Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Sechstes Buch [Spaltenumbruch]
aber ihre Verdienste unschätzbar. Ohne denBrutus würde Rom vielleicht niemahls frey; und ohne den Camillus ein Steinhauffen oder eine Magd der Gallier worden seyn; dißmahl aber nahm nicht nur ein oder ander Bürger/ son- dern gantz Rom wider die Mohren seiner Pflicht wahr. Nach der grossen Niederlage bey Canna entfiel dem Rathe nicht seine Klugheit/ keinem Römer das Hertze/ ja der Pöfel vergaß seiner Schwachheiten; und kein Mensch hatte einige nicht dem gemeinen Heile nützliche Gedancken. Das Frauenzimmer wiedmete selbtem ihren Schmuck/ der Geitz verschwendete zu der ge- meinen Wolfahrt seine Schätze; die am wenig- sten Vermögen hinter sich behielten/ schätzten sich am reichsten zu seyn. Die Jünglinge ertheil- ten so kluge Rathschläge/ als graue Häupter. Die freygelassenen Knechte verfochten mit ei- nem edlen Helden-Geiste die sämtliche Freyhett. Fürnehmlich aber übersteiget der Römer getro- ste Hertzhafftigkeit allen Ruhm: daß als Rom selbst in vieler tausend Augen verlohren zu seyn schien/ sie doch in Sicilien und Spanien Hülfs- Völcker/ der Stadt Neapolis aber ihr angebo- tenes Volck und Geld zurücke schickte/ und nur das Getreyde von ihrem Geschencke behielt. Sintemal dieses edle Volck auch in der grösten Noth nicht seine Schwäche blicken lassen wolte; weil niemand gerne sich an einen zerbrochenen Stab lehnet; und das Glücke selbst zuweilen lü- stern ist einen an den rohen Ort zu stechen/ wo es am wehesten thut. Uberdiß trug Rom die Stirne schon so hoch: daß es für ehrlicher hielt/ gar zu Grunde zu gehen/ als eines Nagels weit von seiner Hoheit zu verfallen/ und für einerley Unglück nicht mehr anderer Völcker Herr/ o- der gar nicht mehr seyn. Es ist nicht ohne/ fing Adgandester an: daß die Römer damals nichts versehen/ was Tugend und Klugheit zu Erhal- tung eines Reichs beyzutragen vermag. Mei- nes Erachtens aber würde alles verlohrne Ar- beit gewest seyn; wenn Carthago nicht selbst aus [Spaltenumbruch] Unvernunfft sein Glücke mit Füssen von sich ge stossen hätte. Unter denen die fürnehmste war: daß Hanno dem siegenden Annibal grämer als den feindlichen Römern war; und daß er lieber Carthago eingeäschert/ als seinen Feldherrn sieg- hafft zurücke kommen gesehen hätte; nur daß sei- ne den Krieg widerrathende Meinung nicht ge- tadelt werden könte. Da hingegen die Römer den aus der Cannischen Niederlage entflohenen Bürgermeister viel klüger Danck sagten/ daß er nicht gar an der Erhaltung Roms verzweiffelt hätte. Annibals gantz Jtalien erschütternde Sie- ge wurden zu Carthago entweder nicht geglaubt/ wenn er zumal sein Heer mit Volck und Gelde zu verstärcken bath; oder man schalt ihn gar für einen eigennützigen Räuber der feindlichen Beu- te; und unterbrach alle seine klugen Anstalten/ gleich als wenn er nicht der Mohren Feldherr/ sondern der Römer Bundsgenosse wäre. Nichts destoweniger überwand Annibal so wohl die ein- heimischen als fremden Feinde/ und verdiente den unzweiffelbaren Nachruhm: daß er der grö- ste Kriegsmann gewest sey/ den iemahls die Er- de getragen hat. Es ist nicht ohne/ sagte Zeno: daß Hannibal Anni-
Sechſtes Buch [Spaltenumbruch]
