Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] tes hätte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/
als eines unveränderlichen Lichtes/ gedacht; a-
ber/ weil er selbst nichts davon gehalten/ beyge-
setzt: Er wäre ein Wesen ohne Leib. Er hätte
zwar aller andern Weltweisen Meinungen
widerlegt; aber selbst keinen Satz gemacht/
sondern sich nur mit seiner Unwissenheit ge-
rühmt; und deßwegen hätte ihn der Wahrsager-
Geist Apollo für den weisesten Menschen aus-
geruffen. Zwar hätte er oft einer hohen Weiß-
heit/ welcher aber der Pöfel nicht fähig noch
würdig wäre/ erwehnet; diese aber wäre nichts
anders gewest/ als die oben erwehnte; und hätte er
sie mir etlichen hohen Geistern/ wie wir wären/
eröfnet. Gleichwol aber wäre er verrathen/
und wegen Entdeckung eines Geheimnüsses/
welches nur herrschende Fürsten wissen solten/
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-
den. Plato/ und die nachfolgenden Weisen wä-
ren Heuchler gewest/ und hätten aus Furcht
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen
sich nicht gewagt. Epicur hätte zwar denen
scharfsichtigen wieder ein Licht aufgesteckt; und
weil er zu Athen nicht sagen dörffen/ daß es keine
Götter gebe; habe er gelehret: Es wäre keine
göttliche Versehung. Gleich als wenn nicht
dieses letztere auch das erstere aufhübe. Sinte-
mal ein Gott ohne Versehung weniger als ein
Klotz oder Stein den Nahmen eines Gottes ver-
dienet. Alleine Aristippus von Cyrene hätte die
vom Socrates gefaste Weißheit allererst recht
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach
dem er der Götter als eines Undinges gar nie
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/
als durch sein Beyspiel/ da er in dem Bette der
geilen Lais/ und an der Taffel des verschwende-
rischen Dionysius alleine seine Lust gesucht/ al-
les vergangene vergessen/ alles künfftige verach-
tet/ und sich nur des gegenwärtigen erfreuet/ al-
len Klugen die Augen aufgesperret/ und durch
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem
Munde lehren/ erwiesen/ daß die Wollust des
[Spaltenumbruch] Leibes das einige und höchste Gut des Menschen
sey. Hierauf trat auf sein gegebenes Zeichen ein
überaus schönes/ aber fingernacktes Frauen-
zimmer in den Saal und uns ins Gesichte. Ari-
stippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Für-
sten der Jugend/ das schändliche Ungeheuer des
wahnsinnigen Athenodorus. Düncket euch die-
se nackte Lehrerin nicht ein klüger Weiser zu
seyn/ als der sich für wenig Jahren zu Athen
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der
thumme Empedocles/ der sich in den feurigen
Berg Etna stürtzte? Warlich/ entweder euch
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-
gen berrügen. Diese aber werden euch zuver-
sichtlich überweisen/ daß ein schönes Weib das
gröste Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-
gen/ das würdigste Buch eines Weisen/ und ein
wesentlicher Begriff himmlischer Ergetzligkei-
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den
Menschen sey. Ohne sie werden die Männer
ihnen selbst feind; von ihnen aber werden die
Kältesten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-
feuert/ und sie opfern ihre Hertzen keiner Gott-
heit würdiger/ als diesem Geschlechte. Sie sind
der unerschöpfliche Brunnen der Fortpflan-
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.
Deßhalben würde zu Rom Jupiters Priester
mit dem Tode seines Eheweibes auch ein Wit-
tiber seines Priesterthums und zu opffern unfä-
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-
bele oder der Götter-Mutter kein Thier/ wel-
ches nicht weiblichen Geschlechtes ist/ gebildet
seyn. Jn dem grossen Feyer der Ceres zu Athen
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil
durch desselbten ergetzende Anschauung Ceres
den Verlust ihrer Tochter vergessen hätte.
