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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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[Spaltenumbruch] Gleich als wenn nichts minder die Schwächern
die Mächtigern/ als die Tauben die Geyer zu
beleidigen/ nicht aber insgemein diese sich an jene
zu reiben pflegten. Uberdis schrieben sie ihre
Fehler und Niederlagen mit so fahler Dinte
auff/ welche niemand lesen könte; oder schämten
sich wol gar nicht ihren Verlust mit Siegs-Ge-
prängen zu verdecken. Weßwegen er nicht
zweifelte/ daß sie die Niederlage des Varus eben
so wol verkleinern würden/ als sie des Lollius ver-
tuscht hätten. Alle hörten den eifrigen Mar-
comir geduldig an/ weil sie entweder den Römern
selbst nicht gar hold waren/ oder eines Gefange-
nen Schuldigkeit zu seyn hielten/ etwas zu ver-
hören. Zeno aber nahm endlich das Wort von
ihm/ und sagte: Er wolte weder in einem noch
dem andern das Wort reden. Alleine Laster wür-
den so lange gefunden werden/ als Menschen.
Gute und Böse wären unter allen Völckern/
wie weisse Leute und schwartze Mohren in der
Welt. Die Römer wären von allzu grossem
Glücke verblendet worden/ bey welchem die
klügsten Leute wie die hellesten Augen von der
Sonnen Straalen ihr Gesichte einbüßten.
Bey anwachsender Gewalt schiene/ was vor-
träglich/ auch recht zu seyn/ und das Gelücke
machte auch die sittsamsten kühn/ das zu thun/
was man bey niedrigerm Zustande verdamme-
te. Unterdessen wäre das durch das Glücke
verderbete Urtheil doch nicht so kräftig/ daß man
den Lastern nicht ihre Heßligkeit ansehen/ und
sich seine eigene Fehler zu rühmen überreden las-
sen solte. Die Eigenliebe hätte in der einen Hand
einen Schwamm/ damit sie fort für fort sich zu sau-
bern bemühet wäre; in der andern aber Kohlen/
um andere damit zu schwärtzen; gleich als wenn
frembde Besudelung unsern Brandmahlen/ wie
die finstere Nacht den Sternen einen Glantz zu
geben vermöchte. Bey welcher Bewandnüß
man ihm von den Römern nicht frembde zu ma-
chen hätte/ daß sie lieber anderer/ als ihre eigene
Ankläger seyn/ auch ihre eigene Unglücke lieber
[Spaltenumbruch] verhüllen/ als durch derselben Eröfnung wie
die Wunden durch Abreissung der Pflaster ver-
ärgern wollen. Ausser dem würden alle merck-
würdige Geschichte insgemein ungleich und
durch Ferne-Gläser angesehen/ welche von for-
nen die Sachen vergrössern/ von hinten zu aber
verkleinern. Ja es wäre eine unabtrennliche
Eigenschafft der Erzehlungen/ daß selbte mit der
Entfernung nicht anders/ als die von einem
Gebürge abkugelnden Schneeballen ohne ihre
Schuld wüchsen. Denn wenn schon Haß oder
Gunst sich nicht mit auff die Wag-Schale leg-
ten/ so hätte doch Glück und Jrrthum mit die
Hand im Spiele/ und strichen dem Wesen einen
falschen Firnß an. Auch diß/ was an sich selbst
groß genung wäre/ behielte sein Maaß nicht/
sondern der Nahme überwiege die eigene
Schwerde. Der grosse Alexander hätte selbst
gestanden: Man redete mehr von ihm als wahr
wäre. So haben die Deutschen hingegen von ih-
nen zu rühmen/ fing Malovend an/ daß sie mehr
thun/ als man von ihnen saget. Rhemetalces
lächelte/ mit Beysetzung dieser Worte: Wir ha-
ben es leider/ und du zwar an deinen eigenen
Landsleuten wol erfahren. Aber/ Malovend/
so viel aus deinen Worten verlautet/ bistu dei-
nem Vaterlande nicht gram/ was hat dich denn
bewogen dich auff der Römer Seite zu schlagen?
