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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] keine Kunst-Feuer anzünden konte. Weil wir so
herrlicher Dinge Grauß und Asche auch vereh-
rens würdig hielten; betrachteten wir die zer-
drümmerten Marmel-Mauern/ die zerstück-
ten Porphyr-Säulen mit Seufzen. Von dar
wurden wir von zweyen der so genennten Ar-
chonten/ oder Athenischen Rathsherren in die-
selbige Stadt eingeholet; darinnen die Weiß-
heit/ der Gottesdienst/ das Getreide/ die Gese-
tze entsprossen. Wir fuhren zwischen der zwey-
fachen im Peloponnesischen Kriege gebauten/
und vom Sylla gleichfals sehr beschädigten
Mauer/ und lernten/ daß die viereckichten mit
Eisen zusammen geklammerten Marmelstei-
ne wider die Steine und der Menschen Raserey
eine zu schwache Befestigung abgäbe. Unter-
weges sahen wir des Theseus Tempel/ das
Grab Menanders und des Euripides nur ü-
berhin. Als man uns aber zwischen vielen Oel-
bäumen nebst einem Brunnen das Heiligthum
des Socrates zeigte/ konte sich Zarmar nicht
enthalten vom Wagen abzusteigen. Wir folg-
ten ihm theils aus Antrieb seines Beyspiels/
theils aus eigner Ehrerbietung gegen diesem
Halb-Gotte. Jn der Mitte des rundten
Heiligthums stand auf einem schwartz-marmel-
nen Fusse Socratens Bild aus Egyptischem
Porphyr gemacht/ mit dem Gifft-Kelche in der
Hand. Jn den Fuß war mit weissen Buch-
staben sehr künstlich eingelassen:

Hier liegt der weiseste der Sterblichen begraben/
Der grosse Socrates. Diß glaubt gantz Gricchenland/
Strent Blumen auff sein Grab/ und Weyrauch in den Brand/
Weil ein solch Zeugnüß ihm die Götter selber gaben.
Gott/ den die Griechen nie vorhin erkennet haben/
Den kein Verstand begreifft/ war ihm allein bekand.
Denn ihm war ein gut Geist vom Himmel zugesand/
Jm Leben ihn zu lehr'n/ im Sterben ihn zu laben.
Athen/ das ihn bracht' um/ beseelt nun seinen Ruhm/
Vergöttert seinen Geist durch dieses Heiligthum/
Verdammt den Urthels-Spruch/ der ihn zwang zu erblassen;
Und macher sich hierdurch von Schmach und Unrecht frey.
Denn wer will nicht gestehn/ daß irren menschlich sey/
Was über-menschlich as den alten Jrrthum hassen?

[Spaltenumbruch]

Der weise Zarmar küste vielfältig mal Socra-
tens Bild/ nennte ihn den Heiligsten unter den
Griechen/ als welcher zwar als ein Gottes-
Verleugner wäre verdammt worden/ mit sei-
nem Tode aber die Warheit des einigen Got-
tes besie gelt/ und darmit keinen irrdischen Krantz
verdienet hätte. Der Jndische Botschaffter
und ich rupften neben dem Brunnen etliche
Handvoll Narcissen und Hiacynthen ab/ und
streuten sie diesem unvergleichlichen Weltwei-
sen auffs Grab. Hierauf kamen wir endlich
durch die Pyreische Pforte in Athen/ und wur-
den auf der fürnehmsten Ceramischen Strasse
neben dem Grabe des Leos in ein prächtiges
Hauß eingelegt/ welcher wegen seiner fürs ge-
meine Heil geopfferter Töchter ein in der Stadt
sonst ungewöhnliches Grabmahl verdienet
hatte.

