Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Haare ausrauffen/ die Wangen zerkratzen'/ undüber Stock und Stein sich in den tieffsten Ab- grund stürtzen. Aber zu geschweigen: daß der übermässige Schmertz allzu geschwinde verrau- chet/ und daß die erste Hitze sich in weniger Zeit in Eyß verwandelt/ ja die/ welcher heute kein Trauer-Kleid schwartz genung ist/ oder für wel- cher man die Brunnen zustopfen muß/ morgen die Wangen anstreicht/ und aus dem Trauer- Flor Zierrathen schneidet/ ihr weisses Antlitz darmit auszuputzen; so bin ich der Meynung: Die Vernunft werde einer empfindlichen Wit tib viel mässigere Gedancken einrathen/ nemlich: daß die Männer wohl mit Thränen zu bewei- nen/ Weiber aber mit eigenem Blute nicht zu beflecken sind. Nein/ nein/ sagte Erato/ lasset uns unserer Schwachheit derogestalt nicht Pflaumen streichen. So wenig ohne Bluten der Kopf von dem Halse geschnitten werden kan/ so wenig soll ohne derogleichen Strom eine Ehe- Frau sich von ihrem Haupte trennen lassen. Die Natur selbst weiset uns in ihren Geschöpfen die Fußstapfen/ in welche wir bey solcher Bege- bung treten sollen; wenn sie den weiblichen Palmbaum gleichsam durch eine unheilbare Traurigkeit verdorren läst; wenn man ihm den männlichen von der Seite gerissen. Ja/ ver- setzte Thußnelda/ dieses aber geschihet nicht durch eine augenblickliche und gewaltsame Ver- fallung/ sondern nach und nach/ und gleichsam unempfindlich. Jch gebe auch nach: daß ein Weib die Helffte ihres Hertzens/ nemlich das Behältnüß der Freude mit auf ihres Ehe- manns Holtzstosse verbrennen/ dieses Theil aber/ darinnen die Hertzhaftigkeit stecket/ der Welt zum Beyspiele/ und die Vernunft zu ihres Hau- ses Bestem unversehrt behalten soll. Sie mag in ihrem Wittiben-Stande sich wohl mit ihrer Traurigkeit/ nicht aber mit ihrer Schwäche bloß geben. Sie kan wohl ihre Gedancken/ doch darff sie nicht ihren Leib mit dem Schatten ihres verblichenen Ehmanns vermählen. Sie muß [Spaltenumbruch] sein Bildnüß in ihrem Gedächtnüsse/ seine Asche zu ihrem Heiligthume aufheben; aber nicht die Versorgung ihrer Kinder in Wind/ und ihrem Geschlechte auf einmal zwey Wunden schlagen. Wenn der Monde durch Finsternüsse von seiner Sonne geschieden wird; verlieret er zwar sein Licht und die Anmuth/ nicht aber seinen Lauff/ noch seine Würckung. Wie schwartz und trau- rig er scheinet/ verirrt er sich doch nicht aus sei- nem Circkel und er vergißt nicht mit der Zeit auch ein helles Gesicht anzunehmen. Was ist aber bey Entfallung ihres Ehmannes ein Weib in ihren vier Pfälen anders/ als was der Mond in Abwesenheit der Sonne in dem grossen Hau- se der Welt? Diesemnach muß sich jene so wohl als dieser dem gemeinen Wesen zum Besten thätig erzeigen/ und ohne Entfallung der Hertz- haftigkeit statt ihres Ehmanns an die lincke tre- ten. Denn die Schwachheit unsers Geschlech- tes entschuldigt uns so wenig/ als die Bläfse das so nutzbare Nacht-Licht. Die Turtel- Taube seufzet und girret ja wohl über