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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] menschlicher Seelen in Thiere festiglich glauben-
de Masulapat an: Lycus hat zu Athen mehr
als einen Tempel verdienet/ wenn er nur die
Helfte Wolff gewest/ und die andere Helfte
Mensch blieben ist. Denn der soll noch ge-
bohren werden/ der nicht was viehisches an sich
hat. Die meisten Menschen aber verwandeln
sich nicht nur in wilde Thiere/ sondern bemühen
sich auch noch Wölffe und Bären an Grausam-
keit zu übertreffen. Wir haben nahe hierbey/
sagte Mecenas/ dessen ein klares Beyspiel;
führte uns also zu dem Grabe des Königs Ni-
fus/ welchem seine Tochter Scylla das mit sei-
nem Reiche verlobte Haar abgeschnitten hat/
wormit sie die Herrschafft ihrem liebgewonne-
nen Minos zuschantzte. Hierauf führte er uns
über den Agorischen Platz/ da das Volck umb
einen in der Mitte stehenden/ und mit dicken
Leinen umbspannten Richter-Stul versammlet
wird/ für welchem Demosthenes und andere
grosse Redner ihre gelehrte Beredsamkeit un-
zehlbare mal geprüfet haben. Daselbst traten
wir in den Tempel der Musen ab/ darein Me-
cenas das vom Fulvius aus Ambracia nach
Rom gebrachte Marmel-Bild der Musen ver-
ehrt hatte. Als wir diesen Tempel/ und die vom
Anarimander daran gemachte künstliche Son-
nen-Uhr genung betrachtet/ und darbey Cimons
und Elpinicens Haus besehen hatten/ fuhren
wir durch die drey so genennten Theile der
Stadt Colytos/ darinnen nicht nur Plato ge-
bohren ist/ sondern die Kinder auch schöner seyn/
und ehe als anderwerts in Athen reden lernen
sollen/ wie auch durch Melite und Kolonos ge-
rade durch/ und stiegen allererst bey dem Brun-
nen Paropis ab/ besahen daselbst die gleichsam an
einander rührenden Tempel der Eume[ni]den/
der Minerva/ des Prometheus/ der Venus/ wie
auch die Ehrenmaale des Theseus/ des Oedi-
pus/ des Pyrithous und Adrastus; welche aber
von den Spartanern übel zugerichtet waren.
Das Grab des Plato war allein entweder we-
[Spaltenumbruch] gen Ansehen dieses Göttlichen Mannes/ oder
wegen Einfalt des Werckes unversehrt blieben.
Gleich als wenn die Menschen so wohl als die
Zeit dieser nicht so sehr als dem Gepränge auf-
sätzig wären. Denn es war allein auf einer
Porphyrenen Taffel folgendes zu lesen:

Den eine Jungfrau hat gebohren ohne Mann/
Aus dessen Lippen sich die Honig-Biene speißte/
Der Weißheit ihm zu hohl'n an Nil und Jordan reißte/
Dadurch er Griechenland die Augen aufgethan/
Daß es die Tugend kennt/ zu Gotte klimmen kan.
Weil er das Flügelwerck der Seelen unserm Geiste/
Und der Unsterbligkeit Geheimnüß allen weiste;
Von dem Gesetz und Licht zwey Völcker namen an;
Der Halb-Gott/ der so weit stieg über alle Grichen/
Als die geh'n Barbarn für/ der ist allhier verblichen.
Doch Plato nicht/ nur diß/ was er für Hülsen/ Schaum
Und Koth des Menschen hielt/ liegt unter diesem Steine/
Das abgezehrte Fleisch/ die fanlenden Gebeine.
Denn ein solch himmlisch Geist hat nicht im Grabe raum.