aber ihre Verdienſte unſchaͤtzbar. Ohne denBrutus wuͤrde Rom vielleicht niemahls frey; und ohne den Camillus ein Steinhauffen oder eine Magd der Gallier worden ſeyn; dißmahl abeꝛ nahm nicht nur ein oder ander Buͤrger/ ſon- dern gantz Rom wider die Mohren ſeiner Pflicht wahr. Nach der groſſen Niederlage bey Canna entfiel dem Rathe nicht ſeine Klugheit/ keinem Roͤmer das Hertze/ ja der Poͤfel vergaß ſeiner Schwachheiten; und kein Menſch hatte einige nicht dem gemeinen Heile nuͤtzliche Gedancken. Das Frauenzimmer wiedmete ſelbtem ihren Schmuck/ der Geitz verſchwendete zu der ge- meinen Wolfahrt ſeine Schaͤtze; die am wenig- ſten Vermoͤgen hinter ſich behielten/ ſchaͤtzten ſich am reichſten zu ſeyn. Die Juͤnglinge ertheil- ten ſo kluge Rathſchlaͤge/ als graue Haͤupter. Die freygelaſſenen Knechte verfochten mit ei- nem edlen Helden-Geiſte die ſaͤmtliche Freyhett. Fuͤrnehmlich aber uͤberſteiget der Roͤmer getro- ſte Hertzhafftigkeit allen Ruhm: daß als Rom ſelbſt in vieler tauſend Augen verlohren zu ſeyn ſchien/ ſie doch in Sicilien und Spanien Huͤlfs- Voͤlcker/ der Stadt Neapolis aber ihr angebo- tenes Volck und Geld zuruͤcke ſchickte/ und nur das Getreyde von ihrem Geſchencke behielt. Sintemal dieſes edle Volck auch in der groͤſten Noth nicht ſeine Schwaͤche blicken laſſen wolte; weil niemand gerne ſich an einen zerbrochenen Stab lehnet; und das Gluͤcke ſelbſt zuweilen luͤ- ſtern iſt einen an den rohen Ort zu ſtechen/ wo es am weheſten thut. Uberdiß trug Rom die Stirne ſchon ſo hoch: daß es fuͤr ehrlicher hielt/ gar zu Grunde zu gehen/ als eines Nagels weit von ſeiner Hoheit zu verfallen/ und fuͤr einerley Ungluͤck nicht mehr anderer Voͤlcker Herr/ o- der gar nicht mehr ſeyn. Es iſt nicht ohne/ fing Adgandeſter an: daß die Roͤmer damals nichts verſehen/ was Tugend und Klugheit zu Erhal- tung eines Reichs beyzutragen vermag. Mei- nes Erachtens aber wuͤrde alles verlohrne Ar- beit geweſt ſeyn; wenn Carthago nicht ſelbſt aus [Spaltenumbruch] Unvernunfft ſein Gluͤcke mit Fuͤſſen von ſich ge ſtoſſen haͤtte. Unter denen die fuͤrnehmſte war: daß Hanno dem ſiegenden Annibal graͤmer als den feindlichen Roͤmern war; und daß er lieber Carthago eingeaͤſchert/ als ſeinen Feldherrn ſieg- hafft zuruͤcke kommen geſehen haͤtte; nur daß ſei- ne den Krieg widerrathende Meinung nicht ge- tadelt werden koͤnte. Da hingegen die Roͤmer den aus der Canniſchen Niederlage entflohenen Buͤrgermeiſter viel kluͤger Danck ſagten/ daß er nicht gar an der Erhaltung Roms verzweiffelt haͤtte. Annibals gantz Jtalien erſchuͤtternde Sie- ge wurden zu Carthago entweder nicht geglaubt/ wenn er zumal ſein Heer mit Volck und Gelde zu verſtaͤrcken bath; oder man ſchalt ihn gar fuͤr einen eigennuͤtzigen Raͤuber der feindlichen Beu- te; und unterbrach alle ſeine klugen Anſtalten/ gleich als wenn er nicht der Mohren Feldherr/ ſondern der Roͤmer Bundsgenoſſe waͤre. Nichts deſtoweniger uͤberwand Annibal ſo wohl die ein- heimiſchen als fremden Feinde/ und verdiente den unzweiffelbaren Nachruhm: daß er der groͤ- ſte Kriegsmann geweſt ſey/ den iemahls die Er- de getragen hat. Es iſt nicht ohne/ ſagte Zeno: daß Hannibal Anni-
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Sechſtes Buch
aber ihre Verdienſte unſchaͤtzbar. Ohne den
Brutus wuͤrde Rom vielleicht niemahls frey;
und ohne den Camillus ein Steinhauffen oder
eine Magd der Gallier worden ſeyn; dißmahl
abeꝛ nahm nicht nur ein oder ander Buͤrger/ ſon-
dern gantz Rom wider die Mohren ſeiner Pflicht
wahr. Nach der groſſen Niederlage bey Canna
entfiel dem Rathe nicht ſeine Klugheit/ keinem
Roͤmer das Hertze/ ja der Poͤfel vergaß ſeiner
Schwachheiten; und kein Menſch hatte einige
nicht dem gemeinen Heile nuͤtzliche Gedancken.
