Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Fünfftes Buch [Spaltenumbruch]
seit unser Bestrickung fürgegangen wäre/ undwas den König zu der nächtlichen so blutdürsti- gen Uberfallung veranlaßt hätte. Dieser kon- te anfangs für Weinen kein Wort aufbringen/ hernach aber erzehlte er: Wie die Stadt über der Strengigkeit Polemons über uns erstaunet/ iedermann fast eine absondere Ursache/ bey Un- wissenheit der wahrhaften/ der verhinderten Heyrath mit dem Ariobarzanes ertichtet/ dieser aus Sinope halb rasend sich begeben/ dem Po- lemon den Krieg angekündigt/ der oberste Prie- ster aber unsere Befreyung beweglichst gesucht/ ja die Sache in ziemlich guten Stand gebracht hätte. Alleine es wäre der König/ bey welchem er vorige Nacht im Vorgemache selbst die Wa- che gehabt/ aus dem Bette aufgesprungen/ hät- te auf ihn geruffen/ und umbständlich erzehlet/ Es hätte ihn sein Schutz-Geist aufgewecket/ ihm angedeutet: Es wäre nun nahe dabey/ daß er von seinem Sohn aufgerieben werden solte. Al- so wolte er ihn nicht allein dem Thäter fürzu- kommen/ und ehe er sich seines Gebietes entbrä- che/ desselbten sich zu entbrechen vermahnet/ son- dern ihm auch hierzu seines Großvatern des Mithridatens Dolch eingeantwortet halen. Jch/ sagte Nicomedes/ wolte ihm dieses als einen eitlen Traum ausreden. Polemon aber widersprach es/ bezohe sich auf seine wachende Augen/ und insonderheit wäre das unfehlbare Kennzeichen der Dolch dar/ derogleichen keiner im Zimmer nicht gewest wäre/ ja er erkennete ihn auch für den/ der auf Mithridatens Grabe gelegen hätte. Wenn aber auch diß gleich nur ein Traum wä- re/ bliebe es doch/ aller Weisen Urthel nach/ eine vom Himmel geschickte Warnigung der Göt- ter. Socrates selbst hätte aus einem Traume erfahren/ daß er in dreyen Tagen sterben würde/ und es dem Eschines entdeckt. Der grosse Py- thagoras hätte gelehrt/ daß ein Mensch in seinen Träumen sich wie in einem Spiegel betrachten solte. Der weise Periogetes/ welchen ich in der Eil hatte ruffen lassen/ antwortete dem Könige: [Spaltenumbruch] Ja/ aber des Pythagoras Meynung wäre nicht/ daß man/ wie etliche tumme Atlantische Völcker nur den Morpheus für seinen Gott halten/ und alles thun müste/ was einem träumte. Denn sonst würde denen Sabinern/ welchen alles träumte/ was sie wolten/ kein Laster zu verweh- ren gewest seyn. Träume könten wohl eine Nachricht von der Beschaffenheit des Leibes/ und von den Neigungen des Gemüthes abge- ben. Dahero ein Mensch nach dem Urthel des Zenon/ sich aus den Träumen ausnehmen kön- te: Ob er in der Tugend zugenommen/ oder nicht. Sintemal/ wo dem Epicur zu glauben/ ein Weiser ihm allezeit/ ja auch/ wenn ihm träu- met/ ähnlich ist. Jndem aber/ was vom Glü- cke oder Verhängnüsse herrührte/ könte man ohne Aberglauben auf keinen Traum fussen. Daher auch der so erfahrne Hippocrates an die Hand gäbe/ wie man durch Opfer sich von der Beschwerligkeit der Träume erledigen solle. Polemon vergaß aller sonst gegen dem Perioge- tes zu bezeigen gewohnten Bescheidenheit/ und fuhr ihn an: Was bringst du vor ketzerische Leh- re auf die Bahn? Verneinest du die Vorsorge der Götter/ daß sie auch durch