dem Ver- lust ihres Buhlen/ aber sie verläst weder ihr Nest/ noch vergißt sie die Erziehung ihrer Jungen; und die verwittibte Adlerin zeucht nichts min- der auf die Jagt/ und wider die Schlangen in Krieg aus. Also muß sicher der Schmertz ihrer Vernunft/ die Liebe aber der mütterlichen Erbarmnüß aus dem Wege treten. Und da eine Frau ja von einem solchen Streiche des Unglücks eine Schramme behalten soll/ muß selbte doch keine Lähmde des Gemüthes nach sich ziehen. Die Königin Erato wolte sich noch nicht geben/ sondern setzte Thußnelden entgegen: Es wäre die gröste Hertzhaftigkeit/ keine Kleinmuth/ den Tod umbarmen/ wenn er einem gleich den Rü- cken kehrte. Die Versorgung der Kinder wä- re für die Fruchtbaren/ oder vielmehr kleinmü- thigen Mütter ein scheinbarer Fürwand; aber im Wercke ein Mißtrauen zu den gütigen Göt- tern; gleich als wenn diese/ die die Welt versorgten/ verwäyseter Kinder Vater zu seyn/ allzu ohn- mäch-
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Haare ausrauffen/ die Wangen zerkratzen’/ unduͤber Stock und Stein ſich in den tieffſten Ab- grund ſtuͤrtzen. Aber zu geſchweigen: daß der uͤbermaͤſſige Schmertz allzu geſchwinde verrau- chet/ und daß die erſte Hitze ſich in weniger Zeit in Eyß verwandelt/ ja die/ welcher heute kein Trauer-Kleid ſchwartz genung iſt/ oder fuͤr wel- cher man die Brunnen zuſtopfen muß/ morgen die Wangen anſtreicht/ und aus dem Trauer- Flor Zierrathen ſchneidet/ ihr weiſſes Antlitz darmit auszuputzen; ſo bin ich der Meynung: Die Vernunft werde einer empfindlichen Wit tib viel maͤſſigere Gedancken einrathen/ nemlich: daß die Maͤnner wohl mit Thraͤnen zu bewei- nen/ Weiber aber mit eigenem Blute nicht zu beflecken ſind. Nein/ nein/ ſagte Erato/ laſſet uns unſerer Schwachheit derogeſtalt nicht Pflaumen ſtreichen. So wenig ohne Bluten der Kopf von dem Halſe geſchnitten werden kan/ ſo wenig ſoll ohne derogleichen Strom eine Ehe- Frau ſich von ihrem Haupte trennen laſſen. Die Natur ſelbſt weiſet uns in ihren Geſchoͤpfen die Fußſtapfen/ in welche wir bey ſolcher Bege- bung treten ſollen; wenn ſie den weiblichen Palmbaum gleichſam durch eine unheilbare Traurigkeit verdorren laͤſt; wenn man ihm den maͤnnlichen von der Seite geriſſen. Ja/ ver- ſetzte Thußnelda/ dieſes aber geſchihet nicht durch eine augenblickliche und gewaltſame Ver- fallung/ ſondern nach und nach/ und gleichſam unempfindlich. Jch gebe auch nach: daß ein Weib die Helffte ihres Hertzens/ nemlich das Behaͤltnuͤß der Freude mit auf ihres Ehe- manns Holtzſtoſſe verbrennen/ dieſes Theil aber/ darinnen die Hertzhaftigkeit ſtecket/ der Welt zum Beyſpiele/ und die Vernunft zu ihres Hau- ſes Beſtem unverſehrt behalten ſoll. Sie mag in ihrem Wittiben-Stande ſich wohl mit ihrer Traurigkeit/ nicht aber mit ihrer Schwaͤche bloß geben. Sie kan wohl ihre Gedancken/ doch darff ſie nicht ihren Leib mit dem Schatten ihres verblichenen Ehmanns vermaͤhlen. Sie muß [Spaltenumbruch] ſein Bildnuͤß in ihrem Gedaͤchtnuͤſſe/ ſeine