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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] nützen Thränen beschäfftigen müssen. Die
Furcht wäre die Eigenschafft eines Lasterhaff-
ten/ und das Schrecken eines Sclavens. Alle
andere Ubel hätten ihr Maaß/ und das Unglück
sein gewisses Ziel. Die Furcht alleine überschrit-
te alle Grentzen/ und vertrüge keinen Zaum der
Vernunfft. Andere Schwachheiten fühlten nur
diß/ was sie würcklich und wesentlich beleidigte;
die Furcht aber machte das künfftige oder auch
nur geträumte Böse gegenwärtig. Sie verwan-
delte den Schatten von einem Zwerge in einen
Riesen; wie die unter gehende Sonne einen Ro-
sen-Strauch in eine Ceder. Sie sehe einen glän-
tzenden Nachtwurm für ein Jrrlicht an; Sie
zitterte für ihrer nichtigen Einbildung/ wie Pi-
sander für seiner eigenen Seele. Sie benehme
dem Gesichte die Farbe/ dem Haupte die Ver-
nunfft/ dem Leibe das Hertze/ dem Munde die
Beredsamkeit. Sie machte auch die Treuesten
wanckelmüthig/ und nöthigte auch den Guten
den Jrrthum der Bösen auff. Sie unterscheide-
te nicht die heilsamen Erinnerungen kluger Leu-
te/ und die Meinungen des albern Pöfels. Sie
zerstörte alle Ruh und Eintracht/ und gebe ei-
telem Ruffe mehr Gehöre als der Warheit. Ja
sie erdichtete ihr selbst/ was ihr doch zuwider wä-
re. Sie triebe einem die grauen Haare in einer
Nacht heraus; Sie entlieffe wie das grosse Heer
des Xerxes für dem furchtsamsten aller Thiere/
nemlich einem Hasen; flüchtete sich wie die mäch-
tige Kriegs-Flotte der Jnsel Samas bey dem
Flusse Siris für dem Geräusche etlicher auff-
fliegender Rebhüner/ oder stürbe wohl gar für
Aengsten wie die Wasser-Heuschrecke/ wenn sie
den Meer-Fisch zu sehen kriegt/ der von vielen
Füssen den Nahmen hat. Ein Fürst aber nehme
durch seine einige Zagheit tausend ihm folgenden
Löwen das Hertze/ und stürtzte sein gantzes Volck
mit einer kleinmüthigen Gebehrdung ins Ver-
zweiffeln/ wie die verfinsterte Sonne die gantze
Welt in Schrecken. Diesem nach müste er alle
Furcht von sich verhannen. Denn wer das we-
nigste davon im Hertzen hätte/ wäre unsähig sol-
[Spaltenumbruch] che andern einzujagen. Denn die Crocodile und
Feinde lieffen nur für denen sie verfolgenden;
hingegen verfolgten sie alle Flüchtigen. Der
Feldherr setzte dem Hertzog Arpus entgegen: Er
wolte des Augustus Verstellung zwar nicht das
Wort reden; aber er könte den Deutschen schwer-
lich so sehr heucheln/ daß der Käyser hierdurch
bloß die Verfallung seines Gemüths entdecket/
nicht aber vielmehr ein unerforschlich Geheim-
niß verborgen haben solte. Er kennte den August
gar zu gut/ August aber so wohl der Römer als
Deutschlands Kräfften. Wäre es eine Klugheit
sein Unglück verkleinern/ so könte desselbten Ver-
grösserung zuweilen auch wohl ein Streich der
Staats-Verständigen seyn. Wie viel Leute
würden nur durch eusserste Gefahr vorsichtig ge-
macht/ und durch Donner und Blitz aus dem
Schlaffe ihrer Sicherheit auffgeweckt? Die
Thoren hielten den nur für einen tapffern Hel-
den/ der sich für nichts fürchtete. Daher sein Vor-
fahr Marcomir/ dessen Hertze gewiß keine wei-
bische Zagheit zu beherbergen fähig gewest wäre/
über eines Großsprechers Grabschrifft/ Krafft
welcher er sich niemahls für etwas gefürchtet ha-
ben solte/ lachte und urtheilte: der Verstorbene
müste niemahls ein Licht mit den Fingern ge-
putzt haben. Denn die Steine hätten allein diese
Unempfindligkeit; Die Unwissenden schreckte
kein Blitz; die Wahnsinnigen lieffen nur wie die
thummen Schaafe ins Feuer/ und die wilden
Zelten hätten nicht ihre Hertzhafftigkeit/ son-
der ihre blinde Unvernunfft an Tag gegeben;
als sie die unversehrlichen Wellen des sie über-
schwemmenden Meeres mit ihren Waffen zu-
rück treiben wolten. Man müste dem Glücke
und der Natur zuweilen aus dem Wege gehen.
