Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Siebendes Buch [Spaltenumbruch]
Gemüther; welche erstere sich mehr des Vol-ckes/ als Völcker sich ihrer Eigenschafften an- gewöhnen; welche die Laster nachdrücklicher ver- bieten/ als unbarmhertzig straffen/ durch keine Neuerung schädliche Enderung einführen/ und denen Vorfahren mehr Klugheit als ihnen selbst zutrauen; die letzteren aber ihre Anstalten nichts minder durch einen zu hefftigen Anfang/ als durch unachtsamen Verfolg verterben/ ja durch allzugenaues Ausecken und Schärffe den Zu- stand eines Reiches nur schärticht machen/ und mit unzeitigen Mitteln die Kranck heiten mehr rege machen/ als ihnen abhelffen; in dem ein Staats-kluger zwar alles ergründen/ nicht a- ber alles ausüben soll. Er theilte zwar seine Landes-Leute die Marckmänner durch alle an- dere eroberten Länder aus/ und eignete ihnen die Aempter/ welche mehr Nachdruck als Anse- hens haben/ zu; aber sie musten vorher sich in derselbigen Länder fürnehmsten Adel verheyra- then; und derogestalt ihnen ehe die Gewogen- heit/ als die Einheimschafft der Völcker zu we- ge bringen. Er ließ alleine das von den Bojen eroberte Land der Marckmänner mit Wein- stöcken und andern fruchtbaren Bäumen er- bauen/ gab auch nur denen Marckmännern die Freyheit Handlung zu treiben mit Auslän- dern; wormit die andern Länder gleichsam an die Marckmänner unvermeidlich verknüpfft würden; und so wenig ihrer Handels-Leute/ als Gewächse entbähren könten. Er machte mit denen kleinern Nachbarn/ welche theils von Römern/ theils Sarmatern/ theils Catten be- sorgten verschlungen zu werden; hingegen ihre Obnmacht keinen Schatten einiger Gefahr ü- ber ihn fallen ließ/ zu ihrem Vortheil feste Bündnüße; hingegen ließ er die ihm wegen er- ster Macht/ und von etlichen hundert Jahren angewohnter Herrschafft verdächtige Cherusker mit Fleiß unter der Römischen Presse schmach- ten. Er baute zwar wenig/ aber überaus star- cke Festungen/ besonders an Flüsse und Grän- [Spaltenumbruch] tzen/ und neben grosse Städte; wormit er sich so wol der Unterthanen/ als wieder die Feinde versicherte/ auch diesen bey feindlichem Einfall eine nahe Sicherheit verschaffte; und gleichwol die Länder nicht mit übermäßiger Verpfle- gungs-Last ungedultig machen dorffte. Jn- sonderheit aber legte er dem Adel der überwun- denen Völcker unter dem Scheine einer gros- sen Wolthat einen unvermerckten Kapzaum an; in dem er selbten niemahls zu Feldzügen aufbot; sondern bey freygelassener Pflegung der Wirthschafften die Ubung der Waffen ver ges- sen ließ; und ausser der Marckmännischen Rit- ters-Leute sich nur des geworbenen Kriegsvol- ckes bediente. Wiewol Marbod selbst dem Eu- bagischen Gottesdienste beypflichtete; und den- selbten in Schwung zu bringen durch öffentli- cher Lehre scharffsinniger und tugendhaffter Priester/ wie auch durch Beförderung seiner Glaubens genossen zu Würden und Aemptern sich eusserst bemühte; so ließ er selbten doch nie- mand