſſelbten Fuß begleiten. Er fuͤhrte ſie dieſemnach uͤber allerhand Berge/ durch viel anmuthige Thaͤler und Waͤlder; biß die am Mittage brennende Sonne ſie unter ei- ner uͤberhaͤngenden Stein-Klippe bey einer rauſchenden Bach auszuruhen/ ihr Magen ſich aber mit der gewohnten Koſt zu ſaͤttigen noͤ- thigte. Weßwegen Arioviſt an der Laͤhne et- liche Kraͤuter ausrupffte; woruͤber er aber zur Erde niederſanck; und deßhalben die andern drey herzu ſprangen ſeinen Unfall zu verneh- men. Sie fanden ihn gantz erblaſt; ſein Mund konte mit genauer Noth kaum dieſe verbroche- nen Worte ausdruͤcken: Jch ſterbe um nun- mehr recht zu leben. Wormit er denn verſtum- mete/ und in ſelbigem Augenblicke gleichſam ohne einige Empfindung des Todes die Seele ausbließ. Marbod und ſeine Geferthen em- pfanden dieſen unvermutheten Todesfall dieſes anmuthigen Fuͤrſten ſo ſehr: daß ſie alle ſeine Leiche mit bitteren Thraͤnen netzten; inſonder- heit aber nicht ohne geringe Gemuͤths-Veraͤn- derung wahrnahmen: wie der den Arioviſt ſtets auf dem Fuße begleitende Baͤr/ nach dem er ſeinen Herrn eine Weile beleckt/ und gleichſam/ ob er lebend oder verbliechen waͤre/ erkundigt hatte/ ſich nahe darbey von dem Felſen in ein tieffes Thal abſtuͤrtzte. Gleichwol aber mu- ſten alle bekennen: daß wie Arioviſtens Leben ein Beyſpiel allen Lebenden ſeyn; alſo kein Menſch ein ſanffteres Ableben wuͤnſchen koͤn- te; Sintemahl jenem das Gluͤcke nichts zu nehmen; dieſem aber der Tod ſeine ankleben- de Bitterkeit anzuſtreichen nicht vermocht haͤt- te. Sie beriethen ſich hierauff mit einander uͤber ſeine Beerdigung; Marbod aber machte den Schluß: daß dieſer groſſe und weiſe Fuͤrſt verdient haͤtte/ neben Tuiſcons Grab geſtellet zu werden. Weßwegen ihnen Lichtenſtein und Tannenberg nicht beſchwerlich lieſſen fallen/ ſich mit Arioviſtens Leiche zu behuͤrden/ und ſolche dem vor- und zuruͤck gehenden Marbod gegen der verlaſſenen Hoͤle nach zutragen. Sie verlohren aber bald die Spur; und ob ſie zwar biß in dritten Tag ſelbte zu finden ſich mit groſ- ſer Beſchwerligkeit bemuͤhten/ war doch alles vergebens; alſo: daß Koͤnig Marbod endlich ſeinen Vorſatz aͤnderte/ und anfieng: Jch weiß nicht: Ob das Verhaͤngnuͤs dieſer verlohrnen Wunderhoͤle durch ein Geſetze/ wie die Grie- chen das Eyland Delos/ als ihr allgemeines und hochheiliges Vaterland/ und die gluͤckli- chen Araber eine andere Jnſel fuͤr Beerdigung der Todten verwahret habe. Alleine/ nach dem ſelbte gleichwol des Tuiſcons Leiche ver- traͤgt/ ſehe ich wol: daß das Verhaͤngnuͤs nicht ſo wol Arioviſten das koͤſtliche Grab mißgoͤn- net/ als unſere Augen verblendet; weil es uns nicht allerdinges zutrauet: daß wir kuͤnfftig rei- ne Haͤnde von dieſen verborgenen Schaͤtzen behalten doͤrfften; nach dem vielleicht einer o- der ander unter uns ſchon ein Theil ſeines Her- tzens in der Hoͤle zuruͤck gelaſſen hat; und wir ſelbtes vielleicht gar mit Arioviſtens Leibe dar- ein vergraben doͤrfften/ nach dem uns mit ihm ein ſo heilſamer Lehrmeiſter entfallen iſt. Die- ſemnach machte er in einem Kraͤuter-reichen Thale/ unter einem dreygrieffichten Ahorn- Baume durch ſeinen Degen mit Ausgra- bung der Erde den Anfang ein Grab zu ſcharren; welches denn noch ſelbigen Tag Erſter Theil. C c c c c c c

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1121[1123]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1185>, abgerufen am 23.11.2024.