Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
sie thäte beydes/ aber ihre Schoß-Kinder mehrdamit zu äffen als zu beseligen. Sie wäre ein Weib ohne Füsse/ weil sie nirgends stand hielte; sie hätte zwar Hände und Flügel/ aber mit jenen spielte sie nur aus der Tasche/ und diese liesse sie niemanden anrühren. Also dörfte es keines Verwunderns/ daß er diesem Jrrwische kein Licht angezündet; sondern bey seinem einigen Glücks-Sterne der holdseligen Erato den Mit- tel-Punct seiner Ruh gesucht hätte. Alle Un- ruhen wären hierumb nützlich angewehret; denn die Bekümmernüsse gäben das Saltz der nachfolgenden Vergnügung ab; und die Wie- derwertigkeit machte die Liebe zur Tugend. Die/ welche nur immer mit gutem Winde se- geln/ auf Rosen gehen/ ihr Haupt in der Schoß des Glückes liegen haben wolte/ wäre eine Hof- Poppe der Wollust. Hingegen hätte die wahr- hafte Liebe nichts minder mehr Bewegung/ als das helle Quell-Wasser gegen dem sümpfichten. Sie und die Gestirne hätten einen mühsamern Lauff als die Schwantz-Sternen/ und die Tau- ben einen geschwindern Flug als die Raben. Jedoch führte das Glücke mit der Tugend nicht einen ewigen Krieg. Es gebe im Lieben eben so wohl Windstillen/ als auf dem Meere; es bliesse nicht selten in die Segel desselben Schif- fes/ worauf die Tapferkeit ruderte/ und hülffe durch eine Gefängnüß einem auf den rechten Weg/ und zur Freyheit. Nicht anders spielte es mit der gefangenen Königin und mit mir. Denn der großmüthige Huhansien schickte jene dem Könige Pirimal ohne Entgeld nach Hause; welcher aber hingegen Huhansien so viel Perlen und Edelgesteine zum Löse-Gelde übersendete/ als die Königin schwer war. Welchen die Jn- dianer mehr als noch so viel freywillig zulegten. Denn diese Fürstin hatte durch ihre Leutseligkeit ihr die Gemüther der Unterthanen so feste ver- knüpft/ daß ihrer etliche tausend nach Jalama- ka/ wo die Flammen aus einem Stein-Ritze und einem eyßkalten Brunnen heraus schla- gen/ und in den mit dichtem Golde gepflaster- [Spaltenumbruch] ten Tempel des Abgotts Matta zu Nagracot wallfartheten/ und für ihre Erlösung dort ihnen ein Stück von ihren Fingern abbrenneten/ oder drey Zähne an statt des Opfers ausrissen/ hier aber ein Stück von ihrer Zunge abschnitten; glaubende; dieser Abgott lasse es ihnen in kur- tzem wieder wachsen. Andere trugen grosse Schätze von Diamanten/ Rubinen/ Saphi- ren/ und köstlichen Perlen/ mit welchen dieses Reich gleichsam angefüllet ist/ als ein Löse- Geld zusammen. Ob nun wohl die Pracht dieses Hofes/ an welchem alle Tage durchs gantze Jahr neue Köstligkeiten gebraucht wer- den/ im Anfange des Jahres aber der König sich in einer Wag-Schale gegen Edelgesteine/ Perlen/ Gold/ allerhand Früchte abwiegen/ und hernach diese Gewichte den Armen aus- theilen läst; das Reichthum des Landes/ da die Gebürge Edelgesteine/ und Balsam schwitzen- de Bäume/ die Flüsse Gold-Sand und Per- len-Muscheln/ die Wälder alle Arten des Ge- würtzes/ die unfruchtbaren Sand-Wüsten bey Golconda die seltzamsten Diamanten tragen/ die Forsten mehr als 50000. Elefanten unter- halten/ einen vollkommenen Auszug der Na- tur fürstellete; so empfand ich doch über aller Annehmligkeit ich weiß nicht was für einen Eckel/ und ich seufzete numehr hertzlich nach meinem wiewohl verborgenem Vaterlande. Zu meinem Glücke beschloß König Pirimal eine Botschafft nach Rom zu schicken/ umb den Käyser durch Geschencke und noch grössere Ver- heissungen/ zu einem Kriege wider die Scythen/ als die allgemeinen Räuber der Welt zu bewe- gen. Die Wissenschafft der Römischen und Griechischen Sprache/ oder vielmehr ein guter Stern/ der mir bey dem Könige/ ich weiß nicht/ aus was für einer Zuneigung/ aufging/ erwarb mir das Erlaubnüß mit zu reisen. Wie wir nun von dem Könige Abschied genommen hat- ten/ und in dem Hafen zu Satigan ins Schiff tre- ten wolten/ traffen wir auf dem daselbst bey einem herrlichen Tempel sich befindenden weiten Pla- tze N n n n 3
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ſie thaͤte beydes/ aber ihre Schoß-Kinder mehrdamit zu aͤffen als zu beſeligen. Sie waͤre ein Weib ohne Fuͤſſe/ weil ſie nirgends ſtand hielte; ſie haͤtte zwar Haͤnde und Fluͤgel/ aber mit jenen ſpielte ſie nur aus der Taſche/ und dieſe lieſſe ſie niemanden anruͤhren. Alſo doͤrfte es keines Verwunderns/ daß er dieſem Jrrwiſche kein Licht angezuͤndet; ſondern bey ſeinem einigen Gluͤcks-Sterne der holdſeligen Erato den Mit- tel-Punct ſeiner Ruh geſucht haͤtte. Alle Un- ruhen waͤren hierumb nuͤtzlich angewehret; denn die Bekuͤmmernuͤſſe gaͤben das Saltz der nachfolgenden Vergnuͤgung ab; und die Wie- derwertigkeit machte die Liebe zur Tugend. Die/ welche nur immer mit gutem Winde ſe- geln/ auf Roſen gehen/ ihr Haupt in der Schoß des Gluͤckes liegen haben wolte/ waͤre eine Hof- Poppe der Wolluſt. Hingegen haͤtte die wahr- hafte Liebe nichts minder mehr Bewegung/ als das helle Quell-Waſſer gegen dem ſuͤmpfichten. Sie und die Geſtirne haͤtten einen muͤhſamern Lauff als die Schwantz-Sternen/ und die Tau- ben einen geſchwindern Flug als die Raben. Jedoch fuͤhrte das Gluͤcke mit der Tugend nicht einen ewigen Krieg. Es gebe im Lieben eben ſo wohl Windſtillen/ als auf dem Meere; es blieſſe nicht ſelten in die Segel deſſelben Schif- fes/ worauf die Tapferkeit ruderte/ und huͤlffe durch eine Gefaͤngnuͤß einem auf den rechten Weg/ und zur Freyheit. Nicht anders ſpielte es mit der gefangenen Koͤnigin und mit mir. Denn der großmuͤthige Huhanſien ſchickte jene dem Koͤnige Pirimal ohne Entgeld nach Hauſe; welcher aber hingegen Huhanſien ſo viel Perlen und Edelgeſteine zum Loͤſe-Gelde uͤberſendete/ als die Koͤnigin ſchwer war. Welchen die Jn- dianer mehr als noch ſo viel freywillig zulegten. Denn dieſe Fuͤrſtin hatte durch ihre Leutſeligkeit ihr die Gemuͤther der Unterthanen ſo feſte ver- knuͤpft/ daß ihrer etliche tauſend nach Jalama- ka/ wo die Flammen aus einem Stein-Ritze und einem eyßkalten Brunnen heraus ſchla- gen/ und in den mit dichtem Golde gepflaſter- [Spaltenumbruch] ten Tempel des Abgotts Matta zu Nagracot wallfartheten/ und