Träume uns für künftigem Unglück warnen? Verwirffst du die durch Träume geschehende Göttliche Weissa- gungen in des Amphiaraus Tempel bey Athen/ und in dem Heiligthum der Pasichea zu Spar- ta? Meynst du auch/ daß ich der erste sey/ der den ihm im Traume gleichsam mit Fingern gezeig- ten Feind aus dem Wege geräumet habe? Smerdes muste über seines Bruders Camby- ses Klinge springen/ als diesem träumte/ daß er sich auf seinen Stul setzte. Astyages gab sei- nen Enckel Cyrus dem Harpagus zu ermorden/ weil er aus seiner Tochter Leibe einen gantz Asien überschattenden Wein-Stock wachsen sahe. Des Harpagus Ungehorsam aber brachte den Astyages umbs Leben und Reich/ und erhärtete die Gewißheit so wichtiger Träume. Perioge- tes verlohr hierdurch nicht den Muth dem Kö- nige
Fuͤnfftes Buch [Spaltenumbruch]
ſeit unſer Beſtrickung fuͤrgegangen waͤre/ undwas den Koͤnig zu der naͤchtlichen ſo blutduͤrſti- gen Uberfallung veranlaßt haͤtte. Dieſer kon- te anfangs fuͤr Weinen kein Wort aufbringen/ hernach aber erzehlte er: Wie die Stadt uͤber der Strengigkeit Polemons uͤber uns erſtaunet/ iedermann faſt eine abſondere Urſache/ bey Un- wiſſenheit der wahrhaften/ der verhinderten Heyrath mit dem Ariobarzanes ertichtet/ dieſer aus Sinope halb raſend ſich begeben/ dem Po- lemon den Krieg angekuͤndigt/ der oberſte Prie- ſter aber unſere Befreyung beweglichſt geſucht/ ja die Sache in ziemlich guten Stand gebracht haͤtte. Alleine es waͤre der Koͤnig/ bey welchem er vorige Nacht im Vorgemache ſelbſt die Wa- che gehabt/ aus dem Bette aufgeſprungen/ haͤt- te auf ihn geruffen/ und umbſtaͤndlich erzehlet/ Es haͤtte ihn ſein Schutz-Geiſt aufgewecket/ ihm angedeutet: Es waͤre nun nahe dabey/ daß er von ſeinem Sohn aufgerieben werden ſolte. Al- ſo wolte er ihn nicht allein dem Thaͤter fuͤrzu- kommen/ und ehe er ſich ſeines Gebietes entbraͤ- che/ deſſelbten ſich zu entbrechen vermahnet/ ſon- dern ihm auch hierzu ſeines Großvatern des Mithridatens Dolch eingeantwortet halẽ. Jch/ ſagte Nicomedes/ wolte ihm dieſes als einen eitlen Traum ausreden. Polemon aber widerſprach es/ bezohe ſich auf ſeine wachende Augen/ und inſonderheit waͤre das unfehlbare Kennzeichen der Dolch dar/ derogleichen keiner im Zimmer nicht geweſt waͤre/ ja er erkennete ihn auch fuͤr den/ der auf Mithridatens Grabe gelegen haͤtte. Wenn aber auch diß gleich nur ein Traum waͤ- re/ bliebe es doch/ aller Weiſen Urthel nach/ eine vom Himmel geſchickte Warnigung der Goͤt- ter. Socrates ſelbſt haͤtte aus einem Traume erfahren/ daß er in dreyen Tagen ſterben wuͤrde/ und es dem Eſchines entdeckt. Der groſſe Py- thagoras haͤtte gelehrt/ daß ein Menſch in ſeinen Traͤumen ſich wie in einem Spiegel betrachten ſolte. Der weiſe Periogetes/ welchen ich in der Eil hatte ruffen laſſen/ antwortete dem Koͤnige: [Spaltenumbruch] Ja/ aber des Pythagoras Meynung waͤre nicht/ daß man/ wie etliche tumme Atlantiſche Voͤlcker nur den Morpheus fuͤr ſeinen Gott halten/ und alles thun muͤſte/ was einem traͤumte. Denn ſonſt wuͤrde denen Sabinern/ welchen alles traͤumte/ was ſie wolten/ kein Laſter zu verweh- ren geweſt ſeyn. Traͤume koͤnten wohl eine Nachricht von der