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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ein Zeichen angezielter Ober-Herrschafft über
Carthago ihn seinen Kopff gekostet/ Marcus
Antonius habe nach der Pharsalischen Schlacht
zur Andeitung/ daß die hertzhafftigsten Römer
sich einem knechtischen Joche unterwerffen wür-
den/ gezähmte Löwen an seinen Wagen gespan-
net/ und sey darmit in Rom gefahren; von denen
so wilden Bären aber habe er noch nicht gehöret/
daß selbte zur Leibwache wären gebraucht/ und
zum Kriege abgerichtet worden. Der Feldherr
antwortete: Es wäre in denen Nordländern
diß nichts ungem eines; massen die Bären all-
dar zum Tautz und anderer Gauckeley geweh-
net würden. Auch hielte er darfür/ daß die
Bären in Thracien nicht grimmiger seyn mü-
sten/ weil in dem benachbarten Phrygien ja des
Priamus wegen eines Traumes in das Jdi-
sche Gebürge verworffener Sohn Alexander
von einer Bärin soll gesäuget worden seyn.
Rhemetalces versetzte: Jch höre wohl/ daß der
Feldherr meiner Nachbarschafft mehr als ich
selbst kundig sey. Jedoch fällt mir zu Bestär-
ckung obiger Meinung ein/ daß es die Men-
schen den wilden Thieren weit zuvor thun/ wie
Cyrus von einem Hunde/ Pelias von einer
Stutte/ Egisthus von einer Ziege/ Romulus
von einer Wölffin/ König Habis von einer
Hinde/ Midas von Ameisen/ Hiero und
Plato von Bienen/ ja Pythagoras gar von ei-
nem Aspen-Baume ernehret worden sey; als
die unbarmhertzigen Eltern ihnen die Lebens-
Mittel entzogen. Es ist zu bejammern/ antwor-
tete der Feldherr/ daß vernünfftige Menschen
wilder als wild sind/ daß ein Thier ins gemein
nur einer übeln Art/ als der Fuchs der Arglist/
der Hund der Zwistigkeit/ der Esel der Träg-
heit/ der Hase der Furchtsamkeit/ der Panther der
Grausamkeit/ der Mensch hingegen aller Laster
fähig sey. Und da kein Unthier ein anders tödtet/
wenn es nicht Hunger oder Beleidigung darzu
nöthiget/ der Mensch alleine das heilige Eben-
bild Gottes den andern im Schertz und Kurtz-
[Spaltenumbruch] weil in offentlichen Schau-Plätzen mit Lachen
und Frolocken der Zuschauer ermordet. Ja wenn
man den Abriß deß menschlichen Lebens genau
betrachtet/ scheinet selbter fast alle zehn Jahr eine
neue Gestalt eines Thieres abzubilden/ und biß
zum zehenden Jahre einen Papagoyen/ und ein
spielendes Eichhorn/ biß zum zwantzigsten einen
stoltzen Pfauen/ biß zum dreißigsten einen hitzi-
gen Löwen/ biß zum viertzigsten ein arbeitsames
Kamel/ biß zum funffzigsten eine listige Schlan-
ge/ biß zum sechzigsten einen neidischen Hund ab-
zugeben/ und derogestalt biß er wieder zum Kin-
de wird/ sich von Jahre zu Jahre mehr zu ver-
schlimmern/ und ie mehr sein Verstand zunim-
met/ sich seines edlen Schatzes der Vernunfft
nur weniger zu gebrauchen/ oder kräfftiger zu
mißbrauchen. Die tugendsame Thußnelde seuf-
zete hierüber/ und zweiffelsfrey über dem Begin-
nen ihres Vatern Segesthes/ und hob an: Wol-
te Gott! daß der Mensch dieses mehr als himmli-
sche Licht der Natur/ welches in uns alle Nebel
der Unwissenheit/ allen stinckenden Dampff der
Laster erleuchten und zertreiben soll/ mit Nach-
hängung seiner bösen Lüste nicht verfinsterte!
