Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Drittes Buch [Spaltenumbruch]
angeruffen/ und über alle andere Götter gesetztwürde/ welche in allen Dingen das Kraut al- leine machte. Dahingegen alle Kluge das Glücke des Pöfels/ welcher selbtes so bald wie- der lästert/ und ihm seine eigene Fehler aufhal- set/ als anbetet/ für ein blosses Unding verworf- fen/ weniger selbtem geopffert haben. Und erinnere ich mich eines Gemähldes dreyer so ge- nennten Närrinnen/ darinnen die Weißheit die erstere/ nehmlich die Verläugnerin der Göt- ter ins Tollhauß an eine Kette/ die andere/ nem- lich die weissagende Sternseherin in eine Klau- se zum Gebrauche der Niesewurtz/ die dritte/ nehmlich das gantz entblöste Glücke ins Zucht- Hauß zur Ruthe verdammte. Die Fürstin Thusnelde meinte aus Begierde die unterbro- chene Geschichts-Erzehlung von der Königin Erato vollends zu vernehmen; dem erwachse- nen Stritte einen rechtmäßigen Ausschlag zu geben/ sagte also: Sie wäre dißfalls der Köni- gin Meinung/ daß kein ander Glücke/ als die göttliche Ver sehung den Nahmen einer Gott- heit/ diese aber keine Lästerung verdiene/ son- dern in ihren Wercken lauter Gewißheit und Gerechtigkeit stecke; ob sie schon niemand mit seinem Verstande zu erreichen vermöchte. Jn dem Haupt-Stritte aber däuchtete sie/ daß so wol ein als das ander Theil den Bogen seiner Meinung zu hoch spannte. Denn das göttli- che Verhängnüß wäre zwar der erste Bewe- gungs-Grund aller Dinge; Gott sehe all un- ser Thun unveränderlich vorher/ und hätte es gesehen/ als die Natur sein Kind/ und nichts zu etwas worden wäre. Alleine dieses alles hätte keinen Zwang in sich/ und bürdete dem Men- schen keine Nothwendigkeit diß gute/ oder jenes böse zu thun auf; sondern es behielte unser Wil- le seine vollkommene Freyheit. Denn Gott hätte nur deßhalben unser Glück und Unglück so gewiß vorher gesehen; weilihm zugleich oder vorher schon unter seine Augen geleuchtet hat/ was wir von der Geburt biß in den Todt böses [Spaltenumbruch] oder gutes entschlüssen würden. Unsere heu- tige/ oder die von der Nachwelt Gott bestimm- te Andacht wäre ihm so wenig neu/ als diß/ was uns oder den Nachkommen begegnen soll. Jene siehet das Verhängnüß als die Ursache/ dieses als die verdiente Würckung vorher. Daher es die gröste Unvernunfft wäre/ wenn die ruch- lose Verzweiffelung es für einerley halten wol- te: ob man boßhafft oder tugendhafft sey? Und wenn sie ihr Thun einem geträumten Noth- zwange des Himmels unterwirft. Sehen nicht die Sternseher auf tausend Jahr die Son- nen- und Monden-Finsternüsse/ und zwar un- veränderlich vorher? Gleichwol aber haben sie nichts weniger/ als einen Zwang über die Ge- stirne. Wir sehen von denen Leuchte-Thür- men den Schiffbruch eines auff Stein-Felsen vom Ungewitter getriebenen Schiffes für Au- gen. Wer wolte aber diesen insgemein mit- leidenden Zuschauern den Zwang solchen Un- glücks beymessen? Diesem nach der weise Zeno dem Diebe/ welcher mit der Versehung sein La- ster zu entschuldigen vermeint/ vernünfftig ge- antwortet: Daß er auch zu der Straffe ver- sehen wäre. Dieses ist meine einfältige Mei- nung/ iedoch eine vielleicht desto unschuldige- re. Sintemahl allzu verschmitzte Außle- gungen in so tieffinnigen Dingen selbte mehr verfinstern/ als erklären; und wo Fragen von Gott mit einlauffen/ eine fromme Einfalt mehr Ruhmes verdienet/ als ein scharfsinniger Vor- witz. Jederman ward hierdurch derogestalt bestil- erst
Drittes Buch [Spaltenumbruch]
