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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] tes hätte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/
als eines unveränderlichen Lichtes/ gedacht; a-
ber/ weil er selbst nichts davon gehalten/ beyge-
setzt: Er wäre ein Wesen ohne Leib. Er hätte
zwar aller andern Weltweisen Meinungen
widerlegt; aber selbst keinen Satz gemacht/
sondern sich nur mit seiner Unwissenheit ge-
rühmt; und deßwegen hätte ihn der Wahrsager-
Geist Apollo für den weisesten Menschen aus-
geruffen. Zwar hätte er oft einer hohen Weiß-
heit/ welcher aber der Pöfel nicht fähig noch
würdig wäre/ erwehnet; diese aber wäre nichts
anders gewest/ als die oben erwehnte; und hätte er
sie mir etlichen hohen Geistern/ wie wir wären/
eröfnet. Gleichwol aber wäre er verrathen/
und wegen Entdeckung eines Geheimnüsses/
welches nur herrschende Fürsten wissen solten/
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-
den. Plato/ und die nachfolgenden Weisen wä-
ren Heuchler gewest/ und hätten aus Furcht
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen
sich nicht gewagt. Epicur hätte zwar denen
scharfsichtigen wieder ein Licht aufgesteckt; und
weil er zu Athen nicht sagen dörffen/ daß es keine
Götter gebe; habe er gelehret: Es wäre keine
göttliche Versehung. Gleich als wenn nicht
dieses letztere auch das erstere aufhübe. Sinte-
mal ein Gott ohne Versehung weniger als ein
Klotz oder Stein den Nahmen eines Gottes ver-
dienet. Alleine Aristippus von Cyrene hätte die
vom Socrates gefaste Weißheit allererst recht
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach
dem er der Götter als eines Undinges gar nie
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/
als durch sein Beyspiel/ da er in dem Bette der
geilen Lais/ und an der Taffel des verschwende-
rischen Dionysius alleine seine Lust gesucht/ al-
les vergangene vergessen/ alles künfftige verach-
tet/ und sich nur des gegenwärtigen erfreuet/ al-
len Klugen die Augen aufgesperret/ und durch
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem
Munde lehren/ erwiesen/ daß die Wollust des
[Spaltenumbruch] Leibes das einige und höchste Gut des Menschen
sey. Hierauf trat auf sein gegebenes Zeichen ein
überaus schönes/ aber fingernacktes Frauen-
zimmer in den Saal und uns ins Gesichte. Ari-
stippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Für-
sten der Jugend/ das schändliche Ungeheuer des
wahnsinnigen Athenodorus. Düncket euch die-
se nackte Lehrerin nicht ein klüger Weiser zu
seyn/ als der sich für wenig Jahren zu Athen
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der
thumme Empedocles/ der sich in den feurigen
Berg Etna stürtzte? Warlich/ entweder euch
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-
gen berrügen. Diese aber werden euch zuver-
sichtlich überweisen/ daß ein schönes Weib das
gröste Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-
gen/ das würdigste Buch eines Weisen/ und ein
wesentlicher Begriff himmlischer Ergetzligkei-
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den
Menschen sey. Ohne sie werden die Männer
ihnen selbst feind; von ihnen aber werden die
Kältesten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-
feuert/ und sie opfern ihre Hertzen keiner Gott-
heit würdiger/ als diesem Geschlechte. Sie sind
der unerschöpfliche Brunnen der Fortpflan-
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.
Deßhalben würde zu Rom Jupiters Priester
mit dem Tode seines Eheweibes auch ein Wit-
tiber seines Priesterthums und zu opffern unfä-
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-
bele oder der Götter-Mutter kein Thier/ wel-
ches nicht weiblichen Geschlechtes ist/ gebildet
seyn. Jn dem grossen Feyer der Ceres zu Athen
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil
durch desselbten ergetzende Anschauung Ceres
den Verlust ihrer Tochter vergessen hätte.
