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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ten hertzhaffter als wir Deutschen gewesen seyn/
welches daher glaublich schiene/ daß die Helve-
tier sich zwischen dem Rhein und Mayn/ die Bo-
jen aber in dem Hercinischen Walde niederge-
lassen/ und die Deutschen überwältigt hätten.
Es hätte sie aber ihr Reichthum unbewehrt ge-
macht/ und ihr Wolleben sie so verzärtelt/ daß die
Römer/ welche schon einmal mit uns Deutschen
angebunden hatten/ es ihnen für Schande hiel-
ten/ wenn sie wolten wider die weibischen Gal-
lier geführet werden. Dahero die verschmitzten
Römer durch ein besonderes Kunststücke mehr
Völcker durch angewöhnte Wollüste/ durch
Einführung warmer Bäder/ durch Bauung
kostbarer Lustgärte/ durch Anrichtung prächtiger
Gastmahle/ durch Fürstellung lustiger Schau-
spiele/ als mit ihren Waffen unters Joch ge-
bracht. Sintemal die groben geschwinder ge-
ritten sind; durch Wollüste aber gewohnt man
ehe der Ruhe und des Müssiggangs. Hinge-
gen hat die unbändigen Scythen ihre rauhe Art
so viel tausend Jahr wider den mächtigen Vexo-
ris/ wider den gewaltigen Cyrus/ wider den gros-
sen Alexander erhalten/ und an sie fast alleine
haben sich die stoltzen Römer noch nie gewagt.
Jhre Einfalt oder Ungeschickligkeit hat ihnen
den Schatz des Goldes/ die Geschickligkeit der
Künste/ zugleich aber viel schädliche Laster wolge-
sitteter Völcker verborgen. Diese Unwissenheit
aber hat ihnen mehr gefruchtet/ als andern die
Wissenschafft der Tugend. Ja ihnen und uns
sind zu selbsteigener Erhaltung die unschuldigen
Sitten nützlicher gewest/ als den Griechen und
Römern ihre heilsame Gesetze. So lange in
Deutschland keine andere Schauspiele gewesen/
als da die nacketen Jünglinge über blosse Degen
und Spiesse sprangen/ und dafür keine andere
Belohnung/ als das Wolgefallen der Zuschauer
suchten/ hat kein Deutscher einen Römer ge-
fürchtet/ noch die Begierden sie ihnen zinß- und
dienstbar gemacht. Nun aber kan ich meine
[Spaltenumbruch] selbsteigene Schande nicht verschweigen/ daß ich
unter ihnen Kriegs-Sold verdienet.

Der Feldherr hätte noch länger geredet/ wenn
nicht Adgandester/ sein geheimster Rath/ ins Ge-
mach kommen/ und ihm die Ankunft eines Ge-
sandten von Gottwalden/ einem Hertzoge der an
der Weichsel und dem Baltischen Meere gelege-
ner Gothonen angemeldet/ und zugleich andere
geheime Schreiben abgegeben hätte. Diese
aber nöthigten ihn von der Königin höflichen
Abschied zu nehmen/ und weil allbereit die Dem-
merung einbrach/ seine wunderschöne Braut
wider auf ihr Zimmer zu begleiten.