Malovend zoch die Achseln ein und seuffzete.
Sie hätten ihm auch ferner angelegen die Ursa-
che zu eröffnen; es brachten aber die Jäger gleich
vier grosse hauende Schweine gejagt/ welches ihr
Gespräche unterbrach/ und sie nach ihren Waf-
fen zu greiffen nöthigte. Zeno warff das förder-
ste mit einem Wurffspiesse/ alleine es lieff mit
selbtem gleichsam ohne einige Empfindligkeit
der Wunden hinweg/ so bald es sein Wasser gelas-
sen hatte. Denn ausser dem können sie nicht starck
lauffen. Rhemetalces schoß etliche Pfeile auff
das andere/ sie vermochten aber nicht einst durch-
zudringen. Malovend aber sprang nach seiner
Landes-Art eilfertig vom Pferde/ ließ ihm den

nech-

Anderes Buch
[Spaltenumbruch] Gleich als wenn nichts minder die Schwaͤchern
die Maͤchtigern/ als die Tauben die Geyer zu
beleidigen/ nicht aber insgemein dieſe ſich an jene
zu reiben pflegten. Uberdis ſchrieben ſie ihre
Fehler und Niederlagen mit ſo fahler Dinte
auff/ welche niemand leſen koͤnte; oder ſchaͤmten
ſich wol gar nicht ihren Verluſt mit Siegs-Ge-
praͤngen zu verdecken. Weßwegen er nicht
zweifelte/ daß ſie die Niederlage des Varus eben
ſo wol verkleinern wuͤrden/ als ſie des Lollius ver-
tuſcht haͤtten. Alle hoͤrten den eifrigen Mar-
comir geduldig an/ weil ſie entweder den Roͤmern
ſelbſt nicht gar hold waren/ oder eines Gefange-
nen Schuldigkeit zu ſeyn hielten/ etwas zu ver-
hoͤren. Zeno aber nahm endlich das Wort von
ihm/ und ſagte: Er wolte weder in einem noch
dem andern das Wort reden. Alleine Laſter wuͤr-
den ſo lange gefunden werden/ als Menſchen.
Gute und Boͤſe waͤren unter allen Voͤlckern/
wie weiſſe Leute und ſchwartze Mohren in der
Welt. Die Roͤmer waͤren von allzu groſſem
Gluͤcke verblendet worden/ bey welchem die
kluͤgſten Leute wie die helleſten Augen von der
Sonnen Straalen ihr Geſichte einbuͤßten.
Bey anwachſender Gewalt ſchiene/ was vor-
traͤglich/ auch recht zu ſeyn/ und das Geluͤcke
machte auch die ſittſamſten kuͤhn/ das zu thun/
was man bey niedrigerm Zuſtande verdamme-
te. Unterdeſſen waͤre das durch das Gluͤcke
verderbete Urtheil doch nicht ſo kraͤftig/ daß man
den Laſtern nicht ihre Heßligkeit anſehen/ und
ſich ſeine eigene Fehler zu ruͤhmen uͤberreden laſ-
ſen ſolte. Die Eigenliebe haͤtte in der einen Hand
einen Schwam̃/ damit ſie fort fuͤr fort ſich zu ſau-
bern bemuͤhet waͤre; in der andern aber Kohlen/
um andere damit zu ſchwaͤrtzen; gleich als wenn
frembde Beſudelung unſern Brandmahlen/ wie
die finſtere Nacht den Sternen einen Glantz zu
geben vermoͤchte. Bey welcher Bewandnuͤß
man ihm von den Roͤmern nicht frembde zu ma-
chen haͤtte/ daß ſie lieber anderer/ als ihre eigene
Anklaͤger ſeyn/ auch ihre eigene Ungluͤcke lieber
[Spaltenumbruch] verhuͤllen/ als durch derſelben Eroͤfnung wie
die Wunden durch Abreiſſung der Pflaſter ver-
aͤrgern wollen. Auſſer dem wuͤrden alle merck-
wuͤrdige Geſchichte insgemein ungleich und
durch Ferne-Glaͤſer angeſehen/ welche von for-