Aſche zu ihrem Heiligthume aufheben; aber nicht die Verſorgung ihrer Kinder in Wind/ und ihrem Geſchlechte auf einmal zwey Wunden ſchlagen. Wenn der Monde durch Finſternuͤſſe von ſeiner Sonne geſchieden wird; verlieret er zwar ſein Licht und die Anmuth/ nicht aber ſeinen Lauff/ noch ſeine Wuͤrckung. Wie ſchwartz und trau- rig er ſcheinet/ verirrt er ſich doch nicht aus ſei- nem Circkel und er vergißt nicht mit der Zeit auch ein helles Geſicht anzunehmen. Was iſt aber bey Entfallung ihres Ehmannes ein Weib in ihren vier Pfaͤlen anders/ als was der Mond in Abweſenheit der Sonne in dem groſſen Hau- ſe der Welt? Dieſemnach muß ſich jene ſo wohl als dieſer dem gemeinen Weſen zum Beſten thaͤtig erzeigen/ und ohne Entfallung der Hertz- haftigkeit ſtatt ihres Ehmanns an die lincke tre- ten. Denn die Schwachheit unſers Geſchlech- tes entſchuldigt uns ſo wenig/ als die Blaͤfſe das ſo nutzbare Nacht-Licht. Die Turtel- Taube ſeufzet und girret ja wohl uͤber dem Ver- luſt ihres Buhlen/ aber ſie verlaͤſt weder ihr Neſt/ noch vergißt ſie die Erziehung ihrer Jungen; und die verwittibte Adlerin zeucht nichts min- der auf die Jagt/ und wider die Schlangen in Krieg aus. Alſo muß ſicher der Schmertz ihrer Vernunft/ die Liebe aber der muͤtterlichen Erbarmnuͤß aus dem Wege treten. Und da eine Frau ja von einem ſolchẽ Streiche des Ungluͤcks eine Schramme behalten ſoll/ muß ſelbte doch keine Laͤhmde des Gemuͤthes nach ſich ziehen. Die Koͤnigin Erato wolte ſich noch nicht geben/ ſondern ſetzte Thußnelden entgegen: Es waͤre die groͤſte Hertzhaftigkeit/ keine Kleinmuth/ den Tod umbarmen/ wenn er einem gleich den Ruͤ- cken kehrte. Die Verſorgung der Kinder waͤ- re fuͤr die Fruchtbaren/ oder vielmehr kleinmuͤ- thigen Muͤtter ein ſcheinbarer Fuͤrwand; aber im Wercke ein Mißtrauen zu den guͤtigen Goͤt- tern; gleich als wenn dieſe/ die die Welt verſorgtẽ/ verwaͤyſeter Kinder Vater zu ſeyn/ allzu ohn- maͤch-
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Arminius und Thußnelda.
Haare ausrauffen/ die Wangen zerkratzen’/ und
uͤber Stock und Stein ſich in den tieffſten Ab-
grund ſtuͤrtzen. Aber zu geſchweigen: daß der
uͤbermaͤſſige Schmertz allzu geſchwinde verrau-
chet/ und daß die erſte Hitze ſich in weniger Zeit
in Eyß verwandelt/ ja die/ welcher heute kein
Trauer-Kleid ſchwartz genung iſt/ oder fuͤr wel-
cher man die Brunnen zuſtopfen muß/ morgen
die Wangen anſtreicht/ und aus dem Trauer-
Flor Zierrathen ſchneidet/ ihr weiſſes Antlitz
darmit auszuputzen; ſo bin ich der Meynung:
Die Vernunft werde einer empfindlichen Wit
tib viel maͤſſigere Gedancken einrathen/ nemlich:
daß die Maͤnner wohl mit Thraͤnen zu bewei-
nen/ Weiber aber mit eigenem Blute nicht zu
beflecken ſind. Nein/ nein/ ſagte Erato/ laſſet
uns unſerer Schwachheit derogeſtalt nicht
Pflaumen ſtreichen. So wenig ohne Bluten
der Kopf von dem Halſe geſchnitten werden kan/
ſo wenig ſoll ohne derogleichen Strom eine Ehe-
Frau ſich von ihrem Haupte trennen laſſen. Die