Den andern Tag darnach hielt der im Pha-
lerischen Hafen ausgestiegene Käyser in die
Stadt seinen Einzug/ nach dem er sich vorher
auf dem Lande mit Jagten erlustigt hatte. Es
leidet es die Zeit nicht das grosse Gepränge zu
beschreiben/ wormit diese zwey hundert Sta-
dien im Umkreiß habende Stadt den Käyser
annahm. Denn das Bild der Minerva/ wel-
ches soll vom Himmel gefallen seyn/ und sich da-
zumal/ als Augustus dieser dem Antonius ge-
neigten Stadt das Eyland Aegina und Ere-
trea genommen/ von der Sonnen Aufgange ge-
gen Niedergang gewendet/ und Blut aus ge-
spien hatte/ solte sich itzt wieder von Ost gegen
West gekehret/ und der darfür hangende gülde-
ne Leuchter des Callimachus/ der gerade so viel
Oel in sich läst/ als er zum jährlichen Brennen
bedarf/ und drey Tage vorher solte aus gebren-
net seyn/ über seine Zeit seinen unverzehrlichen
Zunder und Feuer behalten haben/ ob man
schon aus dem durch das Gewölbe des Tempels
gehende messene Röhr keinen Rauch mehr aus-
dampffen gesehn hätte. Uberdiß ereignete sich
dieses Wunder/ oder die Heucheley hatte es er-

fun-

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] keine Kunſt-Feuer anzuͤnden konte. Weil wir ſo
herrlicher Dinge Grauß und Aſche auch vereh-
rens wuͤrdig hielten; betrachteten wir die zer-
druͤmmerten Marmel-Mauern/ die zerſtuͤck-
ten Porphyr-Saͤulen mit Seufzen. Von dar
wurden wir von zweyen der ſo genennten Ar-
chonten/ oder Atheniſchen Rathsherren in die-
ſelbige Stadt eingeholet; darinnen die Weiß-
heit/ der Gottesdienſt/ das Getreide/ die Geſe-
tze entſproſſen. Wir fuhren zwiſchen der zwey-
fachen im Peloponneſiſchen Kriege gebauten/
und vom Sylla gleichfals ſehr beſchaͤdigten
Mauer/ und lernten/ daß die viereckichten mit
Eiſen zuſammen geklammerten Marmelſtei-
ne wider die Steine und der Menſchen Raſerey
eine zu ſchwache Befeſtigung abgaͤbe. Unter-
weges ſahen wir des Theſeus Tempel/ das
Grab Menanders und des Euripides nur uͤ-
berhin. Als man uns aber zwiſchen vielen Oel-
baͤumen nebſt einem Brunnen das Heiligthum
des Socrates zeigte/ konte ſich Zarmar nicht
enthalten vom Wagen abzuſteigen. Wir folg-
ten ihm theils aus Antrieb ſeines Beyſpiels/
theils aus eigner Ehrerbietung gegen dieſem
Halb-Gotte. Jn der Mitte des rundten
Heiligthums ſtand auf einem ſchwartz-marmel-
nen Fuſſe Socratens Bild aus Egyptiſchem
Porphyr gemacht/ mit dem Gifft-Kelche in der
Hand. Jn den Fuß war mit weiſſen Buch-
ſtaben ſehr kuͤnſtlich eingelaſſen:

Hier liegt der weiſeſte der Sterblichen begraben/
Der groſſe Socrates. Diß glaubt gantz Gricchenland/
Strent Blumen auff ſein Grab/ und Weyrauch in den Brand/
Weil ein ſolch Zeugnuͤß ihm die Goͤtter ſelber gaben.
Gott/ den die Griechen nie vorhin erkennet haben/
Den kein Verſtand begreifft/ war ihm allein bekand.
Denn ihm war ein gut Geiſt vom Himmel zugeſand/
Jm Leben ihn zu lehr’n/ im Sterben ihn zu laben.
Athen/ das ihn bracht’ um/ beſeelt nun ſeinen Ruhm/
Vergoͤttert ſeinen Geiſt durch dieſes Heiligthum/
Verdammt den Urthels-Spruch/ der ihn zwang zu erblaſſen;
Und macher ſich hierdurch von Schmach und Unrecht frey.
Denn wer will nicht geſtehn/ daß irren menſchlich ſey/
Was uͤber-menſchlich as den alten Jrrthum haſſen?