Dieses Sinnenbild aber deutete nichts an-
ders als den unschätzbaren Werth der Wol-
lust an. Ohne sie ist das Leben bittere
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit
nur Thorheit. Als er uns dieses seiner Mei-
nung nach feste genung eingedrückt zu ha-

ben

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] tes haͤtte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/
als eines unveraͤnderlichen Lichtes/ gedacht; a-
ber/ weil er ſelbſt nichts davon gehalten/ beyge-
ſetzt: Er waͤre ein Weſen ohne Leib. Er haͤtte
zwar aller andern Weltweiſen Meinungen
widerlegt; aber ſelbſt keinen Satz gemacht/
ſondern ſich nur mit ſeiner Unwiſſenheit ge-
ruͤhmt; und deßwegen haͤtte ihn der Wahrſager-
Geiſt Apollo fuͤr den weiſeſten Menſchen aus-
geruffen. Zwar haͤtte er oft einer hohen Weiß-
heit/ welcher aber der Poͤfel nicht faͤhig noch
wuͤrdig waͤre/ erwehnet; dieſe aber waͤre nichts
andeꝛs geweſt/ als die oben eꝛwehnte; und haͤtte eꝛ
ſie mir etlichen hohen Geiſtern/ wie wir waͤren/
eroͤfnet. Gleichwol aber waͤre er verrathen/
und wegen Entdeckung eines Geheimnuͤſſes/
welches nur herrſchende Fuͤrſten wiſſen ſolten/
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-
den. Plato/ und die nachfolgenden Weiſen waͤ-
ren Heuchler geweſt/ und haͤtten aus Furcht
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen
ſich nicht gewagt. Epicur haͤtte zwar denen
ſcharfſichtigen wieder ein Licht aufgeſteckt; und
weil er zu Athen nicht ſagen doͤꝛffen/ daß es keine
Goͤtter gebe; habe er gelehret: Es waͤre keine
goͤttliche Verſehung. Gleich als wenn nicht
dieſes letztere auch das erſtere aufhuͤbe. Sinte-
mal ein Gott ohne Verſehung weniger als ein
Klotz odeꝛ Stein den Nahmen eines Gottes ver-
dienet. Alleine Ariſtippus von Cyrene haͤtte die
vom Socrates gefaſte Weißheit allererſt recht
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach
dem er der Goͤtter als eines Undinges gar nie
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/
als durch ſein Beyſpiel/ da er in dem Bette der
geilen Lais/ und an der Taffel des verſchwende-
riſchen Dionyſius alleine ſeine Luſt geſucht/ al-
les vergangene vergeſſen/ alles kuͤnfftige verach-
tet/ und ſich nur des gegenwaͤrtigen erfreuet/ al-
len Klugen die Augen aufgeſperret/ und durch
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem
Munde lehren/ erwieſen/ daß die Wolluſt des
[Spaltenumbruch] Leibes das einige und hoͤchſte Gut des Menſchen
ſey. Hierauf trat auf ſein gegebenes Zeichen ein
uͤberaus ſchoͤnes/ aber fingernacktes Frauen-
zimmer in den Saal und uns ins Geſichte. Ari-
ſtippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Fuͤr-
ſten der Jugend/ das ſchaͤndliche Ungeheuer des
wahnſinnigen Athenodorus. Duͤncket euch die-
ſe nackte Lehrerin nicht ein kluͤger Weiſer zu
ſeyn/ als der ſich fuͤr wenig Jahren zu Athen
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der
thumme Empedocles/ der ſich in den feurigen
Berg Etna ſtuͤrtzte? Warlich/ entweder euch
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-
gen berruͤgen. Dieſe aber werden euch zuver-
ſichtlich uͤberweiſen/ daß ein ſchoͤnes Weib das
groͤſte Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-
gen/ das wuͤrdigſte Buch eines Weiſen/ und ein
weſentlicher Begriff himmliſcher Ergetzligkei-
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den
Menſchen ſey. Ohne ſie werden die Maͤnner
ihnen ſelbſt feind; von ihnen aber werden die
Kaͤlteſten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-
feuert/ und ſie opfern ihre Hertzen keiner Gott-
heit wuͤrdiger/ als dieſem Geſchlechte. Sie ſind
der unerſchoͤpfliche Brunnen der Fortpflan-
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.
Deßhalben wuͤrde zu Rom Jupiters Prieſter
mit dem Tode ſeines Eheweibes auch ein Wit-
tiber ſeines Prieſterthums und zu opffern unfaͤ-
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-
bele oder der Goͤtter-Mutter kein Thier/ wel-
ches nicht weiblichen Geſchlechtes iſt/ gebildet
ſeyn. Jn dem groſſen Feyer der Ceres zu Athen
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil
durch deſſelbten ergetzende Anſchauung Ceres
den Verluſt ihrer Tochter vergeſſen haͤtte.
