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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] die sie bey zweifelhaften Zeiten ihm anvertraute.
Nach ihm war der spitzfindige Chrysippus zu se-
hen; an der Ecke Crates/ Antisthenes und Dio-
genes mit seinem Fasse. Für ihnen sassen die
großbärtichten Weltweisen ihre Nachfolger.
Gegen Mittag stand das Altar/ welches die
Stadt Stagira dem Aristoteles zu Ehren auf-
richten lassen; darneben sein Bildnüß aus Co-
rinthischem Ertzte/ die sein Schüler Theophra-
stus ihm zu giessen in seinem letzten Willen ver-
ordnet/ und auf selbtem der güldene Krantz/
wormit ihn der grosse Alexander verehret hatte.
Weiter hin sahe man den Theophrastus. Für
ihnen sassen die ihnen anhängigen Weltweisen/
die an der Anzahl alle andere übertraffen. Nord-
werts stand ein Altar der Wollust/ welches Jdo-
meneus anfgerichtet/ darneben des Epicurus
Bild/ welches Theodorus gemahlet hat/ und
von seinen Nachfolgern an seinem Geburts-
Tage jährlich verehret/ auch so wohl durch ihre
Schlaf-Gemächer/ als die Gärte/ die er unter-
halb der Stadt Athen zum ersten angegeben/
mit allerhand Freuden-Zeichen herumb getra-
gen wird. Neben dem Epicurus stand Ari-
stippus und Laertius; für ihnen sassen die wohl
aufgeputzten Epicurischen Weltweisen/ mit
freundlichen Gesichten und frölichen Geberden.
Zarmar aber saß alleine bey dem an einer Ecke
stehenden Bilde des Socrates; welches die ihn
zu unrecht verdammende/ hernach aber aus all-
zu später Reue verg[öt]ternde Stadt Athen
ihm aus Ertzte durch den Lysippus hatten auf-
richten lassen. Der Käyser fragte Zarmarn:
Warumb er sich zu keiner gewissen Schule derer
hernach vollkommener gewordenen Weltwei-
sen/ und insonderheit zu den Platonischen/ wel-
che zum theil vom Socrates ihre Lehre hät-
ten/ schlüge? Zarmar antwortete dem Käyser:
Seines Bedünckens wäre nach dem Socrates
die Weltweißheit wohl spitziger/ aber auch ärger
worden. Der Rath zu Athen hätte ihn zwar
[Spaltenumbruch] dem Pythagoras nach/ ihr eigener Gott Apollo
aber allen klugen Leuten vorgesetzt. Seine
Lehren von Gott wären so weise: daß man
nicht unbillich von ihm rühmte: Er hätte seine
Weißheit vom Himmel bekommen. Sein Le-
ben wäre nichts minder so gut gewest: daß aller
weisen Leute Fürnehmen billich sein Nach-Ge-
mählde seyn solte. Gott würdigte ihn durch
einen guten Geist stets zur Tugend zu leiten;
wo man anders nicht die Klugheit für Socra-
tens und aller Weisen Leitstern halten soll.
Uber diß träffen die Jndianischen Weisen auch
sonderlich in dem mit dem Socrates überein:
daß ihnen verleumdische Aristophanes antichte-
ten; sie beteten nur Nebel und Wolcken an;
da sie doch den allein ewigen Gott verehreten/
ausser dem aber nichts ewig/ nichts Anbethens
würdig schätzten. Anitus und Melitus hät-
ten ihn zwar als einen/ der keinen Gott gläub-
te/ angeklagt; da er doch in Athen nur alleine
ein Verehrer des wahren/ seine Ankläger und
Richter aber desselbten Verächter gewest wä-
ren/ da sie drey hundert Jupiter/ drey und vier-
tzig Hercules/ und dreissig tausend andere Göt-
ter angebetet hätten. Man hätte sein Haus
mit seinem Haushalter Chörephon verbrennt;
da jenes doch der heiligste Tempel in Athen/
dieser nach dem Socrates das würdigste in
Griechenland gewest wäre. Jedoch wäre sich
hierüber nicht zu verwundern. Denn man
finde eine ungemeine Tugend so wenig ohne
Mißgunst/ als eine Lerche ohne Püschel auf
dem Kopfe. Alleine er hätte keine vollkom-
menere Vertheidigung seiner Unschuld ihm
selbst wüntschen können/ als daß seine eigene Ver-
urth eiler den einen Ankläger verwiesen/ den
andern zum Tode verdammet; und Athen mit
Aufrichtung einer güldenen Säule zu seinem
Gedächtnüsse/ Socraten verewigt/ und ihre
Schuld bereuet hätten. Hierüber erhob sich ein
allgemeines Gemürmel unter allen versamle-

ten

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] die ſie bey zweifelhaften Zeiten ihm anvertraute.
Nach ihm war der ſpitzfindige Chryſippus zu ſe-
hen; an der Ecke Crates/ Antiſthenes und Dio-
genes mit ſeinem Faſſe. Fuͤr ihnen ſaſſen die
großbaͤrtichten Weltweiſen ihre Nachfolger.
Gegen Mittag ſtand das Altar/ welches die
Stadt Stagira dem Ariſtoteles zu Ehren auf-
richten laſſen; darneben ſein Bildnuͤß aus Co-
rinthiſchem Ertzte/ die ſein Schuͤler Theophra-
ſtus ihm zu gieſſen in ſeinem letzten Willen ver-
ordnet/ und auf ſelbtem der guͤldene Krantz/
wormit ihn der groſſe Alexander verehret hatte.
Weiter hin ſahe man den Theophraſtus. Fuͤr
ihnen ſaſſen die ihnen anhaͤngigen Weltweiſen/
die an der Anzahl alle andere uͤbertraffen. Nord-
werts ſtand ein Altar der Wolluſt/ welches Jdo-
meneus anfgerichtet/ darneben des Epicurus
Bild/ welches Theodorus gemahlet hat/ und
von ſeinen Nachfolgern an ſeinem Geburts-
Tage jaͤhrlich verehret/ auch ſo wohl durch ihre
Schlaf-Gemaͤcher/ als die Gaͤrte/ die er unter-
halb der Stadt Athen zum erſten angegeben/
mit allerhand Freuden-Zeichen herumb getra-
gen wird. Neben dem Epicurus ſtand Ari-
ſtippus und Laertius; fuͤr ihnen ſaſſen die wohl
aufgeputzten Epicuriſchen Weltweiſen/ mit
freundlichen Geſichten und froͤlichen Geberden.
Zarmar aber ſaß alleine bey dem an einer Ecke
ſtehenden Bilde des Socrates; welches die ihn
zu unrecht verdammende/ hernach aber aus all-
zu ſpaͤter Reue verg[oͤt]ternde Stadt Athen
ihm aus Ertzte durch den Lyſippus hatten auf-
richten laſſen. Der Kaͤyſer fragte Zarmarn:
Warumb er ſich zu keiner gewiſſen Schule derer
hernach vollkommener gewordenen Weltwei-
ſen/ und inſonderheit zu den Platoniſchen/ wel-
che zum theil vom Socrates ihre Lehre haͤt-
ten/ ſchluͤge? Zarmar antwortete dem Kaͤyſer:
Seines Beduͤnckens waͤre nach dem Socrates
die Weltweißheit wohl ſpitziger/ aber auch aͤrger
worden. Der Rath zu Athen haͤtte ihn zwar
[Spaltenumbruch] dem Pythagoras nach/ ihr eigener Gott Apollo
aber allen klugen Leuten vorgeſetzt. Seine
Lehren von Gott waͤren ſo weiſe: daß man
nicht unbillich von ihm ruͤhmte: Er haͤtte ſeine
Weißheit vom Himmel bekommen. Sein Le-
ben waͤre nichts minder ſo gut geweſt: daß aller
weiſen Leute Fuͤrnehmen billich ſein Nach-Ge-
maͤhlde ſeyn ſolte. Gott wuͤrdigte ihn durch
einen guten Geiſt ſtets zur Tugend zu leiten;
wo man anders nicht die Klugheit fuͤr Socra-
tens und aller Weiſen Leitſtern halten ſoll.
Uber diß traͤffen die Jndianiſchen Weiſen auch
ſonderlich in dem mit dem Socrates uͤberein:
daß ihnen verleumdiſche Ariſtophanes antichte-
ten; ſie beteten nur Nebel und Wolcken an;
da ſie doch den allein ewigen Gott verehreten/
auſſer dem aber nichts ewig/ nichts Anbethens
wuͤrdig ſchaͤtzten. Anitus und Melitus haͤt-
ten ihn zwar als einen/ der keinen Gott glaͤub-
te/ angeklagt; da er doch in Athen nur alleine
ein Verehrer des wahren/ ſeine Anklaͤger und
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ren/ da ſie drey hundert Jupiter/ drey und vier-
tzig Hercules/ und dreiſſig tauſend andere Goͤt-
ter angebetet haͤtten. Man haͤtte ſein Haus
mit ſeinem Haushalter Choͤrephon verbrennt;
da jenes doch der heiligſte Tempel in Athen/
dieſer nach dem Socrates das wuͤrdigſte in
Griechenland geweſt waͤre. Jedoch waͤre ſich
hieruͤber nicht zu verwundern. Denn man
finde eine ungemeine Tugend ſo wenig ohne
Mißgunſt/ als eine Lerche ohne Puͤſchel auf
dem Kopfe. Alleine er haͤtte keine vollkom-
menere Vertheidigung ſeiner Unſchuld ihm
ſelbſt wuͤntſchen koͤnnẽ/ als daß ſeine eigene Ver-
urth eiler den einen Anklaͤger verwieſen/ den
andern zum Tode verdammet; und Athen mit
Aufrichtung einer guͤldenen Saͤule zu ſeinem
Gedaͤchtnuͤſſe/ Socraten verewigt/ und ihre
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/764>, abgerufen am 22.11.2024.