Das Frauenzimmer wiedmete ſelbtem ihren
Schmuck/ der Geitz verſchwendete zu der ge-
meinen Wolfahrt ſeine Schaͤtze; die am wenig-
ſten Vermoͤgen hinter ſich behielten/ ſchaͤtzten
ſich am reichſten zu ſeyn. Die Juͤnglinge ertheil-
ten ſo kluge Rathſchlaͤge/ als graue Haͤupter.
Die freygelaſſenen Knechte verfochten mit ei-
nem edlen Helden-Geiſte die ſaͤmtliche Freyhett.
Fuͤrnehmlich aber uͤberſteiget der Roͤmer getro-
ſte Hertzhafftigkeit allen Ruhm: daß als Rom
ſelbſt in vieler tauſend Augen verlohren zu ſeyn
ſchien/ ſie doch in Sicilien und Spanien Huͤlfs-
Voͤlcker/ der Stadt Neapolis aber ihr angebo-
tenes Volck und Geld zuruͤcke ſchickte/ und nur
das Getreyde von ihrem Geſchencke behielt.
Sintemal dieſes edle Volck auch in der groͤſten
Noth nicht ſeine Schwaͤche blicken laſſen wolte;
weil niemand gerne ſich an einen zerbrochenen
Stab lehnet; und das Gluͤcke ſelbſt zuweilen luͤ-
ſtern iſt einen an den rohen Ort zu ſtechen/ wo
es am weheſten thut. Uberdiß trug Rom die
Stirne ſchon ſo hoch: daß es fuͤr ehrlicher hielt/
gar zu Grunde zu gehen/ als eines Nagels weit
von ſeiner Hoheit zu verfallen/ und fuͤr einerley
Ungluͤck nicht mehr anderer Voͤlcker Herr/ o-
der gar nicht mehr ſeyn. Es iſt nicht ohne/ fing
Adgandeſter an: daß die Roͤmer damals nichts
verſehen/ was Tugend und Klugheit zu Erhal-
tung eines Reichs beyzutragen vermag. Mei-
nes Erachtens aber wuͤrde alles verlohrne Ar-
beit geweſt ſeyn; wenn Carthago nicht ſelbſt aus
Unvernunfft ſein Gluͤcke mit Fuͤſſen von ſich ge
ſtoſſen haͤtte. Unter denen die fuͤrnehmſte war:
daß Hanno dem ſiegenden Annibal graͤmer als
den feindlichen Roͤmern war; und daß er lieber
Carthago eingeaͤſchert/ als ſeinen Feldherrn ſieg-
hafft zuruͤcke kommen geſehen haͤtte; nur daß ſei-
ne den Krieg widerrathende Meinung nicht ge-
tadelt werden koͤnte. Da hingegen die Roͤmer
den aus der Canniſchen Niederlage entflohenen
Buͤrgermeiſter viel kluͤger Danck ſagten/ daß er
nicht gar an der Erhaltung Roms verzweiffelt
haͤtte. Annibals gantz Jtalien erſchuͤtternde Sie-
ge wurden zu Carthago entweder nicht geglaubt/
wenn er zumal ſein Heer mit Volck und Gelde
zu verſtaͤrcken bath; oder man ſchalt ihn gar fuͤr
einen eigennuͤtzigen Raͤuber der feindlichen Beu-
te; und unterbrach alle ſeine klugen Anſtalten/
gleich als wenn er nicht der Mohren Feldherr/
ſondern der Roͤmer Bundsgenoſſe waͤre. Nichts
deſtoweniger uͤberwand Annibal ſo wohl die ein-
heimiſchen als fremden Feinde/ und verdiente
den unzweiffelbaren Nachruhm: daß er der groͤ-
ſte Kriegsmann geweſt ſey/ den iemahls die Er-
de getragen hat.
Es iſt nicht ohne/ ſagte Zeno: daß Hannibal
einer der groͤſten Helden der Welt geweſen ſey.
Alleine wie die Natur daſelbſt/ wo das Meer am
grauſamſten ſtuͤrmet/ denen Laͤndern zum beſten
ihm die hoͤchſten Steinfelſen gleichſam als Rie-
gel vor geſchoben hat; alſo ſetzet die goͤttliche Ver-
ſehung insgemein auch einem groſſen Helden
einen andern entgegen/ welcher ſelbtem die
Stange biete/ und die Herrſchafften der Welt
in gleicher Wage halte. Hector und Achilles;
Sylla und Marius; Pompejus und Julius;
Anton und Auguſt hatte der Himmel gleichſam
außerleſen: daß ſie ihre Kraͤfften an einander
eichten ſolten. Und dem Annibal war der un-
ver gleichliche Scipio gleichſam wie ein Angel-
ſtern dem andern entgegen geſetzt. Sie waren
in viclen Dingen einander zu vergleichen.
Anni-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 852[854]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/914>, abgerufen am 01.07.2024. |