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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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und Beruf so völlig neue Kraft gegeben, mich den Dingen
und dem Wissen gegenüber auf eine so neue Stufe der
Selbständigkeit gestellt hat, daß ich den Tag segne, an
dem ich nach Göttingen ging. Vor allem auch lernt man
durch das Studium Bescheidenheit, wenn man es mit sitt-
lichem Ernst treibt.


B.
Die besonderen Schwierigkeiten
des Frauenstudiums.

Diese innere und äußere Selbständigkeit, die das Stu-
dium uns zu geben vermag, muß durch mancherlei
Schwierigkeiten erkauft werden. Unleugbar herrscht in dem
Leben der strebenden Frau ein Dualismus, den der Mann
für sich nicht kennt. Er kann seinen Lebensberuf mit voller
Sicherheit wählen; denn dieser wird ihn zur Gründung einer
Familie geschickt machen. Die Frau hat die Wahl zwi-
schen Beruf oder Ehe, die mit ihren mancherlei Frauen-
pflichten Leben und Kräfte meist voll in Anspruch nimmt.
Wofür soll sie sich vorbereiten? Sie muß den Entschluß,
darüber fassen, auch wenn sie ihn bis zum 16., 17. Jahre
verschiebt, ehe der Schicksalswürfel gefallen ist.

Dieser Entschluß kann aber nur dem schwer fallen,
der kräftige Ausbildung des Geistes für eine Schädigung
des stillen Frauenberufs hält, der noch an den "Blaustrumpf"
glaubt, und dem für eine zukünftige Hausfrau absolut
jahrelange Schulung in häuslichen Arbeiten notwendig er-
scheint. Dem widerspricht aber erstens die oft so tändelnde
Art der Ausbildung unserer zukünftigen Frauen in allerhand
Haushalts- und Vergnügungspensionaten und die Masse
leerer Zeit, die diese Mädchen zum "die Jugend genießen"
haben, zweitens die Erfahrung, daß für einen bestimmten
Beruf vorgebildete Mädchen im Durchschnitt keine schlech-
teren Hausfrauen werden, als die "häuslichen", und daß
sie oft Mann und Kindern mehr sein können. Uebrigens
von der allerwichtigsten Aufgabe der Frau, dem zukünf-
tigen Mutterberuf, lernt auch das häuslichst erzogene Mäd-
chen nichts, um "seine Unschuld nicht zu zerstören". Ver-

und Beruf so völlig neue Kraft gegeben, mich den Dingen
und dem Wissen gegenüber auf eine so neue Stufe der
Selbständigkeit gestellt hat, daß ich den Tag segne, an
dem ich nach Göttingen ging. Vor allem auch lernt man
durch das Studium Bescheidenheit, wenn man es mit sitt-
lichem Ernst treibt.


B.
Die besonderen Schwierigkeiten
des Frauenstudiums.

Diese innere und äußere Selbständigkeit, die das Stu-
dium uns zu geben vermag, muß durch mancherlei
Schwierigkeiten erkauft werden. Unleugbar herrscht in dem
Leben der strebenden Frau ein Dualismus, den der Mann
für sich nicht kennt. Er kann seinen Lebensberuf mit voller
Sicherheit wählen; denn dieser wird ihn zur Gründung einer
Familie geschickt machen. Die Frau hat die Wahl zwi-
schen Beruf oder Ehe, die mit ihren mancherlei Frauen-
pflichten Leben und Kräfte meist voll in Anspruch nimmt.
Wofür soll sie sich vorbereiten? Sie muß den Entschluß,
darüber fassen, auch wenn sie ihn bis zum 16., 17. Jahre
verschiebt, ehe der Schicksalswürfel gefallen ist.

Dieser Entschluß kann aber nur dem schwer fallen,
der kräftige Ausbildung des Geistes für eine Schädigung
des stillen Frauenberufs hält, der noch an den „Blaustrumpf“
glaubt, und dem für eine zukünftige Hausfrau absolut
jahrelange Schulung in häuslichen Arbeiten notwendig er-
scheint. Dem widerspricht aber erstens die oft so tändelnde
Art der Ausbildung unserer zukünftigen Frauen in allerhand
Haushalts- und Vergnügungspensionaten und die Masse
leerer Zeit, die diese Mädchen zum „die Jugend genießen“
haben, zweitens die Erfahrung, daß für einen bestimmten
Beruf vorgebildete Mädchen im Durchschnitt keine schlech-
teren Hausfrauen werden, als die „häuslichen“, und daß
sie oft Mann und Kindern mehr sein können. Uebrigens
von der allerwichtigsten Aufgabe der Frau, dem zukünf-
tigen Mutterberuf, lernt auch das häuslichst erzogene Mäd-
chen nichts, um „seine Unschuld nicht zu zerstören“. Ver-

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[11/0011] und Beruf so völlig neue Kraft gegeben, mich den Dingen und dem Wissen gegenüber auf eine so neue Stufe der Selbständigkeit gestellt hat, daß ich den Tag segne, an dem ich nach Göttingen ging. Vor allem auch lernt man durch das Studium Bescheidenheit, wenn man es mit sitt- lichem Ernst treibt. B. Die besonderen Schwierigkeiten des Frauenstudiums. Diese innere und äußere Selbständigkeit, die das Stu- dium uns zu geben vermag, muß durch mancherlei Schwierigkeiten erkauft werden. Unleugbar herrscht in dem Leben der strebenden Frau ein Dualismus, den der Mann für sich nicht kennt. Er kann seinen Lebensberuf mit voller Sicherheit wählen; denn dieser wird ihn zur Gründung einer Familie geschickt machen. Die Frau hat die Wahl zwi- schen Beruf oder Ehe, die mit ihren mancherlei Frauen- pflichten Leben und Kräfte meist voll in Anspruch nimmt. Wofür soll sie sich vorbereiten? Sie muß den Entschluß, darüber fassen, auch wenn sie ihn bis zum 16., 17. Jahre verschiebt, ehe der Schicksalswürfel gefallen ist. Dieser Entschluß kann aber nur dem schwer fallen, der kräftige Ausbildung des Geistes für eine Schädigung des stillen Frauenberufs hält, der noch an den „Blaustrumpf“ glaubt, und dem für eine zukünftige Hausfrau absolut jahrelange Schulung in häuslichen Arbeiten notwendig er- scheint. Dem widerspricht aber erstens die oft so tändelnde Art der Ausbildung unserer zukünftigen Frauen in allerhand Haushalts- und Vergnügungspensionaten und die Masse leerer Zeit, die diese Mädchen zum „die Jugend genießen“ haben, zweitens die Erfahrung, daß für einen bestimmten Beruf vorgebildete Mädchen im Durchschnitt keine schlech- teren Hausfrauen werden, als die „häuslichen“, und daß sie oft Mann und Kindern mehr sein können. Uebrigens von der allerwichtigsten Aufgabe der Frau, dem zukünf- tigen Mutterberuf, lernt auch das häuslichst erzogene Mäd- chen nichts, um „seine Unschuld nicht zu zerstören“. Ver-

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/11>, abgerufen am 21.11.2024.