treter hören unwillkührlich auf zu plaudern, die Kinder auf der Straße zu spielen, kommt der alte Herr Net¬ tenmair daher gestiegen, das silberknöpfige Rohr in der rechten Hand. Sein Hut hat noch die spitze Höhe, sein blauer Ueberrock zeigt noch den schmalen Kragen und die bauschigen Schultern einer lang vorübergegan¬ genen Mode. Das sind Haken genug, schlechte Witze daran zu hängen, dennoch geschieht dies nicht. Es ist, als ginge ein unsichtbares Etwas mit der stattlichen Gestalt, das leichtfertige Gedanken nicht aufkommen ließe.
Wenn die älteren Einwohner der Stadt, begegnet ihnen der Herr Nettenmair, eine Pause in ihrem Gespräche machen, um ihn respektvoll zu grüßen, so ist es jenes magische Etwas nicht allein, was diese Wir¬ kung thut. Sie wissen, was sie in dem alten Herrn achten; ist er vorüber, folgen ihm die Augen der noch immer Schweigenden, bis er um eine Straßenecke ver¬ schwindet; dann hebt sich wohl eine Hand bis zur Höhe von ihres Besitzers seitwärts geneigtem Antlitz und ein aufgereckter Zeigefinger erzählt beredter, als es der Mund vermöchte, von einem langen Leben mit allen Bürgertugenden geschmückt und nicht durch einen ein¬ zigen Fehl geschändet. Eine Anerkennung, die noch an Gewicht gewinnt, weiß man, wie viel schärfer einem nach Außen abgeschlossenen Dasein nachgerechnet wird. Und ein solches führt Herr Nettenmair. Man sieht
treter hören unwillkührlich auf zu plaudern, die Kinder auf der Straße zu ſpielen, kommt der alte Herr Net¬ tenmair daher geſtiegen, das ſilberknöpfige Rohr in der rechten Hand. Sein Hut hat noch die ſpitze Höhe, ſein blauer Ueberrock zeigt noch den ſchmalen Kragen und die bauſchigen Schultern einer lang vorübergegan¬ genen Mode. Das ſind Haken genug, ſchlechte Witze daran zu hängen, dennoch geſchieht dies nicht. Es iſt, als ginge ein unſichtbares Etwas mit der ſtattlichen Geſtalt, das leichtfertige Gedanken nicht aufkommen ließe.
Wenn die älteren Einwohner der Stadt, begegnet ihnen der Herr Nettenmair, eine Pauſe in ihrem Geſpräche machen, um ihn reſpektvoll zu grüßen, ſo iſt es jenes magiſche Etwas nicht allein, was dieſe Wir¬ kung thut. Sie wiſſen, was ſie in dem alten Herrn achten; iſt er vorüber, folgen ihm die Augen der noch immer Schweigenden, bis er um eine Straßenecke ver¬ ſchwindet; dann hebt ſich wohl eine Hand bis zur Höhe von ihres Beſitzers ſeitwärts geneigtem Antlitz und ein aufgereckter Zeigefinger erzählt beredter, als es der Mund vermöchte, von einem langen Leben mit allen Bürgertugenden geſchmückt und nicht durch einen ein¬ zigen Fehl geſchändet. Eine Anerkennung, die noch an Gewicht gewinnt, weiß man, wie viel ſchärfer einem nach Außen abgeſchloſſenen Daſein nachgerechnet wird. Und ein ſolches führt Herr Nettenmair. Man ſieht
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[5/0014]
treter hören unwillkührlich auf zu plaudern, die Kinder
auf der Straße zu ſpielen, kommt der alte Herr Net¬
tenmair daher geſtiegen, das ſilberknöpfige Rohr in
der rechten Hand. Sein Hut hat noch die ſpitze Höhe,
ſein blauer Ueberrock zeigt noch den ſchmalen Kragen
und die bauſchigen Schultern einer lang vorübergegan¬
genen Mode. Das ſind Haken genug, ſchlechte Witze
daran zu hängen, dennoch geſchieht dies nicht. Es iſt,
als ginge ein unſichtbares Etwas mit der ſtattlichen
Geſtalt, das leichtfertige Gedanken nicht aufkommen
ließe.
Wenn die älteren Einwohner der Stadt, begegnet
ihnen der Herr Nettenmair, eine Pauſe in ihrem
Geſpräche machen, um ihn reſpektvoll zu grüßen, ſo iſt
es jenes magiſche Etwas nicht allein, was dieſe Wir¬
kung thut. Sie wiſſen, was ſie in dem alten Herrn
achten; iſt er vorüber, folgen ihm die Augen der noch
immer Schweigenden, bis er um eine Straßenecke ver¬
ſchwindet; dann hebt ſich wohl eine Hand bis zur
Höhe von ihres Beſitzers ſeitwärts geneigtem Antlitz
und ein aufgereckter Zeigefinger erzählt beredter, als es
der Mund vermöchte, von einem langen Leben mit allen
Bürgertugenden geſchmückt und nicht durch einen ein¬
zigen Fehl geſchändet. Eine Anerkennung, die noch
an Gewicht gewinnt, weiß man, wie viel ſchärfer einem
nach Außen abgeſchloſſenen Daſein nachgerechnet wird.
Und ein ſolches führt Herr Nettenmair. Man ſieht
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/14>, abgerufen am 21.11.2024.
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