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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Sechstes Buch
[Spaltenumbruch] Künste überstiegen. Scipio wäre über Anni-
bals Anstalten selbst erstaunet; und bey seinem
herrlichen Siege hätte den überwundenen An-
nibal seiner grossen Fähigkeit halber beneidet/ der
flüchtige Annibal aber ihm noch eingebildet: daß
er es dem Uberwinder zuvor gethan hätte. Die-
ser wäre nicht nur ein Meister im Felde gewest;
sondern: daß er auch Städte einzunehmen ge-
wüst; gebe ihm die Asche der hartnäckichten
Stadt Sagunt ein Zeugnüß. Daß er aber
von Spolet und noch einer kleinern Stadt abge-
zogen/ hätte vom Mangel des Fuß-Volckes/ des
Geldes und des Sturmzeuges hergerühret.
Welches nebst dem/ daß er eine Stadt am Mee-
re/ umb auf allen Fall Hülffs-Völcker an sich
zu ziehen nöthiger gehalten/ ihn vermuthlich an
der Stadt Rom Belägerung gehindert hätte.
Wiewohl nichts seltzamers wäre: daß nach dem
das Verhängnüß allen Menschen ein Ziel ge-
steckt hätte/ sich in den grösten Helden Gedult/
Hertzhaftigkeit und Beständigkeit erschöpfte;
und also Annibal/ weil er allzu viel überstanden/
nichts mehr auszustehen vormocht; sein vorhin
allzu kühner Geist mit übriger Beysorge sich ab-
zukühlen genötigt gewest wäre/ und der im Un-
glücke unüberwindliche Held mit dem liebkosen-
den Glücke zu buhlen nicht verstanden hätte.
Zwar wäre er zu Capua in die Wollüste mehr
als ein Weiser eingesuncken; welcher selbte nicht
weiter/ als zu seiner Erholung gebrauchen soll.
Aber es schiene eine gemeine Art der ernsthaften
Leute zu seyn: daß sie sich zwar langsam/ a[b]er so
viel heftiger von ihren Süssigkeiten einnehmen
liessen. Denn das Stroh finge zwar augen-
blicklch Feuer/ das Eisen aber würde langsam
glüend; hingegen verschwinde jenes auch
bald/ dieses aber tauerte so viel länger. Zu
dem hatte Annibal/ als die Noth wieder wäre
an Mann kommen/ genungsam erwiesen: daß
er der alte Annibal wäre; und ob wohl freylich
sein Heer von der Wollust allzu sehr verzärtelt
worden; so hätten doch nur die Noth und die
[Spaltenumbruch] Beruffung der Stadt Carthago/ nicht aber die
Gewalt der Römer ihn aus dem Hertzen Jtali-
ens zu reissen vermocht. Adgandester hätte
noch weiter seinem Annibal das Wort geredet/
wenn nicht Hertzog Herrmann/ welcher an dem
Eingange ihnen eine Weile zugehöret hatte/
hinein getreten wäre/ und durch seinen Aus-
spruch diesem feindlichen Zwiste derogestalt ein
Ende gemacht hätte: daß Annibal ein grösserer
Krieges-Mann als Scipio gewesen seyn wür-
de; wenn es möglich gewest wäre grösser zu seyn
als Scipio. Dieser aber wäre ein besser Bür-
ger gewest/ als Annibal.

Weil nun in dem Saale selbigen Lusthauses
die Taffel mit Speisen bereit besetzt war/ führte
der Feldherr die Königin Erato/ und ihnen folg-
ten alle Anwesenden zu der Mittags-Mahlzeit/
welche mit eitel lustigen Schertz-Reden verkürtzt
ward; wiewohl die begierigen Zuhörer selbter
ohne diß abbrachen; und Adgandestern/ welcher
mit fernerer Erzehlung ihnen den übrigen Tag
beschwerlich zu fallen Bedencken trug/ durch ih-
re Höfligkeit die Verfolgung seiner Geschicht-
Beschreibung abnöthigten.