Folgenden Morgen hielt der Feldherr mit
anbrechendem Tage Fürsten-Rath/ die Königin
aber ließ Thußnelden vermelden: Sie hätte auf
ihr annehmliches Gespräche so wol geruhet/ und
darvon so viel Kräfften empfunden/ daß sie ihr
in ihrem Zimmer aufzuwarten mächtig und be-
gierig wäre. Thußnelde beantwortete ihren
Edel-Knaben/ derer etliche der Catten Hertzog
aus seinen Gefangenen sie wieder zu bedienen
loßgelassen hatte: Es wäre zwar ihre selbsteigene
Pflicht sich in der Königin Zimmer einzufinden/
doch wolte sie lieber etwas ihrer Höfligkeit abbre-
chen/ als dem zuentbotenen Befehl widerstreben.
Sie erwartete also höchstbegierig die Gelegen-
heit ihr die Hände zu küssen. Jsmene fand in-
zwischen sich auch bey Thußnelden ein. Bey
erfolgender Zusammenkunft umbfingen diese
drey Heldinnen einander mit einer so grossen
Verträuligkeit/ als wenn sie nicht alleine viel-
jährige Freundschafft mit einander verknüpft/
sondern auch selbst das Geblüte zusammen ver-
bunden hätte. Thußnelde hatte für die Köni-
gin und ihre Gefertin Salonine alsofort/ weil
so wol ihre Sprache als Leute/ daß sie eine Mor-
genländerin wäre/ kund gemacht hatten/ von
Persischen Teppichten ein ihrer Landes-Art und
Bequemligkeit dienendes Bette aufputzen las-
sen/ für sich und Jßmenen aber zwey Helffenbei-

nene
C c 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ten hertzhaffter als wir Deutſchen geweſen ſeyn/
welches daher glaublich ſchiene/ daß die Helve-
tier ſich zwiſchen dem Rhein und Mayn/ die Bo-
jen aber in dem Herciniſchen Walde niederge-
laſſen/ und die Deutſchen uͤberwaͤltigt haͤtten.
Es haͤtte ſie aber ihr Reichthum unbewehrt ge-
macht/ und ihr Wolleben ſie ſo verzaͤrtelt/ daß die
Roͤmer/ welche ſchon einmal mit uns Deutſchen
angebunden hatten/ es ihnen fuͤr Schande hiel-
ten/ wenn ſie wolten wider die weibiſchen Gal-
lier gefuͤhret werden. Dahero die verſchmitzten
Roͤmer durch ein beſonderes Kunſtſtuͤcke mehr
Voͤlcker durch angewoͤhnte Wolluͤſte/ durch
Einfuͤhrung warmer Baͤder/ durch Bauung
koſtbarer Luſtgaͤrte/ durch Anrichtung praͤchtiger
Gaſtmahle/ durch Fuͤrſtellung luſtiger Schau-
ſpiele/ als mit ihren Waffen unters Joch ge-
bracht. Sintemal die groben geſchwinder ge-
ritten ſind; durch Wolluͤſte aber gewohnt man
ehe der Ruhe und des Muͤſſiggangs. Hinge-
gen hat die unbaͤndigen Scythen ihre rauhe Art
ſo viel tauſend Jahr wider den maͤchtigen Vexo-
ris/ wider den gewaltigen Cyrus/ wider den groſ-
ſen Alexander erhalten/ und an ſie faſt alleine
haben ſich die ſtoltzen Roͤmer noch nie gewagt.
Jhre Einfalt oder Ungeſchickligkeit hat ihnen
den Schatz des Goldes/ die Geſchickligkeit der
Kuͤnſte/ zugleich aber viel ſchaͤdliche Laſter wolge-
ſitteter Voͤlcker verborgen. Dieſe Unwiſſenheit
aber hat ihnen mehr gefruchtet/ als andern die
Wiſſenſchafft der Tugend. Ja ihnen und uns
ſind zu ſelbſteigener Erhaltung die unſchuldigen
Sitten nuͤtzlicher geweſt/ als den Griechen und
Roͤmern ihre heilſame Geſetze. So lange in
Deutſchland keine andere Schauſpiele geweſen/
als da die nacketen Juͤnglinge uͤber bloſſe Degen
und Spieſſe ſprangen/ und dafuͤr keine andere
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ſuchten/ hat kein Deutſcher einen Roͤmer ge-
fuͤrchtet/ noch die Begierden ſie ihnen zinß- und
dienſtbar gemacht. Nun aber kan ich meine
[Spaltenumbruch] ſelbſteigene Schande nicht verſchweigen/ daß ich
unter ihnen Kriegs-Sold verdienet.