mit Gewalt auffnöthigen; weil es ihm nicht nur eine Grausamkeit schien einem ein Be- käntnüs des Mundes aufdringen/ welchem das Hertze wiederspricht/ und sein Urtheil als thö- richt alsofort verdammen; welches ihm von de- nen/ die ihn am meisten geliebt/ nehmlich den Eltern von Kind auf eingepflantzt/ und also von denen/ welche durch Verfolgung/ Raub/ Ge- fängnüs und Marter ihren Haß gegen ihn an Tag geben/ ihm aus dem Gemüthe zu reissen unvernünfftig und unmöglich ist/ sondern be- schirmte sie auch wieder unzeitiger Eyverer Be- drängungen; nach dem er diese einmahl als Un- terthanen angenommen; kein Mensch aber/ der aus der natürlichen Freyheit sich ir gendswo in bürgerlichen Stand begiebt/ zugleich sein Recht aufgiebt etwas nicht zu glauben; was ihm der Warheit nicht ähnlich zu seyn scheinet. Ja er ließ den Barden und Druyden den öffentlichen Gottesdienst/ wiewol mit diesen Umschrän- ckungen zu: daß sie nicht den Eubagischen lä- stern
Siebendes Buch [Spaltenumbruch]
Gemuͤther; welche erſtere ſich mehr des Vol-ckes/ als Voͤlcker ſich ihrer Eigenſchafften an- gewoͤhnen; welche die Laſteꝛ nachdruͤcklicheꝛ ver- bieten/ als unbarmhertzig ſtraffen/ durch keine Neuerung ſchaͤdliche Enderung einfuͤhren/ und denen Vorfahren mehr Klugheit als ihnen ſelbſt zutrauen; die letzteren aber ihre Anſtalten nichts minder durch einen zu hefftigen Anfang/ als durch unachtſamen Verfolg verterben/ ja durch allzugenaues Ausecken und Schaͤrffe den Zu- ſtand eines Reiches nur ſchaͤrticht machen/ und mit unzeitigen Mitteln die Kranck heiten mehr rege machen/ als ihnen abhelffen; in dem ein Staats-kluger zwar alles ergruͤnden/ nicht a- ber alles ausuͤben ſoll. Er theilte zwar ſeine Landes-Leute die Marckmaͤnner durch alle an- dere eroberten Laͤnder aus/ und eignete ihnen die Aempter/ welche mehr Nachdruck als Anſe- hens haben/ zu; aber ſie muſten vorher ſich in derſelbigen Laͤnder fuͤrnehmſten Adel verheyra- then; und derogeſtalt ihnen ehe die Gewogen- heit/ als die Einheimſchafft der Voͤlcker zu we- ge bringen. Er ließ alleine das von den Bojen eroberte Land der Marckmaͤnner mit Wein- ſtoͤcken und andern fruchtbaren Baͤumen er- bauen/ gab auch nur denen Marckmaͤnnern die Freyheit Handlung zu treiben mit Auslaͤn- dern; wormit die andern Laͤnder gleichſam an die Marckmaͤnner unvermeidlich verknuͤpfft wuͤrden; und ſo wenig ihrer Handels-Leute/ als Gewaͤchſe entbaͤhren koͤnten. Er machte mit denen kleinern Nachbarn/ welche theils von Roͤmern/ theils Sarmatern/ theils Catten be- ſorgten verſchlungen zu werden; hingegen ihre Obnmacht keinen Schatten einiger Gefahr uͤ- ber ihn fallen ließ/ zu ihrem Vortheil feſte Buͤndnuͤße; hingegen ließ er die ihm wegen er- ſter Macht/ und von etlichen hundert Jahren angewohnter Herꝛſchafft verdaͤchtige Cherusker mit Fleiß unter der Roͤmiſchen Preſſe ſchmach- ten. Er baute zwar wenig/ aber uͤberaus ſtar- cke Feſtungen/ beſonders an Fluͤſſe und Graͤn- [Spaltenumbruch] tzen/ und neben groſſe