[Spaltenumbruch]

Der weiſe Zarmar kuͤſte vielfaͤltig mal Socra-
tens Bild/ nennte ihn den Heiligſten unter den
Griechen/ als welcher zwar als ein Gottes-
Verleugner waͤre verdammt worden/ mit ſei-
nem Tode aber die Warheit des einigen Got-
tes beſie gelt/ und darmit keinen irrdiſchen Krantz
verdienet haͤtte. Der Jndiſche Botſchaffter
und ich rupften neben dem Brunnen etliche
Handvoll Narciſſen und Hiacynthen ab/ und
ſtreuten ſie dieſem unvergleichlichen Weltwei-
ſen auffs Grab. Hierauf kamen wir endlich
durch die Pyreiſche Pforte in Athen/ und wur-
den auf der fuͤrnehmſten Ceramiſchen Straſſe
neben dem Grabe des Leos in ein praͤchtiges
Hauß eingelegt/ welcher wegen ſeiner fuͤrs ge-
meine Heil geopfferter Toͤchter ein in der Stadt
ſonſt ungewoͤhnliches Grabmahl verdienet
hatte.

Den andern Tag darnach hielt der im Pha-
leriſchen Hafen ausgeſtiegene Kaͤyſer in die
Stadt ſeinen Einzug/ nach dem er ſich vorher
auf dem Lande mit Jagten erluſtigt hatte. Es
leidet es die Zeit nicht das groſſe Gepraͤnge zu
beſchreiben/ wormit dieſe zwey hundert Sta-
dien im Umkreiß habende Stadt den Kaͤyſer
annahm. Denn das Bild der Minerva/ wel-
ches ſoll vom Himmel gefallen ſeyn/ und ſich da-
zumal/ als Auguſtus dieſer dem Antonius ge-
neigten Stadt das Eyland Aegina und Ere-
trea genommen/ von der Sonnen Aufgange ge-
gen Niedergang gewendet/ und Blut aus ge-
ſpien hatte/ ſolte ſich itzt wieder von Oſt gegen
Weſt gekehret/ und der darfuͤr hangende guͤlde-
ne Leuchter des Callimachus/ der gerade ſo viel
Oel in ſich laͤſt/ als er zum jaͤhrlichen Brennen
bedarf/ und drey Tage vorher ſolte aus gebren-
net ſeyn/ uͤber ſeine Zeit ſeinen unverzehrlichen
Zunder und Feuer behalten haben/ ob man
ſchon aus dem durch das Gewoͤlbe des Tempels
gehende meſſene Roͤhr keinen Rauch mehr aus-
dampffen geſehn haͤtte. Uberdiß ereignete ſich
dieſes Wunder/ oder die Heucheley hatte es er-