fuͤr ihre Erloͤſung dort ihnen ein Stuͤck von ihren Fingern abbrenneten/ oder drey Zaͤhne an ſtatt des Opfers ausriſſen/ hier aber ein Stuͤck von ihrer Zunge abſchnitten; glaubende; dieſer Abgott laſſe es ihnen in kur- tzem wieder wachſen. Andere trugen groſſe Schaͤtze von Diamanten/ Rubinen/ Saphi- ren/ und koͤſtlichen Perlen/ mit welchen dieſes Reich gleichſam angefuͤllet iſt/ als ein Loͤſe- Geld zuſammen. Ob nun wohl die Pracht dieſes Hofes/ an welchem alle Tage durchs gantze Jahr neue Koͤſtligkeiten gebraucht wer- den/ im Anfange des Jahres aber der Koͤnig ſich in einer Wag-Schale gegen Edelgeſteine/ Perlen/ Gold/ allerhand Fruͤchte abwiegen/ und hernach dieſe Gewichte den Armen aus- theilen laͤſt; das Reichthum des Landes/ da die Gebuͤrge Edelgeſteine/ und Balſam ſchwitzen- de Baͤume/ die Fluͤſſe Gold-Sand und Per- len-Muſcheln/ die Waͤlder alle Arten des Ge- wuͤrtzes/ die unfruchtbaren Sand-Wuͤſten bey Golconda die ſeltzamſten Diamanten tragen/ die Forſten mehr als 50000. Elefanten unter- halten/ einen vollkommenen Auszug der Na- tur fuͤrſtellete; ſo empfand ich doch uͤber aller Annehmligkeit ich weiß nicht was fuͤr einen Eckel/ und ich ſeufzete numehr hertzlich nach meinem wiewohl verborgenem Vaterlande. Zu meinem Gluͤcke beſchloß Koͤnig Pirimal eine Botſchafft nach Rom zu ſchicken/ umb den Kaͤyſer durch Geſchencke und noch groͤſſere Ver- heiſſungen/ zu einem Kriege wider die Scythen/ als die allgemeinen Raͤuber der Welt zu bewe- gen. Die Wiſſenſchafft der Roͤmiſchen und Griechiſchen Sprache/ oder vielmehr ein guter Stern/ der mir bey dem Koͤnige/ ich weiß nicht/ aus was fuͤr einer Zuneigung/ aufging/ erwarb mir das Erlaubnuͤß mit zu reiſen. Wie wir nun von dem Koͤnige Abſchied genommen hat- tẽ/ und in dem Hafen zu Satigan ins Schiff tre- ten woltẽ/ traffen wir auf dem daſelbſt bey einem herrlichen Tempel ſich befindenden weiten Pla- tze N n n n 3
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Arminius und Thußnelda.
ſie thaͤte beydes/ aber ihre Schoß-Kinder mehr
damit zu aͤffen als zu beſeligen. Sie waͤre ein
Weib ohne Fuͤſſe/ weil ſie nirgends ſtand hielte;
ſie haͤtte zwar Haͤnde und Fluͤgel/ aber mit jenen
ſpielte ſie nur aus der Taſche/ und dieſe lieſſe ſie
niemanden anruͤhren. Alſo doͤrfte es keines
Verwunderns/ daß er dieſem Jrrwiſche kein
Licht angezuͤndet; ſondern bey ſeinem einigen
Gluͤcks-Sterne der holdſeligen Erato den Mit-
tel-Punct ſeiner Ruh geſucht haͤtte. Alle Un-
ruhen waͤren hierumb nuͤtzlich angewehret;
denn die Bekuͤmmernuͤſſe gaͤben das Saltz der
nachfolgenden Vergnuͤgung ab; und die Wie-
derwertigkeit machte die Liebe zur Tugend.
Die/ welche nur immer mit gutem Winde ſe-
geln/ auf Roſen gehen/ ihr Haupt in der Schoß
des Gluͤckes liegen haben wolte/ waͤre eine Hof-
Poppe der Wolluſt. Hingegen haͤtte die wahr-
hafte Liebe nichts minder mehr Bewegung/ als
das helle Quell-Waſſer gegen dem ſuͤmpfichten.
Sie und die Geſtirne haͤtten einen muͤhſamern
Lauff als die Schwantz-Sternen/ und die Tau-
ben einen geſchwindern Flug als die Raben.