Staͤdte; wormit er ſich ſo wol der Unterthanen/ als wieder die Feinde verſicherte/ auch dieſen bey feindlichem Einfall eine nahe Sicherheit verſchaffte; und gleichwol die Laͤnder nicht mit uͤbermaͤßiger Verpfle- gungs-Laſt ungedultig machen dorffte. Jn- ſonderheit aber legte er dem Adel der uͤberwun- denen Voͤlcker unter dem Scheine einer groſ- ſen Wolthat einen unvermerckten Kapzaum an; in dem er ſelbten niemahls zu Feldzuͤgen aufbot; ſondern bey freygelaſſener Pflegung der Wirthſchafften die Ubung der Waffen ver geſ- ſen ließ; und auſſer der Marckmaͤnniſchen Rit- ters-Leute ſich nur des geworbenen Kriegsvol- ckes bediente. Wiewol Marbod ſelbſt dem Eu- bagiſchen Gottesdienſte beypflichtete; und den- ſelbten in Schwung zu bringen durch oͤffentli- cher Lehre ſcharffſinniger und tugendhaffter Prieſter/ wie auch durch Befoͤrderung ſeiner Glaubens genoſſen zu Wuͤrden und Aemptern ſich euſſerſt bemuͤhte; ſo ließ er ſelbten doch nie- mand mit Gewalt auffnoͤthigen; weil es ihm nicht nuꝛ eine Gꝛauſamkeit ſchien einem ein Be- kaͤntnuͤs des Mundes aufdringen/ welchem das Hertze wiederſpricht/ und ſein Urtheil als thoͤ- richt alſofort verdammen; welches ihm von de- nen/ die ihn am meiſten geliebt/ nehmlich den Eltern von Kind auf eingepflantzt/ und alſo von denen/ welche durch Verfolgung/ Raub/ Ge- faͤngnuͤs und Marter ihren Haß gegen ihn an Tag geben/ ihm aus dem Gemuͤthe zu reiſſen unvernuͤnfftig und unmoͤglich iſt/ ſondern be- ſchirmte ſie auch wieder unzeitiger Eyverer Be- draͤngungen; nach dem er dieſe einmahl als Un- terthanen angenom̃en; kein Menſch aber/ der aus der natuͤrlichen Freyheit ſich ir gendswo in buͤrgerlichen Stand begiebt/ zugleich ſein Recht aufgiebt etwas nicht zu glauben; was ihm der Warheit nicht aͤhnlich zu ſeyn ſcheinet. Ja er ließ den Barden und Druyden den oͤffentlichen Gottesdienſt/ wiewol mit dieſen Umſchraͤn- ckungen zu: daß ſie nicht den Eubagiſchen laͤ- ſtern
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Siebendes Buch
Gemuͤther; welche erſtere ſich mehr des Vol-
ckes/ als Voͤlcker ſich ihrer Eigenſchafften an-
gewoͤhnen; welche die Laſteꝛ nachdruͤcklicheꝛ ver-
bieten/ als unbarmhertzig ſtraffen/ durch keine
Neuerung ſchaͤdliche Enderung einfuͤhren/ und
denen Vorfahren mehr Klugheit als ihnen ſelbſt
zutrauen; die letzteren aber ihre Anſtalten nichts
minder durch einen zu hefftigen Anfang/ als
durch unachtſamen Verfolg verterben/ ja durch
allzugenaues Ausecken und Schaͤrffe den Zu-
ſtand eines Reiches nur ſchaͤrticht machen/ und
mit unzeitigen Mitteln die Kranck heiten mehr
rege machen/ als ihnen abhelffen; in dem ein
Staats-kluger zwar alles ergruͤnden/ nicht a-
ber alles ausuͤben ſoll. Er theilte zwar ſeine
Landes-Leute die Marckmaͤnner durch alle an-
dere eroberten Laͤnder aus/ und eignete ihnen
die Aempter/ welche mehr Nachdruck als Anſe-
hens haben/ zu; aber ſie muſten vorher ſich in
derſelbigen Laͤnder fuͤrnehmſten Adel verheyra-
then; und derogeſtalt ihnen ehe die Gewogen-
