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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] sagte Thußnelde/ ich weiß und fühle nunmehr
allzu sehr meine Schwachheit. Jch lerne/ daß
das Verhängnüß Anfechtungen habe/ welche
Riesen Furcht einjagen/ und auch marmelnen
Säulen Schweiß austreiben können. Es ist
nicht ohne/ versetzte der Feldherr? Aber zuletzt
gereichet alles dem/ der alles diß überwindet/
zum Vortheil. Beym Blitze werden nur von
den Muscheln die Perlen empfangen/ die
Myrrhen rinnen nur durch die Wunde/ welche
das Baum-Messer in seiner Mutter-Staude
macht; der Wein-Stock wil geschnidten/ und
gewisse Bäume behauen seyn/ wenn sie Früchte
tragen sollen. Nicht andere Eigenschafft hätte
das unter der Trübsal sich am tapfersten bezei-
gende Gemüthe des Menschen; und würde man
vom Hercules/ wenn keine Ungeheuer gewest
wären/ so viel rühmliches nicht zu sagen wissen.
Was ein oder ander Mensch absonderlich aus-
stünde/ gereichte zu Erhaltung des gemeinen
Wesens. Die Natur selbst beförderte ihre
Geburten durch eine Verderbung vorher gewe-
sener Dinge. Wer nur immer glückselig seyn
wolte/ verlangte die Welt nur auf einer Seite/
das Gelücke nur vorwerts/ und die Natur nur
halb zu kennen. Er wolte/ wenn andere bere-
gneten/ keinen Tropfen auf sich fallen lassen/
und bey allgemeinem Schiffbruche nur sein
Segel in Hafen bringen. Thußnelde röthete
sich hierüber/ und versetzte: Sie könte ohne Un-
vernunft sich keines Vorzugs für andern Men-
schen/ noch einer Freyheit von der Botmässig-
keit des Gelückes sich anmassen; aber ihr Un-
stern schiene mit Fleiß dahin ausgerüstet zu seyn/
daß er sie in dem Mittel ihres Hertzens/ nemlich
in dem Behältnüsse der allein unversehrlichen
Ehre/ verwunden/ und bey vermeynter Erlan-
gung ihres höchsten Wohlstandes einäschern
wolte. Hertzog Herrmann begegnete ihr mit
einem ihm aus den Augen herfürbrechenden
Mitleiden: Es wäre zwar eine gemeine Ketze-
rey der Menschen/ daß sie/ denen es ein wenig
[Spaltenumbruch] wol ginge/ sich für die Schooß-Kinder/ die ein we-
nig unglücklichen aber sich für die Verwürfflin-
ge des Himmels ausruffeten. Den Hoch- und
Kleinmuth vertrügen als Riesen und Zwerge
keine Mittelgattung im menschlichen Leben.
Allein es wäre das Unglück dem Menschen so
gemein/ als die Schwärtze dem Raben. Weswe-
gen einige Weisen in dem Weinen eine merck-
würdigere Eigenschafft und Unterscheidung
von andern Thieren bey dem Menschen zu fin-
den vermeynet/ als in dem Lachen/ oder auch gar
in der Vernunft. Denn sie wären ins gemein
in Wahrheit denen traurigen Wacholder- und
Fichten-Bäumen zu vergleichen/ welche keine
Blüthen trügen/ und also aller Merckmale des
freudigen Lentzes beraubt wären. Jhr gantzes
Leben/ wenn es gleich die Wollust zuweilen ver-
zuckerte/ wäre vergället/ und sie wüsten von keinen
Honige; den nicht der Tod durch Aufhebung
ihres Elendes verursachte/ oder die Tugend aus
ihren eigenen Wermuth-Blumen saugte. Da-
hero der tieffsinnige Democritus den verzwei-
felnden König Darius beym Verlust seiner
schönsten Gemahlin/ nach versprochener Leben-
digmachung dieses seines todten Abgottes/ durch
diese nachdenckliche Erinnerung zur Vernunft
gebracht: Er solte dreyer niemals unglückseli-
ger Nahmen auf der Verstorbenen Grab ein-
atzen lassen. Welche Darius aber so wenig in
seinem grossen Gebiete/ als der Himmel iemals
unter seinem weiten Dache gehabthat. Unter
dieser allgemeinen Unglückseligkeit machte doch
der Himmel die tugendhafte Thußnelda seinem
geringschätzigen Urtheil nach/ sie aber ihn tau-
sendfach glückselig. Das Verhängnüß mach-
te alle schlimme Anstiftungen ihrer Feinde zu
Wasser/ und alle zernichtete Fall-Stricke zu
Sieges-Zeichen. Sie besässe den/ welchen
man von ihr zu trennen Himmel und Erde be-
weget/ und die Hölle beschworen hätte. Alle
Verfolgung gelangte ihrer Unschuld zur Mit-
leidung/ und ihrem Nahmen zum Ehren-Ruh-

me.

