zerrt von der Anstrengung, die die gehobene Faust zurückhielt. Sonst hätte sie das lächelnde Gesicht des Kindes getroffen, das, so jung, schon eine Kupplerin war. Das lächelnde, vatermörderische Gesicht! Das Kind hat ein blaues Kleidchen an; blau ist die Lieb¬ lingsfarbe Apollonius'. Sein Kind trägt seines Todt¬ feindes Livree. Und die Mutter -- o, Fritz Netten¬ mair kann sich noch auf die Zeit besinnen, wo sie täglich so gekleidet ging wie heut'. Und fürchtet sie das nicht? Glaubt sie, was damals vorgegangen, gibt ihr ein Recht, ihn nicht zu fürchten? Ein Recht, in Schande zu leben, weil es seine Schande ist? Das Alles reißt an der gehobenen Faust. Und jetzt sagt die Mutter vor sich hin, und hat das Mädchen vergessen: "Der arme Apollonius!" --Was hält die Faust zurück? -- "Ich muß Fritz sagen, wie er mich dauert. Er ist so gut. Nicht, Aennchen?" Aennchen singt und hört die Frage nicht. Sie bedarf auch keiner Antwort. "Fritz ist zornig auf ihn, weil er mich einmal gekränkt hat. Ich hab's lang vergessen. Er ist anders, und Fritz thut ihm unrecht, wenn er meint, er ist noch immer so. Und vielleicht ist er nie so gewesen, und die Menschen haben Fritz belogen. Wir wollen gut sein gegen ihn, damit er froh wird. Ich kann's nicht mehr ertragen, wie er traurig ist. Ich will's ihm sagen, dem Fritz." So schließt die junge Frau ihr Selbstgespräch; ihr ganzes süß vertrauliche Mädchenwesen ist wieder
zerrt von der Anſtrengung, die die gehobene Fauſt zurückhielt. Sonſt hätte ſie das lächelnde Geſicht des Kindes getroffen, das, ſo jung, ſchon eine Kupplerin war. Das lächelnde, vatermörderiſche Geſicht! Das Kind hat ein blaues Kleidchen an; blau iſt die Lieb¬ lingsfarbe Apollonius'. Sein Kind trägt ſeines Todt¬ feindes Livree. Und die Mutter — o, Fritz Netten¬ mair kann ſich noch auf die Zeit beſinnen, wo ſie täglich ſo gekleidet ging wie heut'. Und fürchtet ſie das nicht? Glaubt ſie, was damals vorgegangen, gibt ihr ein Recht, ihn nicht zu fürchten? Ein Recht, in Schande zu leben, weil es ſeine Schande iſt? Das Alles reißt an der gehobenen Fauſt. Und jetzt ſagt die Mutter vor ſich hin, und hat das Mädchen vergeſſen: „Der arme Apollonius!“ —Was hält die Fauſt zurück? — „Ich muß Fritz ſagen, wie er mich dauert. Er iſt ſo gut. Nicht, Aennchen?“ Aennchen ſingt und hört die Frage nicht. Sie bedarf auch keiner Antwort. „Fritz iſt zornig auf ihn, weil er mich einmal gekränkt hat. Ich hab's lang vergeſſen. Er iſt anders, und Fritz thut ihm unrecht, wenn er meint, er iſt noch immer ſo. Und vielleicht iſt er nie ſo geweſen, und die Menſchen haben Fritz belogen. Wir wollen gut ſein gegen ihn, damit er froh wird. Ich kann's nicht mehr ertragen, wie er traurig iſt. Ich will's ihm ſagen, dem Fritz.“ So ſchließt die junge Frau ihr Selbſtgeſpräch; ihr ganzes ſüß vertrauliche Mädchenweſen iſt wieder
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zerrt von der Anſtrengung, die die gehobene Fauſt
zurückhielt. Sonſt hätte ſie das lächelnde Geſicht des
Kindes getroffen, das, ſo jung, ſchon eine Kupplerin
war. Das lächelnde, vatermörderiſche Geſicht! Das
Kind hat ein blaues Kleidchen an; blau iſt die Lieb¬
lingsfarbe Apollonius'. Sein Kind trägt ſeines Todt¬
feindes Livree. Und die Mutter — o, Fritz Netten¬
mair kann ſich noch auf die Zeit beſinnen, wo ſie
täglich ſo gekleidet ging wie heut'. Und fürchtet ſie
das nicht? Glaubt ſie, was damals vorgegangen,
gibt ihr ein Recht, ihn nicht zu fürchten? Ein Recht,
in Schande zu leben, weil es ſeine Schande iſt? Das
Alles reißt an der gehobenen Fauſt. Und jetzt ſagt
die Mutter vor ſich hin, und hat das Mädchen vergeſſen:
„Der arme Apollonius!“ —Was hält die Fauſt zurück?
— „Ich muß Fritz ſagen, wie er mich dauert. Er iſt
ſo gut. Nicht, Aennchen?“ Aennchen ſingt und hört
die Frage nicht. Sie bedarf auch keiner Antwort.
„Fritz iſt zornig auf ihn, weil er mich einmal gekränkt
hat. Ich hab's lang vergeſſen. Er iſt anders, und
Fritz thut ihm unrecht, wenn er meint, er iſt noch
immer ſo. Und vielleicht iſt er nie ſo geweſen, und
die Menſchen haben Fritz belogen. Wir wollen gut
ſein gegen ihn, damit er froh wird. Ich kann's nicht
mehr ertragen, wie er traurig iſt. Ich will's ihm ſagen,
dem Fritz.“ So ſchließt die junge Frau ihr Selbſtgeſpräch;
ihr ganzes ſüß vertrauliche Mädchenweſen iſt wieder
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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