Dieſes Sinnenbild aber deutete nichts an-
ders als den unſchaͤtzbaren Werth der Wol-
luſt an. Ohne ſie iſt das Leben bittere
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit
nur Thorheit. Als er uns dieſes ſeiner Mei-
nung nach feſte genung eingedruͤckt zu ha-

ben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0509" n="455"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Arminius und Thußnelda.</hi></fw><lb/><cb/>
tes ha&#x0364;tte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/<lb/>
als eines unvera&#x0364;nderlichen Lichtes/ gedacht; a-<lb/>
ber/ weil er &#x017F;elb&#x017F;t nichts davon gehalten/ beyge-<lb/>
&#x017F;etzt: Er wa&#x0364;re ein We&#x017F;en ohne Leib. Er ha&#x0364;tte<lb/>
zwar aller andern Weltwei&#x017F;en Meinungen<lb/>
widerlegt; aber &#x017F;elb&#x017F;t keinen Satz gemacht/<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ich nur mit &#x017F;einer Unwi&#x017F;&#x017F;enheit ge-<lb/>
ru&#x0364;hmt; und deßwegen ha&#x0364;tte ihn der Wahr&#x017F;ager-<lb/>
Gei&#x017F;t Apollo fu&#x0364;r den wei&#x017F;e&#x017F;ten Men&#x017F;chen aus-<lb/>
geruffen. Zwar ha&#x0364;tte er oft einer hohen Weiß-<lb/>
heit/ welcher aber der Po&#x0364;fel nicht fa&#x0364;hig noch<lb/>
wu&#x0364;rdig wa&#x0364;re/ erwehnet; die&#x017F;e aber wa&#x0364;re nichts<lb/>
ande&#xA75B;s gewe&#x017F;t/ als die oben e&#xA75B;wehnte; und ha&#x0364;tte e&#xA75B;<lb/>
&#x017F;ie mir etlichen hohen Gei&#x017F;tern/ wie wir wa&#x0364;ren/<lb/>
ero&#x0364;fnet. Gleichwol aber wa&#x0364;re er verrathen/<lb/>
und wegen Entdeckung eines Geheimnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es/<lb/>
welches nur herr&#x017F;chende Fu&#x0364;r&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olten/<lb/>
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-<lb/>
den. Plato/ und die nachfolgenden Wei&#x017F;en wa&#x0364;-<lb/>
ren Heuchler gewe&#x017F;t/ und ha&#x0364;tten aus Furcht<lb/>
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen<lb/>
&#x017F;ich nicht gewagt. Epicur ha&#x0364;tte zwar denen<lb/>
&#x017F;charf&#x017F;ichtigen wieder ein Licht aufge&#x017F;teckt; und<lb/>
weil er zu Athen nicht &#x017F;agen do&#x0364;&#xA75B;ffen/ daß es keine<lb/>
Go&#x0364;tter gebe; habe er gelehret: Es wa&#x0364;re keine<lb/>
go&#x0364;ttliche Ver&#x017F;ehung. Gleich als wenn nicht<lb/>
die&#x017F;es letztere auch das er&#x017F;tere aufhu&#x0364;be. Sinte-<lb/>
mal ein Gott ohne Ver&#x017F;ehung weniger als ein<lb/>
Klotz ode&#xA75B; Stein den Nahmen eines Gottes ver-<lb/>
dienet. Alleine Ari&#x017F;tippus von Cyrene ha&#x0364;tte die<lb/>
vom Socrates gefa&#x017F;te Weißheit allerer&#x017F;t recht<lb/>
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach<lb/>
dem er der Go&#x0364;tter als eines Undinges gar nie<lb/>
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/<lb/>
als durch &#x017F;ein Bey&#x017F;piel/ da er in dem Bette der<lb/>
geilen Lais/ und an der Taffel des ver&#x017F;chwende-<lb/>
ri&#x017F;chen Diony&#x017F;ius alleine &#x017F;eine Lu&#x017F;t ge&#x017F;ucht/ al-<lb/>
les vergangene verge&#x017F;&#x017F;en/ alles ku&#x0364;nfftige verach-<lb/>
tet/ und &#x017F;ich nur des gegenwa&#x0364;rtigen erfreuet/ al-<lb/>
len Klugen die Augen aufge&#x017F;perret/ und durch<lb/>
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem<lb/>
Munde lehren/ erwie&#x017F;en/ daß die Wollu&#x017F;t des<lb/><cb/>
Leibes das einige und ho&#x0364;ch&#x017F;te Gut des Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ey. Hierauf trat auf &#x017F;ein gegebenes Zeichen ein<lb/>
