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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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beneideten mich, weil sie am traulichsten mit mir umging. Wie es dunkelte, faßte sie meinen Arm, sie hatte sich den ganzen Tag uns hingegeben, unsere Lust getheilt, es mochte ihr nun nach Sammlung verlangen, -- sie führte mich an ihr Lieblingsplätzchen, unter einen großen Nußbaum, der, gleich einem Familienvater, die Arme über niederes Gesträuch und Gras und Blumen ausbreitete. Da saßen wir lange, die weite Aussicht vor uns, Hand in Hand, stumm und glücklich. Es war Alles voll abendlicher Ruhe. Der Bogen von Gold, der in Westen die Wolken umspann, ward kleiner und kleiner, ein sanftes Dämmerlicht deckte die Ferne zu. Blauer Wald schloß sich dunkel an hellgrünes Korn, am Rande des Busches trieb die bunte Heerde, auf dem Elbstrom zitterte der letzte Sonnenstrahl. Ich könnte das Strömen und Fluthen stundenlang ansehen, ohne es müde zu werden; es bringt mir dunkle feierliche Gedanken und führt sie mit sich fort, ehe ich sie recht erkenne. Heute neigte sich die Sonne in das kühle Bett, als wäre es ein wohlthätiges Leben, das nun Rast fände, und das Rauschen der Wogen klang mir wie ein Wiegenlied für die ganze müde Erde. Der lieben Mutter mochte es auch so sein, denn als sie endlich die Stille mit Worten unterbrach, sah ich wohl, daß sie den Abend ihres Lebens mit dem feierlichen Bilde vor uns verglich. Das Leben vergeht so schnell, sagte sie; ehe wir es wähnen, haben wir die Aussicht hinter uns, der wir lange entgegen gingen, und der Mond geht da

beneideten mich, weil sie am traulichsten mit mir umging. Wie es dunkelte, faßte sie meinen Arm, sie hatte sich den ganzen Tag uns hingegeben, unsere Lust getheilt, es mochte ihr nun nach Sammlung verlangen, — sie führte mich an ihr Lieblingsplätzchen, unter einen großen Nußbaum, der, gleich einem Familienvater, die Arme über niederes Gesträuch und Gras und Blumen ausbreitete. Da saßen wir lange, die weite Aussicht vor uns, Hand in Hand, stumm und glücklich. Es war Alles voll abendlicher Ruhe. Der Bogen von Gold, der in Westen die Wolken umspann, ward kleiner und kleiner, ein sanftes Dämmerlicht deckte die Ferne zu. Blauer Wald schloß sich dunkel an hellgrünes Korn, am Rande des Busches trieb die bunte Heerde, auf dem Elbstrom zitterte der letzte Sonnenstrahl. Ich könnte das Strömen und Fluthen stundenlang ansehen, ohne es müde zu werden; es bringt mir dunkle feierliche Gedanken und führt sie mit sich fort, ehe ich sie recht erkenne. Heute neigte sich die Sonne in das kühle Bett, als wäre es ein wohlthätiges Leben, das nun Rast fände, und das Rauschen der Wogen klang mir wie ein Wiegenlied für die ganze müde Erde. Der lieben Mutter mochte es auch so sein, denn als sie endlich die Stille mit Worten unterbrach, sah ich wohl, daß sie den Abend ihres Lebens mit dem feierlichen Bilde vor uns verglich. Das Leben vergeht so schnell, sagte sie; ehe wir es wähnen, haben wir die Aussicht hinter uns, der wir lange entgegen gingen, und der Mond geht da

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/26>, abgerufen am 29.03.2024.