Wolte Gott! daß er alle sein Thun nach dieser
Richtschnur richtete! Denn die Vernunfft ist in
Warheit der Probierstein/ an dem man alle Be-
gebnüsse streichen/ alles Böse und Gute unter-
scheiden muß. Sie ist die Magnet-Nadel/ wel-
che sich allezeit gegen dem Angelsterne der Tu-
gend wendet. Diese ist des Menschen eigenthüm-
liches Gut/ das die Natur ihm zuvoraus ge-
schencket hat; Alle andere Gaben besitzen auch
andere Thiere. Einen Leib haben auch die Stei-
ne/ ein Leben auch die Gewächse/ die Bewegung
auch das Gewürme/ eine Schönheit auch die
Pfauen/ eine Stimme auch die Papagoyen/ eine
Stärckere der Löw/ eine schärffere der Adler/ eine
lieblichere die Nachtigal. Die Elephanten über-
treffen den Menschen an der Stärcke/ die Hir-
schen an Geschwindigkeit/ die Affen am Ge-
schmacke/ die Spinne am Fühlen/ der Geyer am

Ge-
J i i 2

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ein Zeichen angezielter Ober-Herrſchafft uͤber
Carthago ihn ſeinen Kopff gekoſtet/ Marcus
Antonius habe nach der Pharſaliſchen Schlacht
zur Andeitung/ daß die hertzhafftigſten Roͤmer
ſich einem knechtiſchen Joche unterwerffen wuͤr-
den/ gezaͤhmte Loͤwen an ſeinen Wagen geſpan-
net/ und ſey darmit in Rom gefahren; von denen
ſo wilden Baͤren aber habe er noch nicht gehoͤret/
daß ſelbte zur Leibwache waͤren gebraucht/ und
zum Kriege abgerichtet worden. Der Feldherr
antwortete: Es waͤre in denen Nordlaͤndern
diß nichts ungem eines; maſſen die Baͤren all-
dar zum Tautz und anderer Gauckeley geweh-
net wuͤrden. Auch hielte er darfuͤr/ daß die
Baͤren in Thracien nicht grimmiger ſeyn muͤ-
ſten/ weil in dem benachbarten Phrygien ja des
Priamus wegen eines Traumes in das Jdi-
ſche Gebuͤrge verworffener Sohn Alexander
von einer Baͤrin ſoll geſaͤuget worden ſeyn.
Rhemetalces verſetzte: Jch hoͤre wohl/ daß der
Feldherr meiner Nachbarſchafft mehr als ich
ſelbſt kundig ſey. Jedoch faͤllt mir zu Beſtaͤr-
ckung obiger Meinung ein/ daß es die Men-
ſchen den wilden Thieren weit zuvor thun/ wie
Cyrus von einem Hunde/ Pelias von einer
Stutte/ Egiſthus von einer Ziege/ Romulus
von einer Woͤlffin/ Koͤnig Habis von einer
Hinde/ Midas von Ameiſen/ Hiero und
Plato von Bienen/ ja Pythagoras gar von ei-
nem Aſpen-Baume ernehret worden ſey; als
die unbarmhertzigen Eltern ihnen die Lebens-
Mittel entzogen. Es iſt zu bejammern/ antwor-
tete der Feldherr/ daß vernuͤnfftige Menſchen
wilder als wild ſind/ daß ein Thier ins gemein
nur einer uͤbeln Art/ als der Fuchs der Argliſt/
der Hund der Zwiſtigkeit/ der Eſel der Traͤg-
heit/ der Haſe der Furchtſamkeit/ der Panther der
Grauſamkeit/ der Menſch hingegen aller Laſter
faͤhig ſey. Und da kein Unthier ein anders toͤdtet/
wenn es nicht Hunger oder Beleidigung darzu
noͤthiget/ der Menſch alleine das heilige Eben-
bild Gottes den andern im Schertz und Kurtz-
[Spaltenumbruch] weil in offentlichen Schau-Plaͤtzen mit Lachen
und Frolocken der Zuſchauer ermordet. Ja weñ
man den Abriß deß menſchlichen Lebens genau