angeruffen/ und uͤber alle andere Goͤtter geſetztwuͤrde/ welche in allen Dingen das Kraut al- leine machte. Dahingegen alle Kluge das Gluͤcke des Poͤfels/ welcher ſelbtes ſo bald wie- der laͤſtert/ und ihm ſeine eigene Fehler aufhal- ſet/ als anbetet/ fuͤr ein bloſſes Unding verworf- fen/ weniger ſelbtem geopffert haben. Und erinnere ich mich eines Gemaͤhldes dreyer ſo ge- nennten Naͤrrinnen/ darinnen die Weißheit die erſtere/ nehmlich die Verlaͤugnerin der Goͤt- ter ins Tollhauß an eine Kette/ die andere/ nem- lich die weiſſagende Sternſeherin in eine Klau- ſe zum Gebrauche der Nieſewurtz/ die dritte/ nehmlich das gantz entbloͤſte Gluͤcke ins Zucht- Hauß zur Ruthe verdammte. Die Fuͤrſtin Thuſnelde meinte aus Begierde die unterbro- chene Geſchichts-Erzehlung von der Koͤnigin Erato vollends zu vernehmen; dem erwachſe- nen Stritte einen rechtmaͤßigen Ausſchlag zu geben/ ſagte alſo: Sie waͤre dißfalls der Koͤni- gin Meinung/ daß kein ander Gluͤcke/ als die goͤttliche Veꝛ ſehung den Nahmen einer Gott- heit/ dieſe aber keine Laͤſterung verdiene/ ſon- dern in ihren Wercken lauter Gewißheit und Gerechtigkeit ſtecke; ob ſie ſchon niemand mit ſeinem Verſtande zu erreichen vermoͤchte. Jn dem Haupt-Stritte aber daͤuchtete ſie/ daß ſo wol ein als das ander Theil den Bogen ſeiner Meinung zu hoch ſpannte. Denn das goͤttli- che Verhaͤngnuͤß waͤre zwar der erſte Bewe- gungs-Grund aller Dinge; Gott ſehe all un- ſer Thun unveraͤnderlich vorher/ und haͤtte es geſehen/ als die Natur ſein Kind/ und nichts zu etwas worden waͤre. Alleine dieſes alles haͤtte keinen Zwang in ſich/ und buͤrdete dem Men- ſchen keine Nothwendigkeit diß gute/ oder jenes boͤſe zu thun auf; ſondern es behielte unſer Wil- le ſeine vollkommene Freyheit. Denn Gott haͤtte nur deßhalben unſer Gluͤck und Ungluͤck ſo gewiß vorher geſehen; weilihm zugleich oder vorher ſchon unter ſeine Augen geleuchtet hat/ was wir von der Geburt biß in den Todt boͤſes [Spaltenumbruch] oder gutes entſchluͤſſen wuͤrden. Unſere heu- tige/ oder die von der Nachwelt Gott beſtimm- te Andacht waͤre ihm ſo wenig neu/ als diß/ was uns oder den Nachkommen begegnen ſoll. Jene ſiehet das Verhaͤngnuͤß als die Urſache/ dieſes als die veꝛdiente Wuͤrckung vorheꝛ. Daheꝛ es die groͤſte Unvernunfft waͤre/ wenn die ruch- loſe Verzweiffelung es fuͤr einerley halten wol- te: ob man boßhafft oder tugendhafft ſey? Und wenn ſie ihr Thun einem getraͤumten Noth- zwange des Himmels unterwirft. Sehen nicht die Sternſeher auf tauſend Jahr die Son- nen- und Monden-Finſternuͤſſe/ und zwar un- veraͤnderlich vorher? Gleichwol aber haben ſie nichts weniger/ als einen Zwang uͤber die Ge- ſtirne. Wir ſehen von denen Leuchte-Thuͤr- men den Schiffbruch eines auff Stein-Felſen vom Ungewitter getriebenen Schiffes fuͤr Au- gen. Wer wolte aber dieſen insgemein mit- leidenden Zuſchauern den Zwang ſolchen Un- gluͤcks beymeſſen? Dieſem nach der weiſe Zeno dem Diebe/ welcher mit der Verſehung ſein La- ſter zu entſchuldigen vermeint/ vernuͤnfftig ge- antwortet: Daß er auch zu der Straffe ver- ſehen waͤre. Dieſes iſt meine einfaͤltige Mei- nung/ iedoch eine vielleicht deſto unſchuldige- re. Sintemahl allzu verſchmitzte Außle- gungen in ſo tieffinnigen Dingen ſelbte mehr verfinſtern/ als erklaͤren; und wo Fragen von Gott mit einlauffen/ eine fromme Einfalt mehr Ruhmes verdienet/ als ein ſcharfſinniger Vor- witz. Jederman ward hierdurch derogeſtalt beſtil- erſt
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Drittes Buch
angeruffen/ und uͤber alle andere Goͤtter geſetzt
wuͤrde/ welche in allen Dingen das Kraut al-
leine machte. Dahingegen alle Kluge das
Gluͤcke des Poͤfels/ welcher ſelbtes ſo bald wie-
der laͤſtert/ und ihm ſeine eigene Fehler aufhal-
ſet/ als anbetet/ fuͤr ein bloſſes Unding verworf-
