Zur Beurtheilung des Gleichgewichts dürfen die Ver- schiebungen nur verschwindend klein angenommen wer- den, weil sonst das System in eine ganz andere Nach- barconformation übergeführt würde, für welche vielleicht das Gleichgewicht nicht mehr besteht.
Dass nicht die Verschiebungen überhaupt, sondern nur soweit sie im Sinne der Kräfte stattfinden, also deren Projectionen auf die Kraftrichtungen maassgebend sind, hat schon Galilei an dem Fall der schiefen Ebene hin- reichend klar erkannt.
Was den Ausdruck des Princips betrifft, so bemerken wir, dass gar keine Aufgabe vorliegt, wenn alle Punkte des Systems, auf welche Kräfte wirken, voneinander unabhängig sind. Jeder solche Punkt kann dann nur im Gleichgewicht sein, wenn er im Sinne der Kraft nicht beweglich ist. Für jeden solchen Punkt ist einzeln das virtuelle Moment gleich Null. Sind einige Punkte voneinander unabhängig, andere aber in ihren Ver- schiebungen voneinander abhängig, so gilt für erstere die eben gemachte Bemerkung. Für die letztern gilt
[Abbildung]
Fig. 45.
eben der von Galilei gefundene Grundsatz, dass die Summe ihrer virtuellen Momente gleich Null ist. Demnach ist die Gesammtsumme der virtuellen Momente wieder gleich Null.
10. Wir wollen uns nun die Be- deutung des Princips zunächst an einigen einfachen Beispielen erläu- tern, und zwar an solchen, welche nicht nach dem gewöhnlichen Schema des Hebels, der schiefen Ebene u.s.w. behandelt werden können.
Der Differentialflaschenzug von Weston (Fig. 45) besteht aus zwei conaxialen, miteinander fest verbun- denen Rollen von den wenig verschiedenen Radien r1 und r2 < r1. Ueber diese Rollen ist eine Schnur oder
Erstes Kapitel.
Zur Beurtheilung des Gleichgewichts dürfen die Ver- schiebungen nur verschwindend klein angenommen wer- den, weil sonst das System in eine ganz andere Nach- barconformation übergeführt würde, für welche vielleicht das Gleichgewicht nicht mehr besteht.
Dass nicht die Verschiebungen überhaupt, sondern nur soweit sie im Sinne der Kräfte stattfinden, also deren Projectionen auf die Kraftrichtungen maassgebend sind, hat schon Galilei an dem Fall der schiefen Ebene hin- reichend klar erkannt.
Was den Ausdruck des Princips betrifft, so bemerken wir, dass gar keine Aufgabe vorliegt, wenn alle Punkte des Systems, auf welche Kräfte wirken, voneinander unabhängig sind. Jeder solche Punkt kann dann nur im Gleichgewicht sein, wenn er im Sinne der Kraft nicht beweglich ist. Für jeden solchen Punkt ist einzeln das virtuelle Moment gleich Null. Sind einige Punkte voneinander unabhängig, andere aber in ihren Ver- schiebungen voneinander abhängig, so gilt für erstere die eben gemachte Bemerkung. Für die letztern gilt
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Fig. 45.
eben der von Galilei gefundene Grundsatz, dass die Summe ihrer virtuellen Momente gleich Null ist. Demnach ist die Gesammtsumme der virtuellen Momente wieder gleich Null.
10. Wir wollen uns nun die Be- deutung des Princips zunächst an einigen einfachen Beispielen erläu- tern, und zwar an solchen, welche nicht nach dem gewöhnlichen Schema des Hebels, der schiefen Ebene u.s.w. behandelt werden können.
Der Differentialflaschenzug von Weston (Fig. 45) besteht aus zwei conaxialen, miteinander fest verbun- denen Rollen von den wenig verschiedenen Radien r1 und r2 < r1. Ueber diese Rollen ist eine Schnur oder
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Erstes Kapitel.
Zur Beurtheilung des Gleichgewichts dürfen die Ver-
schiebungen nur verschwindend klein angenommen wer-
den, weil sonst das System in eine ganz andere Nach-
barconformation übergeführt würde, für welche vielleicht
das Gleichgewicht nicht mehr besteht.
Dass nicht die Verschiebungen überhaupt, sondern nur
soweit sie im Sinne der Kräfte stattfinden, also deren
Projectionen auf die Kraftrichtungen maassgebend sind,
hat schon Galilei an dem Fall der schiefen Ebene hin-
reichend klar erkannt.
Was den Ausdruck des Princips betrifft, so bemerken
wir, dass gar keine Aufgabe vorliegt, wenn alle Punkte
des Systems, auf welche Kräfte wirken, voneinander
unabhängig sind. Jeder solche Punkt kann dann nur im
Gleichgewicht sein, wenn er im Sinne der Kraft nicht
beweglich ist. Für jeden solchen Punkt ist einzeln
das virtuelle Moment gleich Null. Sind einige Punkte
voneinander unabhängig, andere aber in ihren Ver-
schiebungen voneinander abhängig, so gilt für erstere
die eben gemachte Bemerkung. Für die letztern gilt
[Abbildung Fig. 45.]
eben der von Galilei gefundene
Grundsatz, dass die Summe ihrer
virtuellen Momente gleich Null ist.
Demnach ist die Gesammtsumme
der virtuellen Momente wieder
gleich Null.
10. Wir wollen uns nun die Be-
deutung des Princips zunächst an
einigen einfachen Beispielen erläu-
tern, und zwar an solchen, welche
nicht nach dem gewöhnlichen Schema
des Hebels, der schiefen Ebene u.s.w.
behandelt werden können.
Der Differentialflaschenzug von
Weston (Fig. 45) besteht aus zwei
conaxialen, miteinander fest verbun-
denen Rollen von den wenig verschiedenen Radien r1
und r2 < r1. Ueber diese Rollen ist eine Schnur oder
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/66>, abgerufen am 21.11.2024.
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