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] ſagte Thußnelde/ ich weiß und fuͤhle nunmehr
allzu ſehr meine Schwachheit. Jch lerne/ daß
das Verhaͤngnuͤß Anfechtungen habe/ welche
Rieſen Furcht einjagen/ und auch marmelnen
Saͤulen Schweiß austreiben koͤnnen. Es iſt
nicht ohne/ verſetzte der Feldherr? Aber zuletzt
gereichet alles dem/ der alles diß uͤberwindet/
zum Vortheil. Beym Blitze werden nur von
den Muſcheln die Perlen empfangen/ die
Myrrhen rinnen nur durch die Wunde/ welche
das Baum-Meſſer in ſeiner Mutter-Staude
macht; der Wein-Stock wil geſchnidten/ und
gewiſſe Baͤume behauen ſeyn/ wenn ſie Fruͤchte
tragen ſollen. Nicht andere Eigenſchafft haͤtte
das unter der Truͤbſal ſich am tapferſten bezei-
gende Gemuͤthe des Menſchen; und wuͤrde man
vom Hercules/ wenn keine Ungeheuer geweſt
waͤren/ ſo viel ruͤhmliches nicht zu ſagen wiſſen.
Was ein oder ander Menſch abſonderlich aus-
ſtuͤnde/ gereichte zu Erhaltung des gemeinen
Weſens. Die Natur ſelbſt befoͤrderte ihre
Geburten durch eine Verderbung vorher gewe-
ſener Dinge. Wer nur immer gluͤckſelig ſeyn
wolte/ verlangte die Welt nur auf einer Seite/
das Geluͤcke nur vorwerts/ und die Natur nur
halb zu kennen. Er wolte/ wenn andere bere-
gneten/ keinen Tropfen auf ſich fallen laſſen/
und bey allgemeinem Schiffbruche nur ſein
Segel in Hafen bringen. Thußnelde roͤthete
ſich hieruͤber/ und verſetzte: Sie koͤnte ohne Un-
vernunft ſich keines Vorzugs fuͤr andern Men-
ſchen/ noch einer Freyheit von der Botmaͤſſig-
keit des Geluͤckes ſich anmaſſen; aber ihr Un-
ſtern ſchiene mit Fleiß dahin ausgeruͤſtet zu ſeyn/
daß er ſie in dem Mittel ihres Hertzens/ nemlich
in dem Behaͤltnuͤſſe der allein unverſehrlichen
Ehre/ verwunden/ und bey vermeynter Erlan-
gung ihres hoͤchſten Wohlſtandes einaͤſchern
wolte. Hertzog Herrmann begegnete ihr mit
einem ihm aus den Augen herfuͤrbrechenden
Mitleiden: Es waͤre zwar eine gemeine Ketze-
rey der Menſchen/ daß ſie/ denen es ein wenig
[Spaltenumbruch] wol ginge/ ſich fuͤr die Schooß-Kinder/ die ein we-
nig ungluͤcklichen aber ſich fuͤr die Verwuͤrfflin-
ge des Himmels ausruffeten. Den Hoch- und
Kleinmuth vertruͤgen als Rieſen und Zwerge
keine Mittelgattung im menſchlichen Leben.
Allein es waͤre das Ungluͤck dem Menſchen ſo
gemein/ als die Schwaͤrtze dem Raben. Weswe-
gen einige Weiſen in dem Weinen eine merck-
wuͤrdigere Eigenſchafft und Unterſcheidung
von andern Thieren bey dem Menſchen zu fin-
den vermeynet/ als in dem Lachen/ oder auch gar
in der Vernunft. Denn ſie waͤren ins gemein
in Wahrheit denen traurigen Wacholder- und
Fichten-Baͤumen zu vergleichen/ welche keine
Bluͤthen truͤgen/ und alſo aller Merckmale des
freudigen Lentzes beraubt waͤren. Jhr gantzes
Leben/ wenn es gleich die Wolluſt zuweilen ver-
zuckerte/ waͤre vergaͤllet/ und ſie wuͤſten von keinẽ
Honige; den nicht der Tod durch Aufhebung
ihres Elendes verurſachte/ oder die Tugend aus
ihren eigenen Wermuth-Blumen ſaugte. Da-
hero der tieffſinnige Democritus den verzwei-
felnden Koͤnig Darius beym Verluſt ſeiner
ſchoͤnſten Gemahlin/ nach verſprochener Leben-
digmachung dieſes ſeines todten Abgottes/ durch
dieſe nachdenckliche Erinnerung zur Vernunft
gebracht: Er ſolte dreyer niemals ungluͤckſeli-
ger Nahmen auf der Verſtorbenen Grab ein-
atzen laſſen. Welche Darius aber ſo wenig in
ſeinem groſſen Gebiete/ als der Himmel iemals
unter ſeinem weiten Dache gehabthat. Unter
dieſer allgemeinen Ungluͤckſeligkeit machte doch
der Himmel die tugendhafte Thußnelda ſeinem
geringſchaͤtzigen Urtheil nach/ ſie aber ihn tau-
ſendfach gluͤckſelig. Das Verhaͤngnuͤß mach-
te alle ſchlimme Anſtiftungen ihrer Feinde zu
Waſſer/ und alle zernichtete Fall-Stricke zu
Sieges-Zeichen. Sie beſaͤſſe den/ welchen
man von ihr zu trennen Himmel und Erde be-
weget/ und die Hoͤlle beſchworen haͤtte. Alle
Verfolgung gelangte ihrer Unſchuld zur Mit-
leidung/ und ihrem Nahmen zum Ehren-Ruh-

me.
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/492>, abgerufen am 22.11.2024.