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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Erstes Buch
[Spaltenumbruch] die Haare ausrauffte/ und nebst anderer jäm-
merlicher Verstellung/ welche auch einen Seel-
losen Stein zur Erbarmnüs hätte bewegen kön-
nen/ mehrmals die Worte: O unglückselige
Königin! ausrief. Unterdessen ward man ge-
wahr/ daß ihr das Hertz und der Puls noch et-
was schlug/ ja als der andere Gefangene sie mit
etlichen bey sich habenden Balsamen bestrich/
fieng sie wieder an zu athemen. Worüber sein
Antlitz und Geberden zwar nicht geringe Freu-
de/ zugleich aber auch eine Reue an Tag gaben:
daß der übermässige Schmertz die Schrancken
der Verschwiegenheit überschritten/ und das
Geheimnüs ihres Standes entdecket hatte.

Hertzog Herrmann und die andern Fürsten
hätten bey so seltzamer Begebenheit nicht unter-
lassen/ von dem Gefangenen die eigentlichere
Beschaffenheit/ und was für Zufälle diese frem-
de Königin in Deutschland gebracht hätten/ ge-
nau zu erforschen/ wenn nicht ein Ritter mit
gantz verhängtem Zügel und keuchendem Pfer-
de gerennt kommen wäre: und ihnen ange-
deutet hätte/ daß eine Meilweges von dan-
nen eine Menge Römischer Reiterey den
Vortrab aus einem verborgenen Winckel an-
gefallen/ Segesthes/ welcher/ dem Verlaß nach/
unter dem Scheine den Feind zu verkundschaf-
ten voran gegangen war/ mit seinen bey sich ha-
benden Grafen und tausend Kriegs-Knechten
sich zum Feinde geschlagen/ und die Deutschen
mit angefallen habe. Hiemit befahl der Feld-
herr: daß die Königin nebst dem andern Ge-
fangenen in sein unentferntes Schloß Deutsch-
burg geführet/ ihrer auch auffs sorgfältigste ge-
pfleget werden solte. Dem Jnguiomer und Ar-
pus vertraute er das Groß des Heeres/ dem Ju-
bil und Ganasch den Hinterhalt mit möglichster
Geschwindigkeit auf den Kampffplatz zu stellen.
Er aber/ umb nicht allein der ersten Unordnung
zu begegnen/ sondern fürnemlich den Stand und
die Beschaffenheit des feindlichen Heeres selbst
zuerkiesen/ nahm nebst seinen hundert Grafen
[Spaltenumbruch] tausend Edelleute und Pferde zu sich/ welchen
so viel Kriegs-Leute zu Fusse/ die sie zu ihren Leib-
Schützen erkieset hatten/ und wenn sie nur sich
mit einer Hand an die Meenen der Pferde an-
hielten/ ihnen auch in volle[m] Rennen gleich
lieffen/ und dieser Geschwindigkeit halber mit
leichten Schilden aus Weiden-Holtze/ die ein
ei erner Ring umbschloß/ mit Helmen aus Leder
und nur mit Eisen gespitzten Lantzen gerüstet
waren/ und eilte seinem Vortrab möglichst nach.
Als er nahe den halben Weg biß dahin hinter
sich gelegt/ ward er verständigt: daß Segimer
den Römischen Hauffen/ welcher ihn überfal-
len/ nechst dem abtrünnigen Segesthes zurück
gejaget hätte/ hiermit aber in dem Deutschmeye-
rischen Thale/ bey dem Flecken Falckenburg auf
das gantze Römische Heer verfallen wäre. Sie
hätten eine grosse Menge Wagen und Kriegs-
Geräthe bey sich/ es wären durch den Forst
eine grosse Menge der dickesten Bäume umb-
gehauen/ und die Moräste mit Brücken be-
legt zu sehen; dahero habe es das Ansehen: daß
die Römer ihr Lager gäntzlich verlassen/ und sich
zwischen die Weser und die Aeder an die Festung
Cattenburg hätten ziehen wollen. Müste also
ihr Anschlag durch den Segesthes vorhero gäntz-
lich verrathen worden seyn. Der Feldherr/
welchem diese Meynung der Wahrheit sehr
ähnlich schien/ fertigte alsobald einen Edelmann
an den Hertzog Jubil ab/ und befehlichte ihn/
daß er mit dem grössesten Theile des Hinter-
halts sich gegen Sud-Ost ablencken/ und dero-
gestalt dem Feinde nicht allein den Paß abzu-
schneiden/ sondern ihm mit Gelegenheit gar an
die Seite oder in Rücken zu fallen trachten solte.
Seinem Kriegs-Volcke aber sprach er bey dieser
verlautenden Flucht der Römer so viel mehr
ein Hertz zu/ und hielt ihnen für: daß ein furcht-
sames Heer nur geschlagen/ nicht überwunden
werden dörfte; weil es von seiner eigenen Ein-
bildung schon übermannet/ ieder Ruff des Fein-
des schon für ein Siegs-Geschrey/ seine eigene

Be-

Erſtes Buch
[Spaltenumbruch] die Haare ausrauffte/ und nebſt anderer jaͤm-
merlicher Verſtellung/ welche auch einen Seel-
loſen Stein zur Erbarmnuͤs haͤtte bewegen koͤn-
nen/ mehrmals die Worte: O ungluͤckſelige
Koͤnigin! ausrief. Unterdeſſen ward man ge-
wahr/ daß ihr das Hertz und der Puls noch et-
was ſchlug/ ja als der andere Gefangene ſie mit
etlichen bey ſich habenden Balſamen beſtrich/
fieng ſie wieder an zu athemen. Woruͤber ſein
Antlitz und Geberden zwar nicht geringe Freu-
de/ zugleich aber auch eine Reue an Tag gaben:
daß der uͤbermaͤſſige Schmertz die Schrancken
der Verſchwiegenheit uͤberſchritten/ und das
Geheimnuͤs ihres Standes entdecket hatte.

