wie einer, der die Welt kennt und mit der Art umzu¬ gehn weiß, die lange Haare und Schürzen trägt; und dennoch blieben alle Blicke auf ihm haften; und Fritz Nettenmair übertraf vergeblich sich selbst.
Es war der ledernste Ball, den Fritz Nettenmair mitgemacht; er konnte nicht lederner sein, war Fritz Nettenmair daheim geblieben. Fritz Nettenmair ver¬ sicherte es mit hohen Schwüren, und die bedeutenden Leute, die seinen Champagner tranken, stimmten, wie immer, unbedingt in seine Meinung ein.
Einige bedeutende Frauen sprachen gegen Frau Nettenmair ihre gerechte freundschaftliche Entrüstung über den Schwager aus. Daß dieser nicht die Schwä¬ gerin zuerst zum Tanze aufgezogen, bewies eine un¬ verzeihliche Mißachtung derselben. Die Frau Netten¬ mair, die das allgemeine Unrecht an ihrem jovialen Gatten so tief fühlte, als wär' es ihr selber angethan, sagte, der Schwager habe wohl gewußt, daß er sich nur einen Korb bei ihr geholt hätte. Aber dieser wurde nur immer mehr bewundert und geehrt und der Ball demzufolge nur immer noch lederner. So ledern, daß Fritz Nettenmair mit seiner Frau zu einer Stunde auf¬ brach, wo er sonst erst recht jovial zu werden anfing. Dennoch sammelte er feurige Kohlen auf des undank¬ baren Bruders Haupt. Er bat in dessen Namen das Mädchen, dem Bruder zu erlauben, daß er sie heimbe¬ gleiten dürfe. Dann ging er aus dem Nebenstübchen
wie einer, der die Welt kennt und mit der Art umzu¬ gehn weiß, die lange Haare und Schürzen trägt; und dennoch blieben alle Blicke auf ihm haften; und Fritz Nettenmair übertraf vergeblich ſich ſelbſt.
Es war der ledernſte Ball, den Fritz Nettenmair mitgemacht; er konnte nicht lederner ſein, war Fritz Nettenmair daheim geblieben. Fritz Nettenmair ver¬ ſicherte es mit hohen Schwüren, und die bedeutenden Leute, die ſeinen Champagner tranken, ſtimmten, wie immer, unbedingt in ſeine Meinung ein.
Einige bedeutende Frauen ſprachen gegen Frau Nettenmair ihre gerechte freundſchaftliche Entrüſtung über den Schwager aus. Daß dieſer nicht die Schwä¬ gerin zuerſt zum Tanze aufgezogen, bewies eine un¬ verzeihliche Mißachtung derſelben. Die Frau Netten¬ mair, die das allgemeine Unrecht an ihrem jovialen Gatten ſo tief fühlte, als wär' es ihr ſelber angethan, ſagte, der Schwager habe wohl gewußt, daß er ſich nur einen Korb bei ihr geholt hätte. Aber dieſer wurde nur immer mehr bewundert und geehrt und der Ball demzufolge nur immer noch lederner. So ledern, daß Fritz Nettenmair mit ſeiner Frau zu einer Stunde auf¬ brach, wo er ſonſt erſt recht jovial zu werden anfing. Dennoch ſammelte er feurige Kohlen auf des undank¬ baren Bruders Haupt. Er bat in deſſen Namen das Mädchen, dem Bruder zu erlauben, daß er ſie heimbe¬ gleiten dürfe. Dann ging er aus dem Nebenſtübchen
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wie einer, der die Welt kennt und mit der Art umzu¬
gehn weiß, die lange Haare und Schürzen trägt; und
dennoch blieben alle Blicke auf ihm haften; und Fritz
Nettenmair übertraf vergeblich ſich ſelbſt.
Es war der ledernſte Ball, den Fritz Nettenmair
mitgemacht; er konnte nicht lederner ſein, war Fritz
Nettenmair daheim geblieben. Fritz Nettenmair ver¬
ſicherte es mit hohen Schwüren, und die bedeutenden
Leute, die ſeinen Champagner tranken, ſtimmten, wie
immer, unbedingt in ſeine Meinung ein.
Einige bedeutende Frauen ſprachen gegen Frau
Nettenmair ihre gerechte freundſchaftliche Entrüſtung
über den Schwager aus. Daß dieſer nicht die Schwä¬
gerin zuerſt zum Tanze aufgezogen, bewies eine un¬
verzeihliche Mißachtung derſelben. Die Frau Netten¬
mair, die das allgemeine Unrecht an ihrem jovialen
Gatten ſo tief fühlte, als wär' es ihr ſelber angethan,
ſagte, der Schwager habe wohl gewußt, daß er ſich
nur einen Korb bei ihr geholt hätte. Aber dieſer wurde
nur immer mehr bewundert und geehrt und der Ball
demzufolge nur immer noch lederner. So ledern, daß
Fritz Nettenmair mit ſeiner Frau zu einer Stunde auf¬
brach, wo er ſonſt erſt recht jovial zu werden anfing.
Dennoch ſammelte er feurige Kohlen auf des undank¬
baren Bruders Haupt. Er bat in deſſen Namen das
Mädchen, dem Bruder zu erlauben, daß er ſie heimbe¬
gleiten dürfe. Dann ging er aus dem Nebenſtübchen
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/65>, abgerufen am 21.11.2024.
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