u&#x0364;beraus &#x017F;cho&#x0364;nes/ aber fingernacktes Frauen-<lb/>
zimmer in den Saal und uns ins Ge&#x017F;ichte. Ari-<lb/>
&#x017F;tippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ten der Jugend/ das &#x017F;cha&#x0364;ndliche Ungeheuer des<lb/>
wahn&#x017F;innigen Athenodorus. Du&#x0364;ncket euch die-<lb/>
&#x017F;e nackte Lehrerin nicht ein klu&#x0364;ger Wei&#x017F;er zu<lb/>
&#x017F;eyn/ als der &#x017F;ich fu&#x0364;r wenig Jahren zu Athen<lb/>
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der<lb/>
thumme Empedocles/ der &#x017F;ich in den feurigen<lb/>
Berg Etna &#x017F;tu&#x0364;rtzte? Warlich/ entweder euch<lb/>
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-<lb/>
gen berru&#x0364;gen. Die&#x017F;e aber werden euch zuver-<lb/>
&#x017F;ichtlich u&#x0364;berwei&#x017F;en/ daß ein &#x017F;cho&#x0364;nes Weib das<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;te Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-<lb/>
gen/ das wu&#x0364;rdig&#x017F;te Buch eines Wei&#x017F;en/ und ein<lb/>
we&#x017F;entlicher Begriff himmli&#x017F;cher Ergetzligkei-<lb/>
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;ey. Ohne &#x017F;ie werden die Ma&#x0364;nner<lb/>
ihnen &#x017F;elb&#x017F;t feind; von ihnen aber werden die<lb/>
Ka&#x0364;lte&#x017F;ten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-<lb/>
feuert/ und &#x017F;ie opfern ihre Hertzen keiner Gott-<lb/>
heit wu&#x0364;rdiger/ als die&#x017F;em Ge&#x017F;chlechte. Sie &#x017F;ind<lb/>
der uner&#x017F;cho&#x0364;pfliche Brunnen der Fortpflan-<lb/>
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.<lb/>
Deßhalben wu&#x0364;rde zu Rom Jupiters Prie&#x017F;ter<lb/>
mit dem Tode &#x017F;eines Eheweibes auch ein Wit-<lb/>
tiber &#x017F;eines Prie&#x017F;terthums und zu opffern unfa&#x0364;-<lb/>
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-<lb/>
bele oder der Go&#x0364;tter-Mutter kein Thier/ wel-<lb/>
ches nicht weiblichen Ge&#x017F;chlechtes i&#x017F;t/ gebildet<lb/>
&#x017F;eyn. Jn dem gro&#x017F;&#x017F;en Feyer der Ceres zu Athen<lb/>
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil<lb/>
durch de&#x017F;&#x017F;elbten ergetzende An&#x017F;chauung Ceres<lb/>
den Verlu&#x017F;t ihrer Tochter verge&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte.<lb/>
Die&#x017F;es Sinnenbild aber deutete nichts an-<lb/>
ders als den un&#x017F;cha&#x0364;tzbaren Werth der Wol-<lb/>
lu&#x017F;t an. Ohne &#x017F;ie i&#x017F;t das Leben bittere<lb/>
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit<lb/>
nur Thorheit. Als er uns die&#x017F;es &#x017F;einer Mei-<lb/>
nung nach fe&#x017F;te genung eingedru&#x0364;ckt zu ha-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0509] Arminius und Thußnelda. tes haͤtte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/ als eines unveraͤnderlichen Lichtes/ gedacht; a- ber/ weil er ſelbſt nichts davon gehalten/ beyge- ſetzt: Er waͤre ein Weſen ohne Leib. Er haͤtte zwar aller andern Weltweiſen Meinungen widerlegt; aber ſelbſt keinen Satz gemacht/ ſondern ſich nur mit ſeiner Unwiſſenheit ge- ruͤhmt; und deßwegen haͤtte ihn der Wahrſager- Geiſt Apollo fuͤr den weiſeſten Menſchen aus- geruffen. Zwar haͤtte er oft einer hohen Weiß- heit/ welcher aber der Poͤfel nicht faͤhig noch wuͤrdig waͤre/ erwehnet; dieſe aber waͤre nichts andeꝛs geweſt/ als die oben eꝛwehnte; und haͤtte eꝛ ſie mir etlichen hohen Geiſtern/ wie wir waͤren/ eroͤfnet. Gleichwol aber