Hertzog Herrmann und die andern Fuͤrſten
haͤtten bey ſo ſeltzamer Begebenheit nicht unter-
laſſen/ von dem Gefangenen die eigentlichere
Beſchaffenheit/ und was fuͤr Zufaͤlle dieſe frem-
de Koͤnigin in Deutſchland gebracht haͤtten/ ge-
nau zu erforſchen/ wenn nicht ein Ritter mit
gantz verhaͤngtem Zuͤgel und keuchendem Pfer-
de gerennt kommen waͤre: und ihnen ange-
deutet haͤtte/ daß eine Meilweges von dan-
nen eine Menge Roͤmiſcher Reiterey den
Vortrab aus einem verborgenen Winckel an-
gefallen/ Segeſthes/ welcher/ dem Verlaß nach/
unter dem Scheine den Feind zu verkundſchaf-
ten voran gegangen war/ mit ſeinen bey ſich ha-
benden Grafen und tauſend Kriegs-Knechten
ſich zum Feinde geſchlagen/ und die Deutſchen
mit angefallen habe. Hiemit befahl der Feld-
herr: daß die Koͤnigin nebſt dem andern Ge-
fangenen in ſein unentferntes Schloß Deutſch-
burg gefuͤhret/ ihrer auch auffs ſorgfaͤltigſte ge-
pfleget werden ſolte. Dem Jnguiomer und Ar-
pus vertraute er das Groß des Heeres/ dem Ju-
bil und Ganaſch den Hinterhalt mit moͤglichſter
Geſchwindigkeit auf den Kampffplatz zu ſtellen.
Er aber/ umb nicht allein der erſten Unordnung
zu begegnen/ ſondern fuͤrnemlich den Stand und
die Beſchaffenheit des feindlichen Heeres ſelbſt
zuerkieſen/ nahm nebſt ſeinen hundert Grafen
[Spaltenumbruch] tauſend Edelleute und Pferde zu ſich/ welchen
ſo viel Kriegs-Leute zu Fuſſe/ die ſie zu ihren Leib-
Schuͤtzen erkieſet hatten/ und wenn ſie nur ſich
mit einer Hand an die Meenen der Pferde an-
hielten/ ihnen auch in volle[m] Rennen gleich
lieffen/ und dieſer Geſchwindigkeit halber mit
leichten Schilden aus Weiden-Holtze/ die ein
ei erner Ring umbſchloß/ mit Helmen aus Leder
und nur mit Eiſen geſpitzten Lantzen geruͤſtet
waren/ und eilte ſeinem Vortrab moͤglichſt nach.
Als er nahe den halben Weg biß dahin hinter
ſich gelegt/ ward er verſtaͤndigt: daß Segimer
den Roͤmiſchen Hauffen/ welcher ihn uͤberfal-
len/ nechſt dem abtruͤnnigen Segeſthes zuruͤck
gejaget haͤtte/ hiermit aber in dem Deutſchmeye-
riſchen Thale/ bey dem Flecken Falckenburg auf
das gantze Roͤmiſche Heer verfallen waͤre. Sie
haͤtten eine groſſe Menge Wagen und Kriegs-
Geraͤthe bey ſich/ es waͤren durch den Forſt
eine groſſe Menge der dickeſten Baͤume umb-
gehauen/ und die Moraͤſte mit Bruͤcken be-
legt zu ſehen; dahero habe es das Anſehen: daß
die Roͤmer ihr Lager gaͤntzlich verlaſſen/ und ſich
zwiſchen die Weſer und die Aeder an die Feſtung
Cattenburg haͤtten ziehen wollen. Muͤſte alſo
ihr Anſchlag durch den Segeſthes vorhero gaͤntz-
lich verrathen worden ſeyn. Der Feldherr/
welchem dieſe Meynung der Wahrheit ſehr
aͤhnlich ſchien/ fertigte alſobald einen Edelmann
an den Hertzog Jubil ab/ und befehlichte ihn/
daß er mit dem groͤſſeſten Theile des Hinter-
halts ſich gegen Sud-Oſt ablencken/ und dero-
geſtalt dem Feinde nicht allein den Paß abzu-
ſchneiden/ ſondern ihm mit Gelegenheit gar an
die Seite oder in Ruͤcken zu fallen trachten ſolte.
Seinem Kriegs-Volcke aber ſprach er bey dieſer
verlautenden Flucht der Roͤmer ſo viel mehr
ein Hertz zu/ und hielt ihnen fuͤr: daß ein furcht-
ſames Heer nur geſchlagen/ nicht uͤberwunden
werden doͤrfte; weil es von ſeiner eigenen Ein-
bildung ſchon uͤbermannet/ ieder Ruff des Fein-
des ſchon fuͤr ein Siegs-Geſchrey/ ſeine eigene

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/82>, abgerufen am 24.11.2024.