Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

sich da, wo er sonst Genüge hatte, sein eigen Spiegel¬
bild zu finden. Und wie viel er sah; all den Reichthum
an hingebendem Vertraun, an Opferfähigkeit, an ver¬
ehrendem Aufstaunen und dienendem Ergeben zu fassen,
der in der Morgenröthe dieses reinen Angesichtes auf¬
ging, war sein Auge, auch krankhaft weit geöffnet,
noch zu eng. Sein Schmerz übermannte einen Augen¬
blick seinen Haß. Er mußte sich fortschleichen, um das
Geständniß seiner Schuld vor dem Antlitz zu flüchten,
dessen Blick er jetzt wie ein Verbrecher fürchtete, so
sanft es war.

Gegen Abend wurde die junge Frau plötzlich von
zwei Männerstimmen aus ihren Träumen geweckt. Sie
saß unfern der verschlossenen Schuppenthür im Grase.
Fritz war eben mit dem Bruder von der Hintergasse
in den Schuppen getreten. Sie hörte, er zog den
Bruder mit Wohlig's Anne auf. Anne sei die beste
Parthie in der ganzen Stadt und der Bruder ein
Spitzbube, der die Welt kenne und die Art, die lange
Haare und Schürzen trägt. Die Anne nähe schon an
ihrer Aussteuer, und ihre Basen trügen die Heirath
mit Apollonius von Haus zu Hause. Die junge Frau
hörte ihn fragen, wann die Hochzeit sei? Sie hatte
sich entfernen wollen; sie vergaß es; sie vergaß das
Athmen. Und drauf hätte sie fast laut aufgejubelt:
Apollonius sagte, er heirathe gar nicht, die Anne nicht,
noch sonst eine. Der Bruder lachte. "Drum hast du

ſich da, wo er ſonſt Genüge hatte, ſein eigen Spiegel¬
bild zu finden. Und wie viel er ſah; all den Reichthum
an hingebendem Vertraun, an Opferfähigkeit, an ver¬
ehrendem Aufſtaunen und dienendem Ergeben zu faſſen,
der in der Morgenröthe dieſes reinen Angeſichtes auf¬
ging, war ſein Auge, auch krankhaft weit geöffnet,
noch zu eng. Sein Schmerz übermannte einen Augen¬
blick ſeinen Haß. Er mußte ſich fortſchleichen, um das
Geſtändniß ſeiner Schuld vor dem Antlitz zu flüchten,
deſſen Blick er jetzt wie ein Verbrecher fürchtete, ſo
ſanft es war.

Gegen Abend wurde die junge Frau plötzlich von
zwei Männerſtimmen aus ihren Träumen geweckt. Sie
ſaß unfern der verſchloſſenen Schuppenthür im Graſe.
Fritz war eben mit dem Bruder von der Hintergaſſe
in den Schuppen getreten. Sie hörte, er zog den
Bruder mit Wohlig's Anne auf. Anne ſei die beſte
Parthie in der ganzen Stadt und der Bruder ein
Spitzbube, der die Welt kenne und die Art, die lange
Haare und Schürzen trägt. Die Anne nähe ſchon an
ihrer Ausſteuer, und ihre Baſen trügen die Heirath
mit Apollonius von Haus zu Hauſe. Die junge Frau
hörte ihn fragen, wann die Hochzeit ſei? Sie hatte
ſich entfernen wollen; ſie vergaß es; ſie vergaß das
Athmen. Und drauf hätte ſie faſt laut aufgejubelt:
Apollonius ſagte, er heirathe gar nicht, die Anne nicht,
noch ſonſt eine. Der Bruder lachte. „Drum haſt du