nen die Sachen vergroͤſſern/ von hinten zu aber
verkleinern. Ja es waͤre eine unabtrennliche
Eigenſchafft der Erzehlungen/ daß ſelbte mit der
Entfernung nicht anders/ als die von einem
Gebuͤrge abkugelnden Schneeballen ohne ihre
Schuld wuͤchſen. Denn wenn ſchon Haß oder
Gunſt ſich nicht mit auff die Wag-Schale leg-
ten/ ſo haͤtte doch Gluͤck und Jrrthum mit die
Hand im Spiele/ und ſtrichen dem Weſen einen
falſchen Firnß an. Auch diß/ was an ſich ſelbſt
groß genung waͤre/ behielte ſein Maaß nicht/
ſondern der Nahme uͤberwiege die eigene
Schwerde. Der groſſe Alexander haͤtte ſelbſt
geſtanden: Man redete mehr von ihm als wahr
waͤre. So haben die Deutſchen hingegen von ih-
nen zu ruͤhmen/ fing Malovend an/ daß ſie mehr
thun/ als man von ihnen ſaget. Rhemetalces
laͤchelte/ mit Beyſetzung dieſer Worte: Wir ha-
ben es leider/ und du zwar an deinen eigenen
Landsleuten wol erfahren. Aber/ Malovend/
ſo viel aus deinen Worten verlautet/ biſtu dei-
nem Vaterlande nicht gram/ was hat dich denn
bewogen dich auff der Roͤmer Seite zu ſchlagen?
Malovend zoch die Achſeln ein und ſeuffzete.
Sie haͤtten ihm auch ferner angelegen die Urſa-
che zu eroͤffnen; es brachten aber die Jaͤger gleich
vier groſſe hauende Schweine gejagt/ welches ihr
Geſpraͤche unterbrach/ und ſie nach ihren Waf-
fen zu greiffen noͤthigte. Zeno warff das foͤrder-
ſte mit einem Wurffſpieſſe/ alleine es lieff mit
ſelbtem gleichſam ohne einige Empfindligkeit
deꝛ Wunden hinweg/ ſo bald es ſein Waſſeꝛ gelaſ-
ſen hatte. Denn auſſer dem koͤnnen ſie nicht ſtaꝛck
lauffen. Rhemetalces ſchoß etliche Pfeile auff
das andere/ ſie vermochten aber nicht einſt durch-
zudringen. Malovend aber ſprang nach ſeiner
Landes-Art eilfertig vom Pferde/ ließ ihm den

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[96/0146] Anderes Buch Gleich als wenn nichts minder die Schwaͤchern die Maͤchtigern/ als die Tauben die Geyer zu beleidigen/ nicht aber insgemein dieſe ſich an jene zu reiben pflegten. Uberdis ſchrieben ſie ihre Fehler und Niederlagen mit ſo fahler Dinte auff/ welche niemand leſen koͤnte; oder ſchaͤmten ſich wol gar nicht ihren Verluſt mit Siegs-Ge- praͤngen zu verdecken. Weßwegen er nicht zweifelte/ daß ſie die Niederlage des Varus eben ſo wol verkleinern wuͤrden/ als ſie des Lollius ver- tuſcht haͤtten. Alle hoͤrten den eifrigen Mar- comir geduldig an/ weil ſie entweder den Roͤmern ſelbſt nicht gar hold waren/ oder eines Gefange- nen Schuldigkeit zu ſeyn hielten/ etwas zu ver- hoͤren. Zeno aber nahm endlich das Wort von ihm/ und ſagte: Er wolte weder in einem noch dem andern das Wort reden. Alleine Laſter wuͤr- den ſo lange gefunden werden/ als Menſchen. Gute und Boͤſe waͤren unter allen Voͤlckern/ wie weiſſe Leute und ſchwartze Mohren in der Welt. Die Roͤmer waͤren von allzu groſſem Gluͤcke verblendet worden/ bey welchem die kluͤgſten Leute wie die helleſten Augen von der Sonnen Straalen ihr Geſichte