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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Drittes Buch
[Spaltenumbruch] wenigen Beyspielen kein Gesetze machen/ wel-
ches dem weiblichen Geschlechte ohne Unter-
scheid die Waffen in die Hand gebe. Nein/
nein/ großmüthiger Feldherr/ brach die Köni-
gin heraus/ wir lassen uns damit nicht besänffti-
gen/ daß er gegen uns zwey ein Auge zudrücken/
unserm Geschlechte aber die gantze Sache abzu-
sprechen vermeinet. Sintemal die kriegeri-
schen Amazonen gantze Länder angefüllet/ die
sie denen sonst so streitbaren Scythen abgeschla-
gen. Jch gebe gerne nach/ daß die Großmü-
thigkeit eine feurige Tugend sey/ welche sich ü-
ber die gemeinen empor schwinge/ und die Ehre
zu ihrem Augenziel habe. Warum aber soll
das weibliche Gesichte nicht auch ihr Hertze zu
diesem Gestirne tragen? Die Rennebahn der
Ehre und Erbarkeit stehet uns so weit offen/ als
den Männern/ und ich weiß nicht/ wer uns al-
lein hier solte Fuß-Eisen gelegt haben. Wir
sinden in allen Geschichten eine frische Spur
hiervon/ daß Weiber-Lust und Nutzen auser
Augen gesetzt/ durch Dörner und Steinklüff-
ten/ durch Flammen und Rad nicht nur nach
Ehre/ sondern wol oft nach einem blossen Schat-
ten derselben gerennet/ wenn sie das Glück und
seine Geschencke aus einer gefasten Liebe mit
Füssen von sich gestossen/ Kron und Zepter/ um
ihr Wort zu halten/ verschmähet/ dem Hencker
den Nacken geboten/ ehe sie was verkleinerlichs
eingegangen/ ihren frischen Leib lieber auf dem
Holtzstosse ihrer Männer verbrennet/ als die
Schande der Wanckelmuth auf sich kleben las-
sen wollen. Jch gestehe es/ die Großmüthig-
keit erfordere ein tiefsinniges Nachdencken/
und ein verschmitztes Urthel. Aber ich habe
noch nicht gehöret/ daß der Unterschied des Ge-
schlechtes die Kräfften der Seelen unterschei-
de. Findet man Weiber/ derer Geist sich
nicht weit über die Erde schwingen kan/ so sind
auch nicht alle Männer gantz himmlisch/ und
in beyden ist oft nicht ein Funcken dieses herrli-
chen Lichts/ welches den Nebel der Jrrthümer
[Spaltenumbruch] niederschläget/ nicht ein Sonnenstaub war-
haffter Klugheit/ die die irrdischen Schwach-
heiten unterdrücken kan. Es ist auch auser
Zweifel/ daß diese Liebe der Ehre/ dieser Ver-
stand etwas fürtreffliches zu erkiesen durch ein
absonderliches/ und andern gemeinen Tugen-
den nicht gemeines Feuer erleuchtet werden
muß/ welches den Menschen über sein eigenes
Wesen erhöhet/ welches ihm den Reitz aller
Wollust tilget/ die Empfindligkeit aller
Schmertzen benimmt/ die Furcht aller Schan-
de und des Todes zernichtet/ ja die Unmöglig-
keit selbst für eine Bländung der Zagheit hält.