waͤre er verrathen/ und wegen Entdeckung eines Geheimnuͤſſes/ welches nur herrſchende Fuͤrſten wiſſen ſolten/ vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor- den. Plato/ und die nachfolgenden Weiſen waͤ- ren Heuchler geweſt/ und haͤtten aus Furcht gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen ſich nicht gewagt. Epicur haͤtte zwar denen ſcharfſichtigen wieder ein Licht aufgeſteckt; und weil er zu Athen nicht ſagen doͤꝛffen/ daß es keine Goͤtter gebe; habe er gelehret: Es waͤre keine goͤttliche Verſehung. Gleich als wenn nicht dieſes letztere auch das erſtere aufhuͤbe. Sinte- mal ein Gott ohne Verſehung weniger als ein Klotz odeꝛ Stein den Nahmen eines Gottes ver- dienet. Alleine Ariſtippus von Cyrene haͤtte die vom Socrates gefaſte Weißheit allererſt recht ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach dem er der Goͤtter als eines Undinges gar nie erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/ als durch ſein Beyſpiel/ da er in dem Bette der geilen Lais/ und an der Taffel des verſchwende- riſchen Dionyſius alleine ſeine Luſt geſucht/ al- les vergangene vergeſſen/ alles kuͤnfftige verach- tet/ und ſich nur des gegenwaͤrtigen erfreuet/ al- len Klugen die Augen aufgeſperret/ und durch das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem Munde lehren/ erwieſen/ daß die Wolluſt des Leibes das einige und hoͤchſte Gut des Menſchen ſey. Hierauf trat auf ſein gegebenes Zeichen ein uͤberaus ſchoͤnes/ aber fingernacktes Frauen- zimmer in den Saal und uns ins Geſichte. Ari- ſtippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Fuͤr- ſten der Jugend/ das ſchaͤndliche Ungeheuer des wahnſinnigen Athenodorus. Duͤncket euch die- ſe nackte Lehrerin nicht ein kluͤger Weiſer zu ſeyn/ als der ſich fuͤr wenig Jahren zu Athen wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der thumme Empedocles/ der ſich in den feurigen Berg Etna ſtuͤrtzte? Warlich/ entweder euch muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au- gen berruͤgen. Dieſe aber werden euch zuver- ſichtlich uͤberweiſen/ daß ein ſchoͤnes Weib das groͤſte Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au- gen/ das wuͤrdigſte Buch eines Weiſen/ und ein weſentlicher Begriff himmliſcher Ergetzligkei- ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den Menſchen ſey. Ohne ſie werden die Maͤnner ihnen ſelbſt feind; von ihnen aber werden die Kaͤlteſten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange- feuert/ und ſie opfern ihre Hertzen keiner Gott- heit wuͤrdiger/ als dieſem Geſchlechte. Sie ſind der unerſchoͤpfliche Brunnen der Fortpflan- tzung/ und die Vollkommenheit der Natur. Deßhalben wuͤrde zu Rom Jupiters Prieſter mit dem Tode ſeines Eheweibes auch ein Wit- tiber ſeines Prieſterthums und zu opffern unfaͤ- hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy- bele oder der Goͤtter-Mutter kein Thier/ wel- ches nicht weiblichen Geſchlechtes iſt/ gebildet ſeyn. Jn dem groſſen Feyer der Ceres zu Athen wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil durch deſſelbten ergetzende Anſchauung Ceres den Verluſt ihrer Tochter vergeſſen haͤtte. Dieſes Sinnenbild aber deutete nichts an- ders als den unſchaͤtzbaren Werth der Wol- luſt an. Ohne ſie iſt das Leben bittere Wermuth/ und die eingebildete Weißheit nur Thorheit. Als er uns dieſes ſeiner Mei- nung nach feſte genung eingedruͤckt zu ha- ben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/509
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/509>, abgerufen am 26.06.2024.