einbuͤßten. Bey anwachſender Gewalt ſchiene/ was vor- traͤglich/ auch recht zu ſeyn/ und das Geluͤcke machte auch die ſittſamſten kuͤhn/ das zu thun/ was man bey niedrigerm Zuſtande verdamme- te. Unterdeſſen waͤre das durch das Gluͤcke verderbete Urtheil doch nicht ſo kraͤftig/ daß man den Laſtern nicht ihre Heßligkeit anſehen/ und ſich ſeine eigene Fehler zu ruͤhmen uͤberreden laſ- ſen ſolte. Die Eigenliebe haͤtte in der einen Hand einen Schwam̃/ damit ſie fort fuͤr fort ſich zu ſau- bern bemuͤhet waͤre; in der andern aber Kohlen/ um andere damit zu ſchwaͤrtzen; gleich als wenn frembde Beſudelung unſern Brandmahlen/ wie die finſtere Nacht den Sternen einen Glantz zu geben vermoͤchte. Bey welcher Bewandnuͤß man ihm von den Roͤmern nicht frembde zu ma- chen haͤtte/ daß ſie lieber anderer/ als ihre eigene Anklaͤger ſeyn/ auch ihre eigene Ungluͤcke lieber verhuͤllen/ als durch derſelben Eroͤfnung wie die Wunden durch Abreiſſung der Pflaſter ver- aͤrgern wollen. Auſſer dem wuͤrden alle merck- wuͤrdige Geſchichte insgemein ungleich und durch Ferne-Glaͤſer angeſehen/ welche von for- nen die Sachen vergroͤſſern/ von hinten zu aber verkleinern. Ja es waͤre eine unabtrennliche Eigenſchafft der Erzehlungen/ daß ſelbte mit der Entfernung nicht anders/ als die von einem Gebuͤrge abkugelnden Schneeballen ohne ihre Schuld wuͤchſen. Denn wenn ſchon Haß oder Gunſt ſich nicht mit auff die Wag-Schale leg- ten/ ſo haͤtte doch Gluͤck und Jrrthum mit die Hand im Spiele/ und ſtrichen dem Weſen einen falſchen Firnß an. Auch diß/ was an ſich ſelbſt groß genung waͤre/ behielte ſein Maaß nicht/ ſondern der Nahme uͤberwiege die eigene Schwerde. Der groſſe Alexander haͤtte ſelbſt geſtanden: Man redete mehr von ihm als wahr waͤre. So haben die Deutſchen hingegen von ih- nen zu ruͤhmen/ fing Malovend an/ daß ſie mehr thun/ als man von ihnen ſaget. Rhemetalces laͤchelte/ mit Beyſetzung dieſer Worte: Wir ha- ben es leider/ und du zwar an deinen eigenen Landsleuten wol erfahren. Aber/ Malovend/ ſo viel aus deinen Worten verlautet/ biſtu dei- nem Vaterlande nicht gram/ was hat dich denn bewogen dich auff der Roͤmer Seite zu ſchlagen? Malovend zoch die Achſeln ein und ſeuffzete. Sie haͤtten ihm auch ferner angelegen die Urſa- che zu eroͤffnen; es brachten aber die Jaͤger gleich vier groſſe hauende Schweine gejagt/ welches ihr Geſpraͤche unterbrach/ und ſie nach ihren Waf- fen zu greiffen noͤthigte. Zeno warff das foͤrder- ſte mit einem Wurffſpieſſe/ alleine es lieff mit ſelbtem gleichſam ohne einige Empfindligkeit deꝛ Wunden hinweg/ ſo bald es ſein Waſſeꝛ gelaſ- ſen hatte. Denn auſſer dem koͤnnen ſie nicht ſtaꝛck lauffen. Rhemetalces ſchoß etliche Pfeile auff das andere/ ſie vermochten aber nicht einſt durch- zudringen. Malovend aber ſprang nach ſeiner Landes-Art eilfertig vom Pferde/ ließ ihm den nech-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/146>, abgerufen am 23.11.2024.