betrachtet/ ſcheinet ſelbter faſt alle zehn Jahr eine
neue Geſtalt eines Thieres abzubilden/ und biß
zum zehenden Jahre einen Papagoyen/ und ein
ſpielendes Eichhorn/ biß zum zwantzigſten einen
ſtoltzen Pfauen/ biß zum dreißigſten einen hitzi-
gen Loͤwen/ biß zum viertzigſten ein arbeitſames
Kamel/ biß zum funffzigſten eine liſtige Schlan-
ge/ biß zum ſechzigſten einen neidiſchen Hund ab-
zugeben/ und derogeſtalt biß er wieder zum Kin-
de wird/ ſich von Jahre zu Jahre mehr zu ver-
ſchlimmern/ und ie mehr ſein Verſtand zunim-
met/ ſich ſeines edlen Schatzes der Vernunfft
nur weniger zu gebrauchen/ oder kraͤfftiger zu
mißbrauchen. Die tugendſame Thußnelde ſeuf-
zete hieruͤber/ und zweiffelsfrey uͤber dem Begin-
nen ihres Vatern Segeſthes/ und hob an: Wol-
te Gott! daß der Menſch dieſes mehr als him̃li-
ſche Licht der Natur/ welches in uns alle Nebel
der Unwiſſenheit/ allen ſtinckenden Dampff der
Laſter erleuchten und zertreiben ſoll/ mit Nach-
haͤngung ſeiner boͤſen Luͤſte nicht verfinſterte!
Wolte Gott! daß er alle ſein Thun nach dieſer
Richtſchnur richtete! Denn die Vernunfft iſt in
Warheit der Probierſtein/ an dem man alle Be-
gebnuͤſſe ſtreichen/ alles Boͤſe und Gute unter-
ſcheiden muß. Sie iſt die Magnet-Nadel/ wel-
che ſich allezeit gegen dem Angelſterne der Tu-
gend wendet. Dieſe iſt des Menſchen eigenthuͤm-
liches Gut/ das die Natur ihm zuvoraus ge-
ſchencket hat; Alle andere Gaben beſitzen auch
andere Thiere. Einen Leib haben auch die Stei-
ne/ ein Leben auch die Gewaͤchſe/ die Bewegung
auch das Gewuͤrme/ eine Schoͤnheit auch die
Pfauen/ eine Stimme auch die Papagoyen/ eine
Staͤrckere der Loͤw/ eine ſchaͤrffere der Adler/ eine
lieblichere die Nachtigal. Die Elephanten uͤber-
treffen den Menſchen an der Staͤrcke/ die Hir-
ſchen an Geſchwindigkeit/ die Affen am Ge-
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[435/0489] Arminius und Thußnelda. ein Zeichen angezielter Ober-Herrſchafft uͤber Carthago ihn ſeinen Kopff gekoſtet/ Marcus Antonius habe nach der Pharſaliſchen Schlacht zur Andeitung/ daß die hertzhafftigſten Roͤmer ſich einem knechtiſchen Joche unterwerffen wuͤr- den/ gezaͤhmte Loͤwen an ſeinen Wagen geſpan- net/ und ſey darmit in Rom gefahren; von denen ſo wilden Baͤren aber habe er noch nicht gehoͤret/ daß ſelbte zur Leibwache waͤren gebraucht/ und zum Kriege abgerichtet worden. Der Feldherr antwortete: Es waͤre in denen Nordlaͤndern diß nichts ungem eines; maſſen die Baͤren all- dar zum Tautz und anderer Gauckeley geweh- net wuͤrden. Auch hielte er darfuͤr/ daß die Baͤren in Thracien nicht grimmiger ſeyn muͤ- ſten/ weil in dem benachbarten Phrygien ja des Priamus wegen eines Traumes in das Jdi- ſche Gebuͤrge verworffener Sohn Alexander von einer Baͤrin ſoll geſaͤuget worden ſeyn. Rhemetalces verſetzte: Jch hoͤre wohl/ daß der Feldherr meiner Nachbarſchafft mehr als ich ſelbſt kundig ſey. Jedoch faͤllt mir zu Beſtaͤr- ckung obiger Meinung ein/ daß es die