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[684/0740] Fuͤnfftes Buch keine Kunſt-Feuer anzuͤnden konte. Weil wir ſo herrlicher Dinge Grauß und Aſche auch vereh- rens wuͤrdig hielten; betrachteten wir die zer- druͤmmerten Marmel-Mauern/ die zerſtuͤck- ten Porphyr-Saͤulen mit Seufzen. Von dar wurden wir von zweyen der ſo genennten Ar- chonten/ oder Atheniſchen Rathsherren in die- ſelbige Stadt eingeholet; darinnen die Weiß- heit/ der Gottesdienſt/ das Getreide/ die Geſe- tze entſproſſen. Wir fuhren zwiſchen der zwey- fachen im Peloponneſiſchen Kriege gebauten/ und vom Sylla gleichfals ſehr beſchaͤdigten Mauer/ und lernten/ daß die viereckichten mit Eiſen zuſammen geklammerten Marmelſtei- ne wider die Steine und der Menſchen Raſerey eine zu ſchwache Befeſtigung abgaͤbe. Unter- weges ſahen wir des Theſeus Tempel/ das Grab Menanders und des Euripides nur uͤ- berhin. Als man uns aber zwiſchen vielen Oel- baͤumen nebſt einem Brunnen das Heiligthum des Socrates zeigte/ konte ſich Zarmar nicht enthalten vom Wagen abzuſteigen. Wir folg- ten ihm theils aus Antrieb ſeines Beyſpiels/ theils aus eigner Ehrerbietung gegen dieſem Halb-Gotte. Jn der Mitte des rundten Heiligthums ſtand auf einem ſchwartz-marmel- nen Fuſſe Socratens Bild aus Egyptiſchem Porphyr gemacht/ mit dem Gifft-Kelche in der Hand. Jn den Fuß war mit weiſſen Buch- ſtaben ſehr kuͤnſtlich eingelaſſen: Hier liegt der weiſeſte der Sterblichen begraben/ Der groſſe Socrates. Diß glaubt gantz Gricchenland/ Strent Blumen auff ſein Grab/ und Weyrauch in den Brand/ Weil ein ſolch Zeugnuͤß ihm die Goͤtter ſelber gaben. Gott/ den die Griechen nie vorhin erkennet haben/ Den kein Verſtand begreifft/ war ihm allein bekand. Denn ihm war ein gut Geiſt vom Himmel zugeſand/ Jm Leben ihn zu lehr’n/ im Sterben ihn zu laben. Athen/ das ihn bracht’ um/ beſeelt nun ſeinen Ruhm/ Vergoͤttert ſeinen Geiſt durch dieſes Heiligthum/ Verdammt den Urthels-Spruch/ der ihn zwang zu erblaſſen; Und macher ſich hierdurch von Schmach und Unrecht frey. Denn wer will nicht geſtehn/ daß irren menſchlich ſey/ Was uͤber-menſchlich as den alten Jrrthum haſſen? Der weiſe Zarmar kuͤſte vielfaͤltig mal Socra- tens Bild/ nennte ihn den Heiligſten unter den Griechen/ als welcher zwar als ein Gottes- Verleugner waͤre verdammt worden/ mit ſei- nem Tode aber die Warheit des einigen Got- tes beſie gelt/ und darmit keinen irrdiſchen Krantz verdienet haͤtte. Der Jndiſche Botſchaffter und ich rupften neben dem Brunnen etliche Handvoll Narciſſen und Hiacynthen ab/ und ſtreuten ſie dieſem unvergleichlichen Weltwei- ſen auffs Grab. Hierauf kamen wir endlich durch die Pyreiſche Pforte in Athen/ und wur- den auf der fuͤrnehmſten Ceramiſchen Straſſe neben dem Grabe des Leos in ein praͤchtiges Hauß eingelegt/ welcher wegen ſeiner fuͤrs ge- meine Heil geopfferter Toͤchter ein in der Stadt ſonſt ungewoͤhnliches Grabmahl verdienet hatte. Den andern Tag darnach hielt der im Pha- leriſchen Hafen ausgeſtiegene Kaͤyſer in die Stadt ſeinen Einzug/ nach dem er ſich vorher auf dem Lande mit Jagten erluſtigt hatte. Es leidet es die Zeit nicht das groſſe Gepraͤnge zu beſchreiben/ wormit dieſe zwey hundert Sta- dien im Umkreiß habende Stadt den Kaͤyſer annahm. Denn das Bild der Minerva/ wel- ches ſoll vom Himmel gefallen ſeyn/ und ſich da- zumal/ als Auguſtus dieſer dem Antonius ge- neigten Stadt das Eyland Aegina und Ere- trea genommen/ von der Sonnen Aufgange ge- gen Niedergang gewendet/ und Blut aus ge- ſpien hatte/ ſolte ſich itzt wieder von Oſt gegen Weſt gekehret/ und der darfuͤr hangende guͤlde- ne Leuchter des Callimachus/ der gerade ſo viel Oel in ſich laͤſt/ als er zum jaͤhrlichen Brennen bedarf/ und drey Tage vorher ſolte aus gebren- net ſeyn/ uͤber ſeine Zeit ſeinen unverzehrlichen Zunder und Feuer behalten haben/ ob man ſchon aus dem durch das Gewoͤlbe des Tempels gehende meſſene Roͤhr keinen Rauch mehr aus- dampffen geſehn haͤtte. Uberdiß ereignete ſich dieſes Wunder/ oder die Heucheley hatte es er- fun-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/740>, abgerufen am 22.11.2024.