Wer aber unterwindet sich diese Entzückung
des Geistes unserm Geschlechte strittig zu ma-
chen? Wenn Clelie über die Tyber schwim-
met/ und in ein feindliches Läger einbricht;
wenn Lucretie lieber ihre Brüste mit ihrem eig-
nen Blute/ als ihren Nahmen mit Unehre be-
sudelt/ wenn eine andere lieber sich vom Hen-
cker erwürgen/ als ihre Keuschheit beflecken
läst; wenn eine Mutter lieber ihre Kinder zer-
fleischet/ und auf glüende Röste leget/ als in A-
berglauben versincken läst; wenn eine Tochtev
den von Blut und Gehirne trieffenden Stein/
der das Haupt ihrer Mutter zerschmettert/ den
Feinden auf den Hals weltzet; wenn eine Frau
das Mordschwerdt aus den Därmern ihres
Ehemannes zeucht/ und statt der Thränen und
Wehmuth das Blut seiner Feinde verspritzet
und Rache ausübet; wenn die ergrimmte Se-
miramis ihre halbgeflochtene Haare so lange
unausgeputzt hängen läst/ biß sie ihre auff-
rührische Unterthanen zu Gehorsam bracht;
wenn eine andere ihr Hembde auszuwechseln
verschweret/ biß sie eine Festung erobert und
ihres Gelübdes sich loß gemacht. Für was
will es der Feldherr halten? Will er es nicht
für einen großmüthigen Eyfer/ für eine Ent-
zückung eines auser sich gelassenen Geistes gel-
ten lassen? Der Feldherr ward hierdurch
bezwungen der Königin recht zu geben.

Allei-

Drittes Buch
[Spaltenumbruch] wenigen Beyſpielen kein Geſetze machen/ wel-
ches dem weiblichen Geſchlechte ohne Unter-
ſcheid die Waffen in die Hand gebe. Nein/
nein/ großmuͤthiger Feldherr/ brach die Koͤni-
gin heraus/ wir laſſen uns damit nicht beſaͤnffti-
gen/ daß er gegen uns zwey ein Auge zudruͤcken/
unſerm Geſchlechte aber die gantze Sache abzu-
ſprechen vermeinet. Sintemal die kriegeri-
ſchen Amazonen gantze Laͤnder angefuͤllet/ die
ſie denen ſonſt ſo ſtreitbaren Scythen abgeſchla-
gen. Jch gebe gerne nach/ daß die Großmuͤ-
thigkeit eine feurige Tugend ſey/ welche ſich uͤ-
ber die gemeinen empor ſchwinge/ und die Ehre
zu ihrem Augenziel habe. Warum aber ſoll
das weibliche Geſichte nicht auch ihr Hertze zu
dieſem Geſtirne tragen? Die Rennebahn der
Ehre und Erbarkeit ſtehet uns ſo weit offen/ als
den Maͤnnern/ und ich weiß nicht/ wer uns al-
lein hier ſolte Fuß-Eiſen gelegt haben. Wir
ſinden in allen Geſchichten eine friſche Spur
hiervon/ daß Weiber-Luſt und Nutzen auſer
Augen geſetzt/ durch Doͤrner und Steinkluͤff-
ten/ durch Flammen und Rad nicht nur nach
Ehre/ ſondeꝛn wol oft nach einem bloſſen Schat-
ten derſelben gerennet/ wenn ſie das Gluͤck und
ſeine Geſchencke aus einer gefaſten Liebe mit
Fuͤſſen von ſich geſtoſſen/ Kron und Zepter/ um
ihr Wort zu halten/ verſchmaͤhet/ dem Hencker
den Nacken geboten/ ehe ſie was verkleinerlichs
eingegangen/ ihren friſchen Leib lieber auf dem
Holtzſtoſſe ihrer Maͤnner verbrennet/ als die
Schande der Wanckelmuth auf ſich kleben laſ-
ſen wollen. Jch geſtehe es/ die Großmuͤthig-
keit erfordere ein tiefſinniges Nachdencken/
und ein verſchmitztes Urthel. Aber ich habe
noch nicht gehoͤret/ daß der Unterſchied des Ge-
ſchlechtes die Kraͤfften der Seelen unterſchei-
de. Findet man Weiber/ derer Geiſt ſich
nicht weit uͤber die Erde ſchwingen kan/ ſo ſind
auch nicht alle Maͤnner gantz himmliſch/ und
in beyden iſt oft nicht ein Funcken dieſes herrli-
chen Lichts/ welches den Nebel der Jrrthuͤmer
[Spaltenumbruch] niederſchlaͤget/ nicht ein Sonnenſtaub war-
haffter Klugheit/ die die irrdiſchen Schwach-
heiten unterdruͤcken kan. Es iſt auch auſer
Zweifel/ daß dieſe Liebe der Ehre/ dieſer Ver-
ſtand etwas fuͤrtreffliches zu erkieſen durch ein
abſonderliches/ und andern gemeinen Tugen-
den nicht gemeines Feuer erleuchtet werden
muß/ welches den Menſchen uͤber ſein eigenes
Weſen erhoͤhet/ welches ihm den Reitz aller
Wolluſt tilget/ die Empfindligkeit aller
Schmertzen benimmt/ die Furcht aller Schan-
de und des Todes zernichtet/ ja die Unmoͤglig-
keit ſelbſt fuͤr eine Blaͤndung der Zagheit haͤlt.
