Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Eintracht/ sondern nur für einen aus verwech-selter Furcht entspringenden Stillestand zu hal- ten; indem einen nur entweder seine Schwach- heit und heimliche Wunden/ oder des Nachbarn Kräffte oder Bündnüsse vom Angriffe zurücke hielten. Deshalben hätte die Natur den Men- schen nicht allein gleicherley Waffen gegeben/ und ins gemein des einen Schwäche in Gliedern mit der Geschickligkeit zu seiner nöthigen Be- schirmung ersetzt/ sondern auch die Ehre einen andern in etwas zu übertreffen/ oder ihm zu gebieten/ als einen rechten Zanck-Apfel in der Welt aufgeworffen. Des einen Vorzug aber ziehe nach sich des andern Verachtung/ und also eine rechtmässige Ursache der Beleidigung. So strebte des Menschen Gemüthe auch von Natur nach dem besten/ und also nach einerley Dinge; welches aber selten theilbar wäre/ also ein unver- meidliches Zanck-Eisen abgeben müste. Die mehr tapferen als Rachbegierigen Deutschen kamen ungerne daran: daß sie mit ihren Bluts- Verwandten brechen; und durch eigene Schwä- chung der aufachtsamen Nachtbarn Uberfall ihnen auf den Hals ziehen solten. Diesemnach schickten sie drey ihres Alters/ Heiligkeit/ und Beredsamkeit halber in grossem Ansehn sich be- findende Priester an den König Catumand/ wel- che ihn von Verübung mehrer Feindseligkeit abwendig machen solten: diese hielten ihm be- scheidentlich ein: Unzeitige Begierde frembden Gutes ziehe meist nach sich den Verlust des eige- nen. Der Gallier ungerechtes Recht vermöch- te zwar nicht ihre/ aber wohl die Waffen der Deutschen wider sie zu rechtfertigen. Treffe ihre Beschuldigung einen oder den an- dern/ so hätten doch die meisten und vernünftig- sten Deutschen ohne Begierde fremden Reich- thums/ ohne blinde Rachgier oder eitele Ehr- sucht durch Gerechtigkeit in ihrem Ansehn zu bleiben getrachtet; ihre Großmütigkeit mit Ruhme besänftiget/ keinen unnöthigen Krieg angehoben/ und den Nachbarn vorsetzlich keinen [Spaltenumbruch] Schaden gethan. Hingegen hielten sie für das einige Merckmal der Tugend und Stärcke/ ih- re Ober-Herrschafft durch kein Unrecht befesti- gen; den Beleidigern alsofort die Spitze bitten/ und bey seiner Ruhe gleichwohl für einen nur schlafenden Löwen gehalten werden. Wir Men- schen wären alle eines Vaters Kinder/ und also das gantze menschliche Geschlechte einander mit Blut-Freundschafft verknüpft. Die wilden Thiere kämpften nicht leichtlich wider ihr eige- nes Geschlechte. Die den Menschen verliehe- ne Gleichheit der Kräfften riethe ihnen die Be- leidigung vernünftig ab; daher wäre derer Frie- de/ welche mit einander noch nicht die Kräfften gemessen hätten/ und also gleicher Stärcke zu seyn schienen/ der beständigste; die Eintracht aber in alle Wege der natürliche Zustand der Men- schen; und der gesunden Vernunft nichts ähn- licher: als niemanden beleidigen/ iedermann bey dem Geniesse des Seinigen lassen; und was er ihm nicht gethan wissen wil/ an andern nicht aus- üben. Ehrsucht/ Geitz/ und Mißtrauen als Ursachen des Krieges wären keine Eigenschafft aller/ sondern eine Miß-Geburt vieler mensch- lichen Gemüther; welche die Vernunfft/ die den Menschen von dem Vieh unterscheidete/ in der er- sten Blüthe/ als schädlich und unanständig/ tödten solte. Zu dem könten dardurch wohl etliche/ nicht aber das gantze Geschlechte beleidigt werden. Herentgegen empfinde ieder Mensch in der sicher- sten Einsamkeit/ wo er das minste nicht zu fürchten hätte/ gleichwohl eine Begierde nach seines glei- chen. Diese Zuneigung würde noch mehr ge- reitzet von der allgemeinen Dürftigkeit; und hätte die Natur nicht aus Mißgunst/ sondern um uns durch Wolthaten aneinander zu verknü- pfen/ den Menschen ohne Zähne der Wald- Schweine/ ohne Klauen der Panther/ ohne Schnautze der Elefanten/ ohne Harnisch der Crocodile/ schwach und nackt geschaffen. Seine Waffen wären Vernunfft und Gemeinschafft. Diese verliehe ihm die Herrschafft über alle Thie- Erster Theil. A a a a a
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Eintracht/ ſondern nur fuͤr einen aus verwech-ſelter Furcht entſpringenden Stilleſtand zu hal- ten; indem einen nur entweder ſeine Schwach- heit und heimliche Wunden/ oder des Nachbarn Kraͤffte oder Buͤndnuͤſſe vom Angriffe zuruͤcke hielten. Deshalben haͤtte die Natur den Men- ſchen nicht allein gleicherley Waffen gegeben/ und ins gemein des einen Schwaͤche in Gliedern mit der Geſchickligkeit zu ſeiner noͤthigen Be- ſchirmung erſetzt/ ſondern auch die Ehre einen andern in etwas zu uͤbertreffen/ oder ihm zu gebieten/ als einen rechten Zanck-Apfel in der Welt aufgeworffen. Des einen Vorzug aber ziehe nach ſich des andern Verachtung/ und alſo eine rechtmaͤſſige Urſache der Beleidigung. So ſtrebte des Menſchen Gemuͤthe auch von Natur nach dem beſten/ und alſo nach einerley Dinge; welches aber ſelten theilbar waͤre/ alſo ein unver- meidliches Zanck-Eiſen abgeben muͤſte. Die mehr tapferen als Rachbegierigen Deutſchen kamen ungerne daran: daß ſie mit ihren Bluts- Verwandten brechen; und durch eigene Schwaͤ- chung der aufachtſamen Nachtbarn Uberfall ihnen auf den Hals ziehen ſolten. Dieſemnach ſchickten ſie drey ihres Alters/ Heiligkeit/ und Beredſamkeit halber in groſſem Anſehn ſich be- findende Prieſter an den Koͤnig Catumand/ wel- che ihn von Veruͤbung mehrer Feindſeligkeit abwendig machen ſolten: dieſe hielten ihm be- ſcheidentlich ein: Unzeitige Begierde frembden Gutes ziehe meiſt nach ſich den Verluſt des eige- nen. Der Gallier ungerechtes Recht vermoͤch- te zwar nicht ihre/ aber wohl die Waffen der Deutſchen wider ſie zu rechtfertigen. Treffe ihre Beſchuldigung einen oder den an- dern/ ſo haͤtten doch die meiſten und vernuͤnftig- ſten Deutſchen ohne Begierde fremden Reich- thums/ ohne blinde Rachgier oder eitele Ehr- ſucht durch Gerechtigkeit in ihrem Anſehn zu bleiben getrachtet; ihre Großmuͤtigkeit mit Ruhme beſaͤnftiget/ keinen unnoͤthigen Krieg angehoben/ und den Nachbarn vorſetzlich keinen [Spaltenumbruch] Schaden gethan. Hingegen hielten ſie fuͤr das einige Merckmal der Tugend und Staͤrcke/ ih- re Ober-Herrſchafft durch kein Unrecht befeſti- gen; den Beleidigern alſofort die Spitze bitten/ und bey ſeiner Ruhe gleichwohl fuͤr einen nur ſchlafenden Loͤwen gehalten werden. Wir Men- ſchen waͤren alle eines Vaters Kinder/ und alſo das gantze menſchliche Geſchlechte einander mit Blut-Freundſchafft verknuͤpft. Die wilden Thiere kaͤmpften nicht leichtlich wider ihr eige- nes Geſchlechte. Die den Menſchen verliehe- ne Gleichheit der Kraͤfften riethe ihnen die Be- leidigung vernuͤnftig ab; daher waͤre derer Frie- de/ welche mit einander noch nicht die Kraͤfften gemeſſen haͤttẽ/ und alſo gleicher Staͤrcke zu ſeyn ſchienen/ der beſtaͤndigſte; die Eintracht aber in alle Wege der natuͤrliche Zuſtand der Men- ſchen; und der geſunden Vernunft nichts aͤhn- licher: als niemanden beleidigen/ iedermann bey dem Genieſſe des Seinigen laſſen; und was er ihm nicht gethan wiſſen wil/ an andern nicht aus- uͤben. Ehrſucht/ Geitz/ und Mißtrauen als Urſachen des Krieges waͤren keine Eigenſchafft aller/ ſondern eine Miß-Geburt vieler menſch- lichen Gemuͤther; welche die Vernunfft/ die den Menſchẽ von dem Vieh unterſcheidete/ in der er- ſten Bluͤthe/ als ſchaͤdlich und unanſtaͤndig/ toͤdtẽ ſolte. Zu dem koͤnten dardurch wohl etliche/ nicht aber das gantze Geſchlechte beleidigt werden. Herentgegẽ empfinde ieder Menſch in der ſicher- ſten Einſamkeit/ wo er das minſte nicht zu fuͤrchtẽ haͤtte/ gleichwohl eine Begierde nach ſeines glei- chen. Dieſe Zuneigung wuͤrde noch mehr ge- reitzet von der allgemeinen Duͤrftigkeit; und haͤtte die Natur nicht aus Mißgunſt/ ſondern um uns durch Wolthatẽ aneinander zu verknuͤ- pfen/ den Menſchen ohne Zaͤhne der Wald- Schweine/ ohne Klauen der Panther/ ohne Schnautze der Elefanten/ ohne Harniſch der Crocodile/ ſchwach und nackt geſchaffen. Seine Waffen waͤren Vernunfft und Gemeinſchafft. Dieſe verliehe ihm die Herrſchafft uͤber alle Thie- Erſter Theil. A a a a a
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Arminius und Thußnelda.
Eintracht/ ſondern nur fuͤr einen aus verwech-
ſelter Furcht entſpringenden Stilleſtand zu hal-
ten; indem einen nur entweder ſeine Schwach-
heit und heimliche Wunden/ oder des Nachbarn
Kraͤffte oder Buͤndnuͤſſe vom Angriffe zuruͤcke
hielten. Deshalben haͤtte die Natur den Men-
ſchen nicht allein gleicherley Waffen gegeben/
und ins gemein des einen Schwaͤche in Gliedern
mit der Geſchickligkeit zu ſeiner noͤthigen Be-
ſchirmung erſetzt/ ſondern auch die Ehre einen
andern in etwas zu uͤbertreffen/ oder ihm zu
gebieten/ als einen rechten Zanck-Apfel in der
Welt aufgeworffen. Des einen Vorzug aber
ziehe nach ſich des andern Verachtung/ und alſo
eine rechtmaͤſſige Urſache der Beleidigung. So
ſtrebte des Menſchen Gemuͤthe auch von Natur
nach dem beſten/ und alſo nach einerley Dinge;
welches aber ſelten theilbar waͤre/ alſo ein unver-
meidliches Zanck-Eiſen abgeben muͤſte. Die
mehr tapferen als Rachbegierigen Deutſchen
kamen ungerne daran: daß ſie mit ihren Bluts-
Verwandten brechen; und durch eigene Schwaͤ-
chung der aufachtſamen Nachtbarn Uberfall
ihnen auf den Hals ziehen ſolten. Dieſemnach
ſchickten ſie drey ihres Alters/ Heiligkeit/ und
Beredſamkeit halber in groſſem Anſehn ſich be-
findende Prieſter an den Koͤnig Catumand/ wel-
che ihn von Veruͤbung mehrer Feindſeligkeit
abwendig machen ſolten: dieſe hielten ihm be-
ſcheidentlich ein: Unzeitige Begierde frembden
Gutes ziehe meiſt nach ſich den Verluſt des eige-
nen. Der Gallier ungerechtes Recht vermoͤch-
te zwar nicht ihre/ aber wohl die Waffen der
Deutſchen wider ſie zu rechtfertigen. Treffe
ihre Beſchuldigung einen oder den an-
dern/ ſo haͤtten doch die meiſten und vernuͤnftig-
ſten Deutſchen ohne Begierde fremden Reich-
thums/ ohne blinde Rachgier oder eitele Ehr-
ſucht durch Gerechtigkeit in ihrem Anſehn zu
bleiben getrachtet; ihre Großmuͤtigkeit mit
Ruhme beſaͤnftiget/ keinen unnoͤthigen Krieg
angehoben/ und den Nachbarn vorſetzlich keinen
Schaden gethan. Hingegen hielten ſie fuͤr das
einige Merckmal der Tugend und Staͤrcke/ ih-
re Ober-Herrſchafft durch kein Unrecht befeſti-
gen; den Beleidigern alſofort die Spitze bitten/
und bey ſeiner Ruhe gleichwohl fuͤr einen nur
ſchlafenden Loͤwen gehalten werden. Wir Men-
ſchen waͤren alle eines Vaters Kinder/ und alſo
das gantze menſchliche Geſchlechte einander mit
Blut-Freundſchafft verknuͤpft. Die wilden
Thiere kaͤmpften nicht leichtlich wider ihr eige-
nes Geſchlechte. Die den Menſchen verliehe-
ne Gleichheit der Kraͤfften riethe ihnen die Be-
leidigung vernuͤnftig ab; daher waͤre derer Frie-
de/ welche mit einander noch nicht die Kraͤfften
gemeſſen haͤttẽ/ und alſo gleicher Staͤrcke zu ſeyn
ſchienen/ der beſtaͤndigſte; die Eintracht aber in
alle Wege der natuͤrliche Zuſtand der Men-
ſchen; und der geſunden Vernunft nichts aͤhn-
licher: als niemanden beleidigen/ iedermann bey
dem Genieſſe des Seinigen laſſen; und was er
ihm nicht gethan wiſſen wil/ an andern nicht aus-
uͤben. Ehrſucht/ Geitz/ und Mißtrauen als
Urſachen des Krieges waͤren keine Eigenſchafft
aller/ ſondern eine Miß-Geburt vieler menſch-
lichen Gemuͤther; welche die Vernunfft/ die den
Menſchẽ von dem Vieh unterſcheidete/ in der er-
ſten Bluͤthe/ als ſchaͤdlich und unanſtaͤndig/ toͤdtẽ
ſolte. Zu dem koͤnten dardurch wohl etliche/ nicht
aber das gantze Geſchlechte beleidigt werden.
Herentgegẽ empfinde ieder Menſch in der ſicher-
ſten Einſamkeit/ wo er das minſte nicht zu fuͤrchtẽ
haͤtte/ gleichwohl eine Begierde nach ſeines glei-
chen. Dieſe Zuneigung wuͤrde noch mehr ge-
reitzet von der allgemeinen Duͤrftigkeit; und
haͤtte die Natur nicht aus Mißgunſt/ ſondern
um uns durch Wolthatẽ aneinander zu verknuͤ-
pfen/ den Menſchen ohne Zaͤhne der Wald-
Schweine/ ohne Klauen der Panther/ ohne
Schnautze der Elefanten/ ohne Harniſch der
Crocodile/ ſchwach und nackt geſchaffen. Seine
Waffen waͤren Vernunfft und Gemeinſchafft.
Dieſe verliehe ihm die Herrſchafft uͤber alle
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