Der Feldherr haͤtte noch laͤnger geredet/ wenn
nicht Adgandeſter/ ſein geheimſter Rath/ ins Ge-
mach kommen/ und ihm die Ankunft eines Ge-
ſandten von Gottwalden/ einem Hertzoge der an
der Weichſel und dem Baltiſchen Meere gelege-
ner Gothonen angemeldet/ und zugleich andere
geheime Schreiben abgegeben haͤtte. Dieſe
aber noͤthigten ihn von der Koͤnigin hoͤflichen
Abſchied zu nehmen/ und weil allbereit die Dem-
merung einbrach/ ſeine wunderſchoͤne Braut
wider auf ihr Zimmer zu begleiten.

Folgenden Morgen hielt der Feldherr mit
anbrechendem Tage Fuͤrſten-Rath/ die Koͤnigin
aber ließ Thußnelden vermelden: Sie haͤtte auf
ihr annehmliches Geſpraͤche ſo wol geruhet/ und
darvon ſo viel Kraͤfften empfunden/ daß ſie ihr
in ihrem Zimmer aufzuwarten maͤchtig und be-
gierig waͤre. Thußnelde beantwortete ihren
Edel-Knaben/ derer etliche der Catten Hertzog
aus ſeinen Gefangenen ſie wieder zu bedienen
loßgelaſſen hatte: Es waͤre zwar ihre ſelbſteigene
Pflicht ſich in der Koͤnigin Zimmer einzufinden/
doch wolte ſie lieber etwas ihrer Hoͤfligkeit abbre-
chen/ als dem zuentbotenen Befehl widerſtreben.
Sie erwartete alſo hoͤchſtbegierig die Gelegen-
heit ihr die Haͤnde zu kuͤſſen. Jſmene fand in-
zwiſchen ſich auch bey Thußnelden ein. Bey
erfolgender Zuſammenkunft umbfingen dieſe
drey Heldinnen einander mit einer ſo groſſen
Vertraͤuligkeit/ als wenn ſie nicht alleine viel-
jaͤhrige Freundſchafft mit einander verknuͤpft/
ſondern auch ſelbſt das Gebluͤte zuſammen ver-
bunden haͤtte. Thußnelde hatte fuͤr die Koͤni-
gin und ihre Gefertin Salonine alſofort/ weil
ſo wol ihre Sprache als Leute/ daß ſie eine Mor-
genlaͤnderin waͤre/ kund gemacht hatten/ von
Perſiſchen Teppichten ein ihrer Landes-Art und
Bequemligkeit dienendes Bette aufputzen laſ-
ſen/ fuͤr ſich und Jßmenen aber zwey Helffenbei-

