Vergilius Maro, Publius: Eigentlicher Abriß Eines verständigen/ tapfferen und frommen Fürsten/ Von dem fürtrefflichsten Poeten Virgilius. Cölln (Spree), 1668.Das Sechste Buch. Ein jeder wil sich erst hinüber führen lassen/Sie strecken aus die händ und mühn sich höchster massen Äus tragender begier zum andern gegenport; Der schiffer nimmt sie auf/ und führt sie alle fort/ Er zeigt sich störrisch-böß. Die aber unbegraben/ Die treibt er von dem strand/ wil sie nicht bey sich haben. Encas (denn es kam fast wunderlich ihm für/ Daß so groß auffgeläuff erreget würde hier) Sag jungfrau (hub er an) was mag doch das bedeuten/ Daß zu dem jammerbach von so viel hauffen leuten Geschieht solch zugeläuff. Sols leid seyn oder freud? Umb was bemühen sich die seelen? Was für streit Und unterscheid ist/ daß ein theil von ufer lauffen/ Die andern sahren durch den pfuhl mit dicken hauffen? Drauff gab die priesterin gar kurtzlich den bescheid: Eneas Götter sohn ohn allem zweiffel-streit/ Du siehst den trauerbach Cocytus vor dir liegen/ Die Götter müssen selbst sich fürchten zu betriegen Desselben heilge macht durch einen falschen eyd/ Das volck/ das du dort siehst/ ist voller dürfftigkeit Und unbegraben noch. Der schiffer/ der sie führet/ Heißt Charon/ die er führt/ sind/ massen sichs gebühret/ Begraben; Kan auch nicht die seelen fahren an/ Wo sie nicht sind gebracht zu ihrer ruhebahn Und daß der leib verscharrt/ sie müssen ängstig leben Wol in die hundert jahr und ümb das ufer schweben: Dann nimmt sie Charon erst auf seine schwartze fehr/ Da sehn sie nach begier den hellschen pfuhl und meer. Eneas
Das Sechſte Buch. Ein jeder wil ſich erſt hinuͤber fuͤhren laſſen/Sie ſtrecken aus die haͤnd und muͤhn ſich hoͤchſter maſſen Aͤus tragender begier zum andern gegenport; Der ſchiffer nimmt ſie auf/ und fuͤhrt ſie alle fort/ Er zeigt ſich ſtoͤrriſch-boͤß. Die aber unbegraben/ Die treibt er von dem ſtrand/ wil ſie nicht bey ſich haben. Encas (denn es kam faſt wunderlich ihm fuͤr/ Daß ſo groß auffgelaͤuff erreget wuͤrde hier) Sag jungfrau (hub er an) was mag doch das bedeuten/ Daß zu dem jammerbach von ſo viel hauffen leuten Geſchieht ſolch zugelaͤuff. Sols leid ſeyn oder freud? Umb was bemuͤhen ſich die ſeelen? Was fuͤr ſtreit Und unterſcheid iſt/ daß ein theil von ufer lauffen/ Die andern ſahren durch den pfuhl mit dicken hauffen? Drauff gab die prieſterin gar kurtzlich den beſcheid: Eneas Goͤtter ſohn ohn allem zweiffel-ſtreit/ Du ſiehſt den trauerbach Cocytus vor dir liegen/ Die Goͤtter muͤſſen ſelbſt ſich fuͤrchten zu betriegen Deſſelben heilge macht durch einen falſchen eyd/ Das volck/ das du dort ſiehſt/ iſt voller duͤrfftigkeit Und unbegraben noch. Der ſchiffer/ der ſie fuͤhret/ Heißt Charon/ die er fuͤhrt/ ſind/ maſſen ſichs gebuͤhret/ Begraben; Kan auch nicht die ſeelen fahren an/ Wo ſie nicht ſind gebracht zu ihrer ruhebahn Und daß der leib verſcharrt/ ſie muͤſſen aͤngſtig leben Wol in die hundert jahr und uͤmb das ufer ſchweben: Dann nimmt ſie Charon erſt auf ſeine ſchwartze fehr/ Da ſehn ſie nach begier den hellſchen pfuhl und meer. Eneas
