Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.Vier und zwanzigster Abschn. Vorzug chromatischen und enharmonischen Tongeschlecht gebraucht.Zum Exempel, der Ton es wird nicht nur in der diatonischen Tonfolge g, [Formel 1] sondern auch in der chromatischen g, [Formel 2] und in der enharmonischen g, d, [Formel 3] unter der Benennung von dis gebrauchet. Es hat also weder der Ton es noch dis eine eigene Seyte, sondern sie werden beyde auf einer gemein- schaftlichen Seyte ausgeübet. Unterdessen verhält sich das es ganz anders als dis gegen einen zum Grunde liegenden Ton g, und es folget, daß, wenn der musikalische Ausdruck dieser Verhältnisse entweder nach es oder dis allein angeordnet wer- den sollte, in dem ersten Falle das dis und in dem andern das es verliehren würde. Es muß also zwischen dis und es ein Mit- telausdruck gesuchet werden, und diesen Ausdruck kann keine einzige Temperatur geben, als die gleichschwebende allein. Zum Exempel, wenn g:es = 8:5 und g:dis = 25:16, die Rationen 8:5 und 25:16 aber um 128:125 von einander differiren, so muß die Differenz 128:125 geometrisch halbi- ret, und dem g:es eine Hälfte abgenommen, dem g:dis aber eine Hälfte hinzugefüget werden. Wie diese Verengung oder Erweiterung eines Tons in Absicht auf alle zwölf halben Töne unserer Leiter aufs bequemste vorgenommen werden könne, ist in dem siebenzehnten Abschnitt gezeiget worden. -- Wenn man die im sechszehnten Abschnitte, §. 146. vorgebrachte alte Tempe- ratur untersuchet, so findet man, daß c:as = 25:16, undgis g: es = 8:5 ist. Dort verliehret also die kleine Sexte c:as,dis und hier die übermäßige| Quinte g:dis. Es soll aber weder der eine noch der andere Ton verliehren; und da in allen ungleich- schwebenden Temperaturen die Töne, und die aus den Tönen entstehenden Jntervalle, auf ähnliche, obgleich nicht allezeit gleiche Art, sondern bald mehr bald weniger verliehren: so fol- get, daß die ungleichschwebende Temperatur für unser Sy- stem nichts tauget, und daß die gleichschwebende Temperatur die einzige natürliche und wahre Temperatur ist. §. 234.
Vier und zwanzigſter Abſchn. Vorzug chromatiſchen und enharmoniſchen Tongeſchlecht gebraucht.Zum Exempel, der Ton es wird nicht nur in der diatoniſchen Tonfolge g, [Formel 1] ſondern auch in der chromatiſchen g, [Formel 2] und in der enharmoniſchen g, d, [Formel 3] unter der Benennung von dis gebrauchet. Es hat alſo weder der Ton es noch dis eine eigene Seyte, ſondern ſie werden beyde auf einer gemein- ſchaftlichen Seyte ausgeuͤbet. Unterdeſſen verhaͤlt ſich das es ganz anders als dis gegen einen zum Grunde liegenden Ton g, und es folget, daß, wenn der muſikaliſche Ausdruck dieſer Verhaͤltniſſe entweder nach es oder dis allein angeordnet wer- den ſollte, in dem erſten Falle das dis und in dem andern das es verliehren wuͤrde. Es muß alſo zwiſchen dis und es ein Mit- telausdruck geſuchet werden, und dieſen Ausdruck kann keine einzige Temperatur geben, als die gleichſchwebende allein. Zum Exempel, wenn g:es = 8:5 und g:dis = 25:16, die Rationen 8:5 und 25:16 aber um 128:125 von einander differiren, ſo muß die Differenz 128:125 geometriſch halbi- ret, und dem g:es eine Haͤlfte abgenommen, dem g:dis aber eine Haͤlfte hinzugefuͤget werden. Wie dieſe Verengung oder Erweiterung eines Tons in Abſicht auf alle zwoͤlf halben Toͤne unſerer Leiter aufs bequemſte vorgenommen werden koͤnne, iſt in dem ſiebenzehnten Abſchnitt gezeiget worden. — Wenn man die im ſechszehnten Abſchnitte, §. 146. vorgebrachte alte Tempe- ratur unterſuchet, ſo findet man, daß c:as = 25:16, undgis g: es = 8:5 iſt. Dort verliehret alſo die kleine Sexte c:as,dis und hier die uͤbermaͤßige| Quinte g:dis. Es ſoll aber weder der eine noch der andere Ton verliehren; und da in allen ungleich- ſchwebenden Temperaturen die Toͤne, und die aus den Toͤnen entſtehenden Jntervalle, auf aͤhnliche, obgleich nicht allezeit gleiche Art, ſondern bald mehr bald weniger verliehren: ſo fol- get, daß die ungleichſchwebende Temperatur fuͤr unſer Sy- ſtem nichts tauget, und daß die gleichſchwebende Temperatur die einzige natuͤrliche und wahre Temperatur iſt. §. 234.
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Vier und zwanzigſter Abſchn. Vorzug
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Zum Exempel, der Ton es wird nicht nur in der diatoniſchen
Tonfolge g, [FORMEL] ſondern auch in der chromatiſchen g, [FORMEL]
und in der enharmoniſchen g, d, [FORMEL] unter der Benennung
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ſchaftlichen Seyte ausgeuͤbet. Unterdeſſen verhaͤlt ſich das es
ganz anders als dis gegen einen zum Grunde liegenden Ton g,
und es folget, daß, wenn der muſikaliſche Ausdruck dieſer
Verhaͤltniſſe entweder nach es oder dis allein angeordnet wer-
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es verliehren wuͤrde. Es muß alſo zwiſchen dis und es ein Mit-
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einzige Temperatur geben, als die gleichſchwebende allein.
Zum Exempel, wenn g:es = 8:5 und g:dis = 25:16, die
Rationen 8:5 und 25:16 aber um 128:125 von einander
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Erweiterung eines Tons in Abſicht auf alle zwoͤlf halben Toͤne
unſerer Leiter aufs bequemſte vorgenommen werden koͤnne, iſt
in dem ſiebenzehnten Abſchnitt gezeiget worden. — Wenn man
die im ſechszehnten Abſchnitte, §. 146. vorgebrachte alte Tempe-
ratur unterſuchet, ſo findet man, daß c:as
gis
= 25:16, und
g: es
dis
= 8:5 iſt. Dort verliehret alſo die kleine Sexte c:as,
und hier die uͤbermaͤßige| Quinte g:dis. Es ſoll aber weder der
eine noch der andere Ton verliehren; und da in allen ungleich-
ſchwebenden Temperaturen die Toͤne, und die aus den Toͤnen
entſtehenden Jntervalle, auf aͤhnliche, obgleich nicht allezeit
gleiche Art, ſondern bald mehr bald weniger verliehren: ſo fol-
get, daß die ungleichſchwebende Temperatur fuͤr unſer Sy-
ſtem nichts tauget, und daß die gleichſchwebende Temperatur
die einzige natuͤrliche und wahre Temperatur iſt.
§. 234.
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