Dieses Sinnenbild aber deutete nichts an-
ders als den unschätzbaren Werth der Wol-
lust an. Ohne sie ist das Leben bittere
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit
nur Thorheit. Als er uns dieses seiner Mei-
nung nach feste genung eingedrückt zu ha-

ben

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] tes haͤtte zwar zum Scheine zuweilen Gottes/
als eines unveraͤnderlichen Lichtes/ gedacht; a-
ber/ weil er ſelbſt nichts davon gehalten/ beyge-
ſetzt: Er waͤre ein Weſen ohne Leib. Er haͤtte
zwar aller andern Weltweiſen Meinungen
widerlegt; aber ſelbſt keinen Satz gemacht/
ſondern ſich nur mit ſeiner Unwiſſenheit ge-
ruͤhmt; und deßwegen haͤtte ihn der Wahrſager-
Geiſt Apollo fuͤr den weiſeſten Menſchen aus-
geruffen. Zwar haͤtte er oft einer hohen Weiß-
heit/ welcher aber der Poͤfel nicht faͤhig noch
wuͤrdig waͤre/ erwehnet; dieſe aber waͤre nichts
andeꝛs geweſt/ als die oben eꝛwehnte; und haͤtte eꝛ
ſie mir etlichen hohen Geiſtern/ wie wir waͤren/
eroͤfnet. Gleichwol aber waͤre er verrathen/
und wegen Entdeckung eines Geheimnuͤſſes/
welches nur herrſchende Fuͤrſten wiſſen ſolten/
vom Rathe zu Athen zum Tode verdammt wor-
den. Plato/ und die nachfolgenden Weiſen waͤ-
ren Heuchler geweſt/ und haͤtten aus Furcht
gleicher Belohnung die Warheit zu bekennen
ſich nicht gewagt. Epicur haͤtte zwar denen
ſcharfſichtigen wieder ein Licht aufgeſteckt; und
weil er zu Athen nicht ſagen doͤꝛffen/ daß es keine
Goͤtter gebe; habe er gelehret: Es waͤre keine
goͤttliche Verſehung. Gleich als wenn nicht
dieſes letztere auch das erſtere aufhuͤbe. Sinte-
mal ein Gott ohne Verſehung weniger als ein
Klotz odeꝛ Stein den Nahmen eines Gottes ver-
dienet. Alleine Ariſtippus von Cyrene haͤtte die
vom Socrates gefaſte Weißheit allererſt recht
ans Tagelicht gebracht/ und fortgepflantzt; nach
dem er der Goͤtter als eines Undinges gar nie
erwehnet/ und nichts minder durch die Lehre/
als durch ſein Beyſpiel/ da er in dem Bette der
geilen Lais/ und an der Taffel des verſchwende-
riſchen Dionyſius alleine ſeine Luſt geſucht/ al-
les vergangene vergeſſen/ alles kuͤnfftige verach-
tet/ und ſich nur des gegenwaͤrtigen erfreuet/ al-
len Klugen die Augen aufgeſperret/ und durch
das Leben auch derer/ die ein widriges mit dem
Munde lehren/ erwieſen/ daß die Wolluſt des
[Spaltenumbruch] Leibes das einige und hoͤchſte Gut des Menſchen
ſey. Hierauf trat auf ſein gegebenes Zeichen ein
uͤberaus ſchoͤnes/ aber fingernacktes Frauen-
zimmer in den Saal und uns ins Geſichte. Ari-
ſtippus aber fing an: Sehet ihr nun/ ihr Fuͤr-
ſten der Jugend/ das ſchaͤndliche Ungeheuer des
wahnſinnigen Athenodorus. Duͤncket euch die-
ſe nackte Lehrerin nicht ein kluͤger Weiſer zu
ſeyn/ als der ſich fuͤr wenig Jahren zu Athen
wahnwitzig verbrennende Jndianer? oder der
thumme Empedocles/ der ſich in den feurigen
Berg Etna ſtuͤrtzte? Warlich/ entweder euch
muß der Sauertopf Athenodor oder eure Au-
gen berruͤgen. Dieſe aber werden euch zuver-
ſichtlich uͤberweiſen/ daß ein ſchoͤnes Weib das
groͤſte Wunder der Natur/ ein Paradiß der Au-
gen/ das wuͤrdigſte Buch eines Weiſen/ und ein
weſentlicher Begriff himmliſcher Ergetzligkei-
ten/ und eine wahrhaffte Gottheit unter den
Menſchen ſey. Ohne ſie werden die Maͤnner
ihnen ſelbſt feind; von ihnen aber werden die
Kaͤlteſten/ wie die Erde von der Sonnen/ ange-
feuert/ und ſie opfern ihre Hertzen keiner Gott-
heit wuͤrdiger/ als dieſem Geſchlechte. Sie ſind
der unerſchoͤpfliche Brunnen der Fortpflan-
tzung/ und die Vollkommenheit der Natur.
Deßhalben wuͤrde zu Rom Jupiters Prieſter
mit dem Tode ſeines Eheweibes auch ein Wit-
tiber ſeines Prieſterthums und zu opffern unfaͤ-
hig. Darum darf in dem Heiligthume der Cy-
bele oder der Goͤtter-Mutter kein Thier/ wel-
ches nicht weiblichen Geſchlechtes iſt/ gebildet
ſeyn. Jn dem groſſen Feyer der Ceres zu Athen
wird das weibliche Geburtsglied verehret; weil
durch deſſelbten ergetzende Anſchauung Ceres
den Verluſt ihrer Tochter vergeſſen haͤtte.
Dieſes Sinnenbild aber deutete nichts an-
ders als den unſchaͤtzbaren Werth der Wol-
luſt an. Ohne ſie iſt das Leben bittere
Wermuth/ und die eingebildete Weißheit
nur Thorheit. Als er uns dieſes ſeiner Mei-
nung nach feſte genung eingedruͤckt zu ha-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/509>, abgerufen am 22.11.2024.