diesem Fall nicht ebenso ausführlich zu geschehen braucht. Nichtsdestoweniger ist die angeführte Ueber- legung insofern nützlich, als sie die Verwandtschaft der einfachen und der complicirten Fälle fühlbar macht.
8. Die allgemeine Bedeutung des Princips der vir- tuellen Verschiebungen für alle Gleichgewichtsfälle hat Joh. Bernoulli erkannt, und er hat seine Entdeckung (1717) in einem Briefe an Varignon mitgetheilt. Wir wollen nun das Princip in seiner allgemeinsten Form aussprechen. An den Punkten A, B, C .... mögen die
[Abbildung]
Fig. 42.
Kräfte P, P', P" .... an- greifen. Wir ertheilen den Punkten irgendwelche un- endlichkleine, mit der Natur der Verbindungen verträg- liche (sogenannte virtuelle) Verschiebungen v, v', v" .... und bilden von denselben die Projectionen p, p', p" .... auf die Richtungen der Kräfte. Diese Projectionen betrachten wir als positiv, wenn sie in die Richtung der Kraft fallen, als negativ, wenn sie in die entgegen- gesetzte Richtung fallen. Die Producte P·p, P'·p', P"·p" .... heissen virtuelle Momente und haben in den beiden eben erwähnten Fällen ein entgegengesetztes Zeichen. Das Princip sagt nun, dass für den Fall des Gleichgewichts P·p+P'·p'+P"·p"+....=0, oder kürzer
[Formel 1]
.
9. Gehen wir nun auf einige Punkte näher ein. Vor Newton dachte man sich unter einer Kraft fast immer nur den Zug oder Druck eines schweren Körpers. Alle mechanischen Untersuchungen dieser Zeit beschäftigen sich fast nur mit schweren Körpern. Als nun in der Newton'schen Zeit die Verallgemeinerung des Kraft- begriffes eintrat, konnte man alle für schwere Körper bekannte mechanischen Sätze sofort auf beliebige Kräfte übertragen. Man konnte sich jede Kraft durch den
Erstes Kapitel.
diesem Fall nicht ebenso ausführlich zu geschehen braucht. Nichtsdestoweniger ist die angeführte Ueber- legung insofern nützlich, als sie die Verwandtschaft der einfachen und der complicirten Fälle fühlbar macht.
8. Die allgemeine Bedeutung des Princips der vir- tuellen Verschiebungen für alle Gleichgewichtsfälle hat Joh. Bernoulli erkannt, und er hat seine Entdeckung (1717) in einem Briefe an Varignon mitgetheilt. Wir wollen nun das Princip in seiner allgemeinsten Form aussprechen. An den Punkten A, B, C .... mögen die
[Abbildung]
Fig. 42.
Kräfte P, P′, P″ .... an- greifen. Wir ertheilen den Punkten irgendwelche un- endlichkleine, mit der Natur der Verbindungen verträg- liche (sogenannte virtuelle) Verschiebungen v, v′, v″ .... und bilden von denselben die Projectionen p, p′, p″ .... auf die Richtungen der Kräfte. Diese Projectionen betrachten wir als positiv, wenn sie in die Richtung der Kraft fallen, als negativ, wenn sie in die entgegen- gesetzte Richtung fallen. Die Producte P·p, P′·p′, P″·p″ .... heissen virtuelle Momente und haben in den beiden eben erwähnten Fällen ein entgegengesetztes Zeichen. Das Princip sagt nun, dass für den Fall des Gleichgewichts P·p+P′·p′+P″·p″+....=0, oder kürzer
[Formel 1]
.
9. Gehen wir nun auf einige Punkte näher ein. Vor Newton dachte man sich unter einer Kraft fast immer nur den Zug oder Druck eines schweren Körpers. Alle mechanischen Untersuchungen dieser Zeit beschäftigen sich fast nur mit schweren Körpern. Als nun in der Newton’schen Zeit die Verallgemeinerung des Kraft- begriffes eintrat, konnte man alle für schwere Körper bekannte mechanischen Sätze sofort auf beliebige Kräfte übertragen. Man konnte sich jede Kraft durch den
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[52/0064]
Erstes Kapitel.
diesem Fall nicht ebenso ausführlich zu geschehen
braucht. Nichtsdestoweniger ist die angeführte Ueber-
legung insofern nützlich, als sie die Verwandtschaft der
einfachen und der complicirten Fälle fühlbar macht.
8. Die allgemeine Bedeutung des Princips der vir-
tuellen Verschiebungen für alle Gleichgewichtsfälle hat
Joh. Bernoulli erkannt, und er hat seine Entdeckung
(1717) in einem Briefe an Varignon mitgetheilt. Wir
wollen nun das Princip in seiner allgemeinsten Form
aussprechen. An den Punkten A, B, C .... mögen die
[Abbildung Fig. 42.]
Kräfte P, P′, P″ .... an-
greifen. Wir ertheilen den
Punkten irgendwelche un-
endlichkleine, mit der Natur
der Verbindungen verträg-
liche (sogenannte virtuelle)
Verschiebungen v, v′, v″ ....
und bilden von denselben
die Projectionen p, p′, p″ ....
auf die Richtungen der
Kräfte. Diese Projectionen
betrachten wir als positiv, wenn sie in die Richtung
der Kraft fallen, als negativ, wenn sie in die entgegen-
gesetzte Richtung fallen. Die Producte P·p, P′·p′,
P″·p″ .... heissen virtuelle Momente und haben in
den beiden eben erwähnten Fällen ein entgegengesetztes
Zeichen. Das Princip sagt nun, dass für den Fall des
Gleichgewichts P·p+P′·p′+P″·p″+....=0,
oder kürzer [FORMEL].
9. Gehen wir nun auf einige Punkte näher ein. Vor
Newton dachte man sich unter einer Kraft fast immer
nur den Zug oder Druck eines schweren Körpers. Alle
mechanischen Untersuchungen dieser Zeit beschäftigen
sich fast nur mit schweren Körpern. Als nun in der
Newton’schen Zeit die Verallgemeinerung des Kraft-
begriffes eintrat, konnte man alle für schwere Körper
bekannte mechanischen Sätze sofort auf beliebige Kräfte
übertragen. Man konnte sich jede Kraft durch den
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/64>, abgerufen am 16.02.2025.
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