Beſchaffenheit des Leibes/ und von den Neigungen des Gemuͤthes abge- ben. Dahero ein Menſch nach dem Urthel des Zenon/ ſich aus den Traͤumen ausnehmen koͤn- te: Ob er in der Tugend zugenommen/ oder nicht. Sintemal/ wo dem Epicur zu glauben/ ein Weiſer ihm allezeit/ ja auch/ wenn ihm traͤu- met/ aͤhnlich iſt. Jndem aber/ was vom Gluͤ- cke oder Verhaͤngnuͤſſe herruͤhrte/ koͤnte man ohne Aberglauben auf keinen Traum fuſſen. Daher auch der ſo erfahrne Hippocrates an die Hand gaͤbe/ wie man durch Opfer ſich von der Beſchwerligkeit der Traͤume erledigen ſolle. Polemon vergaß aller ſonſt gegen dem Perioge- tes zu bezeigen gewohnten Beſcheidenheit/ und fuhr ihn an: Was bringſt du vor ketzeriſche Leh- re auf die Bahn? Verneineſt du die Vorſorge der Goͤtter/ daß ſie auch durch Traͤume uns fuͤr kuͤnftigem Ungluͤck warnen? Verwirffſt du die durch Traͤume geſchehende Goͤttliche Weiſſa- gungen in des Amphiaraus Tempel bey Athen/ und in dem Heiligthum der Paſichea zu Spar- ta? Meynſt du auch/ daß ich der erſte ſey/ der den ihm im Traume gleichſam mit Fingern gezeig- ten Feind aus dem Wege geraͤumet habe? Smerdes muſte uͤber ſeines Bruders Camby- ſes Klinge ſpringen/ als dieſem traͤumte/ daß er ſich auf ſeinen Stul ſetzte. Aſtyages gab ſei- nen Enckel Cyrus dem Harpagus zu ermorden/ weil er aus ſeiner Tochter Leibe einen gantz Aſien uͤberſchattenden Wein-Stock wachſen ſahe. Des Harpagus Ungehorſam aber brachte den Aſtyages umbs Leben und Reich/ und erhaͤrtete die Gewißheit ſo wichtiger Traͤume. Perioge- tes verlohr hierdurch nicht den Muth dem Koͤ- nige
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Fuͤnfftes Buch
ſeit unſer Beſtrickung fuͤrgegangen waͤre/ und
was den Koͤnig zu der naͤchtlichen ſo blutduͤrſti-
gen Uberfallung veranlaßt haͤtte. Dieſer kon-
te anfangs fuͤr Weinen kein Wort aufbringen/
hernach aber erzehlte er: Wie die Stadt uͤber der
Strengigkeit Polemons uͤber uns erſtaunet/
iedermann faſt eine abſondere Urſache/ bey Un-
wiſſenheit der wahrhaften/ der verhinderten
Heyrath mit dem Ariobarzanes ertichtet/ dieſer
aus Sinope halb raſend ſich begeben/ dem Po-
lemon den Krieg angekuͤndigt/ der oberſte Prie-
ſter aber unſere Befreyung beweglichſt geſucht/
ja die Sache in ziemlich guten Stand gebracht
haͤtte. Alleine es waͤre der Koͤnig/ bey welchem
er vorige Nacht im Vorgemache ſelbſt die Wa-
che gehabt/ aus dem Bette aufgeſprungen/ haͤt-
te auf ihn geruffen/ und umbſtaͤndlich erzehlet/
Es haͤtte ihn ſein Schutz-Geiſt aufgewecket/ ihm
angedeutet: Es waͤre nun nahe dabey/ daß er
von ſeinem Sohn aufgerieben werden ſolte. Al-
ſo wolte er ihn nicht allein dem Thaͤter fuͤrzu-
kommen/ und ehe er ſich ſeines Gebietes entbraͤ-
che/ deſſelbten ſich zu entbrechen vermahnet/ ſon-
dern ihm auch hierzu ſeines Großvatern des
Mithridatens Dolch eingeantwortet halẽ. Jch/
ſagte Nicomedes/ wolte ihm dieſes als einen eitlen
Traum ausreden. Polemon aber widerſprach
es/ bezohe ſich auf ſeine wachende Augen/ und
inſonderheit waͤre das unfehlbare Kennzeichen
der Dolch dar/ derogleichen keiner im Zimmer
nicht geweſt waͤre/ ja er erkennete ihn auch fuͤr
den/ der auf Mithridatens Grabe gelegen haͤtte.
