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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Vier und zwanzigster Abschn. Vorzug
men, keine andere Temperatur aber zu dieser Absicht geschick-
ter ist, als die gleichschwebende, so folget, daß solche die
beste ist.

§. 236.

Dritte Fortsetzung des vorhergehenden Artikels.
Die gleichschwebende Temperatur ist überhaupt und besonders
die beste;

Ueberhaupt, wenn das Clavierinstrument bey einer
mehrstimmigen Musik gebrauchet wird. (§. 204.) Die un-
gleichschwebende Temperatur vergrößert die Anzahl und Art
der Misklänge mehr als die gleichschwebende. Man höre eine
Kirchenmusik, wo die Orgel zu transponiren verbunden ist.
Wenn die Orgel nun ungleichschwebend temperirt ist, wie ist
die Wirkung? Obstupui, steteruntque comae & c.

Besonders, wenn das Clavier für sich allein gespielet
wird. Je weniger das Clavier unter andern Jnstrumenten
versteckt ist, desto empfindlicher wird seine Reinigkeit oder Un-
reinigkeit. Um soviel nun eine unreine Ausführung von einer
reinen übertroffen wird, um soviel wird die Ausführung eines
Tonstücks auf einem ungleichschwebenden Clavier von der auf
einem gleichschwebenden übertroffen werden. Sollte ein Ton-
setzer existiren, der bey Erfindung seiner Sätze zu der Tempe-
ratur, und alsdenn natürlicher Weise zu der ihm gewöhnli-
chen, seine Zuflucht nähme, und z. E. die durch eine falsche
Temperatur entstehenden disharmonischen Misklänge dem Ge-
brauch wahrer Dißonanzen substituiren wollte, so müßte ein
solcher Componist nicht die geringsten Grundsätze im Kopfe
haben, und nicht wissen, daß auf allen anders temperirten
Clavieren seine Jdeen verlohren wären. Er müßte nicht wis-
sen, daß die Erregung eines Affects nicht von der Stimmung
seines Claviers, sondern von ganz andern Dingen, welche
die Harmonie, Melodie, Rhytmik und Metrik lehren, abhän-
get, und daß diese andern Dinge unverändert eben dieselben
sind, das Clavier sey gestimmt wie es wolle.

§. 237.

Jch bringe zulezt eine aus des Hrn. Capellm. C. P. E.
Bach
zu Hamburg zweyten Theile seines Versuchs etc. Seite

326,

Vier und zwanzigſter Abſchn. Vorzug
men, keine andere Temperatur aber zu dieſer Abſicht geſchick-
ter iſt, als die gleichſchwebende, ſo folget, daß ſolche die
beſte iſt.

§. 236.

Dritte Fortſetzung des vorhergehenden Artikels.
Die gleichſchwebende Temperatur iſt uͤberhaupt und beſonders
die beſte;

Ueberhaupt, wenn das Clavierinſtrument bey einer
mehrſtimmigen Muſik gebrauchet wird. (§. 204.) Die un-
gleichſchwebende Temperatur vergroͤßert die Anzahl und Art
der Misklaͤnge mehr als die gleichſchwebende. Man hoͤre eine
Kirchenmuſik, wo die Orgel zu transponiren verbunden iſt.
Wenn die Orgel nun ungleichſchwebend temperirt iſt, wie iſt
die Wirkung? Obſtupui, ſteteruntque comæ & c.

Beſonders, wenn das Clavier fuͤr ſich allein geſpielet
wird. Je weniger das Clavier unter andern Jnſtrumenten
verſteckt iſt, deſto empfindlicher wird ſeine Reinigkeit oder Un-
reinigkeit. Um ſoviel nun eine unreine Ausfuͤhrung von einer
reinen uͤbertroffen wird, um ſoviel wird die Ausfuͤhrung eines
Tonſtuͤcks auf einem ungleichſchwebenden Clavier von der auf
einem gleichſchwebenden uͤbertroffen werden. Sollte ein Ton-
ſetzer exiſtiren, der bey Erfindung ſeiner Saͤtze zu der Tempe-
ratur, und alsdenn natuͤrlicher Weiſe zu der ihm gewoͤhnli-
chen, ſeine Zuflucht naͤhme, und z. E. die durch eine falſche
Temperatur entſtehenden disharmoniſchen Misklaͤnge dem Ge-
brauch wahrer Dißonanzen ſubſtituiren wollte, ſo muͤßte ein
ſolcher Componiſt nicht die geringſten Grundſaͤtze im Kopfe
haben, und nicht wiſſen, daß auf allen anders temperirten
Clavieren ſeine Jdeen verlohren waͤren. Er muͤßte nicht wiſ-
ſen, daß die Erregung eines Affects nicht von der Stimmung
ſeines Claviers, ſondern von ganz andern Dingen, welche
die Harmonie, Melodie, Rhytmik und Metrik lehren, abhaͤn-
get, und daß dieſe andern Dinge unveraͤndert eben dieſelben
ſind, das Clavier ſey geſtimmt wie es wolle.

§. 237.

Jch bringe zulezt eine aus des Hrn. Capellm. C. P. E.
Bach
zu Hamburg zweyten Theile ſeines Verſuchs ꝛc. Seite

326,
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[222/0242] Vier und zwanzigſter Abſchn. Vorzug men, keine andere Temperatur aber zu dieſer Abſicht geſchick- ter iſt, als die gleichſchwebende, ſo folget, daß ſolche die beſte iſt. §. 236. Dritte Fortſetzung des vorhergehenden Artikels. Die gleichſchwebende Temperatur iſt uͤberhaupt und beſonders die beſte; Ueberhaupt, wenn das Clavierinſtrument bey einer mehrſtimmigen Muſik gebrauchet wird. (§. 204.) Die un- gleichſchwebende Temperatur vergroͤßert die Anzahl und Art der Misklaͤnge mehr als die gleichſchwebende. Man hoͤre eine Kirchenmuſik, wo die Orgel zu transponiren verbunden iſt. Wenn die Orgel nun ungleichſchwebend temperirt iſt, wie iſt die Wirkung? Obſtupui, ſteteruntque comæ & c. Beſonders, wenn das Clavier fuͤr ſich allein geſpielet wird. Je weniger das Clavier unter andern Jnſtrumenten verſteckt iſt, deſto empfindlicher wird ſeine Reinigkeit oder Un- reinigkeit. Um ſoviel nun eine unreine Ausfuͤhrung von einer reinen uͤbertroffen wird, um ſoviel wird die Ausfuͤhrung eines Tonſtuͤcks auf einem ungleichſchwebenden Clavier von der auf einem gleichſchwebenden uͤbertroffen werden. Sollte ein Ton- ſetzer exiſtiren, der bey Erfindung ſeiner Saͤtze zu der Tempe- ratur, und alsdenn natuͤrlicher Weiſe zu der ihm gewoͤhnli- chen, ſeine Zuflucht naͤhme, und z. E. die durch eine falſche Temperatur entſtehenden disharmoniſchen Misklaͤnge dem Ge- brauch wahrer Dißonanzen ſubſtituiren wollte, ſo muͤßte ein ſolcher Componiſt nicht die geringſten Grundſaͤtze im Kopfe haben, und nicht wiſſen, daß auf allen anders temperirten Clavieren ſeine Jdeen verlohren waͤren. Er muͤßte nicht wiſ- ſen, daß die Erregung eines Affects nicht von der Stimmung ſeines Claviers, ſondern von ganz andern Dingen, welche die Harmonie, Melodie, Rhytmik und Metrik lehren, abhaͤn- get, und daß dieſe andern Dinge unveraͤndert eben dieſelben ſind, das Clavier ſey geſtimmt wie es wolle. §. 237. Jch bringe zulezt eine aus des Hrn. Capellm. C. P. E. Bach zu Hamburg zweyten Theile ſeines Verſuchs ꝛc. Seite 326,

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/242>, abgerufen am 23.11.2024.