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0302" n="280"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Das Sechſte Buch.</hi> </fw><lb/> <l>Ein jeder wil ſich erſt hinuͤber fuͤhren laſſen/</l><lb/> <l>Sie ſtrecken aus die haͤnd und muͤhn ſich hoͤchſter maſſen</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">Aͤ</hi>us tragender begier zum andern gegenport;</l><lb/> <l>Der ſchiffer nimmt ſie auf/ und fuͤhrt ſie alle fort/</l><lb/> <l>Er zeigt ſich ſtoͤrriſch-boͤß. Die aber unbegraben/</l><lb/> <l>Die treibt er von dem ſtrand/ wil ſie nicht bey ſich haben.</l><lb/> <l>Encas (denn es kam faſt wunderlich ihm fuͤr/</l><lb/> <l>Daß ſo groß auffgelaͤuff erreget wuͤrde hier)</l><lb/> <l>Sag jungfrau (hub er an) was mag doch das bedeuten/</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">D</hi>aß zu dem jammerbach von ſo viel hauffen leuten</l><lb/> <l>Geſchieht ſolch zugelaͤuff. Sols leid ſeyn oder freud?</l><lb/> <l>Umb was bemuͤhen ſich die ſeelen? Was fuͤr ſtreit</l><lb/> <l>Und unterſcheid iſt/ daß ein theil von ufer lauffen/</l><lb/> <l>Die andern ſahren durch den pfuhl mit dicken hauffen?</l><lb/> <l>Drauff gab die prieſterin gar kurtzlich den beſcheid:</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">E</hi>neas Goͤtter ſohn ohn allem zweiffel-ſtreit/</l><lb/> <l>Du ſiehſt den trauerbach Cocytus vor dir liegen/</l><lb/> <l>Die Goͤtter muͤſſen ſelbſt ſich fuͤrchten zu betriegen</l><lb/> <l>Deſſelben heilge macht durch einen falſchen eyd/</l><lb/> <l>Das volck/ das du dort ſiehſt/ iſt voller duͤrfftigkeit</l><lb/> <l>Und unbegraben noch. Der ſchiffer/ der ſie fuͤhret/</l><lb/> <l>Heißt Charon/ die er fuͤhrt/ ſind/ maſſen ſichs gebuͤhret/</l><lb/> <l>Begraben; Kan auch nicht die ſeelen fahren an/</l><lb/> <l>Wo ſie nicht ſind gebracht zu ihrer ruhebahn</l><lb/> <l>Und daß der leib verſcharrt/ ſie muͤſſen aͤngſtig leben</l><lb/> <l>Wol in die hundert jahr und uͤmb das ufer ſchweben:</l><lb/> <l>Dann nimmt ſie Charon erſt auf ſeine ſchwartze fehr/</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">D</hi>a ſehn ſie nach begier den hellſchen pfuhl und meer.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Eneas</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [280/0302]
Das Sechſte Buch.
Ein jeder wil ſich erſt hinuͤber fuͤhren laſſen/
Sie ſtrecken aus die haͤnd und muͤhn ſich hoͤchſter maſſen
Aͤus tragender begier zum andern gegenport;
Der ſchiffer nimmt ſie auf/ und fuͤhrt ſie alle fort/
Er zeigt ſich ſtoͤrriſch-boͤß. Die aber unbegraben/
Die treibt er von dem ſtrand/ wil ſie nicht bey ſich haben.
Encas (denn es kam faſt wunderlich ihm fuͤr/
Daß ſo groß auffgelaͤuff erreget wuͤrde hier)
Sag jungfrau (hub er an) was mag doch das bedeuten/
Daß zu dem jammerbach von ſo viel hauffen leuten
Geſchieht ſolch zugelaͤuff. Sols leid ſeyn oder freud?
Umb was bemuͤhen ſich die ſeelen? Was fuͤr ſtreit
Und unterſcheid iſt/ daß ein theil von ufer lauffen/
Die andern ſahren durch den pfuhl mit dicken hauffen?
Drauff gab die prieſterin gar kurtzlich den beſcheid:
Eneas Goͤtter ſohn ohn allem zweiffel-ſtreit/
Du ſiehſt den trauerbach Cocytus vor dir liegen/
Die Goͤtter muͤſſen ſelbſt ſich fuͤrchten zu betriegen
Deſſelben heilge macht durch einen falſchen eyd/
Das volck/ das du dort ſiehſt/ iſt voller duͤrfftigkeit
Und unbegraben noch. Der ſchiffer/ der ſie fuͤhret/
Heißt Charon/ die er fuͤhrt/ ſind/ maſſen ſichs gebuͤhret/
Begraben; Kan auch nicht die ſeelen fahren an/
Wo ſie nicht ſind gebracht zu ihrer ruhebahn
Und daß der leib verſcharrt/ ſie muͤſſen aͤngſtig leben
Wol in die hundert jahr und uͤmb das ufer ſchweben:
Dann nimmt ſie Charon erſt auf ſeine ſchwartze fehr/
Da ſehn ſie nach begier den hellſchen pfuhl und meer.
Eneas
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |