Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
Thiere; diese thue ihm in Kranckheiten nöthigeHandreichung/ diese sey sein Gehülffe im Alter; sein Trost bey empfindlichsten Schmertzen. Al- so könneder Mensch sich selbst nicht/ sondern zu- gleich auch andere lieben. Welcher Vater zie- het den Nutzen der Kinder nicht seinem eigenen für? Welche Mutter fürchte ihren Untergang/ umb ihr Kind zu erhalten? Uber diß hätte wegen anderer/ nicht seiner selbst halben die Natur dem Menschen eine Sprache/ und die Geschickligkeit einen andern zu unterweisen verliehen. Das Vieh ergötzte sich in Einöden/ Hölen und Raub; der Mensch aber genisse die Süssigkeit seines Gutes erst in der Mittheilung/ und vergässe seines Un- glücks unter der Gesellschaft und hülfbarer Bey- springung. Ja da Ertztnud Steine/ Kräuter und Bäume aus einer verborgegen Zuneigung sich mit einander verknüpften/ lieffe der Vernunfft zuwider: daß nicht auch diese/ sondern vielmehr widrige Furcht der Ursprung menschlicher Ge- meinschafft seyn solte. Also solten sie sich des allgemeinen Völcker-Rechts bescheiden/ sich ih- res gemeinen Ursprungs erinnern/ und versi- chert leben: daß es den Deutschen weder an Hertze noch Kräfften fehle Gewalt mit Gewalt abzulehnen/ und durch die Waffen den Frieden zu befestigen/ zu dem die Gallier nicht durch ver- nünftiges Einreden sich verstehen wolten. Allei- ne die Gallier gaben nicht nur ein Lachen drein/ sondern Katumand/ nach dem er mit den Massi- liern Friede und Bündnüß gemacht/ brach mit einem starcken Heere bey denen umb die Brun- nen der Donau wohnenden Celten ein/ derer Hertzoge des Semnoner Hertzogs Brennus Schwester zur Ehe hatte; und thät mit Raub und Brand unsäglichen Schaden. Diese Celten machten es dem damals seiner Tapferkeit wegen berühmten Hertzoge der Semnoner Brennus zu wissen. Dieses Volck ist das äl- teste und edelste unter den Schwaben/ und ist von der Elbe an Ostwerts an der Spreu/ der Oder und Warte über hundert Dorfschaften ein- [Spaltenumbruch] getheilet. Wie die Gesandten beym Brennus ankamen/ verfügte er sich alsbald mit den für- nehmsten Semnonern in den zwischen der Oder und dem Bober ihrem Gotte geweiheten/ und bey ihren Vor-Eltern vieler Wahrsagungen wegen hoch verehrten Wald. Alle trugen an Füss- und Beinen Fessel; umb anzudeuten: daß an diesem heiligen Orte/ als dem Uhrsprunge ihrer Macht/ niemand als Gott herrschete/ für welchem sie alle Knechte und Sclaven/ ausser dem aber keinem Menschen in der Welt unterworffen wären. Wenn auch in diesem Walde ungefehr iemand zu Boden fällt/ darff er weder selbst aufstehen/ noch iemand anders ihm aufhelffen/ sondern er muß/ gleich als er allhier Gott in seine Hände gefallen wäre/ umbkommen. Brennus ließ allhier alsofort einen Gefangenen zum Opfer abschlachten; und nachdem der Priester grosses Glück zu seinem Fürnehmen ankündigte/ grieff er auf sein Haupt/ welches mit einem von empor gesteckten Pfeilen gemachten Krantze umbgeben war/ zoh einen daraus/ und gab