Natur ſelbſt weiſet uns in ihren Geſchoͤpfen
die Fußſtapfen/ in welche wir bey ſolcher Bege-
bung treten ſollen; wenn ſie den weiblichen
Palmbaum gleichſam durch eine unheilbare
Traurigkeit verdorren laͤſt; wenn man ihm den
maͤnnlichen von der Seite geriſſen. Ja/ ver-
ſetzte Thußnelda/ dieſes aber geſchihet nicht
durch eine augenblickliche und gewaltſame Ver-
fallung/ ſondern nach und nach/ und gleichſam
unempfindlich. Jch gebe auch nach: daß ein
Weib die Helffte ihres Hertzens/ nemlich das
Behaͤltnuͤß der Freude mit auf ihres Ehe-
manns Holtzſtoſſe verbrennen/ dieſes Theil aber/
darinnen die Hertzhaftigkeit ſtecket/ der Welt
zum Beyſpiele/ und die Vernunft zu ihres Hau-
ſes Beſtem unverſehrt behalten ſoll. Sie mag
in ihrem Wittiben-Stande ſich wohl mit ihrer
Traurigkeit/ nicht aber mit ihrer Schwaͤche bloß
geben. Sie kan wohl ihre Gedancken/ doch
darff ſie nicht ihren Leib mit dem Schatten ihres
verblichenen Ehmanns vermaͤhlen. Sie muß
ſein Bildnuͤß in ihrem Gedaͤchtnuͤſſe/ ſeine Aſche
zu ihrem Heiligthume aufheben; aber nicht die
Verſorgung ihrer Kinder in Wind/ und ihrem
Geſchlechte auf einmal zwey Wunden ſchlagen.
Wenn der Monde durch Finſternuͤſſe von ſeiner
Sonne geſchieden wird; verlieret er zwar ſein
Licht und die Anmuth/ nicht aber ſeinen Lauff/
noch ſeine Wuͤrckung. Wie ſchwartz und trau-
rig er ſcheinet/ verirrt er ſich doch nicht aus ſei-
nem Circkel und er vergißt nicht mit der Zeit
auch ein helles Geſicht anzunehmen. Was iſt
aber bey Entfallung ihres Ehmannes ein Weib
in ihren vier Pfaͤlen anders/ als was der Mond
in Abweſenheit der Sonne in dem groſſen Hau-
ſe der Welt? Dieſemnach muß ſich jene ſo wohl
als dieſer dem gemeinen Weſen zum Beſten
thaͤtig erzeigen/ und ohne Entfallung der Hertz-
haftigkeit ſtatt ihres Ehmanns an die lincke tre-
ten. Denn die Schwachheit unſers Geſchlech-
tes entſchuldigt uns ſo wenig/ als die Blaͤfſe
das ſo nutzbare Nacht-Licht. Die Turtel-
Taube ſeufzet und girret ja wohl uͤber dem Ver-
luſt ihres Buhlen/ aber ſie verlaͤſt weder ihr Neſt/
noch vergißt ſie die Erziehung ihrer Jungen;
und die verwittibte Adlerin zeucht nichts min-
der auf die Jagt/ und wider die Schlangen in
Krieg aus. Alſo muß ſicher der Schmertz
ihrer Vernunft/ die Liebe aber der muͤtterlichen
Erbarmnuͤß aus dem Wege treten. Und da eine
Frau ja von einem ſolchẽ Streiche des Ungluͤcks
eine Schramme behalten ſoll/ muß ſelbte doch
keine Laͤhmde des Gemuͤthes nach ſich ziehen.
Die Koͤnigin Erato wolte ſich noch nicht geben/
ſondern ſetzte Thußnelden entgegen: Es waͤre
die groͤſte Hertzhaftigkeit/ keine Kleinmuth/ den
Tod umbarmen/ wenn er einem gleich den Ruͤ-
cken kehrte. Die Verſorgung der Kinder waͤ-
re fuͤr die Fruchtbaren/ oder vielmehr kleinmuͤ-
thigen Muͤtter ein ſcheinbarer Fuͤrwand; aber
im Wercke ein Mißtrauen zu den guͤtigen Goͤt-
tern; gleich als wenn dieſe/ die die Welt verſorgtẽ/
verwaͤyſeter Kinder Vater zu ſeyn/ allzu ohn-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/711>, abgerufen am 29.06.2024. |