Wir bestreuten diesen Grabe-Stein über
und über mit Blumen/ Zarmar aber kützte ihn
vielmal und betheuerte: daß unter den Grichen
nach Socraten keiner so hoch als Plato wäre er-
leuchtet gewest. Von dar begaben wir uns zu
der Academia oder der Schule des Plato. Die
Gebäue hatten noch ihren alten Glantz. Denn/
als gleich die Spartaner umb diese Gegend das
meiste ver wüsteten/ schonten sie doch dieser Schu-
le/ weil ein Bürger zu Athen Academus/ von
dem sie den Nahmen hat/ dem Castor und Pol-
lur in geheim entdeckt hatte/ wo die vom Thescus
aus Sparta entführte Helena versteckt war. Die
alten vom Cimon gepflantzten Lustwälder aber
waren noch nicht in dem ersten Ansehn; indem
Sylla die grossen Stämme zu Sturm-Böcken/
Sturm-Leitern/ und anderm Werckzeuge des
Krieges verbraucht hatte. Unterdessen wen-
dete nicht nur August/ sondern auch Mecenas
ein ergebiges [dar]auf/ alles wieder in guten
Stand [z]u bringen. Massen denn auch die al-
t[en] Helden Harmodius/ Aristogiton/ Pericles/
Thrastbulus und 100. andere/ welche in dieser

Vor-

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] menſchlicher Seelen in Thiere feſtiglich glauben-
de Maſulapat an: Lycus hat zu Athen mehr
als einen Tempel verdienet/ wenn er nur die
Helfte Wolff geweſt/ und die andere Helfte
Menſch blieben iſt. Denn der ſoll noch ge-
bohren werden/ der nicht was viehiſches an ſich
hat. Die meiſten Menſchen aber verwandeln
ſich nicht nur in wilde Thiere/ ſondern bemuͤhen
ſich auch noch Woͤlffe und Baͤren an Grauſam-
keit zu uͤbertreffen. Wir haben nahe hierbey/
ſagte Mecenas/ deſſen ein klares Beyſpiel;
fuͤhrte uns alſo zu dem Grabe des Koͤnigs Ni-
fus/ welchem ſeine Tochter Scylla das mit ſei-
nem Reiche verlobte Haar abgeſchnitten hat/
wormit ſie die Herrſchafft ihrem liebgewonne-
nen Minos zuſchantzte. Hierauf fuͤhrte er uns
uͤber den Agoriſchen Platz/ da das Volck umb
einen in der Mitte ſtehenden/ und mit dicken
Leinen umbſpannten Richter-Stul verſam̃let
wird/ fuͤr welchem Demoſthenes und andere
groſſe Redner ihre gelehrte Beredſamkeit un-
zehlbare mal gepruͤfet haben. Daſelbſt traten
wir in den Tempel der Muſen ab/ darein Me-
cenas das vom Fulvius aus Ambracia nach
Rom gebrachte Marmel-Bild der Muſen ver-
ehrt hatte. Als wir dieſen Tempel/ und die vom
Anarimander daran gemachte kuͤnſtliche Son-
nen-Uhr genung betrachtet/ und darbey Cimons
und Elpinicens Haus beſehen hatten/ fuhren
wir durch die drey ſo genennten Theile der
Stadt Colytos/ darinnen nicht nur Plato ge-
bohren iſt/ ſondern die Kinder auch ſchoͤner ſeyn/
und ehe als anderwerts in Athen reden lernen
ſollen/ wie auch durch Melite und Kolonos ge-
rade durch/ und ſtiegen allererſt bey dem Brun-
nen Paropis ab/ beſahen daſelbſt die gleichſam an
einander ruͤhrenden Tempel der Eume[ni]den/
der Minerva/ des Prometheus/ der Venus/ wie
auch die Ehrenmaale des Theſeus/ des Oedi-
pus/ des Pyrithous und Adraſtus; welche aber
von den Spartanern uͤbel zugerichtet waren.
Das Grab des Plato war allein entweder we-
[Spaltenumbruch] gen Anſehen dieſes Goͤttlichen Mannes/ oder
wegen Einfalt des Werckes unverſehrt blieben.
Gleich als wenn die Menſchen ſo wohl als die
Zeit dieſer nicht ſo ſehr als dem Gepraͤnge auf-
ſaͤtzig waͤren. Denn es war allein auf einer
Porphyrenen Taffel folgendes zu leſen:

Den eine Jungfrau hat gebohren ohne Mann/
Aus deſſen Lippen ſich die Honig-Biene ſpeißte/
Der Weißheit ihm zu hohl’n an Nil und Jordan reißte/
Dadurch er Griechenland die Augen aufgethan/
Daß es die Tugend kennt/ zu Gotte klimmen kan.
Weil er das Fluͤgelwerck der Seelen unſerm Geiſte/
Und der Unſterbligkeit Geheimnuͤß allen weiſte;
Von dem Geſetz und Licht zwey Voͤlcker namen an;
Der Halb-Gott/ der ſo weit ſtieg uͤber alle Grichen/
Als die geh’n Barbarn fuͤr/ der iſt allhier verblichen.
Doch Plato nicht/ nur diß/ was er fuͤr Huͤlſen/ Schaum
Und Koth des Menſchen hielt/ liegt unter dieſem Steine/
Das abgezehrte Fleiſch/ die fanlenden Gebeine.
Denn ein ſolch himmliſch Geiſt hat nicht im Grabe raum.

Wir beſtreuten dieſen Grabe-Stein uͤber
und uͤber mit Blumen/ Zarmar aber kuͤtzte ihn
vielmal und betheuerte: daß unter den Grichen
nach Socraten keiner ſo hoch als Plato waͤre er-
leuchtet geweſt. Von dar begaben wir uns zu
der Academia oder der Schule des Plato. Die
Gebaͤue hatten noch ihren alten Glantz. Denn/
als gleich die Spartaner umb dieſe Gegend das
meiſte ver wuͤſteten/ ſchonten ſie doch dieſer Schu-
le/ weil ein Buͤrger zu Athen Academus/ von
dem ſie den Nahmen hat/ dem Caſtor und Pol-
lur in geheim entdeckt hatte/ wo die vom Theſcus
aus Sparta entfuͤhrte Helena verſteckt war. Die
alten vom Cimon gepflantzten Luſtwaͤlder aber
waren noch nicht in dem erſten Anſehn; indem
Sylla die groſſen Staͤmme zu Sturm-Boͤcken/
Sturm-Leitern/ und anderm Werckzeuge des
Krieges verbraucht hatte. Unterdeſſen wen-
dete nicht nur Auguſt/ ſondern auch Mecenas
ein ergebiges [dar]auf/ alles wieder in guten
Stand [z]u bringen. Maſſen denn auch die al-
t[en] Helden Harmodius/ Ariſtogiton/ Pericles/
Thraſtbulus und 100. andere/ welche in dieſer

Vor-
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[706/0762] Fuͤnfftes Buch menſchlicher Seelen in Thiere feſtiglich glauben- de Maſulapat an: Lycus hat zu Athen mehr als einen Tempel verdienet/ wenn er nur die Helfte Wolff geweſt/ und die andere Helfte Menſch blieben iſt. Denn der ſoll noch ge- bohren werden/ der nicht was viehiſches an ſich hat. Die meiſten Menſchen aber verwandeln ſich nicht nur in wilde Thiere/ ſondern bemuͤhen ſich auch noch Woͤlffe und Baͤren an Grauſam- keit zu uͤbertreffen. Wir haben nahe hierbey/ ſagte Mecenas/ deſſen ein klares Beyſpiel; fuͤhrte uns alſo zu dem Grabe des Koͤnigs Ni- fus/ welchem ſeine Tochter Scylla das mit ſei- nem Reiche verlobte Haar abgeſchnitten hat/ wormit ſie die Herrſchafft ihrem liebgewonne- nen Minos zuſchantzte. Hierauf fuͤhrte er uns uͤber den Agoriſchen Platz/ da das Volck umb einen in der Mitte ſtehenden/ und mit dicken Leinen umbſpannten Richter-Stul verſam̃let wird/ fuͤr welchem Demoſthenes und andere groſſe Redner ihre gelehrte Beredſamkeit un- zehlbare mal gepruͤfet haben. Daſelbſt traten wir in den Tempel der Muſen ab/ darein Me- cenas das vom Fulvius aus Ambracia nach Rom gebrachte Marmel-Bild der Muſen ver- ehrt hatte. Als wir dieſen Tempel/ und die vom Anarimander daran gemachte kuͤnſtliche Son- nen-Uhr genung betrachtet/ und darbey Cimons und Elpinicens Haus beſehen hatten/ fuhren wir durch die drey ſo genennten Theile der Stadt Colytos/ darinnen nicht nur Plato ge- bohren iſt/ ſondern die Kinder auch ſchoͤner ſeyn/ und ehe als anderwerts in Athen reden lernen ſollen/ wie auch durch Melite und Kolonos ge- rade durch/ und ſtiegen allererſt bey dem Brun- nen Paropis ab/ beſahen daſelbſt die gleichſam an einander ruͤhrenden Tempel der Eumeniden/ der Minerva/ des Prometheus/ der Venus/ wie auch die Ehrenmaale des Theſeus/ des Oedi- pus/ des Pyrithous und Adraſtus; welche aber von den Spartanern uͤbel zugerichtet waren. Das Grab des Plato war allein entweder we- gen Anſehen dieſes Goͤttlichen Mannes/ oder wegen Einfalt des Werckes unverſehrt blieben. Gleich als wenn die Menſchen ſo wohl als die Zeit dieſer nicht ſo ſehr als dem Gepraͤnge auf- ſaͤtzig waͤren. Denn es war allein auf einer Porphyrenen Taffel folgendes zu leſen: Den eine Jungfrau hat gebohren ohne Mann/ Aus deſſen Lippen ſich die Honig-Biene ſpeißte/ Der Weißheit ihm zu hohl’n an Nil und Jordan reißte/ Dadurch er Griechenland die Augen aufgethan/ Daß es die Tugend kennt/ zu Gotte klimmen kan. Weil er das Fluͤgelwerck der Seelen unſerm Geiſte/ Und der Unſterbligkeit Geheimnuͤß allen weiſte; Von dem Geſetz und Licht zwey Voͤlcker namen an; Der Halb-Gott/ der ſo weit ſtieg uͤber alle Grichen/ Als die geh’n Barbarn fuͤr/ der iſt allhier verblichen. Doch Plato nicht/ nur diß/ was er fuͤr Huͤlſen/ Schaum Und Koth des Menſchen hielt/ liegt unter dieſem Steine/ Das abgezehrte Fleiſch/ die fanlenden Gebeine. Denn ein ſolch himmliſch Geiſt hat nicht im Grabe raum. Wir beſtreuten dieſen Grabe-Stein uͤber und uͤber mit Blumen/ Zarmar aber kuͤtzte ihn vielmal und betheuerte: daß unter den Grichen nach Socraten keiner ſo hoch als Plato waͤre er- leuchtet geweſt. Von dar begaben wir uns zu der Academia oder der Schule des Plato. Die Gebaͤue hatten noch ihren alten Glantz. Denn/ als gleich die Spartaner umb dieſe Gegend das meiſte ver wuͤſteten/ ſchonten ſie doch dieſer Schu- le/ weil ein Buͤrger zu Athen Academus/ von dem ſie den Nahmen hat/ dem Caſtor und Pol- lur in geheim entdeckt hatte/ wo die vom Theſcus aus Sparta entfuͤhrte Helena verſteckt war. Die alten vom Cimon gepflantzten Luſtwaͤlder aber waren noch nicht in dem erſten Anſehn; indem Sylla die groſſen Staͤmme zu Sturm-Boͤcken/ Sturm-Leitern/ und anderm Werckzeuge des Krieges verbraucht hatte. Unterdeſſen wen- dete nicht nur Auguſt/ ſondern auch Mecenas ein ergebiges darauf/ alles wieder in guten Stand zu bringen. Maſſen denn auch die al- ten Helden Harmodius/ Ariſtogiton/ Pericles/ Thraſtbulus und 100. andere/ welche in dieſer Vor-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/762>, abgerufen am 22.11.2024.