Jedoch fuͤhrte das Gluͤcke mit der Tugend nicht
einen ewigen Krieg. Es gebe im Lieben eben
ſo wohl Windſtillen/ als auf dem Meere; es
blieſſe nicht ſelten in die Segel deſſelben Schif-
fes/ worauf die Tapferkeit ruderte/ und huͤlffe
durch eine Gefaͤngnuͤß einem auf den rechten
Weg/ und zur Freyheit. Nicht anders ſpielte
es mit der gefangenen Koͤnigin und mit mir.
Denn der großmuͤthige Huhanſien ſchickte jene
dem Koͤnige Pirimal ohne Entgeld nach Hauſe;
welcher aber hingegen Huhanſien ſo viel Perlen
und Edelgeſteine zum Loͤſe-Gelde uͤberſendete/
als die Koͤnigin ſchwer war. Welchen die Jn-
dianer mehr als noch ſo viel freywillig zulegten.
Denn dieſe Fuͤrſtin hatte durch ihre Leutſeligkeit
ihr die Gemuͤther der Unterthanen ſo feſte ver-
knuͤpft/ daß ihrer etliche tauſend nach Jalama-
ka/ wo die Flammen aus einem Stein-Ritze
und einem eyßkalten Brunnen heraus ſchla-
gen/ und in den mit dichtem Golde gepflaſter-
ten Tempel des Abgotts Matta zu Nagracot
wallfartheten/ und fuͤr ihre Erloͤſung dort ihnen
ein Stuͤck von ihren Fingern abbrenneten/ oder
drey Zaͤhne an ſtatt des Opfers ausriſſen/ hier
aber ein Stuͤck von ihrer Zunge abſchnitten;
glaubende; dieſer Abgott laſſe es ihnen in kur-
tzem wieder wachſen. Andere trugen groſſe
Schaͤtze von Diamanten/ Rubinen/ Saphi-
ren/ und koͤſtlichen Perlen/ mit welchen dieſes
Reich gleichſam angefuͤllet iſt/ als ein Loͤſe-
Geld zuſammen. Ob nun wohl die Pracht
dieſes Hofes/ an welchem alle Tage durchs
gantze Jahr neue Koͤſtligkeiten gebraucht wer-
den/ im Anfange des Jahres aber der Koͤnig
ſich in einer Wag-Schale gegen Edelgeſteine/
Perlen/ Gold/ allerhand Fruͤchte abwiegen/
und hernach dieſe Gewichte den Armen aus-
theilen laͤſt; das Reichthum des Landes/ da die
Gebuͤrge Edelgeſteine/ und Balſam ſchwitzen-
de Baͤume/ die Fluͤſſe Gold-Sand und Per-
len-Muſcheln/ die Waͤlder alle Arten des Ge-
wuͤrtzes/ die unfruchtbaren Sand-Wuͤſten bey
Golconda die ſeltzamſten Diamanten tragen/
die Forſten mehr als 50000. Elefanten unter-
halten/ einen vollkommenen Auszug der Na-
tur fuͤrſtellete; ſo empfand ich doch uͤber aller
Annehmligkeit ich weiß nicht was fuͤr einen
Eckel/ und ich ſeufzete numehr hertzlich nach
meinem wiewohl verborgenem Vaterlande.
Zu meinem Gluͤcke beſchloß Koͤnig Pirimal
eine Botſchafft nach Rom zu ſchicken/ umb den
Kaͤyſer durch Geſchencke und noch groͤſſere Ver-
heiſſungen/ zu einem Kriege wider die Scythen/
als die allgemeinen Raͤuber der Welt zu bewe-
gen. Die Wiſſenſchafft der Roͤmiſchen und
Griechiſchen Sprache/ oder vielmehr ein guter
Stern/ der mir bey dem Koͤnige/ ich weiß nicht/
aus was fuͤr einer Zuneigung/ aufging/ erwarb
mir das Erlaubnuͤß mit zu reiſen. Wie wir
nun von dem Koͤnige Abſchied genommen hat-
tẽ/ und in dem Hafen zu Satigan ins Schiff tre-
ten woltẽ/ traffen wir auf dem daſelbſt bey einem
herrlichen Tempel ſich befindenden weiten Pla-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/709>, abgerufen am 29.06.2024. |