Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] Carneades zweiffeln/ mit dem Diogenes zuwei-
len über die Schnur hauen/ mit dem Epicur
sich beruhigen/ mit dem Zeno die Natur über-
wünden lernen/ und also ihm einen ieden Wei-
sen nütze machen; so brachte sie es doch dahin/
daß weder Cajus noch Lucius ihn ferner hören
dorften. Hingegen/ weil ihr und ihrem auff
den Tiberius gesetztem Absehen daran gelegen
war/ daß beyde Käyserliche Enckel in den La-
stern ersteckt würden; half sie mit des Mecenas
Einrathen dem Aristippus zu der Unterrich-
tung des Cajus und Lucius/ wie auch meiner.
Dieser Verführer trug uns anfangs zwar den
besten Kern der Epicurischen Weißheit für/
und wuste der Tugend meisterlich eine Farbe
anzustreichen; Gleichwol aber hing er derselben
stets diesen Schandfleck an/ daß sie nicht wegen
ihr selbst/ sondern nur wegen ihrer viel edlern
Tochter/ nemlich der Wollust zu lieben wäre.
Hernach kam er auff natürliche Dinge/ und
lehrte uns/ daß die Welt/ nicht nach des Hera-
clitus Meinung/ aus Feuer/ nicht/ wie Thales
lehrte/ aus Wasser/ noch wie dem Pythagoras
träumte/ aus Zahlen/ sondern aus eitel durch-
einander schwermenden Sonnen-Stäublein/
ungefehr zusammen gewachsen/ am allerwe-
nigsten aber nach des Aristoteles Meinung
und Einbildung ewig wäre. Auff diesen
Schluß gründete er ferner/ daß die Götter sich
um die Welt und die Menschen unbekümmert/
also die vom Plato gerühmte göttliche Vorsor-
ge und Versehung ein blosser Traum wäre/ ja
die Götter hätten nicht einmahl den Sinn der
Tugend wol zu thun/ weniger Waffen und
Macht die Bösen zu beschädigen. Die See-
len der Menschen verrauchten mit dem sterben-
den Leibe/ und hätten nach dem Tode weder
Lust noch Straffe zu er warten. Dahero wäre
die Entschlagung aller Bekümmernüß/ die
Ruhe des Gemüthes das höchsie Gut der
Sterblichen/ wie der Müsiggang der Götter.
So viel wagte er sich dem fast unzehlbaren Hauf-
fen seiner sich täglich zu ihm drängenden Lehr-
[Spaltenumbruch] linge fürzutragen. Und wenn iemand über
etwas ihm einen Zweifel erregte; wuste er durch
spitzige Unterscheidungen seine Sätze so meister-
lich herum zu drehen/ daß es schien/ als wenn er
die Götter angebetet/ die Menschen allerdings
tugendhafft wissen wolte. Als er aber den Ca-
jus und Lucius so gar geneigt zur Wollust sahe;
ließ er sie und mich einmal in das innerste Theil
seines bewohnten Lusthauses zu absonderer Un-
terweisung leiten. Wir fanden daselbst an ihm
gleichsam einen gantz andern Menschen. An
statt des langen Mantels trug er nach Griechi-
scher Art einen seidenen Rock der Edelen. Die
Platte seines kahlen Kopffes war mit falschen
Haaren bedeckt. An den Armen und Fingern
trug er güldene Geschmeide und Ringe mit E-
delgesteinen. An den Füssen hatte er gestickte
Schuh mit kleinen Monden. Und von der
Tracht der Weltweisen war nichts/ als der lan-
ge Bart übrig; welcher aber mit Fleiß ausge-