Men- ſchen den wilden Thieren weit zuvor thun/ wie Cyrus von einem Hunde/ Pelias von einer Stutte/ Egiſthus von einer Ziege/ Romulus von einer Woͤlffin/ Koͤnig Habis von einer Hinde/ Midas von Ameiſen/ Hiero und Plato von Bienen/ ja Pythagoras gar von ei- nem Aſpen-Baume ernehret worden ſey; als die unbarmhertzigen Eltern ihnen die Lebens- Mittel entzogen. Es iſt zu bejammern/ antwor- tete der Feldherr/ daß vernuͤnfftige Menſchen wilder als wild ſind/ daß ein Thier ins gemein nur einer uͤbeln Art/ als der Fuchs der Argliſt/ der Hund der Zwiſtigkeit/ der Eſel der Traͤg- heit/ der Haſe der Furchtſamkeit/ der Panther der Grauſamkeit/ der Menſch hingegen aller Laſter faͤhig ſey. Und da kein Unthier ein anders toͤdtet/ wenn es nicht Hunger oder Beleidigung darzu noͤthiget/ der Menſch alleine das heilige Eben- bild Gottes den andern im Schertz und Kurtz- weil in offentlichen Schau-Plaͤtzen mit Lachen und Frolocken der Zuſchauer ermordet. Ja weñ man den Abriß deß menſchlichen Lebens genau betrachtet/ ſcheinet ſelbter faſt alle zehn Jahr eine neue Geſtalt eines Thieres abzubilden/ und biß zum zehenden Jahre einen Papagoyen/ und ein ſpielendes Eichhorn/ biß zum zwantzigſten einen ſtoltzen Pfauen/ biß zum dreißigſten einen hitzi- gen Loͤwen/ biß zum viertzigſten ein arbeitſames Kamel/ biß zum funffzigſten eine liſtige Schlan- ge/ biß zum ſechzigſten einen neidiſchen Hund ab- zugeben/ und derogeſtalt biß er wieder zum Kin- de wird/ ſich von Jahre zu Jahre mehr zu ver- ſchlimmern/ und ie mehr ſein Verſtand zunim- met/ ſich ſeines edlen Schatzes der Vernunfft nur weniger zu gebrauchen/ oder kraͤfftiger zu mißbrauchen. Die tugendſame Thußnelde ſeuf- zete hieruͤber/ und zweiffelsfrey uͤber dem Begin- nen ihres Vatern Segeſthes/ und hob an: Wol- te Gott! daß der Menſch dieſes mehr als him̃li- ſche Licht der Natur/ welches in uns alle Nebel der Unwiſſenheit/ allen ſtinckenden Dampff der Laſter erleuchten und zertreiben ſoll/ mit Nach- haͤngung ſeiner boͤſen Luͤſte nicht verfinſterte! Wolte Gott! daß er alle ſein Thun nach dieſer Richtſchnur richtete! Denn die Vernunfft iſt in Warheit der Probierſtein/ an dem man alle Be- gebnuͤſſe ſtreichen/ alles Boͤſe und Gute unter- ſcheiden muß. Sie iſt die Magnet-Nadel/ wel- che ſich allezeit gegen dem Angelſterne der Tu- gend wendet. Dieſe iſt des Menſchen eigenthuͤm- liches Gut/ das die Natur ihm zuvoraus ge- ſchencket hat; Alle andere Gaben beſitzen auch andere Thiere. Einen Leib haben auch die Stei- ne/ ein Leben auch die Gewaͤchſe/ die Bewegung auch das Gewuͤrme/ eine Schoͤnheit auch die Pfauen/ eine Stimme auch die Papagoyen/ eine Staͤrckere der Loͤw/ eine ſchaͤrffere der Adler/ eine lieblichere die Nachtigal. Die Elephanten uͤber- treffen den Menſchen an der Staͤrcke/ die Hir- ſchen an Geſchwindigkeit/ die Affen am Ge- ſchmacke/ die Spinne am Fuͤhlen/ der Geyer am Ge- J i i 2

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/489>, abgerufen am 22.11.2024.