Wer aber unterwindet ſich dieſe Entzuͤckung
des Geiſtes unſerm Geſchlechte ſtrittig zu ma-
chen? Wenn Clelie uͤber die Tyber ſchwim-
met/ und in ein feindliches Laͤger einbricht;
wenn Lucretie lieber ihre Bruͤſte mit ihrem eig-
nen Blute/ als ihren Nahmen mit Unehre be-
ſudelt/ wenn eine andere lieber ſich vom Hen-
cker erwuͤrgen/ als ihre Keuſchheit beflecken
laͤſt; wenn eine Mutter lieber ihre Kinder zer-
fleiſchet/ und auf gluͤende Roͤſte leget/ als in A-
berglauben verſincken laͤſt; wenn eine Tochtev
den von Blut und Gehirne trieffenden Stein/
der das Haupt ihrer Mutter zerſchmettert/ den
Feinden auf den Hals weltzet; wenn eine Frau
das Mordſchwerdt aus den Daͤrmern ihres
Ehemannes zeucht/ und ſtatt der Thraͤnen und
Wehmuth das Blut ſeiner Feinde verſpritzet
und Rache ausuͤbet; wenn die ergrimmte Se-
miramis ihre halbgeflochtene Haare ſo lange
unausgeputzt haͤngen laͤſt/ biß ſie ihre auff-
ruͤhriſche Unterthanen zu Gehorſam bracht;
wenn eine andere ihr Hembde auszuwechſeln
verſchweret/ biß ſie eine Feſtung erobert und
ihres Geluͤbdes ſich loß gemacht. Fuͤr was
will es der Feldherr halten? Will er es nicht
fuͤr einen großmuͤthigen Eyfer/ fuͤr eine Ent-
zuͤckung eines auſer ſich gelaſſenen Geiſtes gel-
ten laſſen? Der Feldherr ward hierdurch
bezwungen der Koͤnigin recht zu geben.

Allei-
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[200/0252] Drittes Buch wenigen Beyſpielen kein Geſetze machen/ wel- ches dem weiblichen Geſchlechte ohne Unter- ſcheid die Waffen in die Hand gebe. Nein/ nein/ großmuͤthiger Feldherr/ brach die Koͤni- gin heraus/ wir laſſen uns damit nicht beſaͤnffti- gen/ daß er gegen uns zwey ein Auge zudruͤcken/ unſerm Geſchlechte aber die gantze Sache abzu- ſprechen vermeinet. Sintemal die kriegeri- ſchen Amazonen gantze Laͤnder angefuͤllet/ die ſie denen ſonſt ſo ſtreitbaren Scythen abgeſchla- gen. Jch gebe gerne nach/ daß die Großmuͤ- thigkeit eine feurige Tugend ſey/ welche ſich uͤ- ber die gemeinen empor ſchwinge/ und die Ehre zu ihrem Augenziel habe. Warum aber ſoll das weibliche Geſichte nicht auch ihr Hertze zu dieſem Geſtirne tragen? Die Rennebahn der Ehre und Erbarkeit ſtehet uns ſo weit offen/ als den Maͤnnern/ und ich weiß nicht/ wer uns al- lein hier ſolte Fuß-Eiſen gelegt haben. Wir ſinden in allen Geſchichten eine friſche Spur hiervon/ daß Weiber-Luſt und Nutzen auſer Augen geſetzt/ durch Doͤrner und Steinkluͤff- ten/ durch Flammen und Rad nicht nur nach Ehre/ ſondeꝛn wol oft nach einem bloſſen Schat- ten derſelben gerennet/ wenn ſie das Gluͤck und ſeine Geſchencke aus einer gefaſten Liebe mit Fuͤſſen von ſich geſtoſſen/ Kron und Zepter/ um ihr Wort zu halten/ verſchmaͤhet/ dem Hencker den Nacken geboten/ ehe ſie was verkleinerlichs eingegangen/ ihren friſchen Leib lieber auf dem Holtzſtoſſe ihrer Maͤnner verbrennet/ als die Schande der Wanckelmuth auf ſich kleben laſ- ſen wollen. Jch geſtehe es/ die Großmuͤthig- keit erfordere ein tiefſinniges Nachdencken/ und ein verſchmitztes Urthel. Aber ich habe noch nicht gehoͤret/ daß der Unterſchied des Ge- ſchlechtes die Kraͤfften der Seelen unterſchei- de. Findet man Weiber/ derer Geiſt ſich nicht weit uͤber die Erde ſchwingen kan/ ſo ſind auch nicht alle Maͤnner gantz himmliſch/ und in beyden iſt oft nicht ein Funcken dieſes herrli- chen Lichts/ welches den Nebel der Jrrthuͤmer niederſchlaͤget/ nicht ein Sonnenſtaub war- haffter Klugheit/ die die irrdiſchen Schwach- heiten unterdruͤcken kan. Es iſt auch auſer Zweifel/ daß dieſe Liebe der Ehre/ dieſer Ver- ſtand etwas fuͤrtreffliches zu erkieſen durch ein abſonderliches/ und andern gemeinen Tugen- den nicht gemeines Feuer erleuchtet werden muß/ welches den Menſchen uͤber ſein eigenes Weſen erhoͤhet/ welches ihm den Reitz aller Wolluſt tilget/ die Empfindligkeit aller Schmertzen benimmt/ die Furcht aller Schan- de und des Todes zernichtet/ ja die Unmoͤglig- keit ſelbſt fuͤr eine Blaͤndung der Zagheit haͤlt. Wer aber unterwindet ſich dieſe Entzuͤckung des Geiſtes unſerm Geſchlechte ſtrittig zu ma- chen? Wenn Clelie uͤber die Tyber ſchwim- met/ und in ein feindliches Laͤger einbricht; wenn Lucretie lieber ihre Bruͤſte mit ihrem eig- nen Blute/ als ihren Nahmen mit Unehre be- ſudelt/ wenn eine andere lieber ſich vom Hen- cker erwuͤrgen/ als ihre Keuſchheit beflecken laͤſt; wenn eine Mutter lieber ihre Kinder zer- fleiſchet/ und auf gluͤende Roͤſte leget/ als in A- berglauben verſincken laͤſt; wenn eine Tochtev den von Blut und Gehirne trieffenden Stein/ der das Haupt ihrer Mutter zerſchmettert/ den Feinden auf den Hals weltzet; wenn eine Frau das Mordſchwerdt aus den Daͤrmern ihres Ehemannes zeucht/ und ſtatt der Thraͤnen und Wehmuth das Blut ſeiner Feinde verſpritzet und Rache ausuͤbet; wenn die ergrimmte Se- miramis ihre halbgeflochtene Haare ſo lange unausgeputzt haͤngen laͤſt/ biß ſie ihre auff- ruͤhriſche Unterthanen zu Gehorſam bracht; wenn eine andere ihr Hembde auszuwechſeln verſchweret/ biß ſie eine Feſtung erobert und ihres Geluͤbdes ſich loß gemacht. Fuͤr was will es der Feldherr halten? Will er es nicht fuͤr einen großmuͤthigen Eyfer/ fuͤr eine Ent- zuͤckung eines auſer ſich gelaſſenen Geiſtes gel- ten laſſen? Der Feldherr ward hierdurch bezwungen der Koͤnigin recht zu geben. Allei-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/252>, abgerufen am 22.11.2024.