selbten dem Gesandten zum Wahrzeichen und Versicherung: daß er mit seinen Semnonern ihnen unverlängt zu Hülffe kommen wolte. Brennus übergab sei- nem Sohne die Herrschafft/ und zohe mit seinem Bruder Basan und zweymal hundert tausend Schwaben in Gallien. König Katumand be- gnete ihnen mit einem mächtigen Heere/ welches aber im ersten Treffen sonder grosse Müh in die Flucht geschlagen ward. Denn die Gallier waren durch die Wollüste und Sitten der Mas- silier sehr verzärtelt/ und also ihre erste Tapfer- keit nicht wenig vergeringert worden. Katu- mand aber brachte in Eil durch Hülffe der Mas- silier/ und des Bisuntschen Königs Sigirin ein frisches Heer auf; welches die Semnoner aber- mals aufs Haupt erlegten/ und die Gallier und Massilier nöthigte ihnen den Frieden theuer ab- zukauffen; auch dem Brennus die Stadt A- gendicum mit ihrem Gebiete/ denen Zelten aber zwischen dem Rhodan und dem Pyreneischen Gebür-
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
Thiere; dieſe thue ihm in Kranckheiten noͤthigeHandreichung/ dieſe ſey ſein Gehuͤlffe im Alter; ſein Troſt bey empfindlichſten Schmertzen. Al- ſo koͤnneder Menſch ſich ſelbſt nicht/ ſondern zu- gleich auch andere lieben. Welcher Vater zie- het den Nutzen der Kinder nicht ſeinem eigenen fuͤr? Welche Mutter fuͤrchte ihren Untergang/ umb ihr Kind zu erhalten? Uber diß haͤtte wegen anderer/ nicht ſeiner ſelbſt halben die Natur dem Menſchẽ eine Sprache/ und die Geſchickligkeit einen andern zu unterweiſen verliehẽ. Das Vieh ergoͤtzte ſich in Einoͤden/ Hoͤlen und Raub; der Menſch aber geniſſe die Suͤſſigkeit ſeines Gutes erſt in der Mittheilung/ und vergaͤſſe ſeines Un- gluͤcks unter der Geſellſchaft und huͤlfbarer Bey- ſpringung. Ja da Ertztnud Steine/ Kraͤuteꝛ und Baͤume aus einer verborgegen Zuneigung ſich mit einander verknuͤpften/ lieffe der Vernunfft zuwider: daß nicht auch dieſe/ ſondern vielmehr widrige Furcht der Urſprung menſchlicher Ge- meinſchafft ſeyn ſolte. Alſo ſolten ſie ſich des allgemeinen Voͤlcker-Rechts beſcheiden/ ſich ih- res gemeinen Urſprungs erinnern/ und verſi- chert leben: daß es den Deutſchen weder an Hertze noch Kraͤfften fehle Gewalt mit Gewalt abzulehnen/ und durch die Waffen den Frieden zu befeſtigen/ zu dem die Gallier nicht durch ver- nuͤnftiges Einreden ſich verſtehen wolten. Allei- ne die Gallier gaben nicht nur ein Lachen drein/ ſondern Katumand/ nach dem er mit den Maſſi- liern Friede und Buͤndnuͤß gemacht/ brach mit einem ſtarcken Heere bey denen umb die Brun- nen der Donau wohnenden Celten ein/ derer Hertzoge des Semnoner Hertzogs Brennus Schweſter zur Ehe hatte; und thaͤt mit Raub und Brand unſaͤglichen Schaden. Dieſe Celten machten es dem damals ſeiner Tapferkeit wegen beruͤhmten Hertzoge der Semnoner Brennus zu wiſſen. Dieſes Volck iſt das aͤl- teſte und edelſte unter den Schwaben/ und iſt von der Elbe an Oſtwerts an der Spreu/ der Oder und Waꝛte uͤber hundert Doꝛfſchaften ein- [Spaltenumbruch] getheilet. Wie die Geſandten beym Brennus ankamen/ verfuͤgte er ſich alsbald mit den fuͤr- nehmſten Semnonern in den zwiſchen der Oder und dem Bober ihrem Gotte geweihetẽ/ und bey ihren Vor-Eltern vieler Wahrſagungen wegen hoch verehrten Wald. Alle trugen an Fuͤſſ- und Beinen Feſſel; umb anzudeuten: daß an dieſem heiligen Orte/ als dem Uhrſprunge ihrer Macht/ niemand als Gott herrſchete/ fuͤr welchem ſie alle Knechte und Sclaven/ auſſer dem aber keinem Menſchẽ in der Welt unterworffen waͤren. Weñ auch in dieſem Walde ungefehr iemand zu Bodẽ faͤllt/ darff er weder ſelbſt aufſtehen/ noch iemand anders ihm aufhelffen/ ſondern er muß/ gleich als er allhier Gott in ſeine Haͤnde gefallen waͤre/ umbkommen. Brennus ließ allhier alſofort einen Gefangenen zum Opfer abſchlachten; und nachdem der Prieſter groſſes Gluͤck zu ſeinem Fuͤrnehmen ankuͤndigte/ grieff er auf ſein Haupt/ welches mit einem von empor geſteckten Pfeilen gemachten Krantze umbgeben war/ zoh einen daraus/ und gab ſelbten dem Geſandten zum Wahrzeichen und Verſicherung: daß er mit ſeinen Semnonern ihnen unverlaͤngt zu Huͤlffe kommen wolte. Brennus uͤbergab ſei- nem Sohne die Herrſchafft/ und zohe mit ſeinem Bruder Baſan und zweymal hundert tauſend Schwaben in Gallien. Koͤnig Katumand be- gnete ihnen mit einem maͤchtigen Heere/ welches aber im erſten Treffen ſonder groſſe Muͤh in die Flucht geſchlagen ward. Denn die Gallier waren durch die Wolluͤſte und Sitten der Maſ- ſilier ſehr verzaͤrtelt/ und alſo ihre erſte Tapfer- keit nicht wenig vergeringert worden. Katu- mand aber brachte in Eil durch Huͤlffe der Maſ- ſilier/ und des Biſuntſchen Koͤnigs Sigirin ein friſches Heer auf; welches die Semnoner aber- mals aufs Haupt erlegten/ und die Gallier und Maſſilier noͤthigte ihnen den Frieden theuer ab- zukauffen; auch dem Brennus die Stadt A- gendicum mit ihrem Gebiete/ denen Zelten aber zwiſchen dem Rhodan und dem Pyreneiſchen Gebuͤr-
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Sechſtes Buch
Thiere; dieſe thue ihm in Kranckheiten noͤthige
Handreichung/ dieſe ſey ſein Gehuͤlffe im Alter;
ſein Troſt bey empfindlichſten Schmertzen. Al-
ſo koͤnneder Menſch ſich ſelbſt nicht/ ſondern zu-
gleich auch andere lieben. Welcher Vater zie-
het den Nutzen der Kinder nicht ſeinem eigenen
fuͤr? Welche Mutter fuͤrchte ihren Untergang/
umb ihr Kind zu erhalten? Uber diß haͤtte wegen
anderer/ nicht ſeiner ſelbſt halben die Natur dem
Menſchẽ eine Sprache/ und die Geſchickligkeit
einen andern zu unterweiſen verliehẽ. Das Vieh
ergoͤtzte ſich in Einoͤden/ Hoͤlen und Raub; der
Menſch aber geniſſe die Suͤſſigkeit ſeines Gutes
erſt in der Mittheilung/ und vergaͤſſe ſeines Un-
gluͤcks unter der Geſellſchaft und huͤlfbarer Bey-
ſpringung. Ja da Ertztnud Steine/ Kraͤuteꝛ und
Baͤume aus einer verborgegen Zuneigung ſich
mit einander verknuͤpften/ lieffe der Vernunfft
zuwider: daß nicht auch dieſe/ ſondern vielmehr
widrige Furcht der Urſprung menſchlicher Ge-
meinſchafft ſeyn ſolte. Alſo ſolten ſie ſich des
allgemeinen Voͤlcker-Rechts beſcheiden/ ſich ih-
res gemeinen Urſprungs erinnern/ und verſi-
chert leben: daß es den Deutſchen weder an
Hertze noch Kraͤfften fehle Gewalt mit Gewalt
abzulehnen/ und durch die Waffen den Frieden
zu befeſtigen/ zu dem die Gallier nicht durch ver-
nuͤnftiges Einreden ſich verſtehen wolten. Allei-
ne die Gallier gaben nicht nur ein Lachen drein/
ſondern Katumand/ nach dem er mit den Maſſi-
liern Friede und Buͤndnuͤß gemacht/ brach mit
einem ſtarcken Heere bey denen umb die Brun-
nen der Donau wohnenden Celten ein/ derer
Hertzoge des Semnoner Hertzogs Brennus
Schweſter zur Ehe hatte; und thaͤt mit Raub
und Brand unſaͤglichen Schaden. Dieſe
Celten machten es dem damals ſeiner Tapferkeit
wegen beruͤhmten Hertzoge der Semnoner
Brennus zu wiſſen. Dieſes Volck iſt das aͤl-
teſte und edelſte unter den Schwaben/ und iſt
von der Elbe an Oſtwerts an der Spreu/ der
Oder und Waꝛte uͤber hundert Doꝛfſchaften ein-
getheilet. Wie die Geſandten beym Brennus
ankamen/ verfuͤgte er ſich alsbald mit den fuͤr-
nehmſten Semnonern in den zwiſchen der Oder
und dem Bober ihrem Gotte geweihetẽ/ und bey
ihren Vor-Eltern vieler Wahrſagungen wegen
hoch verehrten Wald. Alle trugen an Fuͤſſ- und
Beinen Feſſel; umb anzudeuten: daß an dieſem
heiligen Orte/ als dem Uhrſprunge ihrer Macht/
niemand als Gott herrſchete/ fuͤr welchem ſie alle
Knechte und Sclaven/ auſſer dem aber keinem
Menſchẽ in der Welt unterworffen waͤren. Weñ
auch in dieſem Walde ungefehr iemand zu Bodẽ
faͤllt/ darff er weder ſelbſt aufſtehen/ noch iemand
anders ihm aufhelffen/ ſondern er muß/ gleich
als er allhier Gott in ſeine Haͤnde gefallen waͤre/
umbkommen. Brennus ließ allhier alſofort
einen Gefangenen zum Opfer abſchlachten; und
nachdem der Prieſter groſſes Gluͤck zu ſeinem
Fuͤrnehmen ankuͤndigte/ grieff er auf ſein
Haupt/ welches mit einem von empor geſteckten
Pfeilen gemachten Krantze umbgeben war/ zoh
einen daraus/ und gab ſelbten dem Geſandten
zum Wahrzeichen und Verſicherung: daß er
mit ſeinen Semnonern ihnen unverlaͤngt zu
Huͤlffe kommen wolte. Brennus uͤbergab ſei-
nem Sohne die Herrſchafft/ und zohe mit ſeinem
Bruder Baſan und zweymal hundert tauſend
Schwaben in Gallien. Koͤnig Katumand be-
gnete ihnen mit einem maͤchtigen Heere/ welches
aber im erſten Treffen ſonder groſſe Muͤh in die
Flucht geſchlagen ward. Denn die Gallier
waren durch die Wolluͤſte und Sitten der Maſ-
ſilier ſehr verzaͤrtelt/ und alſo ihre erſte Tapfer-
keit nicht wenig vergeringert worden. Katu-
mand aber brachte in Eil durch Huͤlffe der Maſ-
ſilier/ und des Biſuntſchen Koͤnigs Sigirin ein
friſches Heer auf; welches die Semnoner aber-
mals aufs Haupt erlegten/ und die Gallier und
Maſſilier noͤthigte ihnen den Frieden theuer ab-
zukauffen; auch dem Brennus die Stadt A-
gendicum mit ihrem Gebiete/ denen Zelten aber
zwiſchen dem Rhodan und dem Pyreneiſchen
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 738[740]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/800>, abgerufen am 29.06.2024. |