heit/ als die Einheimſchafft der Voͤlcker zu we-
ge bringen. Er ließ alleine das von den Bojen
eroberte Land der Marckmaͤnner mit Wein-
ſtoͤcken und andern fruchtbaren Baͤumen er-
bauen/ gab auch nur denen Marckmaͤnnern die
Freyheit Handlung zu treiben mit Auslaͤn-
dern; wormit die andern Laͤnder gleichſam an
die Marckmaͤnner unvermeidlich verknuͤpfft
wuͤrden; und ſo wenig ihrer Handels-Leute/ als
Gewaͤchſe entbaͤhren koͤnten. Er machte mit
denen kleinern Nachbarn/ welche theils von
Roͤmern/ theils Sarmatern/ theils Catten be-
ſorgten verſchlungen zu werden; hingegen ihre
Obnmacht keinen Schatten einiger Gefahr uͤ-
ber ihn fallen ließ/ zu ihrem Vortheil feſte
Buͤndnuͤße; hingegen ließ er die ihm wegen er-
ſter Macht/ und von etlichen hundert Jahren
angewohnter Herꝛſchafft verdaͤchtige Cherusker
mit Fleiß unter der Roͤmiſchen Preſſe ſchmach-
ten. Er baute zwar wenig/ aber uͤberaus ſtar-
cke Feſtungen/ beſonders an Fluͤſſe und Graͤn-
tzen/ und neben groſſe Staͤdte; wormit er ſich
ſo wol der Unterthanen/ als wieder die Feinde
verſicherte/ auch dieſen bey feindlichem Einfall
eine nahe Sicherheit verſchaffte; und gleichwol
die Laͤnder nicht mit uͤbermaͤßiger Verpfle-
gungs-Laſt ungedultig machen dorffte. Jn-
ſonderheit aber legte er dem Adel der uͤberwun-
denen Voͤlcker unter dem Scheine einer groſ-
ſen Wolthat einen unvermerckten Kapzaum
an; in dem er ſelbten niemahls zu Feldzuͤgen
aufbot; ſondern bey freygelaſſener Pflegung der
Wirthſchafften die Ubung der Waffen ver geſ-
ſen ließ; und auſſer der Marckmaͤnniſchen Rit-
ters-Leute ſich nur des geworbenen Kriegsvol-
ckes bediente. Wiewol Marbod ſelbſt dem Eu-
bagiſchen Gottesdienſte beypflichtete; und den-
ſelbten in Schwung zu bringen durch oͤffentli-
cher Lehre ſcharffſinniger und tugendhaffter
Prieſter/ wie auch durch Befoͤrderung ſeiner
Glaubens genoſſen zu Wuͤrden und Aemptern
ſich euſſerſt bemuͤhte; ſo ließ er ſelbten doch nie-
mand mit Gewalt auffnoͤthigen; weil es ihm
nicht nuꝛ eine Gꝛauſamkeit ſchien einem ein Be-
kaͤntnuͤs des Mundes aufdringen/ welchem das
Hertze wiederſpricht/ und ſein Urtheil als thoͤ-
richt alſofort verdammen; welches ihm von de-
nen/ die ihn am meiſten geliebt/ nehmlich den
Eltern von Kind auf eingepflantzt/ und alſo von
denen/ welche durch Verfolgung/ Raub/ Ge-
faͤngnuͤs und Marter ihren Haß gegen ihn an
Tag geben/ ihm aus dem Gemuͤthe zu reiſſen
unvernuͤnfftig und unmoͤglich iſt/ ſondern be-
ſchirmte ſie auch wieder unzeitiger Eyverer Be-
draͤngungen; nach dem er dieſe einmahl als Un-
terthanen angenom̃en; kein Menſch aber/ der
aus der natuͤrlichen Freyheit ſich ir gendswo in
buͤrgerlichen Stand begiebt/ zugleich ſein Recht
aufgiebt etwas nicht zu glauben; was ihm der
Warheit nicht aͤhnlich zu ſeyn ſcheinet. Ja er
ließ den Barden und Druyden den oͤffentlichen
Gottesdienſt/ wiewol mit dieſen Umſchraͤn-
ckungen zu: daß ſie nicht den Eubagiſchen laͤ-
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