Diese hätte in den hertzhaftesten Thieren uns
einen Spiegel der Klugheit fürgehalten/ wenn
sie gemacht/ daß der Löwe sich für dem Geschrey
eines Hahnes/ der Elefant für dem Gruntzen
eines Schweines/ oder für dem Ansehn eines
Widers/ der Tiger sich für dem Gethöne einer
Paucke/ der Wallfisch für Zerstossung der

Bo-

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] nuͤtzen Thraͤnen beſchaͤfftigen muͤſſen. Die
Furcht waͤre die Eigenſchafft eines Laſterhaff-
ten/ und das Schrecken eines Sclavens. Alle
andere Ubel haͤtten ihr Maaß/ und das Ungluͤck
ſein gewiſſes Ziel. Die Furcht alleine uͤberſchrit-
te alle Grentzen/ und vertruͤge keinen Zaum der
Vernunfft. Andere Schwachheiten fuͤhlten nur
diß/ was ſie wuͤrcklich und weſentlich beleidigte;
die Furcht aber machte das kuͤnfftige oder auch
nur getraͤumte Boͤſe gegenwaͤrtig. Sie verwan-
delte den Schatten von einem Zwerge in einen
Rieſen; wie die unter gehende Sonne einen Ro-
ſen-Strauch in eine Ceder. Sie ſehe einen glaͤn-
tzenden Nachtwurm fuͤr ein Jrrlicht an; Sie
zitterte fuͤr ihrer nichtigen Einbildung/ wie Pi-
ſander fuͤr ſeiner eigenen Seele. Sie benehme
dem Geſichte die Farbe/ dem Haupte die Ver-
nunfft/ dem Leibe das Hertze/ dem Munde die
Beredſamkeit. Sie machte auch die Treueſten
wanckelmuͤthig/ und noͤthigte auch den Guten
den Jrrthum der Boͤſen auff. Sie unterſcheide-
te nicht die heilſamen Eriñerungen kluger Leu-
te/ und die Meinungen des albern Poͤfels. Sie
zerſtoͤrte alle Ruh und Eintracht/ und gebe ei-
telem Ruffe mehr Gehoͤre als der Warheit. Ja
ſie erdichtete ihr ſelbſt/ was ihr doch zuwider waͤ-
re. Sie triebe einem die grauen Haare in einer
Nacht heraus; Sie entlieffe wie das groſſe Heer
des Xerxes fuͤr dem furchtſamſten aller Thiere/
nemlich einem Haſen; fluͤchtete ſich wie die maͤch-
tige Kriegs-Flotte der Jnſel Samas bey dem
Fluſſe Siris fuͤr dem Geraͤuſche etlicher auff-
fliegender Rebhuͤner/ oder ſtuͤrbe wohl gar fuͤr
Aengſten wie die Waſſer-Heuſchrecke/ wenn ſie
den Meer-Fiſch zu ſehen kriegt/ der von vielen
Fuͤſſen den Nahmen hat. Ein Fuͤrſt aber nehme
durch ſeine einige Zagheit tauſend ihm folgenden
Loͤwen das Hertze/ und ſtuͤrtzte ſein gantzes Volck
mit einer kleinmuͤthigen Gebehrdung ins Ver-
zweiffeln/ wie die verfinſterte Sonne die gantze
Welt in Schrecken. Dieſem nach muͤſte er alle
Furcht von ſich verhannen. Denn wer das we-
nigſte davon im Hertzen haͤtte/ waͤre unſaͤhig ſol-
[Spaltenumbruch] che andern einzujagen. Denn die Crocodile und
Feinde lieffen nur fuͤr denen ſie verfolgenden;
hingegen verfolgten ſie alle Fluͤchtigen. Der
Feldherr ſetzte dem Hertzog Arpus entgegen: Er
wolte des Auguſtus Verſtellung zwar nicht das
Wort reden; aber er koͤnte den Deutſchen ſchweꝛ-
lich ſo ſehr heucheln/ daß der Kaͤyſer hierdurch
bloß die Verfallung ſeines Gemuͤths entdecket/
nicht aber vielmehr ein unerforſchlich Geheim-
niß verborgen haben ſolte. Er kennte den Auguſt
gar zu gut/ Auguſt aber ſo wohl der Roͤmer als
Deutſchlands Kraͤfften. Waͤre es eine Klugheit
ſein Ungluͤck verkleinern/ ſo koͤnte deſſelbten Veꝛ-
groͤſſerung zuweilen auch wohl ein Streich der
Staats-Verſtaͤndigen ſeyn. Wie viel Leute
wuͤrden nur durch euſſerſte Gefahr vorſichtig ge-
macht/ und durch Donner und Blitz aus dem
Schlaffe ihrer Sicherheit auffgeweckt? Die
Thoren hielten den nur fuͤr einen tapffern Hel-
den/ der ſich fuͤr nichts fuͤrchtete. Daher ſein Vor-
fahr Marcomir/ deſſen Hertze gewiß keine wei-
biſche Zagheit zu beherbergen faͤhig geweſt waͤre/
uͤber eines Großſprechers Grabſchrifft/ Krafft
welcher er ſich niemahls fuͤr etwas gefuͤrchtet ha-
ben ſolte/ lachte und urtheilte: der Verſtorbene
muͤſte niemahls ein Licht mit den Fingern ge-
putzt haben. Denn die Steine haͤtten allein dieſe
Unempfindligkeit; Die Unwiſſenden ſchreckte
kein Blitz; die Wahnſinnigen lieffen nur wie die
thummen Schaafe ins Feuer/ und die wilden
Zelten haͤtten nicht ihre Hertzhafftigkeit/ ſon-
der ihre blinde Unvernunfft an Tag gegeben;
als ſie die unverſehrlichen Wellen des ſie uͤber-
ſchwemmenden Meeres mit ihren Waffen zu-
ruͤck treiben wolten. Man muͤſte dem Gluͤcke
und der Natur zuweilen aus dem Wege gehen.
Dieſe haͤtte in den hertzhafteſten Thieren uns
einen Spiegel der Klugheit fuͤrgehalten/ wenn
ſie gemacht/ daß der Loͤwe ſich fuͤr dem Geſchrey
eines Hahnes/ der Elefant fuͤr dem Gruntzen
eines Schweines/ oder fuͤr dem Anſehn eines
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/502>, abgerufen am 22.11.2024.