kämmet/ und eingebalsamt; die Lippen mit
Zinober geschmückt/ die Nägel vergüldet/ und
von seinen itzt Rosenfärbichten Wangen das
sonst aufgeschmierete Bleyweiß/ welches sie in
seiner Schule sonst blaß machte/ abgewaschen
war. Der Saal/ darinnen er lehrte/ war mit
allem nur ersinnlichen Vorrathe der Ver-
schwendung/ insonderheit aber mit denen geile-
sten Bildern ausgeschmückt. Für dem Unter-
richte erqvickte er uns mit denen kräfftigsten
Labsaln. Er badete uns mit wohlrüchenden
Wassern/ falbete uns mit Syrischen Balsamen/
und verschwendete allen Vorrath des üppigen
Asiens. Hierauf machte er eine weitschweiffige
Rede von seiner gegen uns tragenden Gewo-
genheit/ und daß diese ihn nöthigte wiewol mit
seiner Gefahr das Geheimnüß der wahren
Weltweißheit zu offenbaren. Nach dem er uns
nun gleichsam nach diesem verborgenen Schatz
seufzen sahe; fing er an/ aller Weltweisen Mei-
nungen als Jrrthümer zu verdammen/ und als
Betrügereyen zu verfluchen. Die wahre Weiß-
heit wäre/ wissen/ daß kein Gott wäre. Socra-

tes

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] Carneades zweiffeln/ mit dem Diogenes zuwei-
len uͤber die Schnur hauen/ mit dem Epicur
ſich beruhigen/ mit dem Zeno die Natur uͤber-
wuͤnden lernen/ und alſo ihm einen ieden Wei-
ſen nuͤtze machen; ſo brachte ſie es doch dahin/
daß weder Cajus noch Lucius ihn ferner hoͤren
dorften. Hingegen/ weil ihr und ihrem auff
den Tiberius geſetztem Abſehen daran gelegen
war/ daß beyde Kaͤyſerliche Enckel in den La-
ſtern erſteckt wuͤrden; half ſie mit des Mecenas
Einrathen dem Ariſtippus zu der Unterrich-
tung des Cajus und Lucius/ wie auch meiner.
Dieſer Verfuͤhrer trug uns anfangs zwar den
beſten Kern der Epicuriſchen Weißheit fuͤr/
und wuſte der Tugend meiſterlich eine Farbe
anzuſtreichen; Gleichwol aber hing er derſelben
ſtets dieſen Schandfleck an/ daß ſie nicht wegen
ihr ſelbſt/ ſondern nur wegen ihrer viel edlern
Tochter/ nemlich der Wolluſt zu lieben waͤre.
Hernach kam er auff natuͤrliche Dinge/ und
lehrte uns/ daß die Welt/ nicht nach des Hera-
clitus Meinung/ aus Feuer/ nicht/ wie Thales
lehrte/ aus Waſſer/ noch wie dem Pythagoras
traͤumte/ aus Zahlen/ ſondern aus eitel durch-
einander ſchwermenden Sonnen-Staͤublein/
ungefehr zuſammen gewachſen/ am allerwe-
nigſten aber nach des Ariſtoteles Meinung
und Einbildung ewig waͤre. Auff dieſen
Schluß gruͤndete er ferner/ daß die Goͤtter ſich
um die Welt und die Menſchen unbekuͤmmert/
alſo die vom Plato geruͤhmte goͤttliche Vorſor-
ge und Verſehung ein bloſſer Traum waͤre/ ja
die Goͤtter haͤtten nicht einmahl den Sinn der
Tugend wol zu thun/ weniger Waffen und
Macht die Boͤſen zu beſchaͤdigen. Die See-
len der Menſchen verrauchten mit dem ſterben-
den Leibe/ und haͤtten nach dem Tode weder
Luſt noch Straffe zu er warten. Dahero waͤre
die Entſchlagung aller Bekuͤmmernuͤß/ die
Ruhe des Gemuͤthes das hoͤchſie Gut der
Sterblichen/ wie der Muͤſiggang der Goͤtter.