nene
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[205/0257] Arminius und Thußnelda. ten hertzhaffter als wir Deutſchen geweſen ſeyn/ welches daher glaublich ſchiene/ daß die Helve- tier ſich zwiſchen dem Rhein und Mayn/ die Bo- jen aber in dem Herciniſchen Walde niederge- laſſen/ und die Deutſchen uͤberwaͤltigt haͤtten. Es haͤtte ſie aber ihr Reichthum unbewehrt ge- macht/ und ihr Wolleben ſie ſo verzaͤrtelt/ daß die Roͤmer/ welche ſchon einmal mit uns Deutſchen angebunden hatten/ es ihnen fuͤr Schande hiel- ten/ wenn ſie wolten wider die weibiſchen Gal- lier gefuͤhret werden. Dahero die verſchmitzten Roͤmer durch ein beſonderes Kunſtſtuͤcke mehr Voͤlcker durch angewoͤhnte Wolluͤſte/ durch Einfuͤhrung warmer Baͤder/ durch Bauung koſtbarer Luſtgaͤrte/ durch Anrichtung praͤchtiger Gaſtmahle/ durch Fuͤrſtellung luſtiger Schau- ſpiele/ als mit ihren Waffen unters Joch ge- bracht. Sintemal die groben geſchwinder ge- ritten ſind; durch Wolluͤſte aber gewohnt man ehe der Ruhe und des Muͤſſiggangs. Hinge- gen hat die unbaͤndigen Scythen ihre rauhe Art ſo viel tauſend Jahr wider den maͤchtigen Vexo- ris/ wider den gewaltigen Cyrus/ wider den groſ- ſen Alexander erhalten/ und an ſie faſt alleine haben ſich die ſtoltzen Roͤmer noch nie gewagt. Jhre Einfalt oder Ungeſchickligkeit hat ihnen den Schatz des Goldes/ die Geſchickligkeit der Kuͤnſte/ zugleich aber viel ſchaͤdliche Laſter wolge- ſitteter Voͤlcker verborgen. Dieſe Unwiſſenheit aber hat ihnen mehr gefruchtet/ als andern die Wiſſenſchafft der Tugend. Ja ihnen und uns ſind zu ſelbſteigener Erhaltung die unſchuldigen Sitten nuͤtzlicher geweſt/ als den Griechen und Roͤmern ihre heilſame Geſetze. So lange in Deutſchland keine andere Schauſpiele geweſen/ als da die nacketen Juͤnglinge uͤber bloſſe Degen und Spieſſe ſprangen/ und dafuͤr keine andere Belohnung/ als das Wolgefallen der Zuſchauer ſuchten/ hat kein Deutſcher einen Roͤmer ge- fuͤrchtet/ noch die Begierden ſie ihnen zinß- und dienſtbar gemacht. Nun aber kan ich meine ſelbſteigene Schande nicht verſchweigen/ daß ich unter ihnen Kriegs-Sold verdienet. Der Feldherr haͤtte noch laͤnger geredet/ wenn nicht Adgandeſter/ ſein geheimſter Rath/ ins Ge- mach kommen/ und ihm die Ankunft eines Ge- ſandten von Gottwalden/ einem Hertzoge der an der Weichſel und dem Baltiſchen Meere gelege- ner Gothonen angemeldet/ und zugleich andere geheime Schreiben abgegeben haͤtte. Dieſe aber noͤthigten ihn von der Koͤnigin hoͤflichen Abſchied zu nehmen/ und weil allbereit die Dem- merung einbrach/ ſeine wunderſchoͤne Braut wider auf ihr Zimmer zu begleiten. Folgenden Morgen hielt der Feldherr mit anbrechendem Tage Fuͤrſten-Rath/ die Koͤnigin aber ließ Thußnelden vermelden: Sie haͤtte auf ihr annehmliches Geſpraͤche ſo wol geruhet/ und darvon ſo viel Kraͤfften empfunden/ daß ſie ihr in ihrem Zimmer aufzuwarten maͤchtig und be- gierig waͤre. Thußnelde beantwortete ihren Edel-Knaben/ derer etliche der Catten Hertzog aus ſeinen Gefangenen ſie wieder zu bedienen loßgelaſſen hatte: Es waͤre zwar ihre ſelbſteigene Pflicht ſich in der Koͤnigin Zimmer einzufinden/ doch wolte ſie lieber etwas ihrer Hoͤfligkeit abbre- chen/ als dem zuentbotenen Befehl widerſtreben. Sie erwartete alſo hoͤchſtbegierig die Gelegen- heit ihr die Haͤnde zu kuͤſſen. Jſmene fand in- zwiſchen ſich auch bey Thußnelden ein. Bey erfolgender Zuſammenkunft umbfingen dieſe drey Heldinnen einander mit einer ſo groſſen Vertraͤuligkeit/ als wenn ſie nicht alleine viel- jaͤhrige Freundſchafft mit einander verknuͤpft/ ſondern auch ſelbſt das Gebluͤte zuſammen ver- bunden haͤtte. Thußnelde hatte fuͤr die Koͤni- gin und ihre Gefertin Salonine alſofort/ weil ſo wol ihre Sprache als Leute/ daß ſie eine Mor- genlaͤnderin waͤre/ kund gemacht hatten/ von Perſiſchen Teppichten ein ihrer Landes-Art und Bequemligkeit dienendes Bette aufputzen laſ- ſen/ fuͤr ſich und Jßmenen aber zwey Helffenbei- nene C c 3

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/257>, abgerufen am 22.11.2024.