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0116" n="107"/>
&#x017F;ich da, wo er &#x017F;on&#x017F;t Genüge hatte, &#x017F;ein eigen Spiegel¬<lb/>
bild zu finden. Und wie viel er &#x017F;ah; all den Reichthum<lb/>
an hingebendem Vertraun, an Opferfähigkeit, an ver¬<lb/>
ehrendem Auf&#x017F;taunen und dienendem Ergeben zu fa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
der in der Morgenröthe die&#x017F;es reinen Ange&#x017F;ichtes auf¬<lb/>
ging, war &#x017F;ein Auge, auch krankhaft weit geöffnet,<lb/>
noch zu eng. Sein Schmerz übermannte einen Augen¬<lb/>
blick &#x017F;einen Haß. Er mußte &#x017F;ich fort&#x017F;chleichen, um das<lb/>
Ge&#x017F;tändniß &#x017F;einer Schuld vor dem Antlitz zu flüchten,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Blick er jetzt wie ein Verbrecher fürchtete, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;anft es war.</p><lb/>
        <p>Gegen Abend wurde die junge Frau plötzlich von<lb/>
zwei Männer&#x017F;timmen aus ihren Träumen geweckt. Sie<lb/>
&#x017F;aß unfern der ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Schuppenthür im Gra&#x017F;e.<lb/>
Fritz war eben mit dem Bruder von der Hinterga&#x017F;&#x017F;e<lb/>
in den Schuppen getreten. Sie hörte, er zog den<lb/>
Bruder mit Wohlig's Anne auf. Anne &#x017F;ei die be&#x017F;te<lb/>
Parthie in der ganzen Stadt und der Bruder ein<lb/>
Spitzbube, der die Welt kenne und die Art, die lange<lb/>
Haare und Schürzen trägt. Die Anne nähe &#x017F;chon an<lb/>
ihrer Aus&#x017F;teuer, und ihre Ba&#x017F;en trügen die Heirath<lb/>
mit Apollonius von Haus zu Hau&#x017F;e. Die junge Frau<lb/>
hörte ihn fragen, wann die Hochzeit &#x017F;ei? Sie hatte<lb/>
&#x017F;ich entfernen wollen; &#x017F;ie vergaß es; &#x017F;ie vergaß das<lb/>
Athmen. Und drauf hätte &#x017F;ie fa&#x017F;t laut aufgejubelt:<lb/>
Apollonius &#x017F;agte, er heirathe gar nicht, die Anne nicht,<lb/>
noch &#x017F;on&#x017F;t eine. Der Bruder lachte. &#x201E;Drum ha&#x017F;t du<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0116] ſich da, wo er ſonſt Genüge hatte, ſein eigen Spiegel¬ bild zu finden. Und wie viel er ſah; all den Reichthum an hingebendem Vertraun, an Opferfähigkeit, an ver¬ ehrendem Aufſtaunen und dienendem Ergeben zu faſſen, der in der Morgenröthe dieſes reinen Angeſichtes auf¬ ging, war ſein Auge, auch krankhaft weit geöffnet, noch zu eng. Sein Schmerz übermannte einen Augen¬ blick ſeinen Haß. Er mußte ſich fortſchleichen, um das Geſtändniß ſeiner Schuld vor dem Antlitz zu flüchten, deſſen Blick er jetzt wie ein Verbrecher fürchtete, ſo ſanft es war. Gegen Abend wurde die junge Frau plötzlich von zwei Männerſtimmen aus ihren Träumen geweckt. Sie ſaß unfern der verſchloſſenen Schuppenthür im Graſe. Fritz war eben mit dem Bruder von der Hintergaſſe in den Schuppen getreten. Sie hörte, er zog den Bruder mit Wohlig's Anne auf. Anne ſei die beſte Parthie in der ganzen Stadt und der Bruder ein Spitzbube, der die Welt kenne und die Art, die lange Haare und Schürzen trägt. Die Anne nähe ſchon an ihrer Ausſteuer, und ihre Baſen trügen die Heirath mit Apollonius von Haus zu Hauſe. Die junge Frau hörte ihn fragen, wann die Hochzeit ſei? Sie hatte ſich entfernen wollen; ſie vergaß es; ſie vergaß das Athmen. Und drauf hätte ſie faſt laut aufgejubelt: Apollonius ſagte, er heirathe gar nicht, die Anne nicht, noch ſonſt eine. Der Bruder lachte. „Drum haſt du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/116
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/116>, abgerufen am 21.11.2024.