Wenn aber auch diß gleich nur ein Traum waͤ-
re/ bliebe es doch/ aller Weiſen Urthel nach/ eine
vom Himmel geſchickte Warnigung der Goͤt-
ter. Socrates ſelbſt haͤtte aus einem Traume
erfahren/ daß er in dreyen Tagen ſterben wuͤrde/
und es dem Eſchines entdeckt. Der groſſe Py-
thagoras haͤtte gelehrt/ daß ein Menſch in ſeinen
Traͤumen ſich wie in einem Spiegel betrachten
ſolte. Der weiſe Periogetes/ welchen ich in der
Eil hatte ruffen laſſen/ antwortete dem Koͤnige:
Ja/ aber des Pythagoras Meynung waͤre nicht/
daß man/ wie etliche tumme Atlantiſche Voͤlcker
nur den Morpheus fuͤr ſeinen Gott halten/ und
alles thun muͤſte/ was einem traͤumte. Denn
ſonſt wuͤrde denen Sabinern/ welchen alles
traͤumte/ was ſie wolten/ kein Laſter zu verweh-
ren geweſt ſeyn. Traͤume koͤnten wohl eine
Nachricht von der Beſchaffenheit des Leibes/
und von den Neigungen des Gemuͤthes abge-
ben. Dahero ein Menſch nach dem Urthel des
Zenon/ ſich aus den Traͤumen ausnehmen koͤn-
te: Ob er in der Tugend zugenommen/ oder
nicht. Sintemal/ wo dem Epicur zu glauben/
ein Weiſer ihm allezeit/ ja auch/ wenn ihm traͤu-
met/ aͤhnlich iſt. Jndem aber/ was vom Gluͤ-
cke oder Verhaͤngnuͤſſe herruͤhrte/ koͤnte man
ohne Aberglauben auf keinen Traum fuſſen.
Daher auch der ſo erfahrne Hippocrates an die
Hand gaͤbe/ wie man durch Opfer ſich von der
Beſchwerligkeit der Traͤume erledigen ſolle.
Polemon vergaß aller ſonſt gegen dem Perioge-
tes zu bezeigen gewohnten Beſcheidenheit/ und
fuhr ihn an: Was bringſt du vor ketzeriſche Leh-
re auf die Bahn? Verneineſt du die Vorſorge
der Goͤtter/ daß ſie auch durch Traͤume uns fuͤr
kuͤnftigem Ungluͤck warnen? Verwirffſt du die
durch Traͤume geſchehende Goͤttliche Weiſſa-
gungen in des Amphiaraus Tempel bey Athen/
und in dem Heiligthum der Paſichea zu Spar-
ta? Meynſt du auch/ daß ich der erſte ſey/ der den
ihm im Traume gleichſam mit Fingern gezeig-
ten Feind aus dem Wege geraͤumet habe?
Smerdes muſte uͤber ſeines Bruders Camby-
ſes Klinge ſpringen/ als dieſem traͤumte/ daß er
ſich auf ſeinen Stul ſetzte. Aſtyages gab ſei-
nen Enckel Cyrus dem Harpagus zu ermorden/
weil er aus ſeiner Tochter Leibe einen gantz Aſien
uͤberſchattenden Wein-Stock wachſen ſahe.
Des Harpagus Ungehorſam aber brachte den
Aſtyages umbs Leben und Reich/ und erhaͤrtete
die Gewißheit ſo wichtiger Traͤume. Perioge-
tes verlohr hierdurch nicht den Muth dem Koͤ-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/570>, abgerufen am 16.07.2024. |