fen/ weniger ſelbtem geopffert haben. Und
erinnere ich mich eines Gemaͤhldes dreyer ſo ge-
nennten Naͤrrinnen/ darinnen die Weißheit
die erſtere/ nehmlich die Verlaͤugnerin der Goͤt-
ter ins Tollhauß an eine Kette/ die andere/ nem-
lich die weiſſagende Sternſeherin in eine Klau-
ſe zum Gebrauche der Nieſewurtz/ die dritte/
nehmlich das gantz entbloͤſte Gluͤcke ins Zucht-
Hauß zur Ruthe verdammte. Die Fuͤrſtin
Thuſnelde meinte aus Begierde die unterbro-
chene Geſchichts-Erzehlung von der Koͤnigin
Erato vollends zu vernehmen; dem erwachſe-
nen Stritte einen rechtmaͤßigen Ausſchlag zu
geben/ ſagte alſo: Sie waͤre dißfalls der Koͤni-
gin Meinung/ daß kein ander Gluͤcke/ als die
goͤttliche Veꝛ ſehung den Nahmen einer Gott-
heit/ dieſe aber keine Laͤſterung verdiene/ ſon-
dern in ihren Wercken lauter Gewißheit und
Gerechtigkeit ſtecke; ob ſie ſchon niemand mit
ſeinem Verſtande zu erreichen vermoͤchte. Jn
dem Haupt-Stritte aber daͤuchtete ſie/ daß ſo
wol ein als das ander Theil den Bogen ſeiner
Meinung zu hoch ſpannte. Denn das goͤttli-
che Verhaͤngnuͤß waͤre zwar der erſte Bewe-
gungs-Grund aller Dinge; Gott ſehe all un-
ſer Thun unveraͤnderlich vorher/ und haͤtte es
geſehen/ als die Natur ſein Kind/ und nichts zu
etwas worden waͤre. Alleine dieſes alles haͤtte
keinen Zwang in ſich/ und buͤrdete dem Men-
ſchen keine Nothwendigkeit diß gute/ oder jenes
boͤſe zu thun auf; ſondern es behielte unſer Wil-
le ſeine vollkommene Freyheit. Denn Gott
haͤtte nur deßhalben unſer Gluͤck und Ungluͤck
ſo gewiß vorher geſehen; weilihm zugleich oder
vorher ſchon unter ſeine Augen geleuchtet hat/
was wir von der Geburt biß in den Todt boͤſes
oder gutes entſchluͤſſen wuͤrden. Unſere heu-
tige/ oder die von der Nachwelt Gott beſtimm-
te Andacht waͤre ihm ſo wenig neu/ als diß/
was uns oder den Nachkommen begegnen ſoll.
Jene ſiehet das Verhaͤngnuͤß als die Urſache/
dieſes als die veꝛdiente Wuͤrckung vorheꝛ. Daheꝛ
es die groͤſte Unvernunfft waͤre/ wenn die ruch-
loſe Verzweiffelung es fuͤr einerley halten wol-
te: ob man boßhafft oder tugendhafft ſey? Und
wenn ſie ihr Thun einem getraͤumten Noth-
zwange des Himmels unterwirft. Sehen
nicht die Sternſeher auf tauſend Jahr die Son-
nen- und Monden-Finſternuͤſſe/ und zwar un-
veraͤnderlich vorher? Gleichwol aber haben ſie
nichts weniger/ als einen Zwang uͤber die Ge-
ſtirne. Wir ſehen von denen Leuchte-Thuͤr-
men den Schiffbruch eines auff Stein-Felſen
vom Ungewitter getriebenen Schiffes fuͤr Au-
gen. Wer wolte aber dieſen insgemein mit-
leidenden Zuſchauern den Zwang ſolchen Un-
gluͤcks beymeſſen? Dieſem nach der weiſe Zeno
dem Diebe/ welcher mit der Verſehung ſein La-
ſter zu entſchuldigen vermeint/ vernuͤnfftig ge-
antwortet: Daß er auch zu der Straffe ver-
ſehen waͤre. Dieſes iſt meine einfaͤltige Mei-
nung/ iedoch eine vielleicht deſto unſchuldige-
re. Sintemahl allzu verſchmitzte Außle-
gungen in ſo tieffinnigen Dingen ſelbte mehr
verfinſtern/ als erklaͤren; und wo Fragen von
Gott mit einlauffen/ eine fromme Einfalt mehr
Ruhmes verdienet/ als ein ſcharfſinniger Vor-
witz.
Jederman ward hierdurch derogeſtalt beſtil-
let/ daß weder Jſmene noch Salonine dieſer
klugen Fuͤrſtin einigen Gegenſatz zu thun rath-
ſam hielt; ſondern dieſe kam wieder auf ihre Ar-
meniſche Koͤnigin/ und erzehlte/ wie ſie ihre
Herrſchafft auff die Pfeiler der Gerechtigkeit
und Guͤte gegruͤndet/ hierdurch aber den Ruhm
erworben haͤtte: Das Armeniſche Reich waͤre
unter ihr ſo wohl/ als vorher niemahls befeſtiget
worden; ja es haͤtte nach ſo langer Unruh aller-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/350>, abgerufen am 26.06.2024. |