So viel wagte er ſich dem faſt unzehlbaren Hauf-
fen ſeiner ſich taͤglich zu ihm draͤngenden Lehr-
[Spaltenumbruch] linge fuͤrzutragen. Und wenn iemand uͤber
etwas ihm einen Zweifel erregte; wuſte er durch
ſpitzige Unterſcheidungen ſeine Saͤtze ſo meiſter-
lich herum zu drehen/ daß es ſchien/ als wenn er
die Goͤtter angebetet/ die Menſchen allerdings
tugendhafft wiſſen wolte. Als er aber den Ca-
jus und Lucius ſo gar geneigt zur Wolluſt ſahe;
ließ er ſie und mich einmal in das innerſte Theil
ſeines bewohnten Luſthauſes zu abſonderer Un-
terweiſung leiten. Wir fanden daſelbſt an ihm
gleichſam einen gantz andern Menſchen. An
ſtatt des langen Mantels trug er nach Griechi-
ſcher Art einen ſeidenen Rock der Edelen. Die
Platte ſeines kahlen Kopffes war mit falſchen
Haaren bedeckt. An den Armen und Fingern
trug er guͤldene Geſchmeide und Ringe mit E-
delgeſteinen. An den Fuͤſſen hatte er geſtickte
Schuh mit kleinen Monden. Und von der
Tracht der Weltweiſen war nichts/ als der lan-
ge Bart uͤbrig; welcher aber mit Fleiß ausge-
kaͤmmet/ und eingebalſamt; die Lippen mit
Zinober geſchmuͤckt/ die Naͤgel verguͤldet/ und
von ſeinen itzt Roſenfaͤrbichten Wangen das
ſonſt aufgeſchmierete Bleyweiß/ welches ſie in
ſeiner Schule ſonſt blaß machte/ abgewaſchen
war. Der Saal/ darinnen er lehrte/ war mit
allem nur erſinnlichen Vorrathe der Ver-
ſchwendung/ inſonderheit aber mit denen geile-
ſten Bildern ausgeſchmuͤckt. Fuͤr dem Unter-
richte erqvickte er uns mit denen kraͤfftigſten
Labſaln. Er badete uns mit wohlruͤchenden
Waſſern/ falbete uns mit Syriſchen Balſamen/
und verſchwendete allen Vorrath des uͤppigen
Aſiens. Hierauf machte er eine weitſchweiffige
Rede von ſeiner gegen uns tragenden Gewo-
genheit/ und daß dieſe ihn noͤthigte wiewol mit
ſeiner Gefahr das Geheimnuͤß der wahren
Weltweißheit zu offenbaren. Nach dem er uns
nun gleichſam nach dieſem verborgenen Schatz
ſeufzen ſahe; fing er an/ aller Weltweiſen Mei-
nungen als Jrrthuͤmer zu verdammen/ und als
Betruͤgereyen zu verfluchen. Die wahre Weiß-
heit waͤre/ wiſſen/ daß kein Gott waͤre. Socra-

tes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0508" n="454"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierdtes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
Carneades zweiffeln/ mit dem Diogenes zuwei-<lb/>
len u&#x0364;ber die Schnur hauen/ mit dem Epicur<lb/>
&#x017F;ich beruhigen/ mit dem Zeno die Natur u&#x0364;ber-<lb/>
wu&#x0364;nden lernen/ und al&#x017F;o ihm einen ieden Wei-<lb/>
&#x017F;en nu&#x0364;tze machen; &#x017F;o brachte &#x017F;ie es doch dahin/<lb/>
daß weder Cajus noch Lucius ihn ferner ho&#x0364;ren<lb/>
dorften. Hingegen/ weil ihr und ihrem auff<lb/>
den Tiberius ge&#x017F;etztem Ab&#x017F;ehen daran gelegen<lb/>
war/ daß beyde Ka&#x0364;y&#x017F;erliche Enckel in den La-<lb/>
&#x017F;tern er&#x017F;teckt wu&#x0364;rden; half &#x017F;ie mit des Mecenas<lb/>
Einrathen dem Ari&#x017F;tippus zu der Unterrich-<lb/>
tung des Cajus und Lucius/ wie auch meiner.<lb/>
Die&#x017F;er Verfu&#x0364;hrer trug uns anfangs zwar den<lb/>
be&#x017F;ten Kern der Epicuri&#x017F;chen Weißheit fu&#x0364;r/<lb/>
und wu&#x017F;te der Tugend mei&#x017F;terlich eine Farbe<lb/>
anzu&#x017F;treichen; Gleichwol aber hing er der&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;tets die&#x017F;en Schandfleck an/ daß &#x017F;ie nicht wegen<lb/>
ihr &#x017F;elb&#x017F;t/ &#x017F;ondern nur wegen ihrer viel edlern<lb/>
Tochter/ nemlich der Wollu&#x017F;t zu lieben wa&#x0364;re.<lb/>
Hernach kam er auff natu&#x0364;rliche Dinge/ und<lb/>
lehrte uns/ daß die Welt/ nicht nach des Hera-<lb/>
clitus Meinung/ aus Feuer/ nicht/ wie Thales<lb/>
lehrte/ aus Wa&#x017F;&#x017F;er/ noch wie dem Pythagoras<lb/>
tra&#x0364;umte/ aus Zahlen/ &#x017F;ondern aus eitel durch-<lb/>
einander &#x017F;chwermenden Sonnen-Sta&#x0364;ublein/<lb/>
ungefehr zu&#x017F;ammen gewach&#x017F;en/ am allerwe-<lb/>
nig&#x017F;ten aber nach des Ari&#x017F;toteles Meinung<lb/>
und Einbildung ewig wa&#x0364;re. Auff die&#x017F;en<lb/>
Schluß gru&#x0364;ndete er ferner/ daß die Go&#x0364;tter &#x017F;ich<lb/>
um die Welt und die Men&#x017F;chen unbeku&#x0364;mmert/<lb/>
al&#x017F;o die vom Plato geru&#x0364;hmte go&#x0364;ttliche Vor&#x017F;or-<lb/>
ge und Ver&#x017F;ehung ein blo&#x017F;&#x017F;er Traum wa&#x0364;re/ ja<lb/>
die Go&#x0364;tter ha&#x0364;tten nicht einmahl den Sinn der<lb/>
Tugend wol zu thun/ weniger Waffen und<lb/>
Macht die Bo&#x0364;&#x017F;en zu be&#x017F;cha&#x0364;digen. Die See-<lb/>
len der Men&#x017F;chen verrauchten mit dem &#x017F;terben-<lb/>
den Leibe/ und ha&#x0364;tten nach dem Tode weder<lb/>
Lu&#x017F;t noch Straffe zu er warten. Dahero wa&#x0364;re<lb/>
die Ent&#x017F;chlagung aller Beku&#x0364;mmernu&#x0364;ß/ die<lb/>
Ruhe des Gemu&#x0364;thes das ho&#x0364;ch&#x017F;ie Gut der<lb/>
Sterblichen/ wie der Mu&#x0364;&#x017F;iggang der Go&#x0364;tter.<lb/>
So viel wagte er &#x017F;ich dem fa&#x017F;t unzehlbaren Hauf-<lb/>
fen &#x017F;einer &#x017F;ich ta&#x0364;glich zu ihm dra&#x0364;ngenden Lehr-<lb/><cb/>
linge fu&#x0364;rzutragen. Und wenn iemand u&#x0364;ber<lb/>
etwas ihm einen Zweifel erregte; wu&#x017F;te er durch<lb/>
&#x017F;pitzige Unter&#x017F;cheidungen &#x017F;eine Sa&#x0364;tze &#x017F;o mei&#x017F;ter-<lb/>
lich herum zu drehen/ daß es &#x017F;chien/ als wenn er<lb/>
die Go&#x0364;tter angebetet/ die Men&#x017F;chen allerdings<lb/>
tugendhafft wi&#x017F;&#x017F;en wolte. Als er aber den Ca-<lb/>
jus und Lucius &#x017F;o gar geneigt zur Wollu&#x017F;t &#x017F;ahe;<lb/>
ließ er &#x017F;ie und mich einmal in das inner&#x017F;te Theil<lb/>
&#x017F;eines bewohnten Lu&#x017F;thau&#x017F;es zu ab&#x017F;onderer Un-<lb/>
terwei&#x017F;ung leiten. Wir fanden da&#x017F;elb&#x017F;t an ihm<lb/>
gleich&#x017F;am einen gantz andern Men&#x017F;chen. An<lb/>
&#x017F;tatt des langen Mantels trug er nach Griechi-<lb/>
&#x017F;cher Art einen &#x017F;eidenen Rock der Edelen. Die<lb/>
Platte &#x017F;eines kahlen Kopffes war mit fal&#x017F;chen<lb/>
Haaren bedeckt. An den Armen und Fingern<lb/>
trug er gu&#x0364;ldene Ge&#x017F;chmeide und Ringe mit E-<lb/>
delge&#x017F;teinen. An den Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en hatte er ge&#x017F;tickte<lb/>
Schuh mit kleinen Monden. Und von der<lb/>
Tracht der Weltwei&#x017F;en war nichts/ als der lan-<lb/>
ge Bart u&#x0364;brig; welcher aber mit Fleiß ausge-<lb/>
ka&#x0364;mmet/ und eingebal&#x017F;amt; die Lippen mit<lb/>
Zinober ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt/ die Na&#x0364;gel vergu&#x0364;ldet/ und<lb/>
von &#x017F;einen itzt Ro&#x017F;enfa&#x0364;rbichten Wangen das<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t aufge&#x017F;chmierete Bleyweiß/ welches &#x017F;ie in<lb/>
&#x017F;einer Schule &#x017F;on&#x017F;t blaß machte/ abgewa&#x017F;chen<lb/>
war. Der Saal/ darinnen er lehrte/ war mit<lb/>
allem nur er&#x017F;innlichen Vorrathe der Ver-<lb/>
&#x017F;chwendung/ in&#x017F;onderheit aber mit denen geile-<lb/>
&#x017F;ten Bildern ausge&#x017F;chmu&#x0364;ckt. Fu&#x0364;r dem Unter-<lb/>
richte erqvickte er uns mit denen kra&#x0364;fftig&#x017F;ten<lb/>
Lab&#x017F;aln. Er badete uns mit wohlru&#x0364;chenden<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ern/ falbete uns mit Syri&#x017F;chen Bal&#x017F;amen/<lb/>
und ver&#x017F;chwendete allen Vorrath des u&#x0364;ppigen<lb/>
A&#x017F;iens. Hierauf machte er eine weit&#x017F;chweiffige<lb/>
Rede von &#x017F;einer gegen uns tragenden Gewo-<lb/>
genheit/ und daß die&#x017F;e ihn no&#x0364;thigte wiewol mit<lb/>
&#x017F;einer Gefahr das Geheimnu&#x0364;ß der wahren<lb/>
Weltweißheit zu offenbaren. Nach dem er uns<lb/>
nun gleich&#x017F;am nach die&#x017F;em verborgenen Schatz<lb/>
&#x017F;eufzen &#x017F;ahe; fing er an/ aller Weltwei&#x017F;en Mei-<lb/>
nungen als Jrrthu&#x0364;mer zu verdammen/ und als<lb/>
Betru&#x0364;gereyen zu verfluchen. Die wahre Weiß-<lb/>
heit wa&#x0364;re/ wi&#x017F;&#x017F;en/ daß kein Gott wa&#x0364;re. Socra-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tes</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0508] Vierdtes Buch Carneades zweiffeln/ mit dem Diogenes zuwei- len uͤber die Schnur hauen/ mit dem Epicur ſich beruhigen/ mit dem Zeno die Natur uͤber- wuͤnden lernen/ und alſo ihm einen ieden Wei- ſen nuͤtze machen; ſo brachte ſie es doch dahin/ daß weder Cajus noch Lucius ihn ferner hoͤren dorften. Hingegen/ weil ihr und ihrem auff den Tiberius geſetztem Abſehen daran gelegen war/ daß beyde Kaͤyſerliche Enckel in den La- ſtern erſteckt wuͤrden; half ſie mit des Mecenas Einrathen dem Ariſtippus zu der Unterrich- tung des Cajus und Lucius/ wie auch meiner. Dieſer Verfuͤhrer trug uns anfangs zwar den beſten Kern der Epicuriſchen Weißheit fuͤr/ und wuſte der Tugend meiſterlich eine Farbe anzuſtreichen; Gleichwol aber hing er derſelben ſtets dieſen Schandfleck an/ daß ſie nicht wegen ihr ſelbſt/ ſondern nur wegen ihrer viel edlern Tochter/ nemlich der Wolluſt zu lieben waͤre. Hernach kam er auff natuͤrliche Dinge/ und lehrte uns/ daß die Welt/ nicht nach des Hera- clitus Meinung/ aus Feuer/ nicht/ wie Thales lehrte/ aus Waſſer/ noch wie dem Pythagoras traͤumte/ aus Zahlen/ ſondern aus eitel durch- einander ſchwermenden Sonnen-Staͤublein/ ungefehr zuſammen gewachſen/ am allerwe- nigſten aber nach des Ariſtoteles Meinung und Einbildung ewig waͤre. Auff dieſen Schluß gruͤndete er ferner/ daß die Goͤtter ſich um die Welt und die Menſchen unbekuͤmmert/ alſo die vom Plato geruͤhmte goͤttliche Vorſor- ge und Verſehung ein bloſſer Traum waͤre/ ja die Goͤtter haͤtten nicht einmahl den Sinn der Tugend wol zu thun/ weniger Waffen und Macht die Boͤſen zu beſchaͤdigen. Die See- len der Menſchen verrauchten mit dem ſterben- den Leibe/ und haͤtten nach dem Tode weder Luſt noch Straffe zu er warten. Dahero waͤre die Entſchlagung aller Bekuͤmmernuͤß/ die Ruhe des Gemuͤthes das hoͤchſie Gut der Sterblichen/ wie der Muͤſiggang der Goͤtter. So viel wagte er ſich dem faſt unzehlbaren Hauf- fen ſeiner ſich taͤglich zu ihm draͤngenden Lehr- linge fuͤrzutragen. Und wenn iemand uͤber etwas ihm einen Zweifel erregte; wuſte er durch ſpitzige Unterſcheidungen ſeine Saͤtze ſo meiſter- lich herum zu drehen/ daß es ſchien/ als wenn er die Goͤtter angebetet/ die Menſchen allerdings tugendhafft wiſſen wolte. Als er aber den Ca- jus und Lucius ſo gar geneigt zur Wolluſt ſahe; ließ er ſie und mich einmal in das innerſte Theil ſeines bewohnten Luſthauſes zu abſonderer Un- terweiſung leiten. Wir fanden daſelbſt an ihm gleichſam einen gantz andern Menſchen. An ſtatt des langen Mantels trug er nach Griechi- ſcher Art einen ſeidenen Rock der Edelen. Die Platte ſeines kahlen Kopffes war mit falſchen Haaren bedeckt. An den Armen und Fingern trug er guͤldene Geſchmeide und Ringe mit E- delgeſteinen. An den Fuͤſſen hatte er geſtickte Schuh mit kleinen Monden. Und von der Tracht der Weltweiſen war nichts/ als der lan- ge Bart uͤbrig; welcher aber mit Fleiß ausge- kaͤmmet/ und eingebalſamt; die Lippen mit Zinober geſchmuͤckt/ die Naͤgel verguͤldet/ und von ſeinen itzt Roſenfaͤrbichten Wangen das ſonſt aufgeſchmierete Bleyweiß/ welches ſie in ſeiner Schule ſonſt blaß machte/ abgewaſchen war. Der Saal/ darinnen er lehrte/ war mit allem nur erſinnlichen Vorrathe der Ver- ſchwendung/ inſonderheit aber mit denen geile- ſten Bildern ausgeſchmuͤckt. Fuͤr dem Unter- richte erqvickte er uns mit denen kraͤfftigſten Labſaln. Er badete uns mit wohlruͤchenden Waſſern/ falbete uns mit Syriſchen Balſamen/ und verſchwendete allen Vorrath des uͤppigen Aſiens. Hierauf machte er eine weitſchweiffige Rede von ſeiner gegen uns tragenden Gewo- genheit/ und daß dieſe ihn noͤthigte wiewol mit ſeiner Gefahr das Geheimnuͤß der wahren Weltweißheit zu offenbaren. Nach dem er uns nun gleichſam nach dieſem verborgenen Schatz ſeufzen ſahe; fing er an/ aller Weltweiſen Mei- nungen als Jrrthuͤmer zu verdammen/ und als Betruͤgereyen zu verfluchen. Die wahre Weiß- heit waͤre/ wiſſen/ daß kein Gott waͤre. Socra- tes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/508
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/508>, abgerufen am 26.06.2024.