Adgandester erseufzete/ und hob an: Jhr
zwinget mich nunmehr unserer Deutschen grosse
Wunden zu entdecken/ welche ich als ein treuer
Sohn schuldig zu verhüllen wäre! Jedoch ha-
ben diese nicht nur uns/ sondern die halbe Welt
getroffen. Denn nach besiegtem Carthago
schämte sich nun niemand mehr von den Römern
überwunden zu werden. Jch miß gönne diesem
Volcke nicht ihren Ruhm der Tapferkeit; aber
sie selbst wagen sich nicht so viel Siege ihrer
Tugend zu zueignen; wenn sie enthängen: daß
sie das Glücke wie ein Platz-Regen/ oder eine
Berg-Bach überschüttet habe. O Anbethens
würdiges Verhängnüß! wie thöricht opfern
die Sterblichen der Tugend und dem Glücke!
Deine unerforschliche Weißheit theilet alleine
Siegs-Kräntze aus/ und gebieret Schoß-Kin-
der des Glückes. Wie vielmal hast du denen/

welchen

Sechſtes Buch
[Spaltenumbruch] Kuͤnſte uͤberſtiegen. Scipio waͤre uͤber Anni-
bals Anſtalten ſelbſt erſtaunet; und bey ſeinem
herrlichen Siege haͤtte den uͤberwundenen An-
nibal ſeiner groſſen Faͤhigkeit halber beneidet/ deꝛ
fluͤchtige Annibal aber ihm noch eingebildet: daß
er es dem Uberwinder zuvor gethan haͤtte. Die-
ſer waͤre nicht nur ein Meiſter im Felde geweſt;
ſondern: daß er auch Staͤdte einzunehmen ge-
wuͤſt; gebe ihm die Aſche der hartnaͤckichten
Stadt Sagunt ein Zeugnuͤß. Daß er aber
von Spolet und noch einer kleinern Stadt abge-
zogen/ haͤtte vom Mangel des Fuß-Volckes/ des
Geldes und des Sturmzeuges hergeruͤhret.
Welches nebſt dem/ daß er eine Stadt am Mee-
re/ umb auf allen Fall Huͤlffs-Voͤlcker an ſich
zu ziehen noͤthiger gehalten/ ihn vermuthlich an
der Stadt Rom Belaͤgerung gehindert haͤtte.
Wiewohl nichts ſeltzamers waͤre: daß nach dem
das Verhaͤngnuͤß allen Menſchen ein Ziel ge-
ſteckt haͤtte/ ſich in den groͤſten Helden Gedult/
Hertzhaftigkeit und Beſtaͤndigkeit erſchoͤpfte;
und alſo Annibal/ weil er allzu viel uͤberſtanden/
nichts mehr auszuſtehen vormocht; ſein vorhin
allzu kuͤhner Geiſt mit uͤbriger Beyſorge ſich ab-
zukuͤhlen genoͤtigt geweſt waͤre/ und der im Un-
gluͤcke unuͤberwindliche Held mit dem liebkoſen-
den Gluͤcke zu buhlen nicht verſtanden haͤtte.
Zwar waͤre er zu Capua in die Wolluͤſte mehr
als ein Weiſer eingeſuncken; welcher ſelbte nicht
weiter/ als zu ſeiner Erholung gebrauchen ſoll.
Aber es ſchiene eine gemeine Art der ernſthaften
Leute zu ſeyn: daß ſie ſich zwar langſam/ a[b]er ſo
viel heftiger von ihren Suͤſſigkeiten einnehmen
lieſſen. Denn das Stroh finge zwar augen-
blicklch Feuer/ das Eiſen aber wuͤrde langſam
gluͤend; hingegen verſchwinde jenes auch
bald/ dieſes aber tauerte ſo viel laͤnger. Zu
dem hatte Annibal/ als die Noth wieder waͤre
an Mann kommen/ genungſam erwieſen: daß
er der alte Annibal waͤre; und ob wohl freylich
ſein Heer von der Wolluſt allzu ſehr verzaͤrtelt
worden; ſo haͤtten doch nur die Noth und die
[Spaltenumbruch] Beruffung der Stadt Carthago/ nicht aber die
Gewalt der Roͤmeꝛ ihn aus dem Hertzen Jtali-
ens zu reiſſen vermocht. Adgandeſter haͤtte
noch weiter ſeinem Annibal das Wort geredet/
wenn nicht Hertzog Herrmann/ welcher an dem
Eingange ihnen eine Weile zugehoͤret hatte/
hinein getreten waͤre/ und durch ſeinen Aus-
ſpruch dieſem feindlichen Zwiſte derogeſtalt ein
Ende gemacht haͤtte: daß Annibal ein groͤſſerer
Krieges-Mann als Scipio geweſen ſeyn wuͤr-
de; wenn es moͤglich geweſt waͤre groͤſſer zu ſeyn
als Scipio. Dieſer aber waͤre ein beſſer Buͤr-
ger geweſt/ als Annibal.

Weil nun in dem Saale ſelbigen Luſthauſes
die Taffel mit Speiſen bereit beſetzt war/ fuͤhrte
der Feldherr die Koͤnigin Erato/ und ihnen folg-
ten alle Anweſenden zu der Mittags-Mahlzeit/
welche mit eitel luſtigen Schertz-Reden verkuͤrtzt
ward; wiewohl die begierigen Zuhoͤrer ſelbter
ohne diß abbrachen; und Adgandeſtern/ welcher
mit fernerer Erzehlung ihnen den uͤbrigen Tag
beſchwerlich zu fallen Bedencken trug/ durch ih-
re Hoͤfligkeit die Verfolgung ſeiner Geſchicht-
Beſchreibung abnoͤthigten.

Adgandeſter erſeufzete/ und hob an: Jhr
zwinget mich nunmehr unſerer Deutſchen groſſe
Wunden zu entdecken/ welche ich als ein treuer
Sohn ſchuldig zu verhuͤllen waͤre! Jedoch ha-
ben dieſe nicht nur uns/ ſondern die halbe Welt
getroffen. Denn nach beſiegtem Carthago
ſchaͤmte ſich nun niemand mehr von den Roͤmern
uͤberwunden zu werden. Jch miß goͤnne dieſem
Volcke nicht ihren Ruhm der Tapferkeit; aber
ſie ſelbſt wagen ſich nicht ſo viel Siege ihrer
Tugend zu zueignen; wenn ſie enthaͤngen: daß
ſie das Gluͤcke wie ein Platz-Regen/ oder eine
Berg-Bach uͤberſchuͤttet habe. O Anbethens
wuͤrdiges Verhaͤngnuͤß! wie thoͤricht opfern
die Sterblichen der Tugend und dem Gluͤcke!
Deine unerforſchliche Weißheit theilet alleine
Siegs-Kraͤntze aus/ und gebieret Schoß-Kin-
der des Gluͤckes. Wie vielmal haſt du denen/

welchen
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[856[858]/0918] Sechſtes Buch Kuͤnſte uͤberſtiegen. Scipio waͤre uͤber Anni- bals Anſtalten ſelbſt erſtaunet; und bey ſeinem herrlichen Siege haͤtte den uͤberwundenen An- nibal ſeiner groſſen Faͤhigkeit halber beneidet/ deꝛ fluͤchtige Annibal aber ihm noch eingebildet: daß er es dem Uberwinder zuvor gethan haͤtte. Die- ſer waͤre nicht nur ein Meiſter im Felde geweſt; ſondern: daß er auch Staͤdte einzunehmen ge- wuͤſt; gebe ihm die Aſche der hartnaͤckichten Stadt Sagunt ein Zeugnuͤß. Daß er aber von Spolet und noch einer kleinern Stadt abge- zogen/ haͤtte vom Mangel des Fuß-Volckes/ des Geldes und des Sturmzeuges hergeruͤhret. Welches nebſt dem/ daß er eine Stadt am Mee- re/ umb auf allen Fall Huͤlffs-Voͤlcker an ſich zu ziehen noͤthiger gehalten/ ihn vermuthlich an der Stadt Rom Belaͤgerung gehindert haͤtte. Wiewohl nichts ſeltzamers waͤre: daß nach dem das Verhaͤngnuͤß allen Menſchen ein Ziel ge- ſteckt haͤtte/ ſich in den groͤſten Helden Gedult/ Hertzhaftigkeit und Beſtaͤndigkeit erſchoͤpfte; und alſo Annibal/ weil er allzu viel uͤberſtanden/ nichts mehr auszuſtehen vormocht; ſein vorhin allzu kuͤhner Geiſt mit uͤbriger Beyſorge ſich ab- zukuͤhlen genoͤtigt geweſt waͤre/ und der im Un- gluͤcke unuͤberwindliche Held mit dem liebkoſen- den Gluͤcke zu buhlen nicht verſtanden haͤtte. Zwar waͤre er zu Capua in die Wolluͤſte mehr als ein Weiſer eingeſuncken; welcher ſelbte nicht weiter/ als zu ſeiner Erholung gebrauchen ſoll. Aber es ſchiene eine gemeine Art der ernſthaften Leute zu ſeyn: daß ſie ſich zwar langſam/ aber ſo viel heftiger von ihren Suͤſſigkeiten einnehmen lieſſen. Denn das Stroh finge zwar augen- blicklch Feuer/ das Eiſen aber wuͤrde langſam gluͤend; hingegen verſchwinde jenes auch bald/ dieſes aber tauerte ſo viel laͤnger. Zu dem hatte Annibal/ als die Noth wieder waͤre an Mann kommen/ genungſam erwieſen: daß er der alte Annibal waͤre; und ob wohl freylich ſein Heer von der Wolluſt allzu ſehr verzaͤrtelt worden; ſo haͤtten doch nur die Noth und die Beruffung der Stadt Carthago/ nicht aber die Gewalt der Roͤmeꝛ ihn aus dem Hertzen Jtali- ens zu reiſſen vermocht. Adgandeſter haͤtte noch weiter ſeinem Annibal das Wort geredet/ wenn nicht Hertzog Herrmann/ welcher an dem Eingange ihnen eine Weile zugehoͤret hatte/ hinein getreten waͤre/ und durch ſeinen Aus- ſpruch dieſem feindlichen Zwiſte derogeſtalt ein Ende gemacht haͤtte: daß Annibal ein groͤſſerer Krieges-Mann als Scipio geweſen ſeyn wuͤr- de; wenn es moͤglich geweſt waͤre groͤſſer zu ſeyn als Scipio. Dieſer aber waͤre ein beſſer Buͤr- ger geweſt/ als Annibal. Weil nun in dem Saale ſelbigen Luſthauſes die Taffel mit Speiſen bereit beſetzt war/ fuͤhrte der Feldherr die Koͤnigin Erato/ und ihnen folg- ten alle Anweſenden zu der Mittags-Mahlzeit/ welche mit eitel luſtigen Schertz-Reden verkuͤrtzt ward; wiewohl die begierigen Zuhoͤrer ſelbter ohne diß abbrachen; und Adgandeſtern/ welcher mit fernerer Erzehlung ihnen den uͤbrigen Tag beſchwerlich zu fallen Bedencken trug/ durch ih- re Hoͤfligkeit die Verfolgung ſeiner Geſchicht- Beſchreibung abnoͤthigten. Adgandeſter erſeufzete/ und hob an: Jhr zwinget mich nunmehr unſerer Deutſchen groſſe Wunden zu entdecken/ welche ich als ein treuer Sohn ſchuldig zu verhuͤllen waͤre! Jedoch ha- ben dieſe nicht nur uns/ ſondern die halbe Welt getroffen. Denn nach beſiegtem Carthago ſchaͤmte ſich nun niemand mehr von den Roͤmern uͤberwunden zu werden. Jch miß goͤnne dieſem Volcke nicht ihren Ruhm der Tapferkeit; aber ſie ſelbſt wagen ſich nicht ſo viel Siege ihrer Tugend zu zueignen; wenn ſie enthaͤngen: daß ſie das Gluͤcke wie ein Platz-Regen/ oder eine Berg-Bach uͤberſchuͤttet habe. O Anbethens wuͤrdiges Verhaͤngnuͤß! wie thoͤricht opfern die Sterblichen der Tugend und dem Gluͤcke! Deine unerforſchliche Weißheit theilet alleine Siegs-Kraͤntze aus/ und gebieret Schoß-Kin- der des Gluͤckes. Wie vielmal haſt du denen/